Skandal!
Könnte man meinen. Sex & Art. Wie? Wo? Was? Langsam. Fangen wir von vorne an. Aktuell stellt das Museum Ludwig Arbeiten von Andrea Fraser aus. Ihr wurde der Wolfgang-Hahn-Preis 2013 verliehen, den die Gesellschaft für Moderne Kunst am Kölner Museum Ludwig seit 1994 jährlich vergibt. Wer ihn bekommt, von dem wird Kunst im Wert von 100.000 € gekauft und dauerhaft im Museum Ludwig ausgestellt.
Nun war ich am letzten Wochenende im Museum Ludwig und bin, zugegeben, zufällig über die Ausstellung gestolpert. Das Museum ist seit vielen Jahren mein Lieblingsmuseum und ich komme immer wieder gerne und lasse mich überraschen. Spontan. Und was soll ich sagen? Also wirklich, mit Andrea Fraser ist das wirklich gelungen. Peng.
Mein erster Weg ist meistens die Treppe hinab ins Pop-Art-Verließ. Dort besuche ich meine Freunde Warhol, Rauschenberg, Johns & Co. Leider tut sich da wenig und der Raum hat Tendenzen der Verschmuddelung. Die Werke leiden unter einer verstaubten Atmosphäre – sie wirken ein wenig vergessen so hinten, unten in der Ecke und bräuchten dringend mehr Liebe und Aufmerksamkeit in Form einer Neuhängung und Neuinszenierung. Ein wenig Renovierung wäre auch nicht schlecht. Dieses Mal war meine Sehnsucht nach Frische frappant. Das aber nur so nebenbei. Was mir hier dieses Mal am besten gefallen hatte war eine Besucherin, die ein Zahnbürste in ihrer Levis trug. Eine schöne Geschichte, die da erzählt wird. Fragen, die aufgeworfen werden. Wer? Wo? Was?
Raus aus der Pop-Art, rein in die Fraser Ausstellung im Keller gegenüber. Vor der Ausstellung fette Schilder “Fotografieren verboten” in Form einer fett und rot durchgestrichenen Kamera. Ich packe meine Nikon weg. Vor der Ausstellung ein Wachmann mit Walky-Talky. Raumgreifend. Und prompt kommt die Meldung über Funk, dass da jemand trotz Verbot in der Ausstellung den Auslöser gedrückt hat. Eine Stimme aus dem OFF. Die ganze Ausstellung ist mit Kameras überwacht und eine Frau gibt Anweisungen, wer zur Rechenschaft gezogen werden muss. Big Sister is watching you. Ich bekomme das auch noch zu spüren, weil ich mich in einem Raum hingesetzt und an die Wand gelehnt habe, um einem Video zuzusehen. Da hörte ich schon aus dem Nachbarraum das Walky-Talky und wusste, dass ich jetzt dran bin. Es herrscht ein rauher, lauter Ton im Museum Ludwig. Immer wieder kam jemand, um zu schauen, ob ich auch wirklich meine Kamera in der Tasche lasse. Mann! Die Kunst zerrt an den Grenzen der Bürgerlichkeit, versucht zu weiten – die Zuschauer/innen sind den Gesetzen der Ordnung durch einen privaten Wachdienst mit einer gewissen raumgreifenden Funkkommunikations-Aufgeregtheit unterworfen. Auch das war kein schönes Gefühl. Wobei ich sagen muss, dass es im restlichen Haus wesentlich entspannter war.
Da war doch was? Ich wollte über Andrea Fraser schreiben. Nicht so einfach, wenn man sich in einem solchen Museum bewegt, das so lebendig im positiven Sinne ist. Ich, wir traten also ein in die Welt der Videos und Performances der Andrea Fraser. Sie ist so alt wie ich. Ist also 1965 geboren, in den USA/ Montana. Heute lebt sie in New York und denkt intensiv über Kunst und Gesellschaft nach. Ein altes Thema. Goethes Torquato Tasso. Wie käuflich ist die Kunst? Andrea Fraser sitzt hier in der Zwickmühle. Sie ist Künstlerin. Sie lebt vom Kunstmarkt. Sie braucht Mäzene. Sammler. Museen.
Die Kunstszene ist ein Kunstmarkt. Deshalb kam es nicht schlecht, die Fraser-Ausstellung während der ART COLOGNE zu eröffnen. Money. Makes the art go round. Ich erinnere mich an einen Blick ins Foyer der Deutschen Bank-Zenrale im finance district in London im letzten Jahr. Riesige Werke hingen dort. Ein Museum hinter verschlossenen Geldtüren. Und: Investments. Geldanlagen. Wer Kunst und Künstler macht, hat irrsinnige Rendite. Für 5.000 kaufen, pushen und ZACK, BENG, BUMM ist das Bild 100.000 oder eine Millionen wert. Das sind in Prozent…
Rund um diesen ganzen Kunstmarkt laufen die Vernissagen, Ansprachen, Reden der Kunstkritiker… Die allgemeine Kakophonie des Kunstblablas nimmt Fraser auf. Sie hat zugehört in der Vergangenheit. Hat Reden, Ansprachen, Einführungen aufgenommen und verarbeitet. So tritt sie beim Hamburger Kunstverein auf im Jahr 2003. Hält eine Eröffnungsrede, in der sie verschiedene Posen und Positionen einnimmt: “Official Welcome”. Sie redet, gestikuliert, ändert den Tonfall, sie weint, zieht sich aus, stellt sich nackt vor das Publikum und redet weiter – über Kunst. Nicht in ihren Worten, in den Worten, die immer wieder fallen. Sie zeigt WIE MAN ÜBER KUNST SPRICHT. Phrasen. Nervtötendes Geplapper. Phonetische Abziehbilder. Automaten-Ansprachen.
Beeindruckend. Weil sie weiß, was sie macht. Weil sie konsequent ist. Und weil sie es kann. Sie schlüpft als Schauspielerin in die Rollen. Wechselt die Perspektiven vom einen auf den anderen Augenblick.
Tja, und dann kommt “Untitled”. Auch aus dem Jahr 2003. Ein Video, das im Museum Ludwig in einem großen, weißen Raum gezeigt wird. Dort steht ein kleiner Fernseher. Was ist zu sehen? Wie Andrea Fraser in einem Hotelzimmer mit einem Sammler schläft. Eine Frau im roten Kleid, ein Mann, der Sammler und Teil dieses Projektes ist. 60 Minuten. Komplett durchgezogen. Wir setzen uns auf den Boden und an die Wand, um uns das anzusehen, als wir auch schon vertrieben werden. Mental. WACHDIENST. Sie hatte gerade ihren Slip ausgezogen. Wir wussten ja, was kommt. Egal.
Diese “Performance” war ein Projekt, bei dem fünf DVDs entstanden sind. Andrea Fraser hatte den “Sex mit einem Sammler in einem Hotelzimmer” für den Kauf eines Videomittschnitts auf einer DVD über einen Galeristen angeboten. Tatsächlich fand sich ein Sammler, der mitspielte. Und mit ihr vor laufender Kamera schlief.
2003 war das ein Skandal und selbst die New York Times ist über Andrea Fraser hergefallen und hat sie verurteilt.
Was hat sie getan? Eine Prostitutionsszene nachgespielt. Mann mit Geld trifft auf weiblichen Körper, der in diesem Fall eine Künstlerin ist, die sich mit Mechanismen des Kunstmarktes auseinandersetzt. Konsequent. In einem Artikel, der 2009 veröffentlicht wurde, schreibt sie über die Hintergründe. In ANDREA FRASER SCHREIBT ÜBER PROSTITUTION und das Video “Untitled” erläutert sie: “In meinem Video „Untitled“ (2003) bin ich beim Sex mit einem Kunstsammler in einem Hotelzimmer zu sehen. Der Ausgangspunkt der Arbeit ist die Metapher der Prostitution, wie sie sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hat, als Baudelaire seine berühmte Gleichung formulierte: „Was ist Kunst? Prostitution.“ Man benutzt den Begriff „Prostitution“ heute häufig, wenn man beschreiben will, wie sich in einer kapitalistischen Gesellschaft alle zwischenmenschlichen Beziehungen, sogar die allerintimsten, auf ein ökonomisches Verhältnis reduzieren lassen.”
Das ist im Museum Ludwig zu sehen. Eine richtig gut gemachte Ausstellung, die fesselt. Ein wirklich intimer Raum, in dem der Wachdienst fast schon wie inszeniert wirkt. Man wird nicht in Ruhe gelassen, kann Kunst nicht einfach konsumieren. Das geht tiefer, trägt nach, beschäftigt weiter. Mich jetzt schon seit letztem Sonntag. Ein gutes Zeichen, dass da etwas zu sehen ist, was Inhalt hat.
Ich danke dem Museum Ludwig für die Bereitstellung der Fotos, die Inszenierung dieser Ausstellung und überhaupt für all die wunderbaren Werke, die es dort zu sehen gibt. Thanx:)
Hallo Jens,
den rauhen Ton im Ludwig Museum kennen wir. Wir waren mit den Kindern in der Hockney Ausstellung und obwohl die Kinder (manchmal freiwillig, meistens aber unfreiwillig und nur durch das Mittel der Bestechung) uns schon in zahlreiche Museen und Ausstellungen begleitet haben und eigentlich wissen, dass sie die Kunst nicht anfassen dürfen, tun sie es trotzdem immer wieder. Unser Teenie findet sogar Gefallen an dem rauhen Ton, das bietet ihr wenigstens einen gewissen Unterhaltungswert. Ich habe noch nie etwas von Andrea Fraser gehört. Sich beim Sex filmen zu lassen ist schon heftig, oder? Ich könnte es mit Sicherheit nicht. Aber sie hat recht. Was ist denn Damien Hirst zum Beispiel? Ein Künstler? Damien Hirst ist eine Ware, ein Produkt und er verkauft sich ausgezeichnet, weil er die Kunst der Vermarktung ausgezeichnet beherrscht. Wenigstens ist diese Fraser Frau ehrlich und konsequent und ungeheuer mutig.
LG Nicola
Hallo Nicole,
meine Kinder waren mal mit mir im Museum Ludwig, aber das ist schon einige Zeit her. Jetzt sind sie 14 und 16 und haben andere Ideen. Das muss schon ein vielversprechendes Kunst-Highlight mit Actioncharakter sein. Wie kürzlich die gemeinsame Fahrt nach Oberhausen zu Christo.
Bei meinem Besuch letzte Woche im Museum Ludwig war der Wachdienst fast schon penetrant. In der Fraser Ausstellung ist ein Wachmann gleich mehrmals reingekommen, um nachzusehen. Das hat schon ziemlich gestört. Dazu das laute Reden in die Funkgeräte, als wären Terroristen im Haus. Und das lenken der Wachen über die Stimme aus dem OFF. Die Frau an den Kameras. Und das Hinstellen müssen. Das hat mich an Ost-Berlin erinnert, wo ich mich beim Warten im Restaurant auch nicht an eine Wand anlehnen durfte. Das war schon skurril.
Klar, die müssen schauen, dass da niemand Mist baut. Keine Frage, dafür sind die Dinge zu wertvoll. Aber letzten Endes ist es doch eine Stilfrage. Am letzten Wochenende war das unterirdisch.
Kunst. Sex. Sex. Kunst. Gehört zusammen. Andrea Fraser hat das in dem Artikel, der im Beitrag zitiert ist, schön erläutert. Für sie war es ein gemeinsames Projekt mit dem Sammler. Da man hier zwei Menschen beim Sex zuschaut, kommt da natürlich das Pornografische ins Spiel. Ich fand es spannend zu schauen, wie die anderen Besucher/innen auf den Film reagieren. Das hätte ich gerne gefilmt. Im Grunde wurde aus dem Museumsraum eine Beate-Uhse-Video-Sex-Kabine. Nur das Publikum hatte ein anderes Selbstverständnis. Wir sehen einen Kunstakt zu. Sex mit anderem Vorzeichen. Ohne Ton. Umetikettiert.
Gute Kunst geht gerne einen Schritt weiter und verletzt Grenzen. Andrea Fraser zieht das durch. Ich bin jetzt Fan von ihr.
Liebe Grüße
Jens
Lieber Jens,
danke für den Tipp Andrea Frazer. Sehr ehrlich die Dame und sie hat Recht.
Was den Kunstbewachungsbetrieb angeht, kenne ich das gut von der Pinakothek der Moderne/ Hypokulturstiftung etc. … zu nah ans Bild piepst es los und die Wärter kommen angerannt. Es ist total nervig, und das Gedöns bei den Preisen (10€) happig, happig. Mir verdirbt es die Lust ins Museum zu gehen. Vielleicht ist das ja auch ein Zeichen, dass das Ganze immer hysterischer wird weil so viel Geld damit gemacht wird. Trotzdem, ganz nach Valentin: Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit und z. Zt. viiiiiel G….! ;-)
LG, Danièle
Hi Danièle,
gerne geschehen. Ich freu mich ja immer, wenn ich für mich solche Künstler/innen entdecke. Immer wieder neue Ideen, neue Aspekte.
Ich glaube mit dem Sicherheitspersonal das ist einfach eine Sache der Kosten. Outsourcing. Übertragen auf einen privaten Dienstleister. ich habe im Studium mal eine Nacht für genau diese Security-Firma gearbeitet. Denen ist es egal, ob die Kunst oder Fabriken oder Partys oder sonst was bewachen. Da fehlt dann scheinbar manchmal einwenig Fingerspitzengefühl für den Augenblick.
Vielleicht sollte da mal jemand mit dem Wachteam sprechen und versuchen, für die Aufgabe zu sensibilisieren…
Liebe Grüße
Jens