Es tut weh. Punkt.

Jens 93 Dennis Durant

Vor diesem Beitrag drücke ich mich nun seit Wochen, Monaten. Ich war ein Maschinenmensch, der das Notwendige getan hat. Es kam alles so schnell. Das Haus, die Heimat, verkauft. Weg. Es kommen neue, nette Menschen, die übernehmen. Ich kämpfe mit den Tränen. Mein Herz weiß, ich will nicht gehen. Es haben 100.000 € gefehlt, die ich in meinem Leben mit Arbeit nicht mehr aufbringen. Der Zug ist abgefahren.

Offen sein für Neues? Die Herausforderungen des Lebens annehmen? Habe ich immer gemacht. Aber nun. Kämme ich mein Leben gegen den Strich. Es ist eine Niederlage, ein in den Sand fallen, ein getroffen Sein, ein abgeklemmtes Herz. Ein wenig müde bin ich. Was geschehen ist, wollte ich nicht. Es ist ätzend.

Ich habe ein neues Haus gekauft, das schön ist. Ich werde neu anfangen. Max und Pella können bei mir wohnen, ich kann eine Wohnung vemieten, die Nachbarn sind nett, der Verkäufer ist nett, die jetzigen Mieter, mit denen ich noch WG-mäßig zusammenwohnen werde in der ersten Zeit, sind nett. Alles gut, könnte man sagen.

Ist es aber nicht. Ich blute.

Die letzten Wochen hier. Alles geregelt. Notartermine, Banktermine, Grunderwerbsteuer, eine neue Küche gebraucht in Rheine gekauft, organisiert, gemacht, getan. Mein Bruder legt den Anschluss für den Dampfgarer, Stevie und Adam helfen beim Umzug, der 7,5 Tonner ist gemietet. Ich darf ihn fahren, wie damals im Studium. Die alte, feudale Klasse 3. 50-jährige haben Bestandsschutz.

Die letzten Wochen habe ich mir hier alles reingezogen. Natur pur. Alles ohne Kamera. Eine Nacht an Nohls Wäldchen mit hunderten Glühwürmchen. Und das größte Geschenk. Ein Mauersegler in der Hand. Mauersegler landen nur zum Nisten. Ansonsten sind sie in der Luft. Die freiheitsliebendsten Geschöpfe der Erde. Als große Ehre und Geschenk des Schicksals empfinde ich es, dass sie über meinem Zimmerfenster im Holzkasten unter der Regenrinne brüten. Auf dem Dachboden höre ich ihre Stimmen. Mauersegler sind so schön.

Einer hat sich verirrt, ins Innere des Hauses. Aufgeschmissen. Ich habe ihn genommen. Hingesetzt am Abend auf den Boden. Am Morgen habe ich ihn geholt, habe ihn in die Hand genommen, habe ihm sehr leise zugesprochen mit wenigen Worten. Im Morgengrauen sind wir auf Michaels Pferdeweide und ich habe ihn vorsichtig auf meine linke Hand gesetzt und er ist gestartet und weggeflogen. Das war einer der schönsten Augenblicke meines Lebens. Versöhnlich.

Das Leben ist schön, das Leben ist eine Herausforderung. Ich bin ein Mauersegler, der auf einem Speicher falsch gelandet ist. Mein Leben schmerzt gerade und ich könnte weinen und ich hoffe, niemals mehr, einen solchen Beitrag in mein Tagebuch schreiben zu müssen.

Ab jetzt geht es aufwärts. Das Holz liegt in Mühlhausen. Viveka und ich sind am Wochende 500 Kilometer Landstraße gefahren. 10 Touren. Laden, sichern, fahren, entladen, stapeln, fahren, laden… Am 6. August kommt mein Kram in den LKW. Dann ist Schluss in der Alten Schule. Und weg. Ich werde dann im alten Verwaltungsgebäude der Bleigrube Bliebach bei Wiehl wohnen. Weiter auf dem Land, weiter in einem alten, denkmalgeschützten Haus. Aber nicht mehr im geliebten Nosbach. 18 Jahre. Nirgendwo habe ich in meinem bisherigen Leben länger gewohnt.

Jens 1992

Ein Mond, der lächelt

Zu Zeiten Jesu Christus
oder um 3067
hab ich vergessen

Von einem Planeten
hab ich mich gestürzt
in diesem Anzug
Supermann

Der war mit Alufolie beklebt
und Liebe und Glitzer

Von einem Einmeterbrett
als Abschussrampe
bin ich gesprungen
in den freien Fall

Ich weiß noch
das Gefühl war Porno

Den Leuchtring
am Finger
die Schweißerbrille
für alle Fälle
das Butterbrot
die Apfelsine und Tee

Erst war es glühend heiß
am Bauch
dann luftleer

Ein Vogel
flog an meiner Seite
ohne Flattern

Pirouetten schlug ich
mit geschlossnen Augen
dachte
an dich
vielleicht
ein Kuss
beim Wiedersehen

Es waren Jahre
die mir durch die Haare glitten
kein Wort
kam über meine Lippen
nur einmal kurz
ein Schrei

Als hätt’ der Himmel
mich irgendwie
geküsst

Auf meine Flügel
waren Sterne einst
geklebt

Und nun
nur einer
am letzten Ende noch
ein wenig Kleber
der ihn hält

Kein Happyend
mit Kuchen

Geduld noch
die Sterne
stehen gut
und irgendwo
ein Mond
der lächelt

jUNI 2016

Mir ist so…

… ein wenig vorfreudig kitschig zumute. Thank god, it’s friday:)

Bin aufgeregt
dich zu sehen
das ist immer ein wenig
als würde die Liebste
nach langer Zeit
mit einem
von einer Dampflok gezogenen Zug
langsam in den Bahnhof einfahren
und hinter einem der Fenster
an einer Tür
da wird sie stehen
und genauso aufgeregt sein

Schachtner/van Ackeren – Peripherie IV – Kunst ist es, wenn es Position bezieht

TATE Frau gelb

SCHACHTEN & ACKERN. Zurück an den Anfang. Köln, Duisburg, Mannheim und jetzt wieder Köln. Labor Ebertplatz. PERIPHERIE IV Daimäxion/Sturz. Eine Raum-Klang-Performasphäre. Barbara und Norbert werden das Labor bespielen. Letzte Woche habe ich sie dort getroffen. In dem Raum hinten ohne Fenster, in dem ich Norbert und seine Bilder 2012 kennengelernt habe.

Wir haben gesprochen. Es ging um Kunst, es ging ums Schreiben. Die beiden wünschten sich zum Abschluss der Peripherie-Reihe diesen Text. Die Reihe abschließen. Jens Schönlau schreibt zu Peripherie IV, ohne etwas zu wissen. Wir haben nicht darüber gesprochen, was passieren wird. Es wird etwas passieren.

Die Eindrücke, die Bilder von I bis III sind noch frisch. Verletzung, Vergehen, Veränderung. Barbara im Schaufenster, auf der Liege, im Verhau. Die Bilder, Exponate, Videos. Eintauchen in diese Welt Kunst. Performasphäre trifft es gut, mitten im Prozess sein, im Geschehen, das so schnell vorbei ist. Man muss sich beeilen.

Das letzte Wochenende habe ich in London verbracht. Mit Max. Vater, Sohn. National Gallery, TATE modern. Die Meister. Guido Reni, Caravaggio, Joseph Beuys. Unter anderem. Ein Spannungsfeld. Die hohe Schule der großen Kunst. Die etablierte Kunst, die teure Kunst, die begaffte Kunst, die konsumierte Kunst, über die alles geschrieben ist. Zugleich wunderbare Kunst, auf die sich die Menschen stürzen. Mir gefällt, was in der TATE kuratiert wird. Es geht um Inhalte, Politik, Gesellschaft, Auseinandersetzung. Dieser Turm aus quakenden Radios, der mediale Turmbau zu Babel, die Kakophonie des Alltags, das Gebrabbel der Stationen, Redaktionen. Am Boden die Monitore mit den Arbeiterfilmen der Jahrzehnte und Länder.

Die Turbinenhalle war leer. Arbeiter, wie passend. Etwas neues entsteht.

Turbinenhalle

Kunst mit Position.

Beuys. Statements. Bewegung.

Beuys Köln

Beuys2

Ich werde immer wieder in die TATE modern zurückkehren. Ich werde immer wieder in das Labor Ebertplatz zurückkehren. Was ich in London gefunden habe, werde ich am Freitag finden. Es liegt etwas in der Luft. SCHACHTEN & ACKERN arbeiten jetzt gerade. In diesem Augenblick entsteht es. Daimäxion/Sturz. Die Hände werden an der Wand sein, sie werden in den Raum reichen und ihre gesammelten Gaben präsentieren. Es wird eine Metapher sein, ein Zeit-Rätsel. Es wird Zusammenhänge geben. Ein vielleicht jetzt noch schlagendes Herz wird auf einem rostigen Knäuel liegen. Chemikalien werden arbeiten, vielleicht hängen Gesichter an den Wänden.

Zwischdrin wird Barbara sein. Klang. Ihre Stimme. Sie ist Sängerin, gelernte Opernsängerin. Norbert wird umherschleichen. Mal nervös, mal entspannt, mal mit Zigarette. Im Gespräch, im Wahrnehmen, im Beobachten. Ich werde durch meine Kamera zuschauen, Szene, Bilder, Räume, Atmosphären fokussieren. Rausgehen, reingehen, rausgehen. Überlegen, spüren, nachspüren, aufnehmen, denken.

Peripherie heißt Randgebiet. Es ist der Rubikon in die andere Welt. Dort, wo die Regeln außer Kraft gesetzt sind. Dort, wo die Konvention ihren Meister findet. Dort, wo nichts vorgezeichnet ist. Alles ist möglich. Es gibt keine Zahlen, die für Farben stehen. Ein rechtsfreier Raum des Denkens und Handelns.

Das schätze ich an dieser Reihe Peripherie. Sie ist intensiv und fokussiert, sie hat eine Linie, eine Sprache, ein Geheimnis und eine Spannung. Sie ist Gallerie, Museum, Performance, Bühne, Theater. Sie hat eine berührende Energie, weil sich da zwei hochmultiplizieren und verdichten. Wie immer das am Freitag dann auch konkret aussehen wird. Barbara wird ihren Subtext haben, eine Figur mit Geschichte sein und mit Botschaft. Norbert wird den Rahmen geschaffen haben, den stilistischen, den künstlerischen mit Bildern und Objekten. Es wird ein Video geben, ich bitte darum. Der Vorteil des Vorschreibens: Ich kann Wünsche formulieren. Bitte einmal Peripherie mit alles. Virulent und sonderbar, heißt es. Wird es. Klingt gut, ich bin dabei. Und wie ich gehört habe, der STAAB auch. Als Salz in der Suppe.

Rolltreppe

Wir haben kein Museum TATE modern in Deutschland, in Köln. Aber wir haben Künstler, die unterwegs sind, die arbeiten, die suchen. Im Unbekannten. Hinter diesem Vorhang, der nur selten durchschritten wird. Es sind immer nur kurze Momente, in denen das Licht dahinter aufleuchtet. Das ist der Reiz, das ist die Qual, das ist die Kunst.

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PERIPHERIE IV Daimäxion / Sturz

Eine Raum – Klang Performasphäre

„Die Geschichte ist eine Fortsetzung der Zoologie.“ (Schopenhauer)

Im Auftrag des ISPF – Institut für Systematik, Performance, Forschung exploriert SCHACHTEN+ACKERN die Tatsache der Performasphäre mit extraordinären Schritten, die auf konventionellem Wege umzusetzen kaum möglich ist. Eine somit unmögliche Biosphäre entsteht. Innen, Außen, Subjekt, Objekt, ein rasantes Wechselspiel, virulent und sonderbar.

Ankunft und Beginn: 10. Juni 2016 um 19:00 Uhr

Dauer des Experimentes: bis 03. Juli

Weitere Besuchszeiten: 11.06., 17./ 18.06., 24./ 25.06., 01./ 02.07. – jeweils 17:00 Uhr bis 20:00 Uhr

21.06., 23:55 Uhr bis 22.06., 01:15 Uhr

29.06., 23:25 Uhr bis 30.06., 00:45 Uhr

LABOR/ Ebertplatz (Ebertplatzpassage Nr.5, Köln)

Ein Projekt von SCHACHTEN+ACKERN. Gestapelt vom STAAB.

Eintritt: 4,00€