Tele-Shopping mit Phil Collins im Museum Ludwig

In jedem Traumhaus ein Herzschmerz.
In jedem Traumhaus ein Herzschmerz.

Köln. Kürzlich. Ich berichtete.

10 Euro und rein. Ins Vergnügen. Nicht nur die dauerhafte Ausstellung mit den alten Meisterinnen und Meistern, nein, auch Extravorstellungen. Extrarunden der Kunst. Exklusiv dort. Neben Andrea Fraser auch Phil Collins. Kannte ich auch nicht. Macht der nicht Musik…

Phil Collins ist Engländer. 1970 in England nahe Liverpool geboren und lebt aktuell in Berlin. In Köln hat er eine Professur für Videokunst an der Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM). Momentan hat er das Vergnügen, den schönsten Ausstellungsraum des Museums zu bespielen. Hinten, oben, wo es die lange, schmale Freitreppe runtergeht. Wo man sich in die Kunst hinabstürzt. Stufe für Stufe nähert.

Ich schreibe jetzt über Collins, weil mir das von der Ballustrade gesehene Bild nicht aus dem Kopf geht. Zwei Wohnwagen mit geöffneten Türen. Darin Menschen. Besucher/innen. Ist ja schon mal gut, wenn Kunst neugierig macht. Was geht denn da ab? Im Wohnwagen? Geht’s um Sex? Käufliche Liebe? Andrea Frazer? Kölner Außenbezirke in der Dunkelheit? Nein. Kaufen schon, menschliche Erlebnisse auch, aber nicht live und nicht Sex. Der Brite hat eine Tele-Shopping-Sendung gedreht. Videokünstler. Man kommt also in einen der Wohnwagen und lässt sich auf engem Raum berieseln.

Was für eine Stimmung. Eng, muffig, Wohnwagen. Insel der Glückseligen, der Aufbrechenden, sich nieder Lassenden. Freiheit. Enge. Das Wohnzimmer, Schlafzimmer, die Küche, das Bad. Mitgenommen. An den Mittelklassewagen drangehangen. In dunklen Holztönen. Praktisch, quadratisch, eng. So also fühlt sich das an. So ein Fernsehabend, wenn Kacke läuft. Irgendwas Berieselndes. Lebensbegleitende Bilder im TV mit Abverkaufsabsicht. Schales Leben, inszenierte Oberflächlichkeit. Desillusionierendes Geflimmer. Hirnwäsche.

Von oben sah alles so niedlich aus. Dieser Märklin-Tiny-People-Verkleinerungseffekt. Das da unten. Und wenn man dann Teil der Kunst wird, fühlt sich das so eng an. Uaaaahh! Gut gemacht. Mein Körper erinnert sich noch. Für 10 Euro also auch bleibende, sensitive Erinnerungen. So geht Kunst. Auch. Der gute Mr. Collins hat noch einige andere Dinge in die Ausstellung gezaubert, aber die schaut und hört ihr euch bitte selbst an. Lohnt sich. Gelegenheit habt ihr bis zum 21. Juli, dann werden die Wohnwagen gebraucht. Urlaubszeit und auf und davon. Tele-Shopping an der Ostsee, Herr Collins?

Übrigens hat die Ausstellung auch einen Namen: In every dream home a heartache. Mein Übersetzer des fiftyfiftyblog-Kooperationsunternehmens GOOGLE (dieser BIG BROTHER IS WATCHING YOU US-PRISM-NEUGIERDE-KONZERN, der jetzt weiß, dass ich solche Sätze gerne in Deutsch hätte und was weiß ich mit diesem Wissen anstellt…) hat folgendes ausgespuckt: In jedem Traumhaus ein Herzschmerz. Si. Könnte man so sagen.

Phil Collins 2_red

Andrea Fraser schläft mit Sammler im Museum Ludwig

"Untitled", 2003 Projekt und DVD, 60 Minuten, ohne Ton Videostill Courtesy: Andrea Fraser und Galerie Nagel Draxler, Köln/Berlin
“Untitled”, 2003
Projekt und DVD, 60 Minuten, ohne Ton
Videostill
Courtesy: Andrea Fraser und Galerie Nagel Draxler, Köln/Berlin

Skandal!

Könnte man meinen. Sex & Art. Wie? Wo? Was? Langsam. Fangen wir von vorne an. Aktuell stellt das Museum Ludwig Arbeiten von Andrea Fraser aus. Ihr wurde der Wolfgang-Hahn-Preis 2013 verliehen, den die Gesellschaft für Moderne Kunst am Kölner Museum Ludwig seit 1994 jährlich vergibt. Wer ihn bekommt, von dem wird Kunst im Wert von 100.000 € gekauft und dauerhaft im Museum Ludwig ausgestellt.

Nun war ich am letzten Wochenende im Museum Ludwig und bin, zugegeben, zufällig über die Ausstellung gestolpert. Das Museum ist seit vielen Jahren mein Lieblingsmuseum und ich komme immer wieder gerne und lasse mich überraschen. Spontan. Und was soll ich sagen? Also wirklich, mit Andrea Fraser ist das wirklich gelungen. Peng.

Mein erster Weg ist meistens die Treppe hinab ins Pop-Art-Verließ. Dort besuche ich meine Freunde Warhol, Rauschenberg, Johns & Co. Leider tut sich da wenig und der Raum hat Tendenzen der Verschmuddelung. Die Werke leiden unter einer verstaubten Atmosphäre – sie wirken ein wenig vergessen so hinten, unten in der Ecke und bräuchten dringend mehr Liebe und Aufmerksamkeit in Form einer Neuhängung und Neuinszenierung. Ein wenig Renovierung wäre auch nicht schlecht. Dieses Mal war meine Sehnsucht nach Frische frappant. Das aber nur so nebenbei. Was mir hier dieses Mal am besten gefallen hatte war eine Besucherin, die ein Zahnbürste in ihrer Levis trug. Eine schöne Geschichte, die da erzählt wird. Fragen, die aufgeworfen werden. Wer? Wo? Was?

Levis Zahnbürste_red

Raus aus der Pop-Art, rein in die Fraser Ausstellung im Keller gegenüber. Vor der Ausstellung fette Schilder “Fotografieren verboten” in Form einer fett und rot durchgestrichenen Kamera. Ich packe meine Nikon weg. Vor der Ausstellung ein Wachmann mit Walky-Talky. Raumgreifend. Und prompt kommt die Meldung über Funk, dass da jemand trotz Verbot in der Ausstellung den Auslöser gedrückt hat. Eine Stimme aus dem OFF. Die ganze Ausstellung ist mit Kameras überwacht und eine Frau gibt Anweisungen, wer zur Rechenschaft gezogen werden muss. Big Sister is watching you. Ich bekomme das auch noch zu spüren, weil ich mich in einem Raum hingesetzt und an die Wand gelehnt habe, um einem Video zuzusehen. Da hörte ich schon aus dem Nachbarraum das Walky-Talky und wusste, dass ich jetzt dran bin. Es herrscht ein rauher, lauter Ton im Museum Ludwig. Immer wieder kam jemand, um zu schauen, ob ich auch wirklich meine Kamera in der Tasche lasse. Mann! Die Kunst zerrt an den Grenzen der Bürgerlichkeit, versucht zu weiten – die Zuschauer/innen sind den Gesetzen der Ordnung durch einen privaten Wachdienst mit einer gewissen raumgreifenden Funkkommunikations-Aufgeregtheit unterworfen. Auch das war kein schönes Gefühl. Wobei ich sagen muss, dass es im restlichen Haus wesentlich entspannter war.

Da war doch was? Ich wollte über Andrea Fraser schreiben. Nicht so einfach, wenn man sich in einem solchen Museum bewegt, das so lebendig im positiven Sinne ist. Ich, wir traten also ein in die Welt der Videos und Performances der Andrea Fraser. Sie ist so alt wie ich. Ist also 1965 geboren, in den USA/ Montana. Heute lebt sie in New York und denkt intensiv über Kunst und Gesellschaft nach. Ein altes Thema. Goethes Torquato Tasso. Wie käuflich ist die Kunst? Andrea Fraser sitzt hier in der Zwickmühle. Sie ist Künstlerin. Sie lebt vom Kunstmarkt. Sie braucht Mäzene. Sammler. Museen.

Die Kunstszene ist ein Kunstmarkt. Deshalb kam es nicht schlecht, die Fraser-Ausstellung während der ART COLOGNE zu eröffnen. Money. Makes the art go round. Ich erinnere mich an einen Blick ins Foyer der Deutschen Bank-Zenrale im finance district in London im letzten Jahr. Riesige Werke hingen dort. Ein Museum hinter verschlossenen Geldtüren. Und: Investments. Geldanlagen. Wer Kunst und Künstler macht, hat irrsinnige Rendite. Für 5.000 kaufen, pushen und ZACK, BENG, BUMM ist das Bild 100.000 oder eine Millionen wert. Das sind in Prozent…

Rund um diesen ganzen Kunstmarkt laufen die Vernissagen, Ansprachen, Reden der Kunstkritiker… Die allgemeine Kakophonie des Kunstblablas nimmt Fraser auf. Sie hat zugehört in der Vergangenheit. Hat Reden, Ansprachen, Einführungen aufgenommen und verarbeitet. So tritt sie beim Hamburger Kunstverein auf im Jahr 2003. Hält eine Eröffnungsrede, in der sie verschiedene Posen und Positionen einnimmt: “Official Welcome”. Sie redet, gestikuliert, ändert den Tonfall, sie weint, zieht sich aus, stellt sich nackt vor das Publikum und redet weiter – über Kunst. Nicht in ihren Worten, in den Worten, die immer wieder fallen. Sie zeigt WIE MAN ÜBER KUNST SPRICHT. Phrasen. Nervtötendes Geplapper. Phonetische Abziehbilder. Automaten-Ansprachen.

"Official Welcome" Performance und Video Kunstverein in Hamburg 2003 Videostill Courtesy: Andrea Fraser und Galerie Nagel Draxler, Köln/Berlin
“Official Welcome”
Performance und Video
Kunstverein in Hamburg 2003
Videostill
Courtesy: Andrea Fraser und Galerie Nagel Draxler, Köln/Berlin

Beeindruckend. Weil sie weiß, was sie macht. Weil sie konsequent ist. Und weil sie es kann. Sie schlüpft als Schauspielerin in die Rollen. Wechselt die Perspektiven vom einen auf den anderen Augenblick.

Tja, und dann kommt “Untitled”. Auch aus dem Jahr 2003. Ein Video, das im Museum Ludwig in einem großen, weißen Raum gezeigt wird. Dort steht ein kleiner Fernseher. Was ist zu sehen? Wie Andrea Fraser in einem Hotelzimmer mit einem Sammler schläft. Eine Frau im roten Kleid, ein Mann, der Sammler und Teil dieses Projektes ist. 60 Minuten. Komplett durchgezogen. Wir setzen uns auf den Boden und an die Wand, um uns das anzusehen, als wir auch schon vertrieben werden. Mental. WACHDIENST. Sie hatte gerade ihren Slip ausgezogen. Wir wussten ja, was kommt. Egal.

Diese “Performance” war ein Projekt, bei dem fünf DVDs entstanden sind. Andrea Fraser hatte den “Sex mit einem Sammler in einem Hotelzimmer” für den Kauf eines Videomittschnitts auf einer DVD über einen Galeristen angeboten. Tatsächlich fand sich ein Sammler, der mitspielte. Und mit ihr vor laufender Kamera schlief.
2003 war das ein Skandal und selbst die New York Times ist über Andrea Fraser hergefallen und hat sie verurteilt.

Was hat sie getan? Eine Prostitutionsszene nachgespielt. Mann mit Geld trifft auf weiblichen Körper, der in diesem Fall eine Künstlerin ist, die sich mit Mechanismen des Kunstmarktes auseinandersetzt. Konsequent. In einem Artikel, der 2009 veröffentlicht wurde, schreibt sie über die Hintergründe. In ANDREA FRASER SCHREIBT ÜBER PROSTITUTION und das Video “Untitled” erläutert sie: “In meinem Video „Untitled“ (2003) bin ich beim Sex mit einem Kunstsammler in einem Hotelzimmer zu sehen. Der Ausgangspunkt der Arbeit ist die Metapher der Prostitution, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hat, als Baudelaire seine berühmte Gleichung formulierte: „Was ist Kunst? Prostitution.“ Man benutzt den Begriff „Prostitution“ heute häufig, wenn man beschreiben will, wie sich in einer kapitalistischen Gesellschaft alle zwischenmenschlichen Beziehungen, sogar die allerintimsten, auf ein ökonomisches Verhältnis reduzieren lassen.”

Das ist im Museum Ludwig zu sehen. Eine richtig gut gemachte Ausstellung, die fesselt. Ein wirklich intimer Raum, in dem der Wachdienst fast schon wie inszeniert wirkt. Man wird nicht in Ruhe gelassen, kann Kunst nicht einfach konsumieren. Das geht tiefer, trägt nach, beschäftigt weiter. Mich jetzt schon seit letztem Sonntag. Ein gutes Zeichen, dass da etwas zu sehen ist, was Inhalt hat.

Ich danke dem Museum Ludwig für die Bereitstellung der Fotos, die Inszenierung dieser Ausstellung und überhaupt für all die wunderbaren Werke, die es dort zu sehen gibt. Thanx:)

How to kill your inner weapon…

DAVID_Pistole_red

Wie steht’s mit Aggressionen?

Frei davon? Total friedlich? Peace als Baby inhaliert wie Obelix den Zaubertrank? Oder doch manchmal ein wenig aggro? Wenn einer schräg kommt. So von der Seite und so. Rempler des Lebens. Hey, pass doch auf…

Freitag war ich in Köln. Hatte einen Briefingtermin in einer Agentur. Kurz. Prägnant. Und schon auf dem Weg nach Hause. Dadurch öffnete sich ein Zeitfenster. Plötzlich überkam mich eine Lust, die Zeit zu nutzen. Nicht für irgendeinen Job oder eine Aufgabe oder Pflicht oder so.

Da näherte ich mich der Autobahnabfahrt Overath. Nicht weit von dort ist das Anwesen, die Hausansammlung Cyriax. Ein Name, der mich, seit ich ihn das erste Mal auf dem Ortsschild gelesen habe, still fasziniert. Zumal dort eine altes, sehr altes Kloster steht. Ich sehe Mönche vor, Bilder aus dem Namen der Rose, Nebel, Kruzifixe, Kerzen, Choräle, Weihrauch, der ins Tal zieht.

Dort ist das Künstlerhaus, die Malschule. Ich habe David angerufen. DAVID. Hast du Zeit? Auf einen Tee? Niemand am Apparat. Mailbox. Die Abfahrt kam näher, keine Antwort, weiter. Schade. Zwei Kilometer später eine SMS. Ruf mich mal an. War gerade nicht am Telefon. Ich hab Zeit. O.K. Bis Engelskirchen. 10 Kilometer Extrarunde. Von der Autobahn runter, auf die Autobahn rauf, zurück. Gas. Speed. Cyriax. Hi, hi.

David malt gerade. Bereitet seine Teilnahme an der Ausstellung OSTRALE 013 in Dresden vor. Die Jury hat ihn ausgewählt, er bekommt einen Raum. Aktuell entstehen vier Bilder, die er zeigen wird. Die standen dort. Im Atelier, im Büro. Sie entstehen parallel. Faszinierend, sie so halb fertig zu sehen. Entstehungsprozess.

Er hat sie mir gezeigt. Dann haben wir Tee getrunken. Japanischen. Sehr fein. Wieder aus der schönen Keramikschale. Und wir haben über Kunst und Werbung gesprochen. Davids zwei Leben. Und irgendwie auch meine zwei Leben. Seine Ausstellung, den Raum, den er mit seinen Bildern ausfüllen wird, das, was dann dort geschieht. Es hat zu tun mit Waffen und damit auch mit Gewalt. Es wird an ein Projekt erinnern, das er 1990 gestaltet, inszeniert, durchgezogen hat.

Das Bild oben hat damit zu tun. Die Schönheit der Waffe als Objekt, die Linien, die Lichter, Glanzpunkte. Die Faszination, abzufeuern. Sie in die Hand zu nehmen, durchzuladen und es krachen zu lassen. Macht, Zerstörung, Wahnsinn, Freude, Schönheit. Alles einen Abzug voneinander entfernt.

Beim Abschied hat er mir eine signierte Postkarte geschenkt. Die hängt jetzt in meinem Zimmer. Schön. Ich denke, nach der OSTRALE werden die Bilder verkauft sein. Auch das von 1990. Deshalb freue ich mich, sie live gesehen zu haben. Die sind wirklich gut. Etwas in mir sagt, dass ich eine Ahnung habe, was sie wirklich bedeuten. Auch das gefällt mir.

Die innere Gewalt. Die innere Waffe. Die Bereitschaft, in irgendeiner Form abzudrücken. Und sei es nur mit einem Wort, das scharf genug ist, zu ritzen. Einerseits die Faszination, dass es diese Kraft gibt. Andererseits das Potenzial. Innenwohnende Brutalität als fortwährende Möglichkeit. Antagonisten. Dualismus. Kampf. Krieg. Fast genetisch.

Die Magie des BIG AIR PACKAGES von CHRISTO

Ballon oben_red

Große Kunst im Pott. Christo ruft, die Welt kommt. Ich komme von der A3, biege hinter Duisburg nach Oberhausen ab.Fettes, dampfendes, qualmendes Kraftwerk an der Autobahn. Ach du meine Güte. Weil ich kein Navi habe, habe ich mir die Strecke auf Google-Maps angesehen. Die A42 runter und Oberhausen-Zentrum ab. Google-Maps hätte ich mir sparen können. Der Gasometer ist sein eigenes Hinweisschild – da kann man auf Sicht fahren. Fast. Ich lande in einem Wohngebiet – verbotenerweise. Ach, egal. Passiert. Von dort sind es nur wenige Schritte.

Es regnet. Vor dem Gasometer eine lange Schlange. Halbe Stunde im Regen warten. Super. Natürlich hatte ich mich nicht informiert, was mich eigentlich genau erwartet. Eine Freundin hatte mir den Flyer mitgebracht und gesagt: Fahr mal hin, wird dir gefallen. Hab ich gemacht. War in letzter Zeit ein wenig viel Landleben. Viele Frühlingsfotos, Waldspaziergänge, Sonntagswanderungen. Der Stadtmensch in mir wurde schon unruhig und wollte gefüttert werden. Da kamen mir Christo und der Gasometer gerade recht.

Zoe und Jim waren mitgekommen. Sie wollten gerne etwas unternehmen, Jim hatte eine Rechnerauszeit, die Sigmar Polke Ausstellung in Siegen interessierte sie nicht, so war Oberhausen die erste Wahl. Dort haben wir uns verabredet, mit einer Freundin und Sohn. So konnten wir zu fünft zum Familienpreis rein. Plus Cola & Co. kam dann noch was drauf. Aber schließlich hat Christo der ganze Spaß 1,4 Millionen Euro gekostet.

Was er, was wir dafür bekommen haben? Die meisten Journalisten nutzen die Metapher der Kathedrale. Christo hat in den Gasometer eine Art Ballon installiert. Er nennt das Objekt BIG AIR PACKAGE. Es ist eine Ballonhülle aus weißem Stoff, die sich 90 Meter hoch erhebt. Also fast bis zur Decke des sehr hohen Gasometers reicht. Dieser zylindrische Ballon ist von Seilen umgeben, die dem Ganzen eine Form geben. Tja, und dann wird das alles von zwei Kompressoren aufgeblasen. Damit die Luft und der Druck nicht entweichen, gibt es als Ein- und Ausgang zwei Drehtüren, die für die nötige Dichtigkeit sorgen. Wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen oder wegen der Versorgung mit Frischluft oder aus sonst einem Grund dürfen jeweils nur 250 Menschen hinein zum Staunen. Eine junge Frau mit Walky-Talky zählt mit und fragt regelmäßig per Funk, wie viele wieder raus sind.

Seile_red

Hinter der Drehtür dann das Eigentliche. DER RAUM. Weiß, breit, hoch und sehr besonders. Da sind nun also diese maximal 250 Menschen und können es kaum fassen. Am Boden liegen Kissen, auf die man sich legen kann, um entspannt zu schauen. Zu starren. Auf was? Tja. Wie soll ich das beschreiben. Worte sind manchmal zu banal oder zu übertrieben. Ich versuche es einmal. So ohne die Superlative, die dieser RAUM sicherlich verdient.

Hinter der Drehtür wartet ein schmaler Gang, der zu einer Treppe führt. Schon hier ist alles weiß. Die Treppe führt auf eine Kreisfläche, die von einem Geländer umgeben ist. Auf einer Seite gibt es eine kleine Tribüne mit wenigen flachen Stufen. Um diese Plattform herum erhebt sich das weiße Tuch. Nun könnte man denken, man sieht das und gut ist. Ist es aber nicht. Es ist schon ein wenig magisch. Vielleicht, weil man vorher noch nie in einem solchen Raum war. Vielleicht, weil alles so schön und hell und weiß und positiv ist. Ein wenig futuristisch, ein wenig Raumschiff-Enterprise.

Menschen_red

Und im Endeffekt ist es so, dass Christo das Verpackungsthema einfach rumgedreht hat. Man schaut nicht auf den Reichstag oder die Pont Neuf, man schaut über sich, um sich herum. Letztlich hat Christo mit dem Lufttrick die Zuschauer verpackt, die sich ins Innere begeben. In mir hat das ein Wohlgefühl ausgelöst. Geborgenheit. Zugleich fühlte ich mich gut mit all den Menschen. Hat er auf jeden Fall gut gemacht, der Künstler. Ob er vorher wissen konnte, was man nachher fühlt? Sicherlich wird er Spaß an seiner Idee gehabt haben. Und sicherlich hat er sich bei dem Perspektivwechsel etwas gedacht. Meine Vorstellung nämlich war, dass er den Gasometer von außen verpackt hat und man nur irgendwie den Deckel sieht. Und dann schafft er eine weiße, hell beleuchtete Gebärmutter. Oder so etwas in der Art.

Vielleicht schaut ihr euch DEN RAUM auch einmal an. Wenn ihr in der Nähe seid. Lohnt sich. Das BIG AIR PACKAGE kann noch bis zum Ende des Jahres bestaunt und erlebt und erfühlt werden. Alle notwendigen Infos gibt es hier. Viel Spaß!

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“Empört Euch!” und sprecht nur ein Wort…

Hessel_Kunst_red

Facebook hat einen wirklich großen Vorteil: Hier bekomme ich auf dem Land Dinge mit, die in der Stadt so irgendwo am Rande stattfinden. An diesem Wochenende lief der KunstBasar, eine temporäre Guerilla-Kunstmesse, im schönen Wertheim-Altbau am Hansaring in Köln. Trash Treasure und Michael Staab, die ich bereits über eine temporäre Ausstellung im letzten Jahr kennengelernt habe, waren mit von der Partie. Ich war mir sicher, dass es wieder gute Dinge zu sehen geben würde.

Das Gebäude, ein großer Altbau mit hohen Decken und imposantem hölzernen Treppenaufgang, steht aktuell leer und wird in Kürze komplett renoviert. Kann der Bau brauchen, keine Frage. Vorher hat die Galeristin Mela Chu der Chu-Gallery die Gelegenheit genutzt, diese Ausstellung zu organisieren, was ihr hervorragend gelungen ist. Die Räume waren voller Kunst, Künstler/innen und Besucher/innen.

Also habe ich mich durch die fünf Stockwerke treiben lassen, habe Zeichnungen, Malerei, Objekte und eine Performance gesehen, die rund um einen Ficus Benjaminus rankte. Bestimmt eine Stunde lang sah und hörte ich Michael Staab zu, wie er mit den Mitteln der Kunst und “Kunstdünger” neues Leben in die fast blattlose Pflanze hauchte. Es war ein Kunstdiskurs, ein Fragenstellen zum Stand der Dinge. Oscar Wilde wurde dem Baum vorgelesen, vor ihm wurde in alten Ausstellungskatalogen geblättert (z.B. von der berühmten FLUXUS-Ausstellung, die damals polizeilich verboten wurde), er durfte Gitarrenklänge genießen, wurde mit einem Original Beuys-Werk konfrontiert und, und, und.

Irgendwo in einem Raum zur Straße traf ich auf die oben im Foto gezeigte Installation des Kölner Künstlers Sebastian Linnerz. Im Vordergrund hinterleuchtete Wörter, die sich zu dem Bibelsatz ABER SPRICH NUR EIN WORT SO WIRD MEINE SEELE GESUND fügten. Im Hintergrund eine Art Manifest, das Zeilen aus Stéphane Frédéric Hessels Werk “Empört Euch!” zitiert. Stéphane Hessel (* 20. Oktober 1917 in Berlin) war französischer Résistance-Kämpfer, Überlebender des Konzentrationslagers Buchenwald, Diplomat, Lyriker, Essayist und politischer Aktivist. Er ist erst kürzlich, am 27. Februar 2013, in Paris gestorben.

Für mich klangen die Zeilen wie aus den Seventies: “Das im Westen herrschende materialistische Maximierungsdenken… dass Ethik, Gerechtigkeit, nachhaltiges Gleichgewicht unsere Anliegen werden… friedlichen Aufstand gegen…”. “Empört Euch!” ist ein Bestseller, auf den sich die Occupy-Bewegung beruft. Da war doch was mit 99%.

Und so kam ich in diesen Raum, las diesen sanften Bibelsatz und dahinter das Zitat, das wie eines dieser Pamphlete von Peter Weiss oder den sozialistischen Hochschulgruppen meiner Studienzeit Ende der Achtziger klang. Es hat mich gefreut, politisch motivierte Kunst in diesem Rahmen und so kraftvoll inszeniert zu sehen. Ich habe mich mit Sebastian Linnerz unterhalten und er gab mir am Ende unseres Gespräches seine Karte. Er ist Grafiker, habe ich dann gesehen. Deshalb vielleicht diese ansprechende, harmonische Anordnung, die vielleicht nur auf mich so gewirkt hat, weil ich als Schreiber Worte schwarz auf weiß so sehr mag. Lesen. Botschaften.

Ich habe mich auf den Boden gesetzt, gegenüber der Installation, habe gelesen, fotografiert und wirken lassen. Es war wieder so ein temporäres Kunstwerk, das heute schon verschwunden ist, das ich aber gerne in einem Museum sehen würde, weil es Kraft und Aussage und Spannung und Schönheit hat. Das ist viel, finde ich. Für mich hat es zu den Werken gehört, die im Rahmen dieser Guerilla-Ausstellung besonders waren. Ein lebendiges Werk aus unserer Zeit, das alte Zeiten aufnimmt, das die Bibel sprechen lässt und die Occupy-Bewegung.

Wenn es schon nicht im Museum Ludwig aufgebaut ist oder wird, dann hat es jetzt zumindest einen Platz hier im fiftyfiftyblog und ich freue mich mal wieder, hier ein weiteres Kunstwerk für die Nachwelt hinterlegen zu können.