Ateliergespräch mit DAVID

Was ist Malerei?
Was ist Malerei?
Was ist Malerei?

Ein Atelier zu betreten, ist ein besonderer Moment. Ein Übergang in eine Welt, die Türen und Tore hat. Fenster, Ausblicke, Einblicke. Kommt man in ein Atelier, in dem die Werke von drei Künstlern stehen (wie in diesem Fall), sind das viele Fenster zu vielen Welten, die dahinter liegen. Ich muss zugeben, zunächst überfordert gewesen zu sein, als ich in DAVIDs Atelier kam. In diese Gespräche gehe ich unvorbereitet, um offen zu sein. Um zuzuhören und dem nachzuspüren, was das jeweilige Wesen der jeweiligen Kunst ist. Ich muss mich also vor Ort orientieren, einen Zugang finden. Entscheiden.

Ankommen im Atelier. Nachfühlen. Ateliers sind für mich die besseren Museen, weil ich näher herankomme an Kunst, Bilder, Künstler. Weil ich sprechen kann, suchen, nachfragen. Bilder hinstellen, umstellen, sortieren, nach dem richtigen Licht gucken. Ich kannte DAVIDs Bilder teilweise aus dem Internet und von Besuchen bei ihm. Es sind Arbeiten, die zu einem großen Teil aus den Neunzigern stammen. Ich war einmal zufällig hereingeschneit, als er seine Pilzserie im Atelier stehen hatte. Zwei Meter mal einssechzig groß. Öl. Imponierend. Da war mir die Idee zu den Ateliergesprächen gekommen.

Wir wählen drei Bilder aus, um zu reduzieren, um einen Rahmen zu schaffen. Drei „Fenster“. Zwei stehen schon im Atelier, eines finden wir im Lager. Verstaubt, nicht vergessen. Ein Frauenkopf aus der Serie „Wella“. Wir räumen Bilder, kämpfen mit den Großformaten, rücken, schieben. Vorsichtig. David macht mir einen japanischen Tee. Einen besonderen Tee. David hat eine Zeit lang in Tokio gelebt.

Währenddessen fotografiere ich. Sehe die Bilder durch den Sucher, komme näher heran, blicke herein. Sie wirken, sie entfalten sich. Kunst ist immer auch eine Sache des eigenen Ankommens im Raum, im Moment, in der Kunst. Wir sprechen über DAVIDs Biographie. Das Aufwachsen im Bergischen, das Leben in einer Künstlerfamilie, die Bibliothek, die sein Spielplatz war, die Kunstbände, die seine Comics waren. Sind. Wir sprechen über den Vater, der Schweißer und Kunstmaler ist, Beuys verachtet und für den die Malerei nach 1830 aufhört. Ein Spannungsfeld. Was ist Malerei?

Die Achtziger in Köln. Die Künstler-WG im Dunstkreis der FLUXUS-Szene. „Wahnsinnige rund um die Galerie 68/11, die Performances zelebrierten und Einrichtungen wie die Akademie für künstlerische Nekropholie schufen.“ DAVID jobbte und malte. In seiner WG. Loslösen vom Alten, Contemporary Art, die Suche nach dem Wesen der Malerei. Ein Prozess, der 1990 in eine Einzelausstellung in der Galerie Kunstschalter von Ulrich Eichhorn mündet. Die Bilder verkaufen sich. Mitte der Neunziger wird DAVID „Scheunenkünstler der Gemeinde Overath“ – ein Atelierstipendium, das ihn letztlich bis auf die Pariser Herbstausstellung im Espace Eiffel-Branly bringt (1999).

Wir sehen uns seine Bilder an, sprechen darüber. Vorsichtig, nicht interpretierend. Das würde erdrücken, nehmen, stehlen, reduzieren. Ein Frauenkopf aus der Serie Wella, eine übermalte Pistole aus der Serie Waffen und eine Stinkmorchel aus der Serie „Pilze beim Betrachten der Sammler“. DAVID redet. Er weiß, was er tut. Er sortiert, erläutert seinen Plan, Weg. „Ästhetik interessiert nicht. Kunst ist ein Prozess mit Gewaltpotenzial. Man darf nicht pingelig sein.“ Mitte der Neunziger stellt DAVID seine Waffenserie aus. Pistolen, Gewehre, akribisch in Öl gezeichnet, realistisch gemalt – die Ästhetik des Objektes. Während der Vernissage übermalt er die Bilder – das Publikum ist entsetzt. Die schönen Bilder, die ganze Arbeit. Zerstörung in der Zerstörung. „Es ging nicht um die Waffen, das hätten auch Igel sein können. Malerei hat nicht die Aufgabe, darzustellen. Die Gegenstände sind nur die Lockvögel, die in die Malerei hineinziehen. Malerei hat an sich einen Wert. Das ist wie Tanz auf der Bühne. Das muss nichts darstellen.“

Ich sehe Wella mit anderen Augen, den Pilz. Sirenen, die locken, die reinziehen. „Malerei ist eigenständig, braucht keine Botschaft, ist Botschaft für sich selbst. Sie spricht unsere Synapsen an. Wir haben eine Metaebene in uns, die auf wertfreie Emotionen reagiert. Das macht uns zu Menschen, zu Lebewesen. Lebendig sein. Sei einfach!“ Ich mag die Bilder. Die Wella, die sich gegen ihre Schönheit wehrt und unterschwellig etwas Morbides zum Ausdruck bringt, die übermalte Pistole, die sich wehrt, versucht Zerstörung zu zerstören und dabei letztlich verfüherisch schön bleibt und den Pilz. Die Morchel, die die Fliegen fängt. „Pilze beim Betrachten der Sammler“. Humor. „Als ich die Pilze malte, war das eine Zäsur. Die Pilze an sich sind nicht wichtig. Es geht um die Malerei dahinter, um den Prozess des Malens. Für mich war das der Übergang vom Konzept zum Malerischen.“

Der Prozess geht weiter. Aktuell arbeitet DAVID an einem Bild für eine Ausstellung 2013. Es lag im Atelier. Die nächste Generation, der nächste Schritt. Ich konnte die Linie sehen, an der Hand von DAVID den Weg nachgehen. Das war ein großes Vergnügen, weil Kunst, Malerei letztlich immer im Betrachter entsteht. Bei mir ist gestern Abend wieder viel entstanden – das ist das, was diese Ateliergespräche so besonders macht. Danke, DAVID.

Bewusstseinserweiterungsprozess Jonathan Meese

Jonathan Meese ist die Konsequenz.

Am Ende, wenn nichts mehr geht, wenn die Lichter ausgehen, sich die Menschen zur Ruhe legen, wenn sie im Privaten verschwinden, in den IKEA-Rückzugsräumen, wenn sie die „Fickzellen mit Fernheizung“ (Heiner Müller, Medeametrial Landschaft mit Argonauten) warm halten, kommt die Zeit, wachzurütteln, ein neues 68, ein wildes Szenario, das schreit, spuckt, kotzt und den Hitlergruß als Provokation in den Himmel wirft.

Jonathan Meese ist Künstler. In Tokio geboren 1970. Er kam mit seiner Mutter zurück aus Japan, sprach nur Japanisch, lief durch Düsseldorf und schrie „I kill you“, weil er die Sprache nicht sprach, nicht verstand. Ein Wahnsinniger, könnte man denken, wenn man ihn sieht, wenn man seine Performances auf Youtube sieht, seine Manifeste hört, seine Reden, seine Gesten, seine KUNST.

Er zieht sich zurück aus der Realität, weil er sie nicht erträgt. Geht raus und ruft die „Diktatur der Kunst“ aus. Bedient sich der Mythen, der Diktatoren der Geschichte und sagt, dass sei Vergangenheit und die Kunst die Zukunft. Er glaubt nicht an Politik, an Demokratie, an die reale Realität. Er wirft seinen Künstlerkollegen vor, angepasst zu sein. Sich nicht einzumischen. „Systemzerstörend? Null Komma Null.“ Dabei sieht er sich selbst nicht im Mittelpunkt. Der Künstler sei unwichtig, könne auch ein Tier sein, die Kunst allein zähle.

Meese ist ein Star. Ausstellungen weltweit. Anerkannt von den Großen der Szene. Kiefer, Baselitz, Immendorf. Er wird gesammelt, ausgestellt, hofiert. Er arbeitet mit der Volksbühne zusammen, mit Castorf – klar, die Lebendigkeit des Poststrukturalismus. Foucaults Auferstehung – Wahnsinn und Gesellschaft. Das ist einer, der lässt nicht los, der fighted unermüdlich. Ein Agent Provocateur. Die Kunst wird wieder politisch. Da ist einer, der hat das Provokationspotenzial von Beuys. Ein Aushängeschild der deutschen Contemporary Art. Ein Enfant Terrible.

Endlich.

Es tut gut zu sehen, dass einer die Grenzen sprengt mit jeder Menge ART-TNT. Dass da einer die Energie hat, dagegen zu gehen. Gegen die Normalität des Kunstbetriebes und des eingeschlafenen Denkens. Einer, der provoziert und inspiriert. Alles auf den Prüfstand stellt. Das Anti-Valium, Nietzsches Anti-Christ, das Dionysische. Ein neuer Traum als Stachel im Fleisch.

Jonathan Meese hat nur eine Grenze. Seine Mutter. Sie ist in seinem Atelier dabei, wenn er malt, entwirft, klebt, gestaltet, formt, was auch immer. Sie ist sein Halt. „Meine Mutter ist der Zugang zur Realität für mich. Wenn sie weg ist, geht es erst richtig los.“ Puh. Er hat Angst vor dem Draußen, sagt er. Die Streifen seiner schwarzen adidas-Trainingsjacke schützen ihn, sagt er. Er will das Draußen nicht und geht doch rein wie kein anderer. Wir alle werden mit Meese noch viel Spaß haben. Mit einem Künstler, der ein Bewusstseinserweiterungsprozess ist. Jonathan Meese.

www.jonathanmeese.com

Ateliergespräch mit Ina T. von Trash/Treasure

STAUB. MOP ART. TRASH/TREASURE.

Gestern Abend hatte ich das sehr große Vergnügen, Ina T. von Trash/Treasure in ihrem Atelier in Köln besuchen und interviewen zu dürfen. Nach dem Gespräch mit Norbert van Ackeren in der letzten Woche war ich angefixt. Hatte Lust auf Kunst, wollte das Konzept Ateliergespräch weiterführen, weil Kunst in keinem Museum der Welt so direkt, nah, authentisch und nackt ist wie im Atelier. Es ist wie eine Spurensuche am Tatort Kunst. Da hängen, stehen, liegen, verschwinden die Bilder, Objekte, Installationen. Fragmentieren sich im Gesamtzusammenhang. Erzählen die Geschichten weiter, weil überall Hinweise herumliegen, herumstehen. Vorstufen, Informationen, Bücher, Fotos, Tests, skurrile Gebilde, die Bindeglieder waren, um die Idee zu transportieren. Kurz: Es ist einfach aufregend. Kunst spürbar, anfassbar, herausgenommen aus der Heiligkeit der Ausstellungen und Museen. Ich konnte Bilder herumtragen, hinstellen, einen Gesprächsrahmen schaffen.

Es war ein langes Gespräch. Bis zwei Uhr in der Nacht und es war nur ein Ausschnitt des Gesamtwerkes, auf den wir uns konzentriert haben. MOP ART. Ein Gemeinschaftsprojekt der beiden Künstlerinnen Bea T. und Ina T., die gemeinsam Trash/Treasure bilden. Bea ist vor zwei Jahren gestorben. Während unseres Gespräches ist sie im Raum, weil sie die andere Hälfte von MOP ART ist. Die Wissenschaftlerin, die Denkerin, die Schreiberin. Sie ist in den Bildern, Objekten, Katalogen, Installationen. Ich sehe sie auf einem Foto an der Wand. Im Projekt vertieft, in der Arbeit, in der Kunst, knietief im Staub.

Denn Staub ist das Thema. 1993 waren die beiden Frauen auf der Autobahn A1 unterwegs, als die Idee geboren wurde, die bis heute arbeitet, bewegt, macht, tut. MOP ART ist zwischenzeitlich um die Welt gegangen mit Ausstellungen in Deutschland, Island, den Niederlanden, Belgien, Spanien, Tunesien, Israel, Türkei, Japan.

Anfangs war der Staub eine dumpfe Masse. Eingesammelt mit Staubsaugern, aus fremden Wohnungen, Geschichten erzählend aus dem Privaten. Es gab Menschen, die konnten ihren Staub nicht hergeben. Zu intim. Es entstand die Bildreihe „Verkehrte Ordnung“ eins, zwei und drei bzw. blau, gelb, rot für eine Ausstellung in Düsseldorf zum Thema Ordnung.

Der Staub als Konglomerat, Zusammensetzung der Komponenten, Dokumentation. Verpackt in kleine Tütchen, Beweismaterial. Haare, Partikel, Stücke von Blättern oder Verpackungen. Geschichten. Das war der Anfang. „Zunächst gab es Berührungsängste des Publikums, später kamen erst die Frauen, die erzählten und unsere Arbeit reflektierten, dann die Männer. Die Experten, die beruflich mit Staub zu tun haben. Das war äußerst inspirierend, weil wir Staub plötzlich anders sahen. Als ein Funktionselement der Gesellschaft, das zum Beispiel das Fortschreiten der Zeit zeigt. Wir besorgten uns Normstaub aus Minnesota. Staub nach DIN, der so teuer wie Gold war. Dieser Staub ist definiert – in einem Jahr fallen in Mitteleuropa auf einen Quadratmeter 2,63 g Normstaub. Damit definiert Staub in seiner Menge auch Zeit. Es entstanden die Objekte „Gewicht der Zeit“ (Foto ganz oben).“

Trash/Treasure gingen weiter, tiefer. Von der Haushaltsebene auf die Wissenschaftsebene. „Wir kontaktierten die NASA, weil wir von kosmischem Staub gehört hatten, der oberhalb der Stratosphäre mit U2-Flugzeugen eingesammelt wird. Millionen Jahre alter Staub aus dem All, der erzählt. Die NASA hat den Staub unter Elektronenmiskroskopen bearbeitet, in einzelne Staubkörner separiert. Wir hatten Glück, haben einen Ansprechpartner gefunden, der offen für Kunst und unsere Ideen war. Irgendwann kam ein großer gelber Umschlag mit Aufdruck NASA und darin waren vierzig Aufnahmen einzelner Körner kosmischen Staubs. Wir waren auf der Mikroebene angelangt, beim kleinsten Teilchen. Das war extrem faszinierend und natürlich inspirierend. Stardust, Sternenstaub.“

Es entstanden immer neue Konzepte, die Staub neu beleuchteten. Die Staubfalle. Ein Gefäß mit Trichter, das Staub sammelt. Trash/Treasure verkauften sie, trafen die Käufer/innen in ihrem jeweiligen heimischen Umfeld und fotografierten sie mit ihrer Staubfalle. Fotos aus Wohnzimmern in Deutschland, Büros in Japan… In einer Ausstellung entstand in einem Raum ein „Museum des Staubs“, in dem „Staubfänger“ von Menschen aus der Region ausgestellt wurden. Es entstanden Staubbilder an Wänden, die langsam herab rieselten, Staubecken, Staubinstallationen am Boden, die Botschaften verkündeten. Ein Meer von Staubkunst. Bis hin zur Eigenreflektion des Projektes MOP ART in Ölbildern, die in der Türkei ausgestellt wurden. Menschen, Paare im Gespräch über MOP ART: STELL DIR NUR MAL VOR, WAS ALLES DAHINTER STECKT. WIR BERÜHREN DEN HIMMEL, GREIFEN NACH DEN STERNEN, GANZ REAL…

Nun geht das Projekt MOP ART in seine letzte Phase. Ina entfesselt sich vom Staub, lässt das Material gehen. Dazu verwendet sie digitale Malerei, mit der sie Schicht um Schicht überlagert. Wild, bunt. Farben, Strukturen. Feuerwerk, Finale. Wenn die Bilder als Prints produziert sind, wird es eine Ausstellung geben. ENTFESSELUNG. Freu ich mich sehr drauf. „Du wirst ab heute Staub mit anderen Augen sehen.“ Stimmt. Sternenstaub. Kosmischer Staub. Informationsträger. Symbol der Zeit. Kunst ist einfach groß. Ideen, Horizonte, der andere, weite Blick. Danke, Ina und Bea, danke Trash/Treasure.


(© Trash/Treasure, Ina T.)

Ateliergespräch mit Norbert van Ackeren

Liebend auch umfängt im Schweigen im Zimmer die Schatten der
Alten,
Die purpurnen Martern, Klagen eines großen Geschlechts,
Das fromm nun hingeht im einsamen Enkel.

Denn strahlender immer erwacht aus schwarzen Minuten des Wahn-
sinns
Der Duldende an versteinerter Schwelle

(aus der menschheitsdämmerung: Georg Trakl, Gesang des Abgeschiedenen)

Die Rolltreppe runter. Von unten kündigt sich der Ort des Geschehens an. Musik. Bierbänke, ein Schaufenster voller Zeichnungen. Köln, Ebertplatz, Labor, Projektatelier. Vernissage.

Kurz nach 19 Uhr, gleich werde ich auf die Bilder des Norbert van Ackeren treffen. Hinten im Atelier, das ein vergessenes Ladengeschäft ist an einem Ort, an dem sich nur schlecht Geschäfte machen lassen, aber umso besser Kunst. Ich frage, ob ich darf. Ins Atelier, schauen. Ich hatte schon länger den Gedanken, Ateliergespräche mit Künstlern zu führen. Ihre Arbeit, ihre Arbeiten hier vorzustellen. Nicht planen, machen. Also gehe ich an Leinwänden vorbei, atme Neonlicht, versuche den Blick zu fokussieren, mich anziehen zu lassen, zu sehen, wo es mich hintreibt, was mich hält.

Das Atelier des Norbert van Ackeren. Hinten durch in der Tiefe des Ebertplatzes, als würden nebenan U-Bahnen als wilde Tiere ihr Unwesen treiben und jede Sekunde durchs Mauerwerk brechen. Da stehen sie. Die Gesichter. Die Leiber. Die Figuren, Menschen, Wesen. Verrenkungen, Verletzungen. Ich bin sprachlos, weil ich das nicht erwartet hätte. Die Intensität des ersten Blicks, Eindrucks ist hoch. Die Bilder, Gemälde, nebeneinander aufgereiht an der hinteren langen Wand. Norbert kommt rein. Ich frage, ob ich fotografieren darf. Ja. Später frage ich, ob er mir erzählt. Ja.

Er findet die Themen in Zeitungen oder im Internet. Die Bilder sind da. Das Paar der ausschweifenden Fete auf Hawaii. Ein kleiner Mann reitet auf einer dicken Frau. Der Junge aus Tschernobyl mit den Elefantitisbeinen, die Brüder, einer lebt in Israel, hat Bergen-Belsen überlebt, der andere in Ausschwitz gestorben. Das Mädchen aus dem Kosovo. Ein Foto aus der WAZ. „Da habe ich das erste Mal dieses Wort Kollatteralschaden bewusst wahrgenommen. Flüchtlinge waren bombadiert worden. Ein kleines Foto des toten Mädchens. In Decken gehüllt. So viele Decken.“

Van Ackeren liest Trakl. Ein Buch lehnt an der Wand. Unscheinbar, mittendrin. Neonlicht, kein Fenster. Sakral. Das Hawaii-Bild wie ein Kirchengemälde in Italien. Der dunkle Hintergrund. Tief schwarz. Grafiker-Asphalt. Die abgesetzten Farben, ein Hauch Renaissance. Norbert van Ackeren hat seine eigenen Materialien. Keine Tuben. Die Farben entstehen durch Umwandlungsprozesse. Durch Oxidation oder den Einfluss von Sonnenlicht. Stammen aus der Fotoentwicklung, dem Druckbedarf. „Es haben sich rund fünf Substanzen herauskristallisiert, die meine Farben sind.“ Aus den offenen Beinen des Tschernobyl-Jungen wächst grünes Kupferoxid. Eine lebendige Wunde. „Das Bild ist zwei Monate vor Fukushima entstanden. Wir vergessen so schnell.“

Das verwundete Kind ist als Prinz in einem Goya-Arrangement gemalt. Inthronisiert mit einer Elster auf Kopfhöhe und einer Katze zu Füßen. Symbole der alten Malerei. „Ich habe Kunst nicht studiert. Irgendwann bin ich auf Max Ernst gestoßen, habe mir ein kleines Atelier gebaut. Ich habe mich in die Museen gesetzt, Bilder geguckt. Geschaut, wie sie es gemacht haben.“

Anfang des Jahres war er in London. TATEmodern, National Gallery. Viele kleine Galerien im Umfeld. Er guckt, sucht, findet. „Es klingt vielleicht pathetisch, aber es sind die alten Themen. Tod, Leben, Liebe, Kuss, die Badenden. Das ist der Deal, das sind die Themen.“

Wir hatten eine intensive Viertelstunde für unser Ateliergespräch, das mich beeindruckt hat. Dann musste Norbert los. Was für eine Atmosphäre. Kunst atmen. Ich war dieses Jahr auch in der TATEmodern und National Gallery und habe viel gute Kunst gesehen. Aber das hier war anders. Näher. Anfassbar. Da ist ein Maler ohne Allüren. Mit Richtung, Ziel. „Ich brauche kein Atelier mit Fenstern und Ostlicht.“ Der erzählt, in den Figuren und Wesen steckt, der sie empfindet, auf der Leinwand lebendig werden lässt. Verändert. Jedes der Bilder eine komplette Geschichte. Was er malt, ist fühlbar. Weckt Emotionen, geht alles andere als spurlos vorüber. Das ist Kunst, die wirkt, die zerrt, die nicht lässt, die will, die berührt. Und: Die Bilder sind lebendig. Die Oxidationsprozesse gehen weiter. „Ich weiß nicht, was passiert. Die sind nicht für die Ewigkeit. Ich muss nichts erhalten, für mich müssen nur die Bilder raus aus mir.“

Norbert van Ackeren ist 1969 in Oberhausen geboren, arbeitet in Ateliers in Duisburg und Köln und wird im September in Duisburg zusammen mit seinem Kölner Atelierpartner Michael Nowottny ausstellen. Wer sich für die Arbeiten von Norbert van Ackeren interessiert oder wer mehr Infos zur Ausstellung im September haben möchte, kann ihm mailen: norbert@van-ackeren.de. Infos zum labor Projektatelier Ebertplatz gibt es hier.

Abriss ART mit Trash Treasure

Rette sich wer kann. Rettung naht. Heute schon gerettet worden?

Manchmal ist es ein aussichtsloses Unterfangen. Dinge sind dem Untergang geweiht und das Unausweichliche wird kommen. Der Eisberg für die Titanic. Wie war das mit dem römischen Reich?

Letzte Woche fand ein außergewöhnliches Kunstprojekt in einem Einkaufszentrum in Erftstadt Liblar statt: Kunst in Abrissekstase. Dieses Einkaufszentrum wird abgerissen. Oder wurde schon? Ich weiß es nicht. Bevor die Bagger anrollen, haben sich letzte Woche eine ganze Reihe unterschiedlichster Künstler getroffen, um diesen morbiden Raum zu nutzen. Ich habe eine Einladung über Facebook erhalten. Von Trash Treasure. Einer Künstlerin aus Köln.

Bin ich am Samstag gerne gefolgt. Über die Autobahn nach Liblar. Vorbei an gelben Rapsfeldern. Dem Untergang entgegen. Aktionskunst. Abriss ART. Vor dem Einkaufszentrum Bauzäune, Schuttcontainer und Teile des Gebäudeinnenlebens. Wo ist Trash? Habe gefragt und sie gefunden. „Wo ist dein Projekt?“ Hat sie mir gezeigt. Ein kleiner Raum aus Rigips direkt im Eingangsbereich. Sie wollte retten. Schützen. Hegen. Der kleine Raum war bereits verletzt, von ersten Abrissspuren gezeichnet. Ein Radlader hatte eine Ecke eingedrückt, die Rigipsplatten zerstört. Wunden. Verletzungen, die Haut eingerissen, das Ständerwerk gebrochen. Der Mensch kann ausgesprochen brutal sein. Beschädigt. Gut, dass es Heilerinnen mit dem anderen Blick gibt. Mit den Mitteln, den Tinkturen, den Salben und Pflastern. Das hat etwas Mütterliches. Kümmern, verarzten, trösten. In jeder Situation. Das Weibliche, das Rettende. Die Bagger sind die men’s world.

Sind die noch zu retten? Kunst, die dann abgerissen wird? Entstehen lassen, um es verschwinden zu lassen? Ich war froh, Trashs Arbeit zumindest fotografisch zu erhalten. Ihre Rettungsaktion. Sie hat den Raum verarztet. Hat alles repariert, was bereits zerstört war. Mit Tape. Wieder drangeklebt, drübergeklebt, zusammengeklebt. Dazu Rettungssätze: „Vertrau mir!“ „You are SAFE“, „Trust me“ „Ein Stück heiler Welt!“, „Rettet den Raum!“.

Trash ist Israelin. „Ohne Trash kein Treasure“, meint sie. Das eine definiert das andere. Was definiert der Absiss? Der Untergang? Das Rettung möglich ist. Praktiziert werden kann. Es gibt einen Ausweg, immer. Und wenn es mit ein paar Tesastreifen passiert. Der Raum ist da, auch wenn er weg ist. In den Köpfen, auf den Fotos.

Mir hat er ausgesprochen gut gefallen. Auch, weil ich ihn fotografiert habe. Sehr ästhetisch, dieses Chaos aus weiß, rot, schwarz und blau. Habe mir alles genau angesehen, jeden Spruch gelesen, alle Winkel betrachtet, alle Details, die da gerettet wurden. Die Abdeckung der Neonlampen. Die Teppichreste am Boden, der Stuhl, auf dem die „Dynamitstange“ aus Neonröhren mit ihrer Kabelzündschnur liegt. Trash hat Humor. Sitzt mit mir in der Sonne. Lacht viel.

Sie ist Israelin. Künstlerin seit vielen Jahren. Ausstellungen überall. Mit eigenem Atelier und dem besonderen Blick. Wir stromern durchs Haus, durch die Ausstellung. Bleiben hier und dort stehen. Oben auf der Dachterrasse mit dem zugemüllten Biotop – ein „Kleinod“ der besonderen Art. ART. Zwei Stühle vor einer Holzhütte. Es könnte eine einsame, romantische Insel sein… Im Hintergrund ein Hochhaus, ein Schornstein, ein Zweckbau, eine Kneipenwerbung, ein blauer Himmel…

Trash führt mich zu den Containern. Treasure entdecken. Ich leihe ihr meine Kamera, ihre ist ausgerechnet an dem Tag ausgefallen. Sie fotografiert. Teile der ehemaligen Ausstattung des China-Restaurants. Rote Schrift auf weißem Grund. Eingerahmt von geborstenem, grünem Thermopenglas. Dieser Ort hat eine eigene Ästhetik. Hier wird schön, was geht. Das Ende naht, der Radlader steht bereit, die Container sind hungrig.

Es hat Spaß gemacht. Aktionskunst der besten Art. Lebendig, subkulturig. Der Maler aus Chile, aus Bordeaux angereist, der tagelang an seinem Gesicht malt, in das dann die Baggerschaufel reinhauen wird. Bautz, Spreng, Splitter. Weg. Container. Vergänglichkeit. Ein modernes Mandela. Nicht anhaften, den Moment leben. War ein toller Moment. Geschenkt. Genommen. Bewahrt. Ein Museum für 96 h. Viele Menschen wollten das sehen. Es war voll. Es war gut.

Ich füge euch einige Fotos hinzu, damit ihr seht, was WAR.