Bogotá – von Susanna Schönberg

Bogota

Essen. Zeche Zollverein. C.A.R. Contemporary Art Ruhr. Von Freitag bis Sonntag. Im Cubus. Ein Betonwürfel – 35 m x 35 m x 34 m. Von japanischen Architekten entworfen, heute genutzt von der Folkwang-Schule. Ein irres Gebäude. Schön. Groß. Unvorstellbar.

Viveka und ich waren eingeladen zur Vernissage am Freitag. Vivekas Freundin Susanna Schönberg hatte uns auf die Gästeliste setzen lassen. Ich war zu spät in Essen, hatte die Woche wie ein besessener gearbeitet, am Freitag das Haus geputzt und getextet und telefoniert und war zu spät. 20 Uhr statt 19 Uhr. Eine ewige Hetzerei. Termine, Autobahnen, Textpassagen, Konzeptionen.

So war mein Kopf unvorbereitet. Keine Zelle hatte an die Ausstellung gedacht. Irgendetwas war da, aber was? Kunst? Susanna Schönberg. Ein Beitrag. Asche auf mein Haupt, ich hatte keine Ahnung. Null.

Irgendwann landeten wir auf dem Parkplatz vor dem Museum und waren dort nicht ganz richtig. Wir schlängelten uns durch. Verschlossene Türen wurden uns von mitfühlenden Menschen geöffnet. Es war kafkaesk. Unter uns die ausgehöhlte Erde, über uns das Ziegelbraun der Zeche, die Stahltürme, Kolosse, Industrie-Denkmäler. Meine Vorstellung schickte mich in einen engen dunklen Raum mit schlecht beleuchteten Bildern. Manches lässt sich weder denken noch antizipieren.

Wir fragten eine Horde junger, Bier trinkender Menschen. Die lachten und riefen „Hier, folgt uns, kommt mit. Dort geht es lang.“ Wir folgten, kamen um eine Ecke und ich traute meinen Augen nicht. Ich Vollidiot hatte meine Kamera im Auto gelassen. Ich meine, hey, sonst fotografiere ich jede Gänseblume und jetzt: Leere Hände. Denn vor uns, in kontrastreichen Regen-Abendwolken: DER CUBUS, von dem ich nicht wusste, dass es ihn gibt.

Eine Betonfassade. Quadratisch. Fenster. Quadratisch. Oh. Schön, groß, erhabend. Der Luxus eines reichen Landes. Ein Würfelgebäude mit 5.700 qm Kunstfläche auf fünf Etagen. Tägliche Bewirtschaftungskosten 1.000 Euro. Yepp. Nehmt meine Steuern für solche Projekte. Bitte. Verschwendet sie in Ästhetik und Proportion. In Herzschlag und Licht. In diesem Gefühl, einem Haus dankbar zu sein, nur weil es es gibt.

Cubus

Auf der Wiese trafen wir Susanna und Stefan. Susanna filmte eine Performance. Sie hat einen Teil der Ausstellung kuratiert: TRANS_AKTION. Ausgewählte Gesten und Versuche des Übertragens. Sie hat mit jungen Künstlern gearbeitet. Ich würde euch gerne beschreiben, was es damit auf sich hat, aber es würde den Rahmen sprengen. Ein Ornament einer Istanbuler Moschee per Forografie übertragen in die Ausstellung. Transaktion. Ein Leuchtfenster, ein Muster. Gerhard Richters Domfenster (meine Assoziation). Egal. Hier ist jetzt nicht der Raum.

Wir haben den Cubus betreten und uns durchgearbeitet. Susanna war vorgegangen, Stefan, ihr Mann, hatte uns vage begleitet. Kunst anzuschauen ist eine individuelle Angelegenheit und Rhythmen der Betrachter sind unterschiedlich. Wir sahen uns, trafen uns, verloren uns, begegneten uns, überraschten einander.

1. OG. Was für eine profane Bezeichnung. Wir sind die Treppen hoch gegangen. Ein schmuckloses Beton-Treppenhaus mit weißen Stahlhandläufen und Stahl-Feuerschutztüren, wie in den Kellern unserer Einfamilienhäuser. Keine Arabesken. Kein Prunk. Konsequente Einfachheit. Nun denn, eine beeindruckende Einfachheit. Eine grandiose Einfachheit. Eine überwältigende Einfachheit. Mamamia.

Das 1. OG ist ein Raum mit der beschriebenen 35 m x 35 m Grundfläche. Imposant. Aber dann. Freunde. Hey. Von hier geht es hoch. Die Decke schwebt 10, 11, 12 Meter höher. Die Außenwände sind durchzogen von quadratischen Fenstern in unterschiedlichster Größe. Das Draußen ist Drinnen. Keine Trennwände, nur zwei Versorgungsschächte.

Nun ist da dieser Cubus. Und in diesem Cubus war die Kunst und ich wusste nicht, wem ich mehr Beachtung schenken soll. Cubus. Kunst. Kunst. Cubus. Wenn das Drumherum so groß ist, muss die Kunst außerordentlich sein.

Glück. War es. Für mich. Wenn man eingeladen wird zu einer Vernissage, dann steht irgendwann eine Frage nach Wertung im Raum. Das ist wie in einem Roman, in dem eine Pistole auftaucht. Irgendwann, herrje, wird sie abgefeuert. Und auf einer Vernissage sucht die Frage nach Antwort: Und? Die Bewertung, Einschätzung.

Wir wussten nicht, welches Werk von Susanna war. Wir schauten uns durch, ließen uns treiben, beeindrucken, langweilen. Als Ausstellungsbesucher trägt man die Arroganz der Wertung in sich, verteilt lautlos Noten, wendet sich zu, wendet sich ab, verharrt, geht, streift, gafft, lächelt. Wischt mit einem Handstreich die Arbeit von Wochen, Monaten weg.

Wir hatten alles gesehen (man sieht niemals alles). Und dann glaubten wir zu wissen. Bogotá.

Zwei Bildschirme auf Stativen. Die Bildschirme aus Fernsehern ausgebaut. Rudimentär. Auf der Rückseite die sichtbare Elektronik. Zwei Platinen mit Widerständen und Steckern. Verbunden mit kleinen knarzenden Lautsprechern. Umgebaut, gelötet. RAW. Direkt, technisch, wissenschaftlich, auf das Wesentliche beschränkt. Monitore ohne Marketinghülle. Der Rahmen verzinktes Blech, silber. Passend zu den Stativen.

Bildschirme

Die Videopanels wie die Fenster des Cubes. Der Blick nach draußen. In diesem Fall nicht nach Essen, sondern nach Bogotá, Kolumbien. Susanna hatte dort drei Wochen verbracht. Eingeladen von einer Hochschule. Dort hat sie gedreht. Sie ist Medienkünstlerin, Videokünstlerin.

Parque Parada 3

In Bogotá hat sie die Sequenzen eingefangen. An zwei Orten. Parque und Parada. Susanna hat uns ein wenig erzählt. Ein Luxus. Das, was sich niemals erschließt, was nirgends geschrieben steht. So öffnet sich Kunst. Bogotá ist eine Stadt, die sich in ihrer Psychologie verändert hat. Dort leben fast 8 Millionen Menschen und es werden mehr. Damit ändern sich die Rahmenbedingungen. Kriminalität, Drogenkriminalität hinterlässt ihre Spuren im Alltag. Susanna sprach von Paranoia der Menschen.

Parque Parada

PARADA. Der rechte Bildschirm, etwa in zwei Meter Höhe. Man sieht einen Mann gehen und hört rollende Geräusche. Der Mann wird von der Kamera verfolgt. Es ist ein Betonweg, der rechts und links von Glasscheiben gesäumt ist. Neben den Glasscheiben rollt der Verkehr. Es ist ein Busbahnsteig mit Schleusen. Der Bus hält an, Glastüren öffnen sich. Alles sicher, kontrolliert. Im Video ist es irritierend, eine unbekannte Atmosphäre. Fremd. Das ist nicht Köln, nicht Berlin, nicht Paris, nicht London. Es ist Bogotá. Die Menschen schützen sich, haben Angst, schaffen Sicherheitszonen.

Parque Parada 2

Susanna wurde empfohlen, nicht zu filmen. Das sei gefährlich. Sie hatte sich entschieden, es doch zu tun. Mit einer auffälligen Konstruktion. Mit einem fahrbaren Stativ, mit dem sie die GoPro auf Überkopf-Höhe und höher ausfahren konnte. Hat sie gemacht und dann hat sie das Stativ geschoben und die Szenen von oben gefilmt. Weil die Rollen auf dem Untergrund nicht sauber laufen, ruckelt der Film, hat aber Schärfe und Klarheit. Die Kamera folgt dem Mann, rechts rauscht der Verkehr, rauschen Busse vorbei. Ein dynamisches, verstörendes Bild. Man muss hinschauen und hinfühlen, um die Spannung aufzulösen. Ich habe mir die Sequenz wieder und wieder angesehen. Der Mann geht, Menschen gehen, ein Bus kommt, wird von einem zweiten überholt. Alltag.

PARQUE. Ein Niemandsland. Eine geordnete Parklandschaft, sauber, geometrisch angelegt. Der Bürgermeister von Bogotá hat hier ein schwieriges Viertel geglättet. Die Kriminalität musste weiterziehen. Susanna lässt den Film in einer Tiefgarage starten. Es geht um Höhen der Stadt. Hier sind die Höhen tief. Bedrückend. Schwarz-weiß. Aus der Perspektive der Überwachungskameras. Man hört das Rollen der Stativräder auf dem Untergrund. Als sie nach oben will, gibt ihr die Garagen-Security zwei Männer an die Hand. Dort oben, im Park, ist es zu gefährlich. Die Kamera fängt die Beschützer ein. Von oben herab. Da stehen zwei Security-Männer und bewachen eine filmende Frau. Und der Park im Hintergrund liegt friedlich und ruhig. Kein Mensch dort. Ein gepflegtes Niemnandsland.

Die beiden Bildschirme in der Ausstellung bewegen sich auf zwei Höhen, auf den Höhen, die die Kamera in Bogotá jeweils eingenommen hatte. Die Bilder fesseln, ziehen hinein.

Wir haben uns mit Susanna unterhalten. Über die Arbeit, über die Ausstellung, über die Kunst überhaupt. Sie sprach von Konzept. Ich musste innerlich lächeln. Mein Job. Konzepter. Ja, wir brauchen in der Werbung, in der Kommunikation Konzepte. Das ist mein täglich Brot, das ist das, wofür ich bezahlt werde. Und das ist das, was in der Kunst wie in der Werbung den Unterschied macht.

Im Job, ziehe ich Konzepte durch. Stringent. Konsequent. Bei meiner Kunst, bei meinen Gedichten, Fotos und Texten hier im Blog, arbeite ich wie ein Amateur. Ohne Konzept. Was immer das bedeutet, das war eine interessante Message an mich. Mal sehen, was ich damit mache.

Susanna hatte eine dritte Sequenz in Bogotá gedreht, die von der Ästhetik aus dem Rahmen gefallen wäre. Ich hätte diesen dritten Strang gerne gesehen. An diesem Ort, in diesem Kubus, ein weiteres Fenster mit bewegten Bildern aus einer fremden Welt.

Die Ausstellung ist vorbei. Im nächsten Jahr wieder.

Infos: Susanna Schönberg und C.A.R.

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