99 %

Eine Zahl, ein Zeichen. Formiert sich eine Bewegung? Die Menschen in Amerika haben den Anfang gemacht. Occupy the Wall Street. 1999 war ich dort, bin die Straße entlang gegangen. Die amerikanischen Stars & Stripes glänzten in der Aprilsonne. Frühling an der Wall Street. Noch alles in Ordnung.

Vorher war ich das erste Mal in meinem Leben in einem Starbucks und konnte es nicht fassen. Eine riesige Kaffeeauswahl. Ledersessel. Zeitungen. Ich saß mit einem Obdachlosen und einem Banker an einem Tisch. Die Schuhe des Mannes im Anzug hatten sicherlich so viele Dollars gekostet, wie… Die beiden saßen in Eintracht da. Lasen beide die Zeitung. New York Times und Wall-Street-Journal. Wer was, könnt ihr euch denken. Der eine hatte Plastiktüten, der andere eine flache Aktentasche. Mein Blick wanderte hin und her und konnte es nicht fassen. Ein Tisch, zwei Welten. Erde und Mars. In Harmonie oder in unüberbrückbarem Desinteresse erstarrt? Keine Ahnung.

Seither ist viel passiert. Viel Starbucks-Kaffee ist die Kehlen der Amerikaner in New York und überall im Land hinuntergeflossen. Türme sind gefallen, Industriezweige gestorben, Blasen geplatzt. Zum Beispiel die Erwartungsblase Obama. Friedensnobelpreis. Bush ist gegangen und in das Vakuum seiner aggressiven Position ist die Tea-Party getreten. Sarah Palin. Wohin gehst du, Amerika?

Viele Menschen in Amerika gehen in die Armut. Weil der Hypotheken-Deal geplatzt ist, mussten viele ihre Häuser verkaufen. Wurden die Häuser von vielen verkauft. Die Arbeitslosigkeit ist so hoch wie nie. Das Land tritt auf der Stelle und immer mehr Menschen der Unterschicht, der unteren Mittelschicht, der Mittelschicht fühlen sich verschaukelt. Amerika kann seinen Traum kaum mehr stemmen. Der Preis des Anti-Terror-Kampfes an den Fronten Afghanistans und des Iraks sind hoch.

Wir sind 99 %. Skandieren sie. 1 % sind die Reichen des Landes, die mit ihrem Geld und ihren Lobbyisten die Politik bestimmen. Es scheint, als wäre alles gekauft. Als würde nichts gehen, was den Menschen hilft. Krankenversicherung. Obamas Ziele eines gerechteren Amerikas? Verdampfen in den Streitigkeiten mit den Republikanern. Graue Haare hat er bekommen, der Präsident. Ergraut über Nacht.

Am Samstag ist die Bewegung zaghaft nach Europa, nach Deutschland übergesprungen. Camps in Berlin, Frankfurt, Hamburg… Vor den Banken. Und nun? Was soll geschehen? Die Banken sollen zahlen, aufkommen für den Schaden, den sie in den letzten Jahren angerichtet haben. Es soll Gerechtigkeit einziehen. Die Politik ist aufgesprungen auf den Zug. Zerschlagung von Banken wird gefordert, die Einführung einer Transaktionssteuer. Klingt gut.

Nur: Bringt das was? Ich habe den Durchblick total verloren. Und ich glaube, alle haben das. Wer weiß denn jetzt noch, an welchem Hebel gezogen werden muss und was was bringt? Deshalb freue ich mich über die 99 %. Die geben mir das Gefühl, das jetzt frischer Wind in die Diskussion kommt. Das Zeichen am Himmel: Dieses Finanzsystem macht die Menschen weltweit unglücklich, weil es uns von einer Krise in die andere schubst. Weil es Arbeit gibt, dann nicht, dann Kurzarbeit, dann ist kein Geld für dieses da, dann für jenes. Dann geht es hoch, dann liegt es am Boden zerstört da. Löcher werden gestopft, Auffangbehälter hingestellt, es wird dort ein Flicken aufgeklebt, hier eine Schnur gespannt, um irgendetwas festzuzurren. Lecks, verschwundenes Geld, falsche Entscheidungen, merkwürdige Finanzprodukte, Rettungsschirme regnen vom Himmel.

Ich denke, es müssten mehr Menschen auf die Straße gehen, um für Bewegung zu sorgen. Um zu zeigen, dass dieses Herumgeschubse der Menschen so nicht sein kann. Soziale Marktwirtschaft erlaubt kein Verhältnis von 99 % zu 1 %. Das funktioniert nicht. Das beschädigt Demokratie. Es ist an der Zeit, wieder über Gesellschaft zu sprechen. Über Möglichkeiten. Zu diskutieren. Darüber, was wir wollen und wo wir hin wollen. Grundlegend, über Finanzkrisenlösungsgespräche hinaus. Die 99 % Bewegung ist ein sehr guter Anfang…

1LIVE zockt Battlefield 3 live…

Also. Ich meine. Mir fehlen die Worte. Kennt ihr Battlefield? Battlefield 3? Das ist ein Videospiel bzw. eine ganze Serie von Videospielen. Kriegsspielen. Teils sind sie als Ego-Shooter angelegt, teils als Third-Person-Shooter. Also man schießt entweder selbst auf andere (aus eigener Perspektive) oder lässt andere auf andere schießen. Wer sich per Google über das Spiel informieren möchte, findet seitenweise nur die Werbepages. Irgendwann kommt Wikipedia auf Seite 3.

Weshalb nun fehlen mir die Worte? Nun: Dieses Kriegsgame hat eine Altersfreigabe ab 18 (USK 18). Nun scheint das das Spiel der Spiele zu sein, was realistische Darstellung angeht und es wird als Blockbuster unter den Games gehandelt. Ganz große Nummer. Und weil das nun so aufregend zu sein scheint, hat 1LIVE – der WDR-Sender für das jüngere Publikum – das Teil heute vorgestellt. Da kommt dann der Gameexperte ins Studio und schwärmt. Die Moderatoren – in diesem Fall Terhoeven und Dietz (so nennen die sich, ohne Vornamen) – dürfen dann mal eine Runde spielen. Battlefiled 3 live so kurz vor 15 Uhr. Also nach der Schule.

Super. Ich meine, da versucht man, seine Kinder von solchen Kriegsspielen fern zu halten, und 1LIVE promotet die völlig schmerzfrei. Die Jungs im Studio haben Spaß. Richtig Spaß. Da wird Krieg in Paris gezockt. „Noch steht alles, das sieht in ein paar Minuten anders aus. Ah, jetzt hat’s dich erwischt…“ Super. Man kann Panzer fahren, mit dem Fallschirm springen und was weiß ich nicht alles.

Alles total easy. Kein Problem. Der Krieg wird ja nur gespielt. Das kann doch nicht sein, oder? Ist doch klar, dass die Kids, die das hören, sofort losspielen wollen. Wenn die Jungs im Radio schon so’n Spaß haben, dann scheint das doch absolut p.c. zu sein. Kein Problem. Schön rumballern. Ist heute einfach so. Aber im Nachmittagsprogramm? Kriegsspiele ab 18? In einem öffentlich rechtlichen Sender? Hey! Vielleicht mal nachdenken? Kriegsspielsehnsüchte bei Kindern wecken? Ist doch so schon schwierig genug, dieses Zeugs draußen zu halten. Ist das wirklich verbreitungswert? Da muss doch 1LIVE nicht noch Werbung machen. In der Freizeit Töten spielen als Kult. Verstehe ich die Welt nicht mehr? Bin ich jetzt total von gestern? Gibt es kein Halten mehr?

Jim kam nach Hause und wusste von den andern aus der Klasse schon, dass Battlefield 3 rauskommt. Die freuen sich schon alle auf das „Release“. Die sind 14. Wozu dann eigentlich noch die USK 18 Angabe, wenn das eh keinen interessiert? Bin ich der Einzige, der das voll superdoof findet? Der der Meinung ist, Kriegsspiele sollten nicht im Nachmittagsprogramm fett promotet werden? Also echt. Kann mir irgendjemand erklären, was für einen Sinn und Zweck das hat? Was denkt sich der WDR? Was denkt 1LIVE? Was denken Terhoeven und Dietz? Hauptsache, es macht Spaß? Prädikat „Pädagogisch wertvoll“ ist nur was für Weicheier, oder was?

Ich versuche die ganze Zeit, die 1LIVE-Servicenummer 0221/56789111 anzurufen und mal nachzufragen. Besetzt. Ah!

Die Zwänge der Deutschen…

… der Niederländer. Der Amerikaner. Jan Brandt. Gegen die Welt. Meine momentane Bettlektüre nach langen Tagen. Vorher waren es Marten ‚t Hart und Jonathan Franzen. Jan Brandt, Deutschland, geboren 1974. Jugend in den Achtzigern. In Ostfriesland. Leer, Aurich. Provinz.

Ist das ein Makel der deutschen Literatur? Dieses oftmals Kleinstädtische. Enge. Gegen die Welt überrascht mich gerade. Das Buch berührt mich, piekst mich an, erzählt mir etwas, hat eine Stimme, die zu mir spricht. Wieso schafft Brandt das, was vor ihm viele versucht haben? Weshalb gelingt es ihm , die Zwänge, in denen sich seine Protagonisten bewegen, so sichtbar zu machen. Weil ich auch in den Achtzigern aufgewachsen bin, so wie die Jungs um Daniel Kuper? Weil ich weiß, was eine Herkules Prima 5S ist und welchen Stellenwert sie hatte?

Oder weil ich in meinem Leben durch die Provinz getingelt bin und die von Brandt beschriebene Atmosphäre einer verklemmten Westernstadt so gut kenne? Dawson City – Jericho, Ostfriesland. Ich könnte im Quartettspiel der Provinzilität mit Ortsnamen aus dem Emsland, dem Münsterland, der Eifel, dem Westerwald, dem Oberbergischen kontern. Stich.

Lese ich ‚t Hart oder Franzen, lächle ich. Diese Niederländer in ihrem verklemmten Glauben. In ihrer spröden Christlichkeit, in ihrem Bibelstellenverharren. Diese Amerikaner. So liberal, so freigeistig, so locker, so cool. Tolle Namen. Allein: Sie dürfen New York schreiben und damit eine Stadt im eigenen Land meinen. Ganz easy. Keine metapher, kein übergroßes Konstrukt. Eine Stadt, in der Freunde oder Verwandte leben. Ich könnte dem Koblenz entgegenstellen oder Detmold. Wenn ich Franzens Figuren zuschaue, wie sie sich in ihrer eigenen Engstirnigkeit verheddern und dabei ihre Freiheit wie eine Kopfschmerztablette im Aquarium eines Glases Wasser auflösen, dann kann ich nur lächeln. Ein wenig mitleidig überheblich. Siehste, die haben’s auch nicht leicht. Trotz Vegas, Kalifornien, leben auf dem Sunset Boulevard. Glamour, Psychoanalyse inklusive.

Nun ist da dieser Herr Brandt, der den Weg aus dem Ostfriesland der Siebziger und Achtziger bis nach Berlin geschafft hat, wo man leben muss, um den Abstand zu haben und den Mikroskopieblick auf die Vergangenheit zu richten. Die Vergangenheit eines Volkes. Des deutschen Volkes, dass sich marschieren ließ, einst, und das nach der x-ten Aufklärung dann in den Sechzigern begann, sich selbst zu sezieren, um dann trotzdem in den alten Mustern weiterzumachen? Weshalb kommt mir diese Jan Brandt Welt der Achtziger so vor, als habe sich nichts getan? Weshalb ist dieser Ort Jericho so zeitlos? Haben wir in den letzten 40 Jahren wirklich irgendetwas von unseren Zwängen über Bord geworfen? Stehen wir heute mit unserem wahren inneren Kern an einer anderen Stelle?

Ich freue mich so über dieses Buch gegen die Welt, weil es groß ist. Weil es mit ganz eigenen Mitteln Verklemmtheit zeigt. Manchmal schaue ich auf meine Tastatur und sehe die 26 Buchstaben plus Hilfstasten. In diesen Tasten steckte gegen die Welt und Jan Brandt hat die Geschichte dort heraus gehoben. In einer Zeit, in der sich alles auf das Materielle stürzt. Die Dollars, die Euros, die Maschinen zur Bewahrung der Umwelt, die Technologien zum Kampf gegen alles. In dieser Zeit ist ein solches Buch doppelt viel wert, weil es den Menschen in den Mittelpunkt rückt und uns eindringliche Fragen stellt. Wie seid ihr unterwegs? Was macht ihr aus dem, was ihr habt? Wie menschlich seid ihr?

Keine politischen Fragen, keine Problemlösungsansätze. Eine Auseinandersetzung, die Worte in den Mittelpunkt rückt, die fragen: Was machen wir hier eigentlich Tag für Tag? Sich damit auseinanderzusetzen wäre parallel zu allem technologischen und ökonomischem Fortschritt sicherlich eine wichtige Säule für den Ausgang des Menschen in diesem Land aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Ich bin gespannt, wie das Buch weitergeht. Momentan fahre ich mit Jan Brandt Bahn – Richtung gegen die Welt:)

Jean Paul Sartre: Der Mensch ist zur Freiheit verdammt.

Punkt. Doppelte Unterstreichung. Wir befinden uns mitten im Philosophieunterricht der neunten Klasse meines Sohnes Jim. Gestern holte ich ihn nach dem Gitarrenunterricht – den er wegen eines Spaziergangs mit einer Freundin und ihres Hundes verpasst hatte – von der Schule ab. Wir beiden neigen dann dazu, zu diskutieren. Letzte Woche hatte er mir eine Predigt gehalten, weil ich über einen Autofahrer geschimpft hatte, der auf der Autobahn schon in der Auffahrt gedrängelt hatte. „Papa, du machst es nur schlimmer. Du setzt nur Aggressionen in die Welt.“ Danke.

Nun also der Satz von Jean Paul Sartre, der als Symbol des Existenzialismusses in die Geschichtsbücher eingegangen ist: „Der Mensch ist zur Freiheit verdammt.“ Jim ist jetzt in der neunten Klasse, wird bald 15. Nach antroposophischer Denkart hat sein drittes Lebens-Jahrsiebt begonnen und damit die Phase der Ich-Ausrichtung. Wer bin ich? Was will ich? Er ist jetzt kein Kind mehr, sie sind keine Kinder mehr. Junge Frauen und junge Männer mit zunehmend eigener Weltsicht. Deshalb haben sie nun auch keinen Klassenlehrer mehr, sondern einen Betreuungslehrer und eine Betreuungslehrerin. Neues Personal. Und jetzt geht es plötzlich ans Eingemachte. Jim fliegt die Welt um die Ohren. Dauernd so Fragen, die im Raum stehen, die aus dem Hintergrund kommen: Wer sind wir? Woher kommen wir? Kunstgeschichte: In einer der ersten Stunden haben sie Höhlenmalerei betrieben. Mit selbst hergestellten Farben auf Tonflächen gemalt. Lascaux. Die Anfänge. Nachfühlbar. Wie haben die Höhlenmenschen gedacht, weshalb haben sie gemalt? Was wollten sie ausdrücken? Jetzt sind sie über Ägypten in Griechenland gelandet. Ontogenese und Phylogenese – die Entwicklung des einzelnen Menschen enthalten in der Entwicklung der gesamten Menschheit.

Wir saßen im Auto und er sagte mir, dass es um Entscheidungen gehen würde. Wir hätten im Grunde nicht die Freiheit zu entscheiden, wir müssten entscheiden. In jeder Sekunde. Stehe ich auf? Bleibe ich liegen? Nehme ich den Zug? Lasse ich ihn fahren? Existenzialismus. Entscheiden wir nicht, wird für uns entschieden. Kant: „Der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“ Mein Innerstes wehrte sich, empfand es als unschön, vielleicht unromantisch, die Freiheit über einen Entscheidungszwang zu definieren. Jim ließ nicht los. Ich wollte in eine andere Richtung. Ins Politische. Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden, sich zu äußern.“

Jim ließ sich nicht drauf ein. Blieb bei Sartre und dem Satz. Recht hatte er. Denn: Die Message ist so zentral. Wir entscheiden! Aktiv. Kein Passiv. Nicht: Ich werde gegangen, sondern ich gehe. Das macht Jim gerade. Er geht. In sein Leben. Gestaltet sein Denken, entwickelt seine Ansichten, sein Fundament, seine Individualität. Entscheidet, was er mit seinem Leben anfangen möchte. Schritt für Schritt. Er leuchtet. Ist von diesen Ideen fasziniert, energetisiert. Wir bogen von der Landstraße ab in Richtung unseres Dorfes. Ich neckte ihn: Wir können nun entscheiden – geradeaus den verbotenen Weg hoch, rechts um die Kurve die erlaubte Strecke oder runter ins Nachbardorf zum Bäcker. Er lächelte und sagte: Tja, da sind wir wohl zur Freiheit verdammt. Also nehmen wir den Bäcker. Ich glaube, der Junge hat den Existenzialismus schon verinnerlicht.

P.S. Beim Bäcker stand unser anderes Auto und Ela und Zoe kamen raus. Sie hatten Brot für das Abendessen gekauft. Und Kuchen! Nur für sich! Erwischt! Jim und ich wollten selbstverständlich Teilchen für alle kaufen. Ela und Zoe meinten, das wäre ja nur für unterwegs gewesen. So! Die Bäckersfrau fragte dann, als Jim und ich reinkamen, ob wir jetzt getrennt einkaufen würden – wir mussten dann petzen, dass die Mädels uns schlicht vergessen haben, weshalb wir das eben selbst in die Hand nehmen mussten. Zwei fette Teilchen. Jim hat Kakao gemacht, Teller hingestellt. Wir saßen am Tisch, aßen Kuchen und sprachen über die Freiheit… Jean-Jacques Rousseau: „Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will.“

Möchtet ihr in das Thema weiter eintauchen, findet ihr hierf Infos: Sartre und Rosa Luxemburg.

P.S.

Das berühmte Zitat von Jean-Paul Sartre lautet im Deutschen korrekt:
„Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt.“
Im französischen Original heißt es:
„L’homme est condamné à être libre.“

Die wörtliche Übersetzung des französischen Originals ins Deutsche wäre tatsächlich „verurteilt“ und nicht „verdammt“. Das Verb „condamner“ bedeutet im Französischen „verurteilen“. Daher ist die korrekte deutsche Übersetzung „zur Freiheit verurteilt“.
Dieses Zitat stammt aus Sartres Werk „L’existentialisme est un humanisme“ (Der Existentialismus ist ein Humanismus) von 1946. Es bringt einen zentralen Gedanken von Sartres Existenzphilosophie zum Ausdruck: Der Mensch ist frei, aber diese Freiheit ist zugleich eine Last, der er sich nicht entziehen kann. Er ist gezwungen, ständig Entscheidungen zu treffen und die Verantwortung dafür zu übernehmen.

Obwohl manchmal auch die Variante „zur Freiheit verdammt“ zu finden ist, ist dies keine exakte Übersetzung des Originals. Die korrekte und gebräuchlichere Formulierung im Deutschen ist „zur Freiheit verurteilt“.

Ich habe mich entschieden, meinen „Fehler“ beizubehalten, weil der Blogartikel das seinerzeit so verfasst hat und ich gerne zu meinen Fehlern stehe. Andererseits gefällt mir verdammt besser, weil so die Konnotation in Richtung Schicksal geht, nicht Richtung Strafe. Da dieser kleine Blog keinen Einfluss auf Forschung und Historie hat, erlaube ich mir diese „Ungenauigkeit“.

Lieber Ingvar Kamprad, lieber Götz Werner…

…ich kenne euch beiden nicht, kaufe aber regelmäßig bei euch ein. Ich weiß, dass ihr regelmäßig durch die Presse geht. Mal mit Vorwürfen konfrontiert seid, mal mit Lob. Was mich heute betrifft, habe ich nur einen ganz, ganz kleinen Einwand. Macht, was ihr macht, denn das scheint ihr ja unternehmerisch gut bzw. erfolgreich zu machen, aber lernt bitte in einem Punkt. Einem wunden Punkt.

Kehrt bei euren Teelichtern zu alter Stärke zurück! Ingvar, ich sage mal du, weil du mich in deinen Häsuern auch duzt, Götz Werner: Verspielt nicht euren Ruf durch das Einsparen weniger Cent. Als Mann und Mensch in mittleren Jahren sind eure Läden und Produkte Teil meiner Geschichte, meines Lebens. Götz Werner, Sie habe ich sogar einmal live in unserer Schule erlebt, als Sie über das bedingungslose Grundeinkommen sprachen. Das hat mir gut gefallen. Und das dm-Konzept und all die schönen Sachen von IKEA mag ich auch sehr. Davon findet sich viel in unserem Haus und wir kommen auch immer gerne, um bei dir Ingvar zu essen und mit unseren Family-Cards von dir zu einem Cappuccino im Restaurant eingeladen zu werden.

Nur die Teelichter, die habt ihr in letzter Zeit versemmelt. Also wirklich. Weshalb? Weil ihr nicht nachgedacht habt? Kann natürlich mal passieren, zwischen Anzeigen-Wirrwarr, Nazibeschuldigungen, Gerüchten, Arbeit, Stress. Habe ich Verständnis für, dennoch möchte ich euch kurz darlegen, wie das bei mir ankommt. Darf ich? Ich hole kurz aus. Ich meditiere aus verschiedensten Gründen. Ich habe einen Buddha, sehr beeindruckend, vor dem drei Teelichter stehen. Die strahlen den so schön an. Die kleinen Glaskerzenständer – sehr gelungen mit optimistischem Grün innen im Glasteil – sind von dm. Als ich vor Jahren mit diesem morgendlichen Ritual begann, versuchten IKEA Teelichter meine Erleuchtung zu beschleunigen. Das funktionierte gut. Zumindest äußerlich. Ich saß in schönem warmen Licht und fühlte mich gut. Die hatten einen tollen Romantikfaktor.

Dann wurde die Zusammensetzung geändert. Ingvar!!! Never change a winning Team. Weißte doch, menno. Die brannten nicht mehr so leuchtend warm und ein Großteil des Wachses blieb im Alubecherchen. „Wer hat da Wachs in meinem Becherchen vergessen?“ Das hat unsere Beziehung, also meine zu dir Ingvar, verändert. Ich meine, du warst in Deutschland der Kerzenschein-aus-Teelichtern-Pionier, der Versorger aller Links-Intelektuellen, die nur wegen der Teelichter kamen und mit ganzen Inneneinrichtungen in Ihrem Volvo Kombi nach Hause fuhren. Und dann das… Verrat an einer kompletten Bewegung. Ja – Generation!!! Ach was, zwei, drei Generationen. Musste das wirklich sein?

Gut. Ich habe dir den Teelicht-Rücken zugewandt und bin zu Götz Werner rüber in den dm. Ah, oh, dieses Licht. Wunder-, wunder-, wunderbar. Doch nun. Plötzlich. Im letzten Beutel der Wandel. Der Absturz, das Ausblasen des Heiligenscheins. Nun sind die Becherchen deutlich niedriger und auch hier verbrennt jetzt nicht mehr alles. Vor lauter Teelicht wechseln komme ich kaum noch zum entspannten Meditieren. HERR WERNER??? Bitte. Muss doch nicht. Ich meine, man schaut beim Kauf darauf, wie viel drin sind. 100, 200. Wenn die aber deutlich kleiner werden und dann auch noch nicht mehr restlich abfackeln, dann ist das… Ja, also wirklich.

Jetzt suche ich nach einem neuen Teelicht-Lieferanten, weil ihr beiden das tatsächlich verirrlichtet habt. Einfach so mit Emotionen gespielt, mit dem Feuer, weil euch irgendwelche Controller gesagt haben, das bringe so und soviel im Jahr. Dieses Controlling. Diese volle Kostenkontrolle stürzt uns noch in die Belanglosigkeit des Seins. Wie kann man Kerzenschein in Cent aufwiegen? Wenn man einen guten Ruf zu verlieren hat?

Ich bitte euch, lieber Ingvar, lieber Götz Werner – geht in euch. Fühlt die Wurzeln eurer Menschlichkeit, die Verantwortung eures Unternehmertums und bringt die guten, funktionierenden Teelichter zurück. Das dürfte doch nicht so schwer sein!!! Danke, euer Jens.