Es ist nie zu spät für eine schöne Zukunft!

Ihr kennt vielleicht das Buch Kribbeln im Kopf. Kreativität lernen, Methoden, kreativ zu sein. Dinge, die Kreativität in unserem Kopf auslösen. Ich habe gerade kein Kribbeln im Kopf, sondern ein Brabbeln. Da läuft eine Kakophonie. Darin gehe ich nicht unter, weil ich einen Schritt zurückgetreten bin und eher versuche, unbeteiligt zuzuhören. Was geschieht da?

Nun, ich denke, da laufen Reparaturmechanismen. Was ist gerade geschehen? Man könnte sagen, mein Leben ist wie ein tönerner Krug zu Boden gefallen und nun liegen dort die einzelnen Schnipsel meines Lebens. Teils in tausend und mehr Teile zersprungen, teils noch in großen Stücken da.

Ich beschäftige mich gerade viel mit dem Ich. Klar, ein Rettungsanker, eine Verzweiflungstat, eine Flucht. Könnte man sagen, annehmen. Egal. Dieser Augenblick meines Lebens, in dem ich nahezu gleichzeitig meinen Vater und meine Frau als Frau verloren habe, ist extrem aufschlussreich. Solche Situationen sind aus meiner Erfahrung heraus selten. Nun liegt da dieser Tontopf und eigentlich müsste ich jammern. Müsste mich danach sehnen, dass er wieder heil ist. Dass alles wieder so ist wie vorher.

Aber: Das tue ich nicht. Weil dieser Tontopf wie alles andere auch eine Illusion ist. Bitte köpft mich jetzt nicht, weil ich hier mal gerade alles in Frage stelle. Ich weiß, dass das ein unangenehmes Gefühl ist. Letztlich gilt, auch wenn ich das noch nicht letztlich und abschließend umsetzen kann, unser ICH ist eine Illusion. Eine Ich-Illusion. Wir glauben, ich glaube (immer weniger), dass die Dinge so sind, wie wir denken, wie wir sie sehen. Das ist letztlich ein Trugbild.

Unsere festesten Überzeugungen sind letztlich nicht fest. Es kommt ein Windzug des Lebens und bläst sie hinweg. Wir fangen von Kindesbeinen an, unser ICH aufzubauen. Es zu definieren. Zu zementieren. Wir hören, wie wir sind. Wir glauben, dass wir so sind. Wir empfinden letztlich, dass wir so sind. Aber ist das die Wirklichkeit?

Unser Ich ist auf Bedingungen aufgebaut. In meinem Fall gab es da zum Beispiel die Bedingung, dass ich der Freund von Michaela bin. Das hat mich definiert – vor mir, vor der Welt. In dem Augenblick der Trennung, die nur einen Wimpernschlag dauert, war das Thema durch. Nun bin ich jemand anderes. In unserer Welt ein Ex-Freund, ein Single, ein mit der Frau eines anderen Zusammenlebender, ein erziehender Vater… Teile bleiben, Teile gehen. Die Ich-Illusion verändert sich. Und ich merke, das macht Angst. Ich sehe es in den Gesichtern der Menschen, die mich seit der Trennung das erste Mal sehen. Da ist ein empfundener Schmerz. Ich habe gehört, dass der erste Gedanke teils war: “Oh, kann es uns jetzt auch treffen?”

Ja. Jederzeit. Überall. Die Bedingungen für die Annahme eines festen ICHs können jederzeit und überall wegfallen. Durch all die Dinge, die geschehen. Aber: Das ist einfach so und das hat auch Vorteile. Wir können Angst haben davor, dass die guten Dinge wegfallen, wir können uns aber auch darüber freuen, dass wir die schlechten Dinge wegfallen lassen können oder, dass sie von alleine wegfallen. Wir können loslassen. Uns befreien. Von den Bedingungen. Ein Lama, ein Lehrer von mir hat zum Beispiel einmal gesagt: Es ist nie zu spät für eine schöne Kindheit. Hadert jemand von euch mit seiner Kindheit? Dann ist dieses Hadern eine Bedingung dafür, dass ihr euch heute manchmal nicht so gut fühlt. Dass es da Probleme gibt.

Ihr könnt die Bedingung gehen lassen. Viele machen das durch Familienaufstellungen. Aber ihr könnt es rein theoretisch auch, indem ihr jetzt mit einem Wimpernschlag sagt, das war ganz anders. Das Konzept ändern. Das Drehbuch unseres Lebens. Das ist wie sich selbst belügen? Wer sagt denn, dass die bisherige Annahme nicht die Lüge ist? Wer definiert, wie die Dinge sind? Wir selbst. In unserem Kopf. Irgendetwas in uns bringt uns dazu, Annahmen aufzustellen, die sich verfestigen und die dann unsere “Wirklichkeit” werden. In Hand- und Kopfarbeit selbst geschaffen. Ein Tonkrug, der Sinn macht, der so schön aussieht und das Wasser kühl und frisch hält.

Nun liegt er dort am Boden und die Kakophonie spricht über Scherben und wie es dazu hat kommen können und so weiter und so fort. Ich könnte nun hingehen und versuchen, den Tontopf zu reparieren. Die Einzelteile aufklauben und zusammenkleben. Ich kann aber auch hingehen und sagen, ich nehme mir jetzt einen Eimer für das Wasser. Oder ich trinke Tee aus einer Teekanne. Oder ich nehme die schöne Feldflasche, die ich habe. Alt und eingebeult und voller Erfahrung. Oder ich kaufe mir einen goldenen Pokal oder teures Kristall. Oder ich nehme meine Hände, das Wasser schön auf der Haut, die Finger weich umspielend.

Wie auch immer, ich schaffe eine neue Illusion für die vor allem eines gilt: Sie ist auch nicht fest. Sie ist nicht für die Ewigkeit. Dann wird der Goldpokal gestohlen, die Hände öffnen sich. Was bleibt? Aktuell das Brabbeln im Kopf. Der Versuch der Worte, eine neue Wirklichkeit zu schaffen. Das ist teilweise unangenehm, teilweise sehr aufschlussreich, weil ich viel über meine ICH-Illusion erfahre und ich nun überlegen kann, welche Bilder, Worte und Wirklichkeit ich für die Zukunft wähle. Es ist nie zu spät für eine schöne Zukunft! Das ist ein wenig wie Einkaufen:)

Leben im Arbeitsmodus.

Kennt ihr diese schönen, weichen Momente? Geklaute Augenblicke, wenn alles weichgezeichnet ist und sich unheimlich gut anfühlt? Wenn man das, was man gerade erlebt, spürt, fühlt, gerne für immer halten möchte?

Die Momente, Augenblicke dauern nicht lange. Flashs. Kommen, bleiben kurz, ziehen vorüber. Zumindest bei mir. Ich denke, ihr wisst, wovon die Rede ist. Für mich sind das, ich hoffe das klingt jetzt nicht viel zu pathetisch, lyrische Momente. Ich habe das Gefühl, dass sich dann Tore öffnen, die den Weg freigeben. Zu einem Palast, einem großen Schloss, einem Versaille. Zu einem Ort, der Raum gibt und dabei etwas Elegisches hat. Klingt nach Kitsch. Ich weiß, das ist ja das Problem. Wie viel Emotion ist in unserem Leben erlaubt? Was dürfen wir? Welche Menge an zugelassenen Gefühlen passt? Im Alltag. Real Life.

Die Romantiker haben in ihren Gedichten permanent von Sternen und Himmel geschrieben. Von Weite und Gott. Friedrich von Hardenberg, Novalis. Das ist eine Tür, die heute geschlossen ist. Die Pop-Musik darf das. Chris Martin von Coldplay darf das. “Look at the stars. Look how they shine for you. And everything you do. Yeah they were all yellow.” Und es löst eine Sehnsucht aus, der Millionen Menschen folgen, weil sie die Musik hören. Live, im Radio, vom iPod.

Heute Morgen stand ich in der Küche. Zoe hat bei einer Freundin übernachtet, weshalb ich nur Jim zu versorgen hatte. Weniger Aufwand, mehr Zeit. Weil er gerade eine feste Zahnklammer bekommen hat, kann er momentan nur Weiches essen. Die Zubereitung im Handumdrehen, warme Milch auf ein paar Reispops. Also hatte ich Zeit. Machte mir einen Cappuccino und hörte Coldplay. Stand mit dem Rücken an der Küchentheke und konnte Martins Worten folgen. The Scientist. “Nobody said it was easy. No one ever said it would be this hard. Oh, take me back to the start.”

Nobody said it was easy. Diese Musik löst in meinem Kopf etwas aus. Ich habe das Gefühl, ich würde in einer Keller gehen und dort wartet eine Tür auf mich. Alt und abgenutzt und aus Holz und voller Sticker und Bandaufkleber. Hinter dieser Tür, die ich selbstverständlich öffne und durchschreite, erwartet mich ein langer dunkler Tunnel, der dorthin führt, wo sich alles gut anfühlt. Wo ich Panzer und Mäntel ablegen kann. Ein Ort, der summt, klingt, sich so gut anfühlt, weil die Gewichte fallen. Von den Schultern. Weil nichts mehr geschützt sein muss, weil alles gut ist. Genau so. Wo Worte zählen, weich sein dürfen. Schön.

Chris Martin geht mit den Menschen durch diesen Tunnel, nimmt sie mit. Und dann wieder ist alles ein Traum und ich schalte um auf Arbeitsmodus. Die schusssichere Weste anziehen, um durch das tägliche Bagdad zu gehen. Augen auf, Sinne. Mit der Sensibilität eines Wüstenfuchses. Sprengfallen, Informationen an jeder Ecke, die ich so gar nicht brauche, die sich als Trojaner einschleichen. Leben in der Welt der Bots. Herumschwirrende, angreifende Maschinenpartikel (ich hätte mit Jim gestern nicht “Real Steel” im Kino schauen sollen). Als ich da stand in der Küche, kamen mir die ersten Zeilen eines Gedichtes in den Sinn. Ich habe sie gehen lassen, um den Moment zu wahren. Nun sitze ich hier am Schreibtisch, in der Kommandozentrale meines Lebens, und kehre Buchstabe für Buchstabe zurück in die Realität. Draußen herrscht Novembernebel, die Autos auf der Landstraße fahren vorbei, auf mich wartet eine Website, die noch keine Worte hat. O.K. Leben im Arbeitsmodus. Klar. Was sonst. Nobody said it was easy.