Ich kenne sie seit 47 Jahren. Sie hat mich geboren und auch sonst ziemlich viel für mich getan. Meine Mama.
Ihr Mann, mein Papa, ist im Februar gestorben. Herzinfarkt in einem Restaurant. Sieben Ärzte und Sanitäter, mehrere Rettungswagen. Plötzlich. Aus. Ein Anruf an einem späten Mittwochabend, den man sich so gar nicht wünscht. Tränen, Trauer und all das, was notwendig ist. Durch die Nacht fahren, reden und organisieren. Was alles getan werden muss. Einen Sarg aussuchen. Grabschmuck, Karten. Eine Todesanzeige texten. Mein Job. Für meinen Vater. Einer der wichtigsten Texte meines Lebens. Wie immer unter Zeitdruck, weil der Drucker wartet.
Gestern der Anruf. Ein guter Anruf. Aus dem Urlaub hatte ich meiner Mutter eine Karte geschrieben. Beruhigend, damit sie weiß, dass alles gut ist und ihr „Mittlerster“ klar kommt in der neuen Familienkonstellation und dem Urlaubsexperiment. Sie klang gut. Nichts in der Stimme, was Moll erahnen ließ. Schön.
Ich habe ihr einen Stein aus Italien mitgebracht. So einen schönen hellen grauen mit feiner weißer Linie. Quarzeinschluss. So einen, den man nicht kaufen kann. Sie hat sich so einen von mir gewünscht. Einen, der von Herzen kommt, der eine Geschichte hat. Für diesen sind Jim und ich eine halbe Stunde die Küste entlang geschnorchelt bis zu dem Felsen, wo die Kinder aus zehn Meter Höhe in dieses kleine Bassin gesprungen sind. Mit wenig Wassertiefe. Der Grund in einem Tauchschwung erreichbar und voller Steine. Die Kids sind leicht, treffen wie Korken aufs Wasser. Ich stand oben und schaute lieber den Möwen zu, die auf den Felsen im Meer den Wind genossen.
Jim wollte mit mir in die Höhle tauchen. Mit Taschenlampe, die dann leider trotz Verpackung nass geworden ist. Wir sind so reingetaucht, als mich plötzlich ein Schmerz am Arm traf. Elektroschock, Brennesselkonzentrat. Wir hatten uns die Höhle mit einer Feuerqualle geteilt. Autsch. Die beiden Tentakelstreifen zieren noch jetzt meinen Arm. Wieder ein Erlebnis, Abenteuer. Mit Jim unterwegs zu sein ist speziell im positiven Sinne. Der Junge strahlt eine Ruhe aus, die mich seit dem ersten Augenblick fasziniert. Sein Blick, als er geboren wurde. Wie langsam kann man schauen…
Wir sind vorsichtig aus der Höhle geschwommen, Jim ist auf den Fels geklettert, gesprungen, ist getaucht und hat den Stein hoch gebracht. Nicht oval oder rund, wie die anderen, sondern eher dreieckig. Er ist in den Zeiten irgendwie anders abgeschliffen worden. Ich nehme ihn in die Hand beim Zurückschwimmen, treibe mich mit den Flossen vorwärts. Er liegt gut in der Hand, ein schönes, schweres, sonniges Gefühl. Leichtigkeit mit Gewicht.
Das Telefon klingelt. Hier ist Mama. Wir sprechen. Über den Urlaub und sie fragt, ob ich eine Freundin habe. Ich erzähle ihr den Stand der Dinge. Wundere mich. Eigentlich fragt sie nicht, lässt mich. Wenn, erzähle ich. Frei. Sie wollte hören, wie es mir geht und ob ich für die Info bereit bin. Sich vortasten. Denn: Sie hat einen Freund. Wow! Ich kannte sie 47 Jahre lang nur an der Seite meines Vaters. Und nun ein anderer Mann. Verrückte Welt. Es geht ihr gut, da ist jemand aufgetaucht, den sie mag. Sie erzählt und ich höre in ihrer Stimme, wie gut alles ist. Wie wohl sie sich fühlt, auch wenn da noch Bedenken sind, weil der Februar noch nicht so lange her ist. Vergiss es, Mama. Nimm es. Freu dich. „Ich wollte, dass du es weißt.“ Nicht irgendwie anders erfährst, dachte sie. Nein, ich freue mich. Sehr. Wie schön. Da ist mir ein Stein vom Herzen gefallen.
Hallo Jens,
eine wunderschöne Geschichte. Liebe kennt keine Grenzen.
LG
Annegret
Yes:)
Das Leben kann wunder wunderschön sein.
So wunderschön, dass es manchmal weh tut. Unfassbar, was alles passiert.
Lieber Jens,
wie schön für deine Mutter!
Das zeigt, Alter ist keine Grenze für Zuneigung.
Einen schönen Tag wünscht Dir,
Danièle
P.S. Wellcome back home – schön Dich wieder zu lesen!
Liebe Danièle,
schön, von dir zu hören. Liebe reicht von vor der Geburt, vom ersten Gedanken, bis weit über irdisches Dasein hinaus. Sie ist größer als die Sonne. Scheint überall. Alter ist da sicherlich weder Grenze noch Hindernis.
Danke!Dir auch einen schönen Tag.
Liebe Grüße
Jens
…vor allem gibt sie Hoffnung, deine Erzählung und zeigt, dass man dem leben gegenüber immer offen bleiben muss… Ich wünsche deiner Mutter von Herzen, dass sie das Glück genießen kann und dir, dass du dich an ihrem Strahlen lange zeit erfreuen kannst… Lg Moon
Hi Moon,
da geht der Mond auf. Ja, immer offen bleiben. Und locker:) Sie genießt. Ihre Stimme. Ich freu mich meistens an meiner Mutter.
Liebe Grüße
Jens
Das ist gut, und wenn dann auch noch die Sonne aufgeht, dann ist alles wunderprächtig ;-)
Sonne scheint. Alles im hellgrünen Bereich. Sehr schön wunderprächtig. Geiles Leben:)
Daumen hoch ;-) so muss sein!
Si:)
Hallo Jens, eine wirklich schöne Geschichte. Noch schöner, weil sie wahr ist. Alles hat seine Zeit. Die Liebe zu Deinem Vater, viele schöne Jahre mit ihm und dann die Trauer um ihn. Jetzt darf für Deine Mutter wieder etwas Neues beginnen. Sie soll es genießen. Schön , wenn man auch in diesem Alter noch der Liebe begegnet.
Liebe Grüße Bianca
Hi Bianca,
mich fasziniert, wie nah Tränen und Lachen beisammen sind. Wie düster sah es im Februar aus. Wie schmerzvoll war das alles. Goldene Hochzeit 2010. 50 Jahre. Hey. Und nun diese Freude. Wie vom Himmel gefallen. Die Liebe wartet an jeder Ecke. Auf irgendwen. Dann ist sie da…
Liebe Grüße
Jens
hi jens,
schöne geschichte, schön geschrieben (bilder gemalt), man freut (fühlt) sich direkt mit dir und deiner mutter, schön! :-)
lg elke
Hi Elke,
danke. Das Leben. Es passiert.
Liebe Grüße
Jens