Da war es plötzlich dunkel und finster. Mit 18 anderen Menschen in einem anderen Raum und niemand kann niemanden sehen. Darkroom. Am Tag zuvor noch die Vernissage im Atelierhaus Mols – explodierende Farben, Flashs im Sonnenlicht, STRANGE LOOPS. Da saß ich allein vor diesem Bild von Helga Mols, das mich so gefesselt hat. Geschwungene Bögen, zarte, geschichtete Lasuren. Ein feines Bild, ein Highlight, eine Stimmigkeit. Ich hatte das Glück, eine Weile allein sein zu dürfen mit diesem Bild. Durch die Fenster des Ateliers fiel Sonnenlicht. Auf der gegenüberliegenden Seite hing es. Ich hatte mir einen Stuhl in den Raum gestellt, hatte mich vor das Bild gesetzt und die Stimmen aus dem Nachbarraum weggeschaltet. LOOPS. Rekursive Prozesse. Wiederholung. Endlosschleifen. Ein einziges Leben. Das Bild strahlt eine tiefe Harmonie aus. Fein. Kraftvoll durch zarte Mittel.
Und nun plötzlich nicht das winzigste Partikelchen Licht, Farbe, Helligkeit. Mitten in der Fußgängerzone sind wir links in die Sonderbar eingebogen, wo wir schon erwartet wurden. Wir waren angemeldet zu diesem Trip in die Finsternis. Uaaahhhh! Tatsächlich war es zunächst etwas gruselig, in diesem Raum zu sitzen, in dem sich alles nur erahnen und ertasten ließ. Der Widerhall der Stimmen verrät, wo sich wer befindet und wie groß der Raum sein könnte. Mir ist merkwürdig zumute. Die Stimmen sind plötzlich so laut, meinen Ohren entgeht nichts. Meine Hand sehe ich vor Augen nicht.
Wir sind in Siegen im Dunkelcafé. Vor zwei Wochen hatte Jim Jugendfeier in der Schule. Das ist so eine Art freichristliche Konfirmation. Die Aufnahme in die christliche Gemeinschaft, der Übergang von der Kindheit zur Jugendlichkeit. 13 Jugendliche hatten sich zwei Jahre lang auf die Feier vorbereitet. Ein Thema hatte den Unterricht begleitet: Blindheit. Zwei Mal war ein Blinder mit seinem Hund in den Unterricht gekommen und hatte erzählt und Fragen beantwortet. Zum Abschluss dieser zwei Jahre nun hat die Religionslehrerin einen Termin im Siegener Dunkelcafé verabredet. Das hat ein junger, blinder Mann aufgebaut, um Sehenden einen authentischen Einblick in Blindheit zu geben.
Wir haben dort gegessen und getrunken und den Geschichten Jans gelauscht. Wie es war, nach seinem Unfall blind zu sein, wie es ist, blind durch die Welt zu laufen, Beziehungen zu leben, Beruf und Alltag zu meistern. Wie Menschen auf ihn reagieren, wie er auf Menschen reagiert. Drei Stunden haben wir in der vollkommenen Dunkelheit verbracht. Als wir wieder ans Licht kamen, war das “Aaaah” aller groß und breit. Was für eine Wohltat. Jim und ich haben die Religionslehrerin in unserem Auto nach Hause gebracht. Die Landschaft zu sehen, den Himmel, die Wolken, Bäume. Farben, Eindrücke. Die Schwärze der Dunkelheit zu verlassen.
Dank Jans Lockerheit haben wir viel gelacht. Er hat Trauriges aber auch viel Lustiges erzählt. Unter anderem Blindenwitze, wobei er uns zu verstehen gegeben hat, dass er die erzählen darf… Ich muss sagen, es war eine ganz schöne Herausforderung, diese Dunkelheit auszuhalten. Einige Male hatte ich echte Beklemmungen. Nicht zu wissen, wie der Raum aussieht und wo man sich genau befindet, hatte etwas von eingesperrt Sein. Unheimlich. Die Jungendlichen haben viel gelacht – “Boah, jetzt hat der mir die Cola über die Hose geschüttet.” Es gab Pizza. Im Dunkeln von Jan serviert. “Wer die kleine Mozzarella bestellt hat, sagt mal bitte piep, piep, piep, piep.” Alles so kompliziert. Besteck verteilen, Gläser weiterreichen, aus der Flasche im Dunkeln eingießen. Ich hatte wegen des Basenfastens einen Salat bestellt. War das kompliziert, da was auf die Gabel zu bekommen.
Am Ende haben wir den Raum im Dunkeln verlassen, damit wir das Bild der Dunkelheit bewahren. Wäre einfach das Licht angemacht worden, wäre der Eindruck weg gewesen. Die Farben hätten sich über das tiefe Schwarz gelegt. Ich kann euch empfehlen, diese Erfahrung mal zu machen. Ist wieder mal so eine Horizont erweiternde Sache und vielleicht ein weiterer Schritt in der Auflösung der Vorstellung, dass alles so ist, wie wir es glauben zu sehen.
Wer Jan und das Dunkelcafé in Siegen erleben möchte, findet hier weitere Infos.