Susanne Waltermann und Thomas Schindler gezeigt von Sebastian Linnerz im Labor Ebertplatz

Lange nicht hier gewesen, im Blog, im Labor.

Die Mail kam rein von Sebastian Linnerz, eine Einladung zur Ausstellung upside down. Bilder von Susanne Waltermann und Fotografien von Thomas Schindler. Kuratiert von Sebastian Linnerz, der beide bereits in seiner Galerie raum+ gezeigt hat. Leider gibt es die Galerie nicht mehr, desto schöner, dass Sebastian und das Labor zusammenarbeiten.

Viveka und ich haben Gil in Köln vom Hauptbahnhof abgeholt, unsere Nachbarin Lilo mitgenommen und uns gemeinsam auf den Weg gemacht.

Schön, so viele zu sehen. Menschen an diesem wunderbaren Ort der Kunst und Galerien. Ein wenig subversiv, Subkultur eine Etage tiefer im besten Sinne des Wortes. Dieses Betonkonglomerat gibt einen sehr besonderen Rahmen. Ein Schutzraum für Künstlerinnen, Künstler und all die Kunstliebenden.

Da saßen und standen sie und sprachen und tranken und schauten und erzählten. Schön lebendig, ein großes Wohnzimmer, ein Treffpunkt.

Mir war sofort das größte Bild ins Auge gefallen. Ein Strommast, der auch auf der Einladungskarte zu sehen ist. Großer Strommast 2 von Susanne Waltermann.

Ich brauchte Zeit, mich zu nähern. Corona hat in mir eine Distanz geschaffen, einen inneren Abstand. Rausgegangen in die Welt, Frankreich, Paris, Fecamp, Calais, Ungarn, Budapest, Rumänien, Bukarest, Italien, Ligurien, Mallorca. War viel unterwegs, dem Homeoffice entkommen, den schwierigen Themen der Zeit.

An unserem Haus vorbei führt eine große Stromtrasse. Irgendetwas mit Kilovolt-Leitungen, KV, die Leitungen hängen wie satte Bäuche über den Wiesen und Wäldern. Ich mag die Strommasten, die sehr erhaben in der Landschaft stehen. Groß sind sie, mächtig, stark, genietet, mit dicker Farbe bemalt. Sie tanzen im Licht, werfen sich gegenseitig die Leitungen in die Arme.

Nun also der Große Strommast 2 hier im Labor.

Was ist der Reiz, dachte ich. Weshalb zieht mich das Bild an? Was gibt es mir, womit lockt es?

Wir saßen draußen, ich ging rein, eine oberflächliche Runde. Es dauert, bis man da ist, bis ich bereit bin, mich einlassen kann. Die Trennung zwischen Alltag und dem ausgestellten Schaffen. Dann bin ich hingegangen, zum Bild.

Mit 124 x 162 cm hat es eine mittlere Größe. Die erste Überraschung war die Materialität. Von Tusche auf Papier war ich ausgegangen. Nö. Papier ja, aber keine Tusche. Fäden, tausende Stiche, es hat Monate gedauert, das Bild fertigzustellen. Es hatte eine erste Version gegeben, es wurde “kurzfristig” eine zweite benötigt.

Susanne Waltermann ließ die Finger fliegen.

Sie hat ungleichmäßige Rechtecke aus welligem Japanpapier zusammengenäht. Mit groben Stichen alles miteinander verbunden. Als hätte ein Wundarzt klaffende Wunden mit weitem Stich verschlossen. So, dass Narben bleiben würden.

Lebendig ist dieser Hintergrund, der das Bild trägt und ihm eine Dimensionalität gibt. Plastisch, changierend, leicht hervorgehoben. Die Welt um den Strommast, der Wind, der Regen, die wabernde Luft, die Zeiten, die ihre Falten hinterlassen.

Schon das allein eine Qualität mit Wirkung. Tiefe in mehrfacher Hinsicht.

Dann die Fäden. Schwarz, weiß, grau gemischt, um auch hier mit Tiefe zu spielen. Die Fäden wirken gefranst, was ihnen etwas Weiches gibt. Plüschig wie der Mantel einer Hummel. Diesen Strommasten möchten man streicheln, kuscheln. Er ist nicht mächtig aus Stahl, er ist groß in Weichheit. Ein gutes Gefühl gibt er.

Susanne Waltermann hat die Nadel immer wieder angesetzt, noch eine Schicht, bis es gepasst hat. Und ja, es passt.

Ich mag dieses Bild sehr, weil es in seiner Alltagsbotschaft Versöhnlichkeit ausstrahlt. Es ist ein weicher Blick auf die Welt, der sich dem Rationalen entzieht. Es geht nicht um Strom, Energie, Preise, Deckel, Ukraine. Vielmehr ist Wahrnehmung das Thema.

Genau die gelingt Großer Strommast 2 mit einer überaus charmanten, sympathischen Leichtigkeit. Im Vorübergehen quasi.

Mit Links.

Geschickter Übergang zu zwei weiteren Bildern.

Mit Links schreibt Susanne Waltermann die Textzeilen ihrer naiv anmutenden Stickbilder. Auch die so wundersam warm. Das vertraute Gespräch zwischen Mann und Frau. Die Worte treten zurück hinter die Tiefe der Verbindung. Wenn Seelen einander gehören, wenn die Tore des Zweifels über die Jahre und Jahre verschlossen wurden. Gemeinsam, miteinander, zusammen sein, einander spüren, fühlen ohne Wertung. Das entsteht einfach, ist einfach entstanden, hat sich beiläufig ergeben. So ist Leben.

Daneben der schöne Satz: kannst du dich noch an mich erinnern. Sätze kann man in vielen Kontexten sprechen. Diesen zum Beispiel auf einem Klassentreffen, auf dem man Menschen einfach nicht wiedererkannt hat nach all den Jahren. Ach, du bist es, klar. Jetzt erkenne ich dich.

Nun hängt der Satz aber neben dem Frau-Mann-Gespräch. Ich finde, dort hängt er goldrichtig und ist wie in einem Film gesprochen. Existenziell in seiner Bedeutung. Tief interpretierbar. Siehst du mich noch? Fühlst du mich noch? Was ist da? Wie ist dein Blick auf mich? Verlieren wir uns im Banalen? Im Alltäglichen? Ist da noch etwas vom Anfang, von Tiefe, von Bedeutung?

Man stelle sich vor: Am Küchentisch, ein Tee, ein Kaffee, frisch zubereitet. Die eigene Hand wird genommen, gehalten als Ankündigung und Forderung nach Aufmerksamkeit. Dann der Blick, der den Gegenblick fordert, ein in die Augen schauen. “Kannst du dich noch an mich erinnern”. Puh. Ich stelle mir die Frage selbst und sehe einen Film ablaufen wie am jüngsten Tag.

Eine schöne Ausstellung, wie nicht anders zu erwarten. Sebastian Linnerz ist in Kölner Kunstkreisen bestens vernetzt und hat neben der Erfahrung einfach dieses feine Gespür. Und so hat er mir wieder einen besonderen Abend geschenkt. Wenn ich jetzt nicht über die Fotografie von Thomas Schindler geschrieben habe (sorry!), dann ist das keine Wertung.

Schlicht und ergreifend war es einfach der Strommast, der mich in seinen Bann gezogen hat. Deshalb hier nur kurz meine beiden Favorites. Die Kabel, der Mensch durchs Gitter, die Form eines Helmes, die Farben. Von oben, von unten. upside down.

Die Ausstellung läuft bis zum 21.10. und ist täglich von 15 bis 20 Uhr geöffnet. Einfach mal reinspazieren. Ihr könnt euch die Bilder und Fotos nicht nur ansehen, ihr könnt sie auch kaufen. Den Großen Strommast 2 auf Anfrage.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Time limit is exhausted. Please reload CAPTCHA.