Mann. Frau. Umgekehrt.

Fifty-fifty. Ihr erinnert euch? Das Kernthema dieses Blogs, die Startposition am 18. Februar 2010. Pole-Position. Was geht da ab im Fifty-fifty-Experiment auf dem Lande? Da dies Fifty-fifty für das Paar und Gegensatzpaar Ela und Jens steht, also eine Art Ying und Yang, Pode und Antipode oder schlicht das Weibliche und das Männliche, möchte ich mal kurz hier auf das Wesentliche eingehen. Den kleinen, feinen Unterschied. Allen ist ja sowieso immer klar, wie Frauen und Männer so ticken. Die Mädels auf der einen Seite mit schön-schön, fein-fein, guter Duft und George Clooney an ihrer Seite und die Jungs mit Bier, Fußball, herbe drauf, technisch versiert und intellektuellem Interesse an Penelope Cruz-Filmen.

Klar, ne! Gestern Abend nun war ich plötzlich mit einer schwierigen mentalen Situation konfrontiert. Dazu muss ich sagen: Nicht irgendein Abend. Nein. Montagabend. Mein Montagabend. Ausgang, Auslauf. Fußballtraining. Männergruppe, wenn ihr so wollt. Rumkicken, rumbrüllen, Tore schießen und am Ende in der Kabine Bier trinken. Nackte Kerle mittleren Alters, die über Fußball palavern und Gott und die Welt ins Visier nehmen. „Was gibt’s Neues im Dorf?“ Eindeutig: Männer.

Dieser mir so wichtige Abend ist gestern a-u-s-g-e-f-a-l-l-e-n. Brrrr. Hat nicht stattgefunden. Niente. Nada. Sieh zu, wie du damit fertig wirst, Herr Schönlau. Nun hätte ich sagen können – „Lieste halt weiter in deinem schönen Buch.“ Ging nicht. Erstens, weil ich scheinbar programmiert bin. Montagabend lesen kommt in der Programmiersprache meiner Woche nicht vor. Zweitens – schlimmer noch – ist der Montag der Wäschetag. Normalerweise komplett Elas Business. Moment! Ich räume täglich die Spülmaschine aus und hole das Holz aus dem Keller! Gerechtigkeit ist Fifty-fifty gewahrt. Nun ist Elas Job am Montag mit dem Thema Wäsche ziemlich konzentriert. Während sie Wäsche faltete, konnte ich mich ja nicht irgendwie verpieseln. Also habe ich mitgeholfen. Kleine T-Shirts falten, kleinste Socken ineinander stecken, Pullover auf DIN-A4-Format bringen. Wie muss dieses riesige Badetuch gefaltet werden, damit es unseren Schrank nicht sprengt? Wer, verdammt nochmal, benutzt hier eigentlich völlig sinnfrei so riesige Badetücher? Wisst ihr, wie viel Arbeit die machen? Das is ja ne ganze Maschine voll… Ups!

Zoe hat mich dann erlöst. „Papa, erzählst du mir im Bett noch ’ne Geschichte?“ „Sorry, meine liebe Zoe. Geht nich. Dein Vater ist beschäftigt. Ich falte Wäsche. Gute Nacht.“ Ela prustet. Und erlöst mich. „Hau schon ab, erzähl deiner Tochter ’ne Story.“ Moment mal. Nun gut, immerhin hab ichs versucht und mental ja auch bis zum großen Badetuch geschafft. Und damit hier keine falschen Meinungen oder gar männlich-weiblich-typische Beschuldigungen aufkommen: Ich habe schon öfter auch ganz alleine riesige Wäscheberge gefaltet! Manchmal sogar fast gutlaunig. Jawohl. So weit sind Männer und Frauen nämlich gar nicht auseinander. Vielleicht einfach nur ein wenig anders belastbar. Naja, ihr wisst, was ich meine. Oder?

Euch einen schönen, ausgeglichenen Fifty-fifty-Tag. Ich hab hier einen Sack voll Arbeit, muss aber erst zum Zahnarzt, meine Krone einsetzen lassen. Ihr erinnert euch: „Fucking Gitarrenladen!“. Dann will ich mal in die Saiten hauen und ein wenig Gas geben. Ciao.

P-, P-, Party und Zeche!

Partys mit Mitte vierzig? Hm. Sind das noch Partys oder schon Gesprächsrunden mit gutem Essen und leckerem Wein? Ela und ich waren am Freitag auf die Party einer Freundin in einem Nachbardorf eingeladen. Auf der Terrasse direkt vor der Küche stand ein großes Zelt mit Tischen und Heizstrahlern, das „Wohnzimmer“ war ausgeräumt und mit einer fetten Musikanlage ausgestattet. Tanzen. Wie tanzt man mit Mitte vierzig?

Ein Freund erzählte kürzlich, dass er auf einem runden Geburtstag war, wo sich zuletzt unser Alter mit wirklich jungen Menschen auf der Tanzfläche traf. Er meinte nur: „Welten!“ Ich erinnere mich an die achtziger Jahre und die verschiedenen Diskotheken, in denen wir unterwegs waren. Eine feste Clique aus dem Internat, die sich am Wochenende irgendwo zwischen Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz traf. Da gab es die Popper-Discos, in denen möglichst lässig und cool getanzt wurde und die Ökoläden, in denen es mehr auf Ausdruck und Innerlichkeit ankam. Es war manchmal komisch, wenn man das Gefühl hatte, in so einen Laden nicht reinzupassen.

Am Freitag haben wir reingepasst. Tatsächlich gab es das leckere Essen und den guten Wein. Und es gab die Party auf der Tanzfläche. Erst spät, aber dann war es doppelt gut. Zuletzt hatten Ela und ich die Tanzfläche für uns allein. Es war zwei Uhr und wir konnten unsere Songs auswählen und auch als Paar tanzen. Das haben wir vor zwei Jahren in einem Kurs gelernt. Wir hatten beide nie einen Tanzkurs besucht – das war damals spießig. Heute ist es einfach toll. Mal auseinander tanzen, mal gemeinsam. Rumba, Chachacha. Hätte ich nie gedacht, dass mir das mal Spaß macht. Heute ist es so. Und mit Ela in die Nacht zu tanzen, dass war schon ziemlich gut. Ah. Party mit Mitte vierzig? Wie immer: Kommt drauf an, was man draus macht.

Zeche? Wir haben als Paar das Wochenende gestartet und als Familie beendet. Gestern waren wir alle zusammen in Essen im Ruhrmuseum. Da hatten wir vor einiger Zeit die Ausstellung „Entry“ besucht, nun hatten wir mal wieder Lust auf die Zeche Zollverein. Einfach Klasse dieses Ruhrgebiet. In der Ausstellung sind wir in der alten Kokserei tief eingetaucht. Überall die alten Apparaturen aus der „Kohlezeit“ und dazwischen jede Menge skurrile, lustige, interessante Exponate, die eine lebendige Geschichte erzählen. Zoe und Jim waren begeistert – von einem richtig gut gemachten Museum!

Danach waren wir noch in einer Essener Trattoria essen und fühlten uns ein wenig an „Maria ihm schmeckt’s nicht!“ erinnert. Wir wurden von einer kompletten italienischen Familie beköstigt. Im Hintergrund lief im Fernsehen still das 2:0-Duell Dortmund gegen Bayern München. Mittendrin im Pütt. Ein Foto vom Urahn an der Wand, einem Italiener mit Koffer, der da mitten im Ruhrgebiet steht und lacht. Scheint zu passen. Gute Stimmung, richtig leckeres Essen. Ehrliche italienische Küche – ohne Kompromisse und Gott sei Dank ohne deutschen Einfluss. Für mich hört beim Essen Integration auf – das soll mal richtig schön ursprünglich italienisch bleiben.

Euch wünsche ich eine partyreiche Woche, in der euer Leben fröhlich tanzt und in dem es leckere Sachen zu essen gibt. Ciao. „Maria, mir schmeckt’s!“

du fällst nicht

du fällst nicht

glaubst es nur

die weiche weiche nacht umhüllt dich

wie ein warmes warmes vlies

und wenn du doch fällst

schreibt der wind des falls

dir die gänsehaut

in jeden winkel deines körpers

deine angst treibt

glitzernd bunte schweißperlen

auf die gipfel deiner haut

es ist der weite weite weg

zurück

den du niemals gehst

könnten mich die flügel

heben hoch empor

tragen hoch und höher ohne last

würd ich den fall vergessen

die vorhänge wehn ins zimmer

und streicheln meine zehn

trag mich halte mich

ich werde den wind umschlingen

zum freund mir machen

ihn zwingen und quäln

was soll er dann noch tun

als nur noch mich zu tragen

vielleicht wird er entweichen

wolln

das lasse ich nicht zu

der aufwind fängt den fall

nichts sehe ich mehr

als die farben die sich drehn

vor meinem inneren licht

bin ein projektor der

wiedergibt

kann das gemerkte nicht behalten

und wills auch nicht

der ausgang ist nicht klar

niemals

wie soll er auch

die weisheit hab ich nicht gebucht

und wenn es sein soll nehm ichs hin

tret mülleimer und laternen

vielleicht noch

doch dann gehts ab im schnellen

flug herab

dann seh ich meine rosen blühn

die mageriten streicheln mich

der oleander winkt und meine

kirschen verneigen sich ganz tief

so schön es sein mag

so schön die tage mich umhülln

so schön dies alles mehr

ich weiß nichts und kanns kaum halten

die blutgen Hände

lassen alle seile gehn

getragen werd ich dann von

frühlingsluft und aprikosen

es gibt kein schönren tag

als wenn der garten seine augen öffnet

und mich mit seinem duft umschließt

november 2003

„Schämt euch!“

Mir blutet das Herz. Gestern saß ich den ganzen Tag am Twitter-Ticker und habe die Geschehnisse in Stuttgart verfolgt. Kürzlich erst hatte ich Brecht zitiert, als ich über Lyrik schrieb. Bertolt Brecht: „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist – weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt?“ Nun müssen wir über Bäume sprechen, die heute Nacht unter Polizeischutz gefällt wurden. Tausende Menschen harrten in der Nacht vor Ort und skandierten „Schämt euch!“. Darunter, wie Spiegel-Online berichtet, nicht alleine die gerne genannten Chaoten, auf die sich so einfach alle „Schuld“ schieben lässt.

Nein, es war ein Proporz, ein Abbild der Bevölkerung. Ein Zitat aus einem Spiegel-Bericht vom Morgen: „Die Gruppe ist bunt gemischt. Eine Frau stammelt „oh nein, oh nein“, mit Tränen in den Augen. Wenige Meter weiter stehen Alfred und Ingrid Funkel, ein Rentnerpaar. Sie seien früher nie auf die Idee gekommen zu demonstrieren, sagen beide. „Aber das hier ist eine Sauerei.“ Unter den Protestierenden sind viele ältere Menschen.“ Und sie schreien die ganze Nacht. Pfeifen und skandieren „Schämt euch!“.

Nun schreibe ich wieder über Politik. Eigentlich gegen meinen Willen, weil ich mein Leben in Frieden leben möchte. Gerne erinnere ich mich an die deutschen WM-Bilder – ein Volk in Harmonie und Feierlaune. Aber dann lasse ich mich reinziehen. Höre von Kindern, die mit Schlagstöcken von der Polizei verprügelt wurden. Ich denke an Jim und Zoe, die mit blutigen Köpfen nach Hause gekommen wären. Ja, ich spüre Zorn. Ich sehe einen Ministerpräsidenten Mappus, der am gleichen Tag erst zum Bauerntag geht und sich zur Solidarisierung mit den Agraökonomen ein Maß Bier reinpfeift, um dann zur Attacke zu blasen. Mit aller Härte, um Recht und Ordnung durchzusetzen. Kinder schlagen lässt, um mit einer „Law- and Order-Wahlkampfstrategie“ alles auf eine Karte zu setzen.

Das Demonstrationsrecht gehört zu den zentralen Eckpfeilern einer Demokratie. Wer bereit ist, Kindern, die ihre politische Meinung lautstark kundtun, das „Demonstrationsrecht auszuprügeln“, der überschreitet eine Grenze. Gestern war ein rabenschwarzer Tag für die Demokratie in Deutschland. Gleichzeitig hat das, was in Stuttgart passiert ist, hoffentlich aufgerüttelt. Es ist nur so wenig, was genügt, Demokratie auszuhebeln. Ein Ministerpräsident entscheidet letztlich, das Volk zu verprügeln. Das geht nicht! Überhaupt nicht. Ich rufe laut mit den Demonstrierenden in Stuttgart „Schämt euch!“

Wenn es in einer Demokratie Auseinandersetzungen wie in Stuttgart gibt, dann stimmt an dem politischen Vorhaben etwas nicht. Da ist etwas faul im Staate Dänemark. Demokratie geht sicherlich den falschen Weg, wenn sie Meinungen mit Gewalt durchsetzt. Für mich ist das Projekt Stuttgart 21 gestorben. Einen Bahnhof, an dem Blut klebt, will ich nicht. Einen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg, an dessen Fingern Blut klebt, auch nicht. Ich bin froh, dass das Thema im Bundestag besprochen wird und Demokratie hoffentlich zeigen kann, was in ihr steckt. Die Bäume sind gefällt, vielleicht glauben die politisch Verantwortlichen, sie hätten gesiegt. Ich sage, das haben sie mitnichten. Dümmer hätten sie sich nicht anstellen können. Es kommt alles zurück. Nichts bleibt ohne Antwort – im Guten wie im Schlechten.

Heute Morgen hatte ich über einen schönen Abend mit der Familie schreiben wollen. Über einen kleinen Zeitraum Idylle. Ich hatte mir schon alles geistig zurechtgelegt. Aber dann konnte ich es nicht. Ich musste über Stuttgart schreiben und meinen Blog politisieren. Ich hoffe, das muss ich jetzt nicht dauernd. Ich wünsche euch einen Tag, an dem ihr euch für Demokratie einsetzt, eine Meinung kundtut, euch einmischt. Ciao.

Kirschblütenblättersehnsucht

noch

wirft der schmelzende Schnee

mir kalten Nebel in den Kragen

wann

wirst du kommen

Kirschblütenblättersehnsucht

küss mich

leg deine Hand in meine

die Katzenpfoteninnenseiten

ineinander

aufgelöst eins

nicht wartensehnen

nicht tränentropfen

alles

jens schönlau, januar 2010