Ateliergespräch mit Ina T. von Trash/Treasure

STAUB. MOP ART. TRASH/TREASURE.

Gestern Abend hatte ich das sehr große Vergnügen, Ina T. von Trash/Treasure in ihrem Atelier in Köln besuchen und interviewen zu dürfen. Nach dem Gespräch mit Norbert van Ackeren in der letzten Woche war ich angefixt. Hatte Lust auf Kunst, wollte das Konzept Ateliergespräch weiterführen, weil Kunst in keinem Museum der Welt so direkt, nah, authentisch und nackt ist wie im Atelier. Es ist wie eine Spurensuche am Tatort Kunst. Da hängen, stehen, liegen, verschwinden die Bilder, Objekte, Installationen. Fragmentieren sich im Gesamtzusammenhang. Erzählen die Geschichten weiter, weil überall Hinweise herumliegen, herumstehen. Vorstufen, Informationen, Bücher, Fotos, Tests, skurrile Gebilde, die Bindeglieder waren, um die Idee zu transportieren. Kurz: Es ist einfach aufregend. Kunst spürbar, anfassbar, herausgenommen aus der Heiligkeit der Ausstellungen und Museen. Ich konnte Bilder herumtragen, hinstellen, einen Gesprächsrahmen schaffen.

Es war ein langes Gespräch. Bis zwei Uhr in der Nacht und es war nur ein Ausschnitt des Gesamtwerkes, auf den wir uns konzentriert haben. MOP ART. Ein Gemeinschaftsprojekt der beiden Künstlerinnen Bea T. und Ina T., die gemeinsam Trash/Treasure bilden. Bea ist vor zwei Jahren gestorben. Während unseres Gespräches ist sie im Raum, weil sie die andere Hälfte von MOP ART ist. Die Wissenschaftlerin, die Denkerin, die Schreiberin. Sie ist in den Bildern, Objekten, Katalogen, Installationen. Ich sehe sie auf einem Foto an der Wand. Im Projekt vertieft, in der Arbeit, in der Kunst, knietief im Staub.

Denn Staub ist das Thema. 1993 waren die beiden Frauen auf der Autobahn A1 unterwegs, als die Idee geboren wurde, die bis heute arbeitet, bewegt, macht, tut. MOP ART ist zwischenzeitlich um die Welt gegangen mit Ausstellungen in Deutschland, Island, den Niederlanden, Belgien, Spanien, Tunesien, Israel, Türkei, Japan.

Anfangs war der Staub eine dumpfe Masse. Eingesammelt mit Staubsaugern, aus fremden Wohnungen, Geschichten erzählend aus dem Privaten. Es gab Menschen, die konnten ihren Staub nicht hergeben. Zu intim. Es entstand die Bildreihe „Verkehrte Ordnung“ eins, zwei und drei bzw. blau, gelb, rot für eine Ausstellung in Düsseldorf zum Thema Ordnung.

Der Staub als Konglomerat, Zusammensetzung der Komponenten, Dokumentation. Verpackt in kleine Tütchen, Beweismaterial. Haare, Partikel, Stücke von Blättern oder Verpackungen. Geschichten. Das war der Anfang. „Zunächst gab es Berührungsängste des Publikums, später kamen erst die Frauen, die erzählten und unsere Arbeit reflektierten, dann die Männer. Die Experten, die beruflich mit Staub zu tun haben. Das war äußerst inspirierend, weil wir Staub plötzlich anders sahen. Als ein Funktionselement der Gesellschaft, das zum Beispiel das Fortschreiten der Zeit zeigt. Wir besorgten uns Normstaub aus Minnesota. Staub nach DIN, der so teuer wie Gold war. Dieser Staub ist definiert – in einem Jahr fallen in Mitteleuropa auf einen Quadratmeter 2,63 g Normstaub. Damit definiert Staub in seiner Menge auch Zeit. Es entstanden die Objekte „Gewicht der Zeit“ (Foto ganz oben).“

Trash/Treasure gingen weiter, tiefer. Von der Haushaltsebene auf die Wissenschaftsebene. „Wir kontaktierten die NASA, weil wir von kosmischem Staub gehört hatten, der oberhalb der Stratosphäre mit U2-Flugzeugen eingesammelt wird. Millionen Jahre alter Staub aus dem All, der erzählt. Die NASA hat den Staub unter Elektronenmiskroskopen bearbeitet, in einzelne Staubkörner separiert. Wir hatten Glück, haben einen Ansprechpartner gefunden, der offen für Kunst und unsere Ideen war. Irgendwann kam ein großer gelber Umschlag mit Aufdruck NASA und darin waren vierzig Aufnahmen einzelner Körner kosmischen Staubs. Wir waren auf der Mikroebene angelangt, beim kleinsten Teilchen. Das war extrem faszinierend und natürlich inspirierend. Stardust, Sternenstaub.“

Es entstanden immer neue Konzepte, die Staub neu beleuchteten. Die Staubfalle. Ein Gefäß mit Trichter, das Staub sammelt. Trash/Treasure verkauften sie, trafen die Käufer/innen in ihrem jeweiligen heimischen Umfeld und fotografierten sie mit ihrer Staubfalle. Fotos aus Wohnzimmern in Deutschland, Büros in Japan… In einer Ausstellung entstand in einem Raum ein „Museum des Staubs“, in dem „Staubfänger“ von Menschen aus der Region ausgestellt wurden. Es entstanden Staubbilder an Wänden, die langsam herab rieselten, Staubecken, Staubinstallationen am Boden, die Botschaften verkündeten. Ein Meer von Staubkunst. Bis hin zur Eigenreflektion des Projektes MOP ART in Ölbildern, die in der Türkei ausgestellt wurden. Menschen, Paare im Gespräch über MOP ART: STELL DIR NUR MAL VOR, WAS ALLES DAHINTER STECKT. WIR BERÜHREN DEN HIMMEL, GREIFEN NACH DEN STERNEN, GANZ REAL…

Nun geht das Projekt MOP ART in seine letzte Phase. Ina entfesselt sich vom Staub, lässt das Material gehen. Dazu verwendet sie digitale Malerei, mit der sie Schicht um Schicht überlagert. Wild, bunt. Farben, Strukturen. Feuerwerk, Finale. Wenn die Bilder als Prints produziert sind, wird es eine Ausstellung geben. ENTFESSELUNG. Freu ich mich sehr drauf. „Du wirst ab heute Staub mit anderen Augen sehen.“ Stimmt. Sternenstaub. Kosmischer Staub. Informationsträger. Symbol der Zeit. Kunst ist einfach groß. Ideen, Horizonte, der andere, weite Blick. Danke, Ina und Bea, danke Trash/Treasure.


(© Trash/Treasure, Ina T.)

6 Antworten auf „Ateliergespräch mit Ina T. von Trash/Treasure“

  1. Lieber Jens,
    was für ein Thema!
    Spannend wird es wirklich wenn man/frau sich vom „Dreckwegmachen“ wegbewegt hin zum Inhalt… bis zum Sternenstaub! ******:-)******
    Erstaunlich, immer wieder, wenn der Blickwinkel verändert wird und vermeintlich Schmutziges plötzlich kostbar bzw. unbezahlbar wird.
    Dank Dir sehr für die Ateliergespräche die für mich sehr inspirierend sind!

    Einen wunderschönen Tag wünscht Dir herzlich,
    Danièle

    1. Liebe Danièle,

      Dreck und Staub sind ab heute für mich defintiv zwei verschiedene Dinge. Ina verwendete einen schönen Begriff, den ich nicht kannte: Das Ephemere. Das Flüchtige, nur kurz Bestehende. Sichtbar machen durch den Blick im Augenblick. Staub kommt, geht, trägt Information, legt sich ab, zieht weiter und geht doch nie verloren. Eine immerwährende Reise.

      Gerne teile ich die Ateliergespräche. Ist mir ein Vergnügen.

      Dir auch einen wunderschönen Tag!

      Liebe Grüße

      Jens

  2. Hi Jens,

    (ja, ich hab‘ die ersten Siedlungsschachteln schon ausgepackt… ;-))) – Die neue Linie, auf deinem Blog, die sich mit Kunst jenseits und in den großen Ausstellungshallen auseinandersetzt, gefällt mir sehr.
    Ich habe einige Kunstfreunde, besonders einen, den ich/wir regelmäßig besuchen, und es ist immer ein Genuss, in seinem Atelier herumzustöbern, sich von den Dingen Geschichten erzählen zu lassen – und später auch sich mit ihm im Gespräch auszutauschen. Ich lerne jedes Mal etwas Neues – und ich genieße genieße genieße die Atmosphäre: den Geruch, die Farben, die Materialien – und wie gesagt: dann erzählen ’sich Geschichten’…

    Viele liebe Grüße
    filo

  3. Hi filo,

    schön von dir zu hören. Es geht also voran:) Gut so.

    Ateliers sind wirklich toll. Ich habe ein nächstes Gespräch vereinbart, mit dem ich mir jetzt ein wenig Zeit lasse, damit ich die Eindrücke nicht verliere. Das wirkt alles noch nach, der Staub setzt sich langsam. Die Bilder arbeiten. Vielleicht entsteht ein Gedicht, wäre schön. Im Kopf rühren sich schon Wortecken, kleine Textschnipsel. Bin gespannt, ob es raus kommt.

    Liebe Grüße

    Jens

    1. Hallo Jens,

      da freu‘ ich mich schon drauf. Absetzen lassen ist gut. Und vielleicht inspiriert es mich dann ja zu einer Antwort-Lyrik…

      Liebe Grüße
      filo

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