Mit Barbara Schachtner durch das Deutzer Zentralwerk der schönen Künste

Für Sebastian

Letzte Woche erreichte mich eine Mail mit der Frage, was mit dem fiftyfiftyblog los sei. Alles in Ordnung? Yep. Alles im grünen Bereich.

Nur: Die Dinge ändern sich. Viel ist derzeit von Transformation die Rede. Auf dem Weg zur Arbeit kürzlich hörte ich im Deutschlandfunk einen Bericht über ein Soziologentreffen in Jena. Transformation, Veränderung, Neudenken von Gesellschaft. Es ist viel los im Staate Dänemark und es gibt viel zu tun, um all die Fragezeichen in den Köpfen der Menschen durch grüne Häkchen zu ersetzen.

Transformation. Ein Ort, der Transformation lebt. Anja Kolacek, Marc Leßle, raum 13 und mittlerweile eine Heerschar Helfender und Unterstützender. Menschen, die anpacken, mitdenken, mitgestalten. Nur kurz: Es geht um einige verbliebene Hektar Land in Köln. Irgendwo zwischen Deutz und Mülheim. Hier wurde der Otto-Motor erfunden, von hier startete die Ära des Automobils und der Individualmobilität. Im Jahr 2019 durchaus ein Thema, das beschäftigt.

Ein Ort mit Kraft und Vergangenheit, der zwischen Bewahren und Verkaufen an Immobilieninvestoren schwebt. Platt machen oder überführen? Bagger oder Denker? Sprengen oder transformieren? Wohnen oder leben? Alles zum Thema findet ihr auf der Seite von raum13.

Gestern Abend hatte raum13 eingeladen, die Erfinderstätte mit der Sängerin und Performerin Barbara Schachtner klanglich zu entdecken. Die Einladung war per Mail gekommen und ich wusste, dass ich das auf gar keinen Fall verpassen wollte. Never ever, wie meine Liebste gerne sagt.

Klanglich erleben. Mit den Ohren sehen, mit den Augen hören, mit den Gedanken spüren. Wir trafen uns im Foyer der alten Fabrik, um uns auf eine Reise durch Räume, Vergangenheit und uns selbst zu begeben. Da sind zunächst die starken visuellen Eindrücke. Die Räume, in denen das Leben dieser Fabrik, dieses historischen Ortes stattgefunden hat. Die Räume des Betriebsrates, der Personalabteilung, der Geschäftsführung. Die Hallen, in denen die Motoren montiert wurden, die Duschräume im Keller, der Hof, der von Betriebsamkeit erzählt.

Bislang habe ich all diese Räume und Orte bei meinen Besuchen fast ausschließlich mit den Augen gesehen. Visuell wahrgenommen. Gehört habe ich die klangvollen Konzerte (irre intensiv – die Musikkollektive rund um Hans-Joachim Irmler), die Diskussionen um Zukunft, die Vorträge zum Thema Zukunftskunst, all die Stimmen der Besucher*innen…

Aber den Ort habe ich bislang nicht gehört. Barbara hat ihn uns gezeigt. Transformation im Kleinen und Großen. Dinge zulassen, die da sind, aber nicht gesehen, gehört werden. Vom echobeladenen Flur in den gedämpften Besprechungsraum der Chefetage. Erst einmal Klappe halten. Hören, wahrnehmen. Sich Raum und Zeit nehmen, dort zu sein. Mit allen Sinnen.

Sensibilität, Zartheit des Augenblicks. Seele. An einer Wand das Zitat: „Wir erleben die größte seelische Veränderung seit der industriellen Revolution.“ Das Wort Seele hat mit gut getan. Meine habe ich kurz durchflackern sehen, hören. Man muss die gewohnten Pfade verlassen, um wahrzunehmen, was ist, um zu denken, was sein kann. Darum geht es an diesem wunderbaren Ort, der seit Jahren aufgeladen wird durch Menschen, die bereit sind.

Querdenken, wird das lapidar genannt. Aber, verdammt nochmal, wie macht man das? Mal eben quer denken? Nicht mehr geradeaus stringent, nach Norden, Süden, rechts, links? Quer. Dann mal viel Spaß beim Machen. Hinsetzen und quer denken. Klappt doch nicht. Was bitte schön, soll das Quer denn auslösen, wenn man auf geradem Weg unterwegs ist?

Theatrale Werkstatt. Zukunftskunst. Anstöße. Korrektive.

Das ist ein Prinzip. Die Antwort nicht schon kennen, bevor die Frage gestellt ist. Innovation in seiner schönen, nicht ausgelatschten Bedeutung. Die Innovation des Denkens und Fühlens. Sich einlassen, bereit sein, offen.

Hören.

„Hört ihr den Raum?“ Au Mann, und wie! Das war der helle Wahnsinn. Du stehst in einem Raum, von dem du glaubst, dass du ihn kennst. Du hast ihn ja schon öfter gesehen. Und dann hörst du ihn. Und dann passiert etwas. Du veränderst dich. Veränderst deine Haltung. Und eben nicht nur zu dem Raum. In deinem Kopf geschieht etwas. Hören, Sehen, Gedanken fließen ineinander und geben ein kompletteres, komplexeres Bild. Das hat sich gut, richtig, schön, seelenvoll angefühlt. Inspirierend.

Wir waren in vielen Räumen, es war eine lange Reise, die nicht hätte aufhören müssen. In den verlassenen Räumen der Chefs haben wir die Räume klingen lassen. „Nehmt euch einen Raum. Lasst ihn klingen.“ Einzelne verschwanden, andere hörten vom Flur aus zu. Es entstand ein Klangteppich aus Gegenwart und Zukunft, aus den Stimmen des Jetzt und den Geräuschen der Vergangenheit. Lachen, Schreien, Trommeln traf auf das Klappern der Schreibmaschinen. Hören, was im Raum ist. Fernab des Rationalen. Spüren, wozu unser Geist in der Lage ist. Transformation, verändern, Sinn und Verstand neu justieren.

Das war ein außerordentlich intensiver, erhellender, schöner, wertiger Abend. Es lohnt sich immer wieder, raum13 zu besuchen. Dort geschieht Fantastisches. Hier lebt die Hoffnung, dass sich die Dinge zum Guten wenden lassen. Nicht einfach an Investoren verkaufen, einreißen, Geschichte entfernen, sondern gestalten, entwerfen, quer denken, innovativ sein. Quer denken: Wie wollen wir morgen leben? Den guten Köpfen, den Menschen in Köln Raum geben.

Einmal nicht zubetonieren.

Die Chance besteht. Wie wertvoll dieser Raum, dieser Freiraum, dieses Projekt ist, zeigt sich mehr und mehr. Es sich nicht mehr erlauben, auf die Impulse zu verzichten, die Querdenken, neues, frische Denken, ermöglichen.

Herzlichen Dank, Anja, Barbara, Marc für den Abend und alles.

Das Schöne lieben, leben

Nun, ich weiß nicht, wo anfangen.

Zwei Wochen Urlaub, zwei Wochen wie zwei Monate. Lande mal.

Raus aus allem.

Viel passiert, viel gesehen, viel Zeit gehabt.

Für mich, für uns.

Freitag vor zwei Wochen haben wir uns ins Auto gesetzt und sind in Richtung Italien aufgebrochen. Hotels waren gebucht. Riva del Garda, Verona, Venedig. Zwei Tage, zwei Tage, vier Tage. Zwischendurch irgendwann mein Geburtstag. 54. Ups.

Danach waren wir bei meiner Mutter in der Eifel und haben ihren Garten auf Vordermann gebracht. Dann waren wir hier und haben heute einen Gartenteich in die Erde gebracht. Meine Liebste liebt Fische. In ihrem Teich sind noch ihre Fische. Nun werden sie demnächst auch Landeier und ziehen aus der großen weiten Welt aufs Land, aufs Dorf. Nichts bleibt wie es ist.

In diesem Text habe ich nun ein Problem. Wie all die Dinge, die passiert sind, in einem Blogbeitrag unterbringen? Mein Kopf ist so voll. Gedanken, Bilder, Abenteuer.

Mein Geburtstag in Venedig.

Ich war mehrmals in Venedig. Es gibt ein Foto von mir, da bin ich zwei Jahre alt und stehe an der Hand meines Vaters auf der Rialto-Brücke. 1967/1968. Dann war ich auf Klassenfahrt in Venedig. 1981. Da hatte ich mir braune Wildlederschuhe gekauft. Und dann mit der Uni. Italienische Reise. Im VW-Bus auf Goethes Spuren. 6 Wochen. Gunnar wurde an dem Tag, als wir in Venedig waren, 33. Gunnar lebt nicht mehr. Nun. Ich hatte für ihn eine Flasche Wein aus einem Restaurant geklaut und war an meinem Professor vorbei mit Highspeed geflüchtet.

Dann sind wir rüber gefahren. Vaporetto. St. Giorgio Maggiore. Palladios Kirche gegenüber vom Markusplatz. Da haben wir damals gesessen und haben den Wein getrunken. Später sind wir den Canale Grande entlang zurück zum Schiff, das uns zum Festland gebracht hat, wo wir in den VW-Bus gestiegen sind, um die Brenta herauf nach Padua zu fahren, wo wir Zimmer hatten. Über diese verrückte Reise damals müsste ich einmal schreiben. Unser Professor in Rom in dem günstigen Hotel am Bahnhof im Kaftan. Jeden Abend eine Trattoria, jeder Tag voller Renaissance, Bilder, Museen, Orte, Häuser. Palladios Rotonda, Verona, Vicenza, Padua, Venedig, Rom, Pompeji, Assisi, Paestum, Florenz…

18. April 2019. Mein Geburtstag. Als die Glockentürme Venedigs Mitternacht schlagen, sitzen wir dort wie damals. St. Giorgio Maggiore. Allein. Ganz allein. Niemand dort. Nur wir beiden mit dem Blick auf die Stadt. Mein Herz in Flammen, meine Seele badet in Glück. Wir küssen uns, wir trinken französischen Sekt von der Loire. Es ist kühl, es ist besonders, es ist alles.

Als wir das nächste Boot nehmen wollen, kommt es nicht. Das nächste auch nicht. Keine Ahnung. Robinson und Freitag.

Ich pfeife mit den Fingern und wir erwischen ein Taxi zum Markusplatz.

Dort sind wir allein. Fast. 2 Uhr in der Nacht und nur William und Olivia aus England sind dort. Sie 19, er 20. Sie umarmen mich. Glückwunsch. Wir reden über das Reisen und das Alleinsein in der Nacht in Venedig. Gute Reise! Ich gebe den beiden meine Karte und lade sie ein, uns zu besuchen. Unser Haus steht offen für William und Olivia. Würde mich freuen.

Wir laufen durch die Nacht. Kein Mensch. Venedig crowded? Niente. Die Rialto-Brücke gehört uns. Ganz allein. Keine Menschenseele. Wir laufen bis in den Morgen. Unser Hotel liegt am Ende des Canale Grande unweit des Bahnhofs. Venedig ist unglaublich. Unglaublich schön. Man muss Venedig zu nehmen wissen, man muss sich arrangieren. Zwischen all den Menschen liegt so viel Schönes.

Am Abend gehen wir essen. Geburtstagsessen. Eine Trattoria in unserem Viertel. Cannareggio. Am Canale Cannareggio. Mittags haben wir einen letzten Tisch für abends ergattert. Im Dalla Marisa. Ein Menü. Sechs Vorspeisen. Fisch. Dann eine Fischlasagne und Fritto Misto und Weißwein und eine Creme und ein Espresso und ein Grappa. Und ein Wirt mit einem wunderschönen Lächeln. Glatze, kräftig, charmant, mit einem Kinderarmband am Gelenk und einem Kellner, mit dem er lacht und lacht. Alle Gäste im Gespräch, keine Handys. Unglaublich, diese Stimmung, Atmosphäre, das Gefühl, dort zu sein und all diese leckeren Speisen zu essen.

Vier tage Venedig. Lido, Murano, Burano.

Eine fantastische Kunstausstellung in einer der alten Werfthallen.

In meinem Kopf sind so viele Blogbeiträge. Über 1.400 Fotos.

Burano mit den bunten Häusern ist so schön, Murano hat dieses Glas.

Nun.

Ich habe mich in Murano-Glas verliebt.

Bislang dachte ich, das ist so buntes Touri-Zeugs.

Nun habe ich einige Ateliers gesehen. Hey. Wow. Alter.

Bei einer Schale wäre ich fast schwach geworden. 570,00 €. Oball.

In einem Atelier kosteten Vasen auch 6.000,00 €.

Nach meiner Rückkehr habe ich ein wenig recherchiert und planlos investiert. Flavio Poli hat es mir angetan. Eine Schale habe ich gekauft, drei Vasen. Kommt alles in den nächsten Tagen.

Meine Erkenntnis: Schönheit. Es ist schön, sich mit schönen Dingen zu umgeben. Goethes italienische Reise. Elysien. Arkadien. Palladio, Renaissance. Guido Reni, Caravaggio.

Und dann waren wir bei meiner Mutter in der Eifel. Sie kann ihren Garten nicht mehr pflegen. Also haben wir das gemacht. Wir sprachen über Murano und sie zeigte uns ihre wunderschönen Murano-Lampen, die mir nie aufgefallen waren. Dann sah ich all das, was sie in ihrem Haus stehen hat. Und im Garten. Sie ist Floristin, kommt aus einer Gärtnerei, hat Menschen Blumenstecken beigebracht, auch mir, und hat immer nach Gefäßen Ausschau gehalten. Das ganze Haus voller Vasen, Schalen, Blumen.

Da fiel mir auf, dass das meine Kindheit war. Dass ich immer von Schönheit umgeben war.

Heute haben wir einen Teich im Garten angelegt. Der Nachbar hat uns mit seinem Bagger geholfen. Vom Fenster aus schaue ich auf den Teich unter dem Baum. Wasser im Garten.

Alles gibt es immer auch in schön.

Das Leben lieben, die Liebe leben. Das Schöne. Arkadien, Elysien.

VERÓNICA von Helga Mols und der Umgang mit der Gegenwart

VERÓNICA, 120 x 95 cm, Gouache und Öl auf Leinwand, Pflanzenfarbe auf Baumwolltuch, 2019 – von Helga Mols

Ausgestellt im Kulturhaus Zanders in Bergisch Gladbach im Rahmen der AdK-Ausstellung „alles ist eitel“ – der Titel entstammt aus einem Gropius-Gedicht, in dem eitel im Sinne von vergänglich verwendet wird. Es ging also um Vergänglichkeit.

Mit Ihrem Bild zitiert Helga Mols den spanischen Künstler Francisco de Zurbarán (1598-1664). Sein Schweißtuch der Veronika (Öl auf Leinwand, 105×83,5, 1658, Spanien, Museo Nacional de Escultura Valladolid) könnt ihr euch HIER anschauen.

Die heilige Veronika hat Jesus auf dem Weg zum Kreuz mit einem Tuch den Schweiß abgewischt. Dieses Tuch ist, in einem Tresor, in eine der zentralen Säulen des Petersdoms eingelassen. Eine sehr heilige, wichtige Reliquie der katholischen Kirche, die nur einmal im Jahr gezeigt wird.

Immer wieder haben Künstler das Motiv aufgenommen, unter anderem El Greco, Guido Reni, Albrecht Dürer…

Und nun Helga Mols in ihrer Zurbarán-Interpretation.

Ihr Tuch ist kein Schweißtuch, sondern eine Windel, durch die sie in den letzten Jahren den Saft gepresster Früchte filtriert hat. Ihr geht es um die Natur, die Schöpfung im Kontext von Vergänglichkeit. Vergänglichkeit im Jahr 2019. Was könnte einem da einfallen? Nun.

Mir gefällt das Zitat, die feine künstlerische Idee der Auseinandersetzung mit einem schwierigen Thema, das gleichermaßen platt wie tief ist. Wie über Natur sprechen im Jahr 2019, ohne in Stereotype zu fallen?

Jesus, der Beginn der christlichen Zeitrechnung vor 2019 Jahren. Was ist seither geschehen? Ein dreißigjähriger Krieg, in dessen Kontext Gropius die Vorlage der Ausstellung gegeben hat. Die Entwicklung der christlich geprägten westlichen Welt, die sich entwickelt und aufgeklärt hat, um über den Glauben an die Technik die Natur ins Hintertreffen geraten zu lassen.

Nun könnte man viel in Helga Mols VERÓNICA hinein interpretieren und Verbindungen zwischen den Vorbildern und Zeiten herstellen, die Farben mit Bedeutungen aufladen und letztlich in der Interpretation alles verkomplizieren. Hatte ich vor. Auf die Strange Loops einzugehen, die den Hintergrund bilden. Die Farbtöne, das Braun, Beige, Rötliche, das trockener Saft sein könnte. Mach ich nich.

Das Bild ist ein zartes Band und als solches wirkungsvoll und schätzenswert. Es ist eine mit der Natur gelebte Verbindung. Es ist ein Spiegelbild dieses sensitiven Lebens von Helga und David im Atelierhaus an der Agger. Auf dem Weg dorthin fährt man durch Cyriax, wo neben den Grundmauern eines alten Klosters ein Jahrhunderte alter Baum steht. Fährt man den Weg im Dunkeln, steigt David aus, um in der feuchten Jahreszeit die Salamander von der Straße auf die Wiese zu tragen. Verliert ein Baum auf dem Grundstück einen riesigen Ast und muss dieser Baum gefällt werden, geschieht das nicht einfach so. Fliegt ein Vogel vor ein Fenster des Atelierhauses und überlebt mit Schock, hält ihn David so lange warm, bis er wieder bei Sinnen ist und davonfliegen kann. Es ist ein verwunschener Ort an der Agger, der so viel Einfluss auf das Leben und Arbeiten der beiden Künstler hat.

Von daher ist VERÓNICA weniger in der Vergangenheit als vielmehr in der Gegenwart verankert, verortet. Als ein feines Zeichen, das zitiert, die Botschaft aber wie damals im Tuch trägt. Und erinnert man sich daran, was wir im Religionsunterricht und in den Unterweisungen der Kirche gelernt haben, so ist Jesus der Retter der Welt, der alle Schuld auf sich nimmt. Eine schöne Idee, die ich nie verstanden habe. Dieses Schweißtuch ist nicht in Schweiß getränkt, sondern in Fruchtsaft.

Das empfinde ich als ausgesprochen schön und optimistisch. Eine kluge Botschaft, in der es um Einklang geht. Im Wesen profan, im Leben unendlich wertvoll. Steht man vor VERÓNICA und schaut sich das Bild an, wirkt es. Es trägt die Aura des roten Hauses an der Agger mit all seiner künstlerischen Energie und dem Leben, für das es steht, in sich. Vital, schlüssig, fein, zurückhaltend.

Es hat sich gelohnt, das Bild live zu erleben und ich kann mich wieder einmal nur dafür bedanken, dass Helga und David die wertvolle Arbeit leisten, die sie leisten. Denn das Künstlerische gewinnt als Methode dieser Zeit zunehmend an Bedeutung. Wo das Rationale die Grenzen längst überschritten hat, bietet die Kunst den Raum, neu und anders zu denken. Das ist der Weißabgleich, der so zwingend geboten ist. Das Besinnen, das VERÓNICA ermöglicht.

AdK-Ausstellung: es ist alles eitel

Ausstellungsort: Kulturhaus Zanders, Hauptstraße 267-269, 51465 Bergisch Gladbach

Ausstellungsdauer: bis zum Sonntag, 14. April 2019

Öffnungszeiten: dienstags, donnerstags, sonntags von 15 bis 18 Uhr

Problemzonen im Kunstverein Koelnberg

Freitagabend letzte Woche. Eine Einladung zur Vernissage von Barbara und Norbert, Barbara Schachtner und Norbert van Ackeren. Barbara hat gesungen, Norbert ausgestellt.

Freitagnachmittag, der Woche über die Autobahn in Richtung Köln entflohen. Aufregend. Ich wusste nicht, was Norbert ausstellen würde, kannte Andreas Söke und Russ Spitkovsky nicht und hatte mal eine Ausstellung von Gerd Bonfert im Labor Ebertplatz gesehen. Seine Fotografien sind besonders, weil ich solche zuvor nicht gesehen habe. Analoge Fotos, die durch Belichtung inszeniert werden. Gerd arrangiert Szenen und bringt sich als eigenes Model ein. Schwarz-weiß. Groß, hochkant, gerahmt.

Runde Kaffeehaus-Tische auf den Fotografien rechts und links. Man sieht feine Herrenschuhe und Beine in Anzugshosen bis zum Knie. Zwei Korbsessel, überall getrocknete Blätter. Auf den Sesseln, dem Tisch, dem Boden. Die Bilder haben etwas Altes, mich erinnern sie an Wien. Ein wenig morbid und außerordentlich spannend. Durch die Belichtungen ist vieles nicht zu erkennen. Der Mensch ist nur partiell präsent.

In der Mitte ein Bild mit Tisch und Blättern und einem Mann im Hintergrund, der wie hängend aussieht. Vor ihm ein runder Tisch mit Vase, in der vertrocknete Blumen stehen, und ein Aschenbecher mit Zigarre ohne Glut. Es scheint, alles habe Bedeutung. Stillleben. Alles vertrocknet, verloschen, tot.

Wikipedia: „Stillleben bezeichnet in der Geschichte der europäischen Kunsttradition die Darstellung toter bzw. regloser Gegenstände (Blumen, Früchte, tote Tiere, Gläser, Instrumente o. a.).[1] Deren Auswahl und Gruppierung erfolgte nach inhaltlichen (oft symbolischen) und ästhetischen Aspekten.“

Symbolik. Die trockenen Blätter, die trockenen Blumen, die Zigarre ohne Glut, die Vase, das Gefäß am Boden, die Korbsessel, die Beine ohne Mensch, der hängende Mann. Man könnte eine Geschichte vermuten, sich selbst erzählen, sich die Zusammenhänge ausdenken. Mich erinnern die Inszenierungen an Edgar Allan Poe. The Tell-Tale Heart. Das schlagende Herz unter dem Holzfußboden.

In diesen Bildern ist etwas zu Ende gegangen, hat den Atem ausgehaucht, hat das Leben verloren. Bilder einer alten, verlassenen Villa aus einer anderen Zeit. Beim Betrachten wird man zum Voyeur, der sich hineingeschlichen hat, sich das anzuschauen, was ihn nichts angeht. Hineingeschlichen, weil fasziniert. Magisch sind diese Fotografien. Irreal, surreal, entfernt. Und doch steht man davor und sieht, was man nicht sieht.

Die Bilder haben in der Wirkung und Ästhetik etwas von Stummfilm. Kein Ton wird gesagt, man muss sich schon selbst die Mühe machen, zu verstehen.
Drei Bilder nebeneinander. Dreht man sich um, und schaut in die entgegengesetzte Richtung, sieht man wiederum drei Bilder nebeneinander. Gemalt. Drei Porträts, drei Männer. Norbert van Ackerens Männer. Ich war gespannt, was er ausstellen würde und war überrascht, dass er wieder drei neue Bilder gemalt hat. Er ist ziemlich produktiv. Stiehlt dem Leben Atelierzeiten. Nimmt sie sich. Malt.

Und entwickelt sich.

Auf den Bildern drei Porträts von Männern, die nicht mehr leben. Von unbekannten toten Männern, von denen niemand den Namen kennt. Werden Tote gefunden, die sich nicht identifizieren lassen, werden Bilder von ihnen im Web veröffentlicht in der Hoffnung, dass sie jemand zufällig erkennt.

Norbert nimmt die Vorlagen seit geraumer Zeit. Er malt unbekannte Tote. Ich habe lange gebraucht, einen Zugang zu dieser langen Serie zu finden. Mein Innerstes hat sich gewehrt. Ich wollte die Toten in ihrem Tod nicht sehen. Ich verstand den Sinn nicht. Für mich waren sie tot und wegen ihrer Einsamkeit bedauernswert. Ich fragte mich: „Warum malt Norbert sie?“

2012 habe ich ihn im Labor Ebertplatz kennengelernt, als er dort noch sein Atelier hatte. Ich war reingegangen, er saß dort, ich fragte, ob ich mir die Bilder ansehen dürfe und war sprachlos. Wenn ihr mögt, reist in die Vergangenheit und schaut euch die Bilder von damals per Klick hier an. Der Junge aus Tschernobyl, das tote Mädchen aus dem Balkankrieg. Klingt nicht nach Vergnügen, ist es auch nicht. Menschen, die Opfer von irgendetwas geworden sind.

Und nun also die Reihe der unbekannten Toten.

Still hatte ich gehofft, ich würde den van Gogh sehen. van Ackerens van Gogh. Live. Pink. No. Da hingen diese drei Portraits, die mich überraschten. Nicht, weil sie dort hingen, sondern weil sie anders waren.

Habt ihr Inglorious Basterds gesehen? Tarantinos Film, in dem Juden Nazis töten? In dem Tarantino die Geschichte einfach umdreht und diese stete Angst vor den abgrundtief bösen Nazis einfach wegzaubert? Die sind plötzlich die Gejagten. Ein wenig Genugtuung. Das Böse lässt sich bekämpfen und verliert an Kraft. Die sind genauso verletzbar wie alle.

van Ackerens Tote hatten plötzlich auch ihren Schrecken verloren. Man musste mit ihnen nicht länger Mitleid oder Mitgefühl haben. Denn sie waren plötzlich lebendig. Mit Blick, mit Seele, mit Ausstrahlung. Dazu alles um die Gesichter herum, der graue Hintergrund, die stilisierten Anzüge, wie sie Häftlinge oder eben auch KZ-Häftline tragen, zurückgenommen. Irreale Staffage. Beiwerk. Die Bilder finden in den lebendigen Augen der Gemalten statt.

Das war spannend. Für mich ein Sprung wie schon bereits der van Gogh. Bilder mit Seelen, mit Psychologien, mit der lesbaren Kraft der Menschlichkeit. Ist es nicht das, was die Bilder der Renaissance ausmacht? Dass dort Menschen mit ihren sehr eigenen Geschichten zu sehen sind? Solltet ihr euch anschauen.

Für mich ist es sehr spannend, die Entwicklung erleben zu dürfen. Bei Norbert van Ackeren, Gerd Bonfert, Graham Foster, Helga Mols und anderen. Es sind Geschenke an die Welt, die Künstler ausstellen. Sie sind Seele.

Schaut euch Problemzonen an. Allein der Gang über den roten Teppich ins Innere lohnt sich. Macht mal.

Zusammenschau, Sebastian Linnerz, Graham Foster

Video Graham Foster: Zeichnungen Treatment. Hier das Video: Graham Foster Treatment (einfach mit der Maus über Graham Foster Treatment fahren und klicken)

Wenn ich Texte über Kunst und Künstler lese, dann klingt das oft so wissend und stringent und abschließend. Als wüsste man, worüber man schreibt. Einordnend, strukturierend, erklärend.

Ich weiß nicht, vielleicht schreibe ich auch so. Ich hoffe nicht.

Gerade komme ich aus der Eifel. Meine Mutter ist ziemlich krank. Medizin hilft ihr, zu überleben. Läuft die Chemie aus dem Ruder, wird es ihr übel. Und wir schauen zu und überlegen und denken und machen und tragen. Und rufen den Notarzt, der sie ins Krankenhaus bringt und wir warten vor der Notaufnahme und werden dann irgendwann gerufen und irgendeine Wunderpille lässt sie lächeln und mit Vergnügen ein Brötchen essen, das wir ihr schnell von der Tanke geholt haben.

Die logische Erkenntnis des Lebens auf dem Weg ist, dass das Leben Komplikationen bereit hält. Immer wieder.

Nun hat man auf der einen Seite eine Mutter, auf der anderen Seite ein Leben, das nach Gestaltung ruft. Arbeiten, leben. Es sich teilen mit anderen. Den Sehnsüchten auf der Spur, der Liebe.

Wie eigentlich immer drängen sich die Dinge dicht und überlagern sich. Es folgt nicht C auf B auf A. Es geschieht gleichzeitig.

Kunst.

Freitag „Problemzonen“ in Köln. Kunstverein Kölnberg. Ich werde später darüber schreiben, ich möchte mich an die Reihenfolge halten und schauen, dass ich das Erlebte und Gesehene noch erinnern und fassen kann. Deshalb zunächst plus/ Raum für Bilder. Fünfter Geburtstag der Galerie von Sebastian Linnerz. Vergangenen Freitag vor einer Woche. Köln, unweit des Ebertplatzes.

Zum Jubiläum eine Ausstellung mit neuen Werken von 16 Künstler*innen, die in den letzten 5 Jahren dort ausgestellt haben. Harte Aufgabe. Much to much Input. Ich kannte nicht alle Künstler*innen und ihre Werke und musste anhand der ausgestellten Werke versuchen, zu verstehen. Ich habe versagt. Ein Freitag nach einer langen Woche, ich bin nur ein Blogger aus Leidenschaft, ohne Anspruch an irgendeine Professionalität. Hier schreibe ich ausschließlich, wozu ich Lust habe. Nun.

Also war ich weder vorbereitet noch in der Lage, dem Ausgestellten gerecht zu werden.

Deshalb habe ich mich entschieden, auszuwählen.

Graham Foster.

Ich habe ihn gefragt, ob ich sein Bild fotografieren darf. Yes. Und ich habe mich mit ihm unterhalten über sein Bild und seine Arbeit.

Graham Foster ist Brite. Das unterscheidet ihn von mir. Das bedeutet, dass er einen anderen kulturellen Hintergrund hat, was ihn wiederum spannend macht. Nun ist anders sein allein nicht Grund genug. Es muss schon in einer Form anders sein, die globaler ist. Graham Foster ist schräg. Ich habe über ihn bereits geschrieben, und da nannte ich ihn Crazy Graham Foster. Daran hat er sich erinnert. Jetzt weiß ich, was crazy für mich bedeutet, aber ich weiß nicht, was crazy für Graham Foster bedeutet. Mein crazy ist ein Kompliment. Es bedeutet: Dass mich das, was ich als crazy bezeichne, berührt und bewegt.

Ja, das Werk Graham Fosters gehört zu den Werken, die mich berühren.

In dieser Ausstellung war es sein vierbeiniges Wesen mit Hufen und Klauen und Nasenhorn und Ledergeschirr, dass den Schwanz (Penis) des Tieres hoch bindet, und Propeller am Hintern. Darunter ein Satz in Fantasiesprache, die chinesisch anmutet und mit dem Stempel zu tun hat, der das Bild mit chinesischen Zeichen abbindet, die den Namen Graham Foster darstellen.

Die Zeichnung liegt unter einer Glasplatte, die ein riesiges iPad darstellt. Weshalb?

Graham hat mir erzählt, dass er eine Zeit lang ausschließlich mit dem iPad gezeichnet hat. Sein eigentliches Sujet sind seine wunderbaren Objekte, die nicht nur crazy, sondern wundervoll wahnsinnig sind. In seiner Welt sind sie sicherlich geordnet und verständlich, aber für Außenstehende wie mich sind sie wie Zeichen, die man erst entschlüsseln muss. Sie sind modern und archaisch zugleich. Es tauchen Uniformen und Rangabzeichen und Ornamente und Fratzen und Tiergesichter auf, die skurril anmuten könnten.

Tun sie nicht.

British humor. Spricht man mit Graham Foster über seine Kunst, überfällt ihn dieses wunderschön süffisante britische Lächeln. Seine Werke sind bei allem scheinbaren Abgrund von Humor durchzogen. Sie sind in einem tiefen künstlerischen Ansinnen witzig. Überall kleine Arabeseken und Applikationen der Ironie. Bund, wild, voller Andeutungen. Graham Foster nimmt das Leben auf die Schippe. Seine Arbeiten sind voller Details. In Sebastian Linnerz Ausstellungskatalog, in dem er alle Künstler mit Fotos aus ihren Ateliers vorstellt, ist der Blick auf Fosters Arbeitstisch hinterlegt. Werkzeuge und Materialien des lustvoll ironischen Blicks auf die Wirklichkeit.

Kindlich, infantil, bitterböse, leicht und schwer zugleich. Zeichen wie Marterpfähle. Irgendetwas zwischen Aufarbeitung einer militärisch-kolonialen Obsession der Vergangenheit und der Lust, über alles zu lachen oder zumindest zu schmunzeln.

Es war wieder ein sehr schöner Abend in Sebastian Linnerz Galerie, die zur Vernissage bestens besucht war. Ich fühle mich dort sehr wohl, weil dort sehr liebevoll und ganz im Sinne und Geiste der Kunst gearbeitet wird. Ein Projekt. Keine Ausrichtung auf Rendite. Dem Schönen, dem Guten verpflichtet. Wie funktioniert das 2019? Auf den Porsche verzichten, die Penthousewohnung. Arbeiten, lieben und dem eigenen Herzen verpflichtet sein. Macht nicht reich, aber erfüllt. Weil es Sinn macht. Danke, Sebastian Linnerz, immer wieder.

Nun freue ich mich, Zeit zu finden, über die nächste Ausstellung zu schreiben. Und dann, die nächste Ausstellung zu sehen. Helga Mols in Bergisch Gladbach.

Infos zur Galerie und zur Ausstellung: https://www.sebastianlinnerz.de