Bindet mich. Knebelt mich. Verstopft meine Ohren. Schützt mich wie einst Odysseus vor dem Ruf der Sirenen. Das Meeressehnen hat mich erfasst. Mitten im Januar, wo das Meer für mich so weit weg ist wie nie. In den letzten Tagen hat sich eine sonderliche Fügung ereignet. Ich hatte zwei meiner Gedichte eingesendet. An ein Magazin. Ich hoffe immernoch im Stillen, dass einst eines meiner Gedichte gedruckt wird. Es ist eine Eitelkeit, das gebe ich gerne zu. Es wäre ein erhabenes Gefühl, denke ich mir. Vielleicht aber auch nur der peinliche Wunsch, wahrgenommen zu werden. Müssten mir die Gedichte nicht eigentlich selbst genug sein? Müsste ich mir nicht selbst sagen, die sind gut? Nein, da wünscht sich etwas in mir über das Lob des Blogpublikums hinaus eine größere, umfassendere Anerkennung. Absolution. Du machst das Richtige, sieh nur, da steht es schwarz auf weiß. Gedruckt von einer großen Zeitschrift.
In diesem Falle keine Zeitschrift. Ein Magazin. Ein märchenhaftes Magazin. Ich hatte es abonniert bis zum Sommer. Das heißt, eine Freundin von mir aus Köln hatte es für mich abonniert. Als Geschenk, weil wir eine Meeresleidenschaft teilen. Sie ist Surferin. Gerade jetzt in diesem Augenblick ist sie auf Hawaii und surft. Wellenreiten. Das macht die Sache für mich besser und schlechter. Besser, weil ich in Gedanken mitsurfe, obwohl ich Windsurfer bin mit Haut und Haar. Schlechter, weil es die Sehnsucht steigert. Heute Nacht tobte der Wind ums Haus. Ich denke dann an Segelgrößen, Windrichtungen, wie ich fahren würde.
Dieses Magazin ist die mare. Die Zeitschrift der Meere. Reportagen rund um das Meer. Sie erscheint zweimonatlich und ihr könnt einen ersten Einruck auf mare.de gewinnen, wenn ihr wollt. Allerdings. Das was ihr dort erlebt, ist plastic gegen das wahre mare Feeling. Ich greife jetzt ein wenig in die Zauberkiste der Werbesprache und klaue mir aus meinem Handwerkskasten einige Superlative. In Gedanken, in Wirklichkeit tue ich euch das nicht an. Die mare hat Gewicht. Sie ist auf sattem Papier gedruckt. Eine haptische Wohltat. Die Seiten verknicken nicht, flattern nicht wie billige Segel im Wind. Nein, sie gleiten wie schweres Baumwolltuch über in die nächste Welt. Äh, auf die nächste Seite. Mit leichtem Schwung, als würde eine schwere Tür langsam ins Schloss fallen.
Im Sommer hatte ich das Abo auslaufen lassen. Wirtschaftskrise, der Korsikaurlaub musste bezahlt werden, Versicherungen, Gas, Strom der ganze Kladderadatsch. Schweren Herzens sparte ich mir aus einer unsinnigen Vernunftentscheidung heraus die 46,50 €. Entschied mich für Sicherheit statt Genuss. Legte mir geschwafelte Argumente im Innern meines Denkzentrums zurecht und sagte mir: Bleib unabhängig, du brauchst das nicht. Jim war tarurig. Weil er die mare verschlingt. Wir lesen sie abwechselnd komplett durch. Lasen zunächst und lesen jetzt wieder.
Ich sendete die Gedichte an den Verlag – “Am Morgen, Meerjungfrau” und “Wiege der Welt”. In der Mail entschuldigte ich mich schon im Voraus für den Fall, dass meine unverlangt eingesendeten Gedichte (ich glaube, Verlage hassen das) als störend empfunden würden. Spam-Gedichte. Ich musste mich da selbst schützen, weil es ein wenig ein Gang nach Canossa ist, sich so auszuliefern und eventuell zu hören “Senden sie uns nie wieder so einen Schrott.” Oh Seelengraus.
Die Antwort war mare typisch. Voller Stil. Wie das Papier, auf dem das Magazin gedruckt ist. Wie jedes Foto, das feinfühlig ausgewählt ist. Wie jeder leicht gleitende Text mit so tiefem Wellengang. Der Zweimonatsrhythmus, um Raum und Zeit für Perfektion zu haben. Und Ruhe für das eigene Tun. Die Antwortmail war voller Freundlichkeit. Eine sommerliche Meeresbrise. Eine Absage, weil keine zeitgenössischen Meeresgedichte mehr abgedruckt würden. Schade. Aber vielleicht, würde sie einmal passen, die Meerjungfrau. Es seien doch schöne Gedichte. Stein vom Herzen, respektvoller Umgang. Ein Mensch auf der anderen Seite der Mailleitung. Eine Frau. Vielleicht deshalb. Oder eben die mare.
Auf wundersame unerklärliche magische Weise kamen wir, Jim und ich, dann überraschenderweise zu den letzten drei, den verpassten Ausgaben. Gestern Abend, vorgestern Abend haben wir geschlungen. Eingetaucht in die Geschichten des Meeres. Da überkam sie mich, die tiefe Sehnsucht. Der Wunsch, es um mich herum zu spüren. Wieder auf Korsika zu sein, an diesem Tag mit dem außerordentlichen Wind. Habe das Erlebnis wie einen Film abgespeichert. Das Segel etwas zu groß mit fünf Quadratmetern, das Brett ist überpowert und deshalb unruhig. Ich muss etwas Druck rausnehmen, sonst schmeißt mich ein Spin-out in die Wellen. Der Druck lässt das Wasser an der führenden Finne verkochen. Es entsteht ein Luftraum, das Brett ist führungslos und stellt sich quer.
Die Geschwindigkeit ist irre. Um nicht an Höhe zu verlieren, muss ich leicht schräg zur Welle fahren. Das bedeutet ganz automatisch, dass ich auf den Wellenkamm hoch muss. Und bin ich oben, ist da ein Wellental, in das ich plumpse. Ja, ich falle auch rein. Lande nicht nach jedem Abheben so, wie es gut wäre. Wasserstart. Unter das Segel legen, es leicht hoch lupfen und sich vom Wind aufs Brett ziehen lassen. An diesem Tag springe ich den höchsten Sprung meines Lebens. Eine Zeit in der Luft.
Wenn ich die mare lese, bin ich dem Meer nah. Am Meer geht es mir immer ausgezeichnet. Ich hatte Meeresbiologie in Kiel studieren wollen, um ans Meer zu kommen. Der Numerus Clausus ließ mich nicht. Und tatsächlich, Sprache ist ja nun irgendwie auch mehr mein Ding. Einen mare Artikel, den ich gelesen habe, gibt es auch auf Spiegel online. Geschrieben von Zora del Buono. Dann könnt ihr ein wenig eintauchen ins mare Feeling, auch wenn das schwere Papier fehlt: Lüderitz in Namibia. Deutsche Geister in Südwest. Zora del Buono ist übrigens nicht nur Journalistin (sie nennt sich Reporterin), sonder auch Architektin und Schriftstellerin. Eine Frau so unfassbar wie das Meer. Viele ihrer Arbeiten findet ihr hier. Lohnt sich.
Euch wünsche ich einen Tag voller Meeresrauschen im Kopf. Ein Schmecken der salzigen Luft. Ha.