Zum Ausklang der Woche möchte ich einen Bogen schlagen. In die letzte Woche. Ab Montag war ich rausgegangen aus den Themen der Welt, um euch und mir Luft zu verschaffen. Auf einen Berg klettern, über die Dinge schauen, tief durchatmen. Heute Morgen las ich einen Text in Elas Monatszeitung, die sie gerade aktuell gekauft hat. Ich blätterte sie durch und blieb auf einer Frisurenseite hängen. Normalerweise blättere ich durch diesen Teil, weil mir Frisuren nicht wirklich wichtig sind. Genauer gesagt: Ich mag eher nicht gestylte Frisuren. Die nicht nach Frisör und Schnitt aussehen. Auf dieser einen Seite war eine Frau mit braunen Locken abgebildet, eine Engländerin, die nach Reisen durch die ganze Welt in Südfrankreich hängengeblieben ist. Und sie sagte etwas über die Nebel dieser Welt.
Das hat bei mir einen Knopf gedrückt. Die Nebel. Die verschlungenen Wege, Pfade, mitunter die Angst vor dem Fremden, die schnelle Abkehr, das Reagieren. Als aufgeklärte Menschen inmitten Europas haben wir, und in Deutschland ist das vielleicht nochmals stärker ausgeprägt, ein starkes Gefühl von Verantwortung für demokratisches, politisches und in unseren Augen gerechtes Agieren. Wir machen uns viele Sorgen um die Welt und beziehen bestens und live informiert zu allem was kommt Stellung. Das machen alle Menschen der Welt außerhalb Europas wahrscheinlich auch, aber bei uns scheint es mir ein Stück weit existenzieller zu sein. Ich habe das Gefühl, dass wir zum Hyperventilieren neigen. Oder irre ich?
Momentan empfinde ich es als Druck, zu allem eine Meinung entwickeln und vertreten zu wollen. Mir ist auch so, als könne ich nur scheitern, weil ich immer nur die Hälfte weiß. Die mediale Wahrheit. Finanzkrise, Guttenberg, Tunesien, Ägypten, Libyen, Japan. Und die Atomdiskussion in Deutschland. Morgen bin ich mit Jim und seinen Freunden in Köln. Berlin hat letztlich nicht geklappt. In mir spüre ich ein starkes Verlangen, hinsichtlich der Themen Position zu beziehen. Gleichzeitig merke ich, dass ich dazu neige, mich vorschnell zu entscheiden und dabei in den Sog der vorgetretenen Wege zu rutschen. Schwarz. Weiß. Die Guten, die Schlechten. Links. Rechts.
Teilweise greift das, teilweise greift das nicht. Was jedoch immer wieder geschieht, ist das Entstehen von Verurteilung. Das Suchen nach den Schuldigen und der Bestrafung. Ein menschliches Prinzip in unserer Kulturlandschaft. Die Schuld des Menschen. Da ist es natürlich für uns selbst immer gut, wenn nicht wir die Schuld tragen. Wenn wir mit dem Finger auf diejenigen zeigen können, denen wir die Schuld zuschreiben. Wenn wir mit weißer Weste durchs Leben gehen und uns unseren gerechten Weg suchen. Durch das Labyrinth der aktuellen Themen. Nebel. Die Frau in Südfrankreich.
Ich denke seit geraumer Zeit darüber nach, weshalb der Begriff „Gutmensch“, den ich erst seit einigen Wochen wahrnehme, bei uns so stark in den Fokus der Aufmerksamkeit getreten ist. Ich glaube, es hat damit zu tun, dass sich Menschen durch andere beschuldigt fühlen. Moralisch abgewertet. Könnte das sein?
Wenn ja, wie kommen wir aus dieser Zweiteilung raus? Es kann nicht sein, dass eine Welt grundsätzlich in die guten und die schlechten Menschen zerfällt. Sehen wir auf uns selbst, wissen wir nur zu genau, dass beides in uns schlummert. Mein Vorschlag wäre, dass wir besonnener durch die Welt gehen und uns mit Urteilen zurückhalten. Mit vorschnellen Urteilen. Aus der Hosentasche heraus. Ad hoc. Denn diese Urteile werden meistens doch revidiert. Im Rückblick, wenn plötzlich andere Fakten und Sichtweisen auftreten. Die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, sofern das überhaupt geschieht.
Ruhe. Besonnenheit. Freundlichkeit. Weiterhin. Und Gespräche. Vor allem auch mit andersdenkenden Menschen. Das gibt Einblicke, sofern man sich nicht gleich in Positionen eingräbt und am Ende anschreit. Weniger Lautstärke. Meinungen ohne Dezibel. Das war das, was ich gedacht habe, als ich von den Nebeln las. Ruhe bewahren, nach Sicht suchen.
Ich wünsche euch ein schönes Wochenende.
Guten Morgen, Jens,
der Mensch an und für sich ist ein Individuum, das heißt jeder ist anders, wenn man nicht gerade ein eineiger Zwilling ist – und dann trotzdem – und gleichzeitig lebt der Mensch mit anderen Menschen zusammen. Und es liegt in der Natur der Menschen, über andere zu urteilen, zu beurteilen, zu verurteilen. Bei spontanen Diskussionen wird meist nicht groß überlegt. Da wird schnell ein „Schuldiger“ gefunden. Eigentlich kann man erst nach umfangreicher Informationsbeschaffung, sofern dieses möglich ist, ernsthaft diskutieren. Außerdem sollte man immer dem Gegenüber die Möglichkeit geben, seine Sichtweise, seine Argumente in ein Gespräch einbringen zu lassen. Keiner ist allwissend – auch nicht in unserer technisierten Welt. Aber die Suche nach „Schuldigen“ gefällt mir nicht. Wenn ein Übel entstanden ist, ist es mir lieber, eine Lösung dafür – bzw. dagegen – zu finden. Brauchen wir einen „Schuldigen“? Wir müssen niemanden mehr ans Kreuz schlagen. Sorry, ich bin ein wenig abgedriftet.
Ich wünsche Dir ein schönes Wochenende.
Annegret
Hi Annegret,
danke für deinen ausführlichen Kommentar. Mir wird es gerade in der Welt zu laut. Ich höre eine Kakophonie, in der alle durcheinander schreien. Themen, Statements, Ansichten, Meinungen, Vorwürfe. Das erinnert mich ein wenig an den Turmbau zu Babylon. Wir wollen alle hoch hinaus, haben aber dieses Mal einfach nicht die Zeit, hinzuhören und hinzuschauen. Attacke. da sträubt sich was in mir.
Dir auch ein schönes Wochenende
Jens
Guten Morgen, Jens,
Gutmenschen sind in meinen Augen die Menschen, die reden statt handeln. Dabei muss das nicht immer in großem Stil sein, ein jeder sollt eim Rahmen seiner Möglichkeiten bleiben. Ausgelöst wurde das durch den Auftritt von Till Schweiger bei Markus Lanz.
Niemand kann alles wissen und das was wir täglich in den Nachrichten hören und sehen un dim Internet lesen ist immer nur eine Seite der Medallie. Nimm die gerade entbrannte Debatte um Kernengie. Recht und schön alle AKWs abzuschalten. Und dann? Im Sommer kein PRoblem und im Winter? Da bleiben dann die Heizungen kalt. Alternative Energien funktinieren, ja aber in Anspruch nehmen kannst Du sie nur dann, wenn die Leitungen dorthin führen wo man sie braucht, die Grünen möchten alternative Energiequellen nutzen, weigern sich aber die dazu notwendigen Leitungen quer durch das Land zu akzeptieren. Das fällt dann durch die Nachrichtenritzen. Plumps! Weg isses! Die Christdemokraten möchten in der Atomenergie verweilen, das ist kein Geheimnis. Allerdings richtet sich eine Laufzeitverlängerung von acht Jahren an den Betriebsstunden, was dann bedeutet, dass ein AKW mal locker 16 Jahre laufen wird. Das fällt dann durch die Nachrichtenritzen. Plumps! Weh isses! Die Sozialdemokraten wissen nicht wirklich was sie wollen, drehen ihr Fähnchen nach dem Koalitionspartner. Was sie wirklich wollen fällt durch die Nachrichtenritzen. Plumps! Weg isses!
Insofern kann ich Dich verstehen, kein Bock mehr auf diese Halbwahrheiten. Oder? Aber es hilft nichts irgendwann werden wieder Wahlen sein und da wird uns alles wieder präsentiert werden; dass die einen die AKWs aus wahltaktischen Überlegungen heraus vom Netz nahmen, die anderen Strom ohne Leitungen liefern wollen und die dritten der Meinung sind mit dem sie nur allzu gerne koalieren würden, was von den gerade erhobenen Umfragedaten abhängt.
Ich hatte in meinem Blog über die Gutmenschen-Äußerung des Herrn Schweiger geschrieben und scheinbar hat er deswegen von allen Seiten Druck bekommen, dass er sich genau da einreihen würde, wenn er seine Popularität nicht einsetzen würde.
Manchmal denkt man zu viel über Erfolg oder Mißerfolg nach, anstatt einfach zu tun.
Herzlich
Gitta
Hi Gitta,
das ist detailliert. Danke. Und das ist nur das Thema Atomenergie. Da stehen ja noch einige andere Dinge auf der Agenda.
Ich glaube, da gibt es momentan ein Ideenvakuum. Nichts funktioniert mehr so richtig. Pazifist in der Libyenfrage sein? Joschka Fischer im Starfighter an Angela Merkel vorbei? Hä? Muss das nicht andersherum. Und Angela Merkel schaltet die Meiler ab. Aus elchen Gründen auch immer. Und Brüderle sagt: Aus Wahlkampfgründen. Da bleibt doch kein Stein mehr auf dem anderen. Da lösen sich Muster auf, was ja gut ist. Man merkt: Ist die Sicherheit bei allen Beteiligten weg, wird auf einmal doch mehr nachgedacht. Gilt auch für mich. Muss ich zugeben. In der vergangenheit habe ich es mir in schwarz-weiß auch mal gerne gemütlich gemacht. Nachdem nun aber alles nicht so richtig funktioniert – Kommunismus wird kapitalistisch in China, der Kapitalismus verheizt sich und die Menschen in Finanzkrisen, nicht Ost kämpft gegen West, sondern Al Quaida gegen… Und Tunesien und Ägypten wagen Demokratie. Oder doch nicht? Also so hatten wir das noch nicht. Da versucht letztlich jeder, sich zu retten. Da werden Reaktoren gekühlt, Rettungsfonds gegründet, Militäroperationen gestartet. Immer aus der Situation heraus. Kind in den Brunnen und irgendwie los. Hetzewetze. Ist ja teils richtig – da muss was getan werden. Irgendwas. Aber wo liegen die Ursachen? Ist das der Turmbau zu Babel? Alle reden und laufen und handeln durcheinander? Eine Freundin sagte mal zu mir: „Ganz einfach, der Trick heißt: weiteratmen.“ Mache ich das mal. Schaue ein wenig aus der Distanz zu und lebe hier mein kleines Leben.
Liebe Grüße
Jens
Weißt Du was mich bei allem so wahnsinnig stört? Du kannst Dich nicht darauf verlassen, dass Dir irgendwer die Wahrheit sagt. Weder Frau Merkel, noch Herr Gabriel noch Herr Trettin, die Linken tun es nicht anders. Was aber noch schlimmer ist, Du weißt das und kannst nix dagegen tun. Wähl doch einfach die anderen! das geht auch nicht, weil die nicht anders sind.
Die Endergiepolitik ist nur ein Punkt, ein weiterer ist die Bildungspolitik, die Finanzpolitik, die Gesundheitspolitik und und und, das nimmt kein Ende und ist sowohl in der Bundespolitik, der Landespolitik, der regionalen Politik zu finden. Mich kotzt das so an, das die uns alle für dumm verkaufen. Was, wenn morgen Wahl wäre und neimand ginge hin? Was dann? Und auswandern, das hilft auch nix, in anderen Ländern ist das nicht anders.
So gesehen ist am Spruch Deiner Freundin etwas dran :-).
Herzlich
Gitta
Hi Gitta,
ich gebe dir teils recht. Nur: Wir sitzen alle in einem Boot. Wir müssen neu denken. Ein paar alte Zöpfe abschneiden. Ich gehe morgen auf die Demo und vielleicht trägt das zur Energiewende bei, die meinen Kinden eine sicherere Zukunft beschert. Ein kleines Steinchen. Aber ich glaube nicht, dass eine Politik das Geschehen macht. Die kann nur ausharren und leichte Impulse geben. Der große Ball läuft – und der sind wir alle. Jetzt hätte ich früher gesagt, wieder so ein Klischee: Wir müssen alle dazu beitragen mit dem, was wir tun. Das scheint gerade ein wenig wenig. Ich hätte den Impuls zu sagen, wir müssen radikal das Steuer rumreißen, aber radikal ist auch immer Mist. ich glaube, nach den ersten 10 Jahren des Jahrtausends beginnt eine neue Zeitrechnung. Vieles wird sich jetzt verändern – ganz automatisch. Allein, weil die Karten neu verteilt sind. In vielen Bereichen. Da ist so viel Dampf im Kessel. Ich merke, wie schwierig es ist, neu zu denken, wenn das Alte nicht mehr greift. Vieles ist trotz technischem Fortschritt so archaisch. Actio -Reactio. Keule raus. Draufhauen. Banane. Du merkst, ich bin ratlos. Weiß wirklich nicht, wie zu reagieren. Nur eines weiß ich: Schuldzuweisungen helfen nicht. Da drehen wir uns weiter im Kreis und bohren uns in die Erde. Danke für deine Bereitschaft zur Diskussion. Ich glaube, das ist jetzt wichtig. Reden. Offen, ergenisoffen reden. Gedanklich ausprobieren.
Liebe Grüße
Jens
Ich empfinde Dich als ziemlich optimistisch, schön und gut so. Ich sehe nicht, dass sich viel verändern wird. Es geht jetzt nicht darum hier oder da STrom einzusparen, was sicherl ich uns alle angeht, sondern darum dass je weiter das in den Nachrichten nach hinten rückt, desto weniger wird man bereit sein dafür auf die Straße zu gehen. Gewohnheit? Gutbürgertum -lass‘ doch die anderen machen, keine Ahnung. Da bin ich so ratlos wie Du auch.
Ich kenne den Weg nicht, den wir gehen werden, was hierzulande mit den Wahlen anfängt, selbst hier bin ich absolut ratlos, keine Ahnung wem ich meine Stimme geben kann, wem ich sie anvertrauen kann, wer sorgsam mit ihr umgeht (wäre ein schönes Blogthema, wenn alle Blogger anmahnen, man möge mit ihrer Stimme sorgsam umgehen, alle am selben Tag gebloggt). Ich sehe im Moment niemad. Wir hier in Berlin wählen im September, ich will versuchen Berlin-Politik von Bundes-Politik zu trennen. Schweres Unterfangen. Aber nicht zu wählen ist auch nicht korrekt, weil ich will, dass meine Stimme zählt wo auch immer.
Es stimmt mich traurig und nachdenklich, dass man niemandem mehr vertrauen und glauben kann.
Dir und Deiner Familie ein schönes Wochenende
Herzlich
Gitta
Hi Gitta,
ohne Optimismus wäre mir die Welt zu grau. Politisch ist eine indirekte Demokratie immer ein wenig unbefriedigend. Das geht so über Eck und so richtig fühlt man sich nicht mit der Politik verbunden. Andererseits zeigt das Moratorium zum Beispiel, wie ernst die Wähler/innen genommen werden. Angst vor Abwahl. Also bringt es doch etwas, erine politische Meinung. Wobei Umfragen fast mehr Gewicht haben als Wahlen. Zumindest so kurz vor Wahlen – aber irgendwo wir ja fast immer gewählt. Zum Thema Vertrauen: Zu Menschen, die man gar nicht kennt, ist es natürlich schwer, Vertrauen aufzubauen. Die sind weit weg, die Politiker/innen. Die haben eine merkwürdige Funktion innerhalb der Demokratie. Aber lass uns das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Schau mal nach Tunesien, Ägypten, Libyen oder gar nach China. Wir können hier einfach demonstrieren – auch wenn es zu Stuttgart 21-Ausrutschern mit unverhältnismäßiger Polizeigewalt kommen kann. Aber: Mappus ist weg vom Fenster. Abgewählt. Das ist Demokratie. Baden-Württemberg!!! meinetwegen hätte er weiterregieren können, wenn er gute Politik gemacht hätte. Das hat er nicht – er hat Stuttgart versemmelt, einen falschen Bankendeal eingefädelt und zur falschen Zeit auf Atomkraft gesetzt. Da kann ich nur sagen: Versemmelt. das Volk will ihn nicht mehr. Lebendige Demokratie. Das ist doch toll, dass wir in einem solchen Land leben.
Liebe Grüße
Jens
Liebe Grüße
Jens