Facebook Inspiration, Pearl Jam und „Zweifel sind wie Curare“

Was für ein Wochenende. Schon lange nicht mehr so viel erlebt. Eigentlich hatte ich vor, nur mein Zimmer zu streichen und ansonsten ganz Galama durch die Tage zu gehen. Ist dann nichts draus geworden. Freitagabend direkt: Die Tribute von Panem. Mit Jim im Kino. Ich hatte den Film rausgesucht und ihn gefragt, ob er Lust darauf hätte. Da hat er riesige Augen bekommen, das Gesicht in eine Sonne verwandelt und nur etwas von genial, den wollen alle sehen, der läuft schon? gestammelt. Bingo. Papa-Volltreffer. „Ich bin bestimmt der Erste, der den sieht.“ Glücklich, die beiden Jungs. Nah. Better Man.

Also habe ich Karten online ausgedruckt, wir sind an die Tanke und haben uns mit Proviant eingedeckt und haben uns auf den Weg gemacht. Unterwegs hatten wir ein gutes Gespräch. Mein Gott, Jim ist jetzt 15. Das ist eine ganz andere Liga. Was der mitbekommt. Wie klar der ist. Ich war komplett von den Socken. Samstag, Zoe und Ela waren schon weg, habe ich ihn geweckt und gefragt, was er zum Frühstück trinken möchte. „Machst du mir einen Cappuccino?“ Und ob. Da saßen wir am Tisch. In der Küche. Tranken Kaffee. Unterhielten uns. Schön. Ich hab ihn dann zum Zug gebracht. Umarmungen an Bahnhöfen sind nicht von dieser Welt. Dieringhausen, Köln, Hamburg, Schleswig. Ohne Handy. „Papa, kein Problem.“ Er ist Segeln mit Freunden.

Dann war ich allein, allein. Nicht ganz. Da war eine nette Frau. Auf Facebook. Wir haben ein paar Tage lang gechattet. Zuvor. Es ging um Musik. Hin und her. Ich begann, mein Zimmer zu streichen. Spachteln, abkleben, Möbel rücken, Farbe anrühren, Ecken streichen. Zwischendurch Facebook. Suchtpotenzial. Songs austauschen. Nettigkeiten. Ein klein wenig flirten. Virtueller Zeitvertreib. Da war eine Freundin online und hat mich für den Abend auf eine Party eingeladen. Hippie-Party. Ein Sechzigster-Geburtstag. Organisiert von einer Frau für Ihren Ex-Ex aus England. Ihr Ex war auch da, weil er bei ihr wohnt. Und ihr aktueller Freund war unterwegs in Spanien. Geht doch. Hat mich gefreut, bei all den Zweifeln, die ich ständig höre. Mir ist ein Satz eingefallen: Zweifel sind wie Curare. Anschließend sind wir nach Köln zum Tanzen gefahren. Das Zimmer war nach dem Tag also nur zu 75% gestrichen. Und am Sonntag Nachmittag war ich mit meiner Mutter verabredet. In der Eifel. Um 4 Uhr ins Bett, um 10 Uhr aufgestanden, die Bude fertig gestrichen. Hier siehts aus. Aaah! Junggesellenbude. Schön! JA!!! Aber: Das Zimmer ist fertig. Sehr schön. Sehr frisch. Da lag ist gestern Abend dann in meinem neuen Bett im frisch gestrichenen Zimmer und: Hörte Musik.

Wie das ganze Wochenende. Alte CDs durchgehört. Inspiriert durch Facebook. Portishead, Doors, Jimmy Hendrix, Janis Joplin, The Cure, Waterboys, Neil Young, Deep Purple, Yo La Tengo und einen ganz speziellen Song von den Toten Hosen (Boah, ey.)… Den ganzen Tag lief der CD-Player. Ziemlich laut. Was gibt es für geile Musik auf dieser Welt! Gestern Abend bin ich dann um halb Zwei ins Bett. Mit Damien Rice. Ein ruhiger Abschluss. Fast. Ich musste noch die ganze Zeit über ein Wort nachdenken, das im „Gespräch“ auf Facebook gefallen war. DIFFERENZIEREN. Ein Lieblingswort. Nicht von mir. Es ist schön, alte Musik zu hören und mit neuen Menschen neue Gedanken zu teilen. Sehr aufregend. Sehr inspirierend. Wer hätte das gedacht.

Boys don’t cry.

1986. Aber Jungen weinen doch nicht. Boys don’t cry. Gestern hätte ich gerne geweint. Nach dem Tag zuvor hatte sich ein großes Loch aufgetan und das Sicherungsgerüst wankte. Mehr Beton, mehr Beton. Aber nein. Das ist wohl so. Normal. Dann haut es mich eben um.

Es war ein komischer Tag, der sich so gar nicht gut angefühlt hat. Nichts hat geholfen. Bin rumgeeiert. Hätte mir jemanden gewünscht, der mich schnappt, in den Arm nimmt. Kurz hält. Losheulen. Job. Kinder. Aufgaben. Kochen. Küche aufräumen. Es geht weiter. Da saß ich also unten in dieser Kuhle und habe überlegt. Wie komme ich da raus? Ist so dunkel dort unten, so einsam, so ruhig. Die Kraft war für einen Augenblick weg, die Tanks leer. Ich muss ein wenig mehr essen.

Ich habe gearbeitet, geschrieben, überlegt, entworfen, konzipiert, ein Angebot geschrieben. Zwischendurch habe ich mir viele neue Leute in Facebook geladen. Einfach mal wahrlos „Freunde“ gedrückt. Gucken, was los ist in der Welt. Bin auf neue Musik gestoßen. Auf einen Musikkanal im Netz. TVnoir. Berlin. Singer-Songwriter. Alin Coen.

„Komm mit mir mit, wir geh’n. Irgendwohin und dann. Schauen wir hoch und seh’n uns die Wolken an. Ich nehme dich bei der Hand und ziehe dich hinter mir her ich frage mich: Warum fällt das so schwer, ich glaube, du willst nicht mehr.“

Tröstliche Stimme. Frauenstimme, so weich. So haltend. „Ich nehm deine Hand.“ Tatsächlich. Das wäre schön gewesen für den Augenblick.

Ich habe dann angehalten. Bin kurz aus meinem Leben ausgestiegen. Bin runter ins Maikäfertal, den Bach entlang und rechts Richtung Norden. Die Sonne stand über dem Berg, da war diese Stelle im Wald mit trockenem Moos. Da habe ich mich hingelegt. Das weiche Moos im Rücken, die Sonne im Gesicht. Hawaii. Urlaub. Weg. Weg dachte ich. Drei Jahre Indien. In ein Kloster meiner Linie. Meditieren. Ganz ruhig werden. Entscheiden, was ich mit dem Rest meines Lebens anfange.

Zurück in die Schule. In mein Zimmer. Aufs Bett. Damien Rice. Laut. Abgeflogen. Zurückgekehrt. Alles wieder gut. Hochgeflogen, das Loch unter mir gelassen. Gestern Abend lange meditiert. Eine Meditation, die reinigt. Spuren verwischt. Auflöst. Ein starkes Mantra mit 100 Silben. 108 mal gesprochen. Danach ist Ruhe im Karton. Die Welt steht still, alles ist an seinem Ort, die Aufregung gegangen. Heute Morgen bin ich um sechs Uhr aufgestanden. 240 Verbeugungen. Körper, Rede und Geist verbinden. Das schafft Klarheit. Die Bilder gehen.

Jetzt geht es wieder. Gut. Und ich bin wieder O.K. An die Arbeit. Ein ganz schönes Auf und Ab. Wer hätte etwas anderes erwartet? ICH. Alter Optimist. Schönschreiber. Ich mag es einfach, wenn die Dinge an ihrem Platz sind. Wenn es Sinn macht, ästhetisch ist. Leicht. Ich wiege jetzt 61 Kg bei 164 cm Körpergröße. Das ist sehr angenehm. Gehen ist tänzeln. Jetzt esse ich wieder.

Und hier noch ein Video. Adele. Der schöne Augenblick, in dem sie entdeckt, dass die Kamera da ist. Das Lächeln, die Grübchen, das sanfte Wegdrehen des Kopfes. Enjoy. Mach ich auch:) Jetzt.

Best Exotic Marigold Hotel

Gestern Abend. Wieder Köln. Wieder Cinedom. Wieder eine Komödie. Mit tragischen Elementen. Britisch. Best Exotic Marigold Hotel. Sieben Engländer, Silver- bzw. Gold-Ager. Nicht mehr in den besten Jahren und auch nicht mehr im allerbesten Zustand. Der Blick in den Spiegel wird kommentiert mit: „Scheiße“. Das kann man wohl sagen, wenn das Hüftgelenk ausgetauscht werden muss, die Rente in das den Bach runtertgehende Start-up der Tochter investiert ist, das Herz nicht mehr so will und es mit den Männern nicht mehr klappt. Endstation Sehnsucht.

Da kann einem England schon ganz schön auf den Keks gehen und ein Angebot, nach Indien zu kommen, um in einem Palast zu leben, weckt Wünsche, lässt Träume entstehen, Hoffnung aufkommen. Zunächst stranden die Sieben als Looser eingeführten Charaktere gemeinsam auf einem Flughafen. Da sitzen sie in einer Reihe auf der riesigen Leinwand des Cinedoms. Und schauen ins Publikum. Und wer sitzt da? Wir. Zehn Leute. Midlife-Ager. Auf dem Weg zur 50 und schon ein Stück weiter. Spiegelbild? Spieglein, Spieglein an der Wand? Herrje.

Schiffbruch. Ja, sie erleiden zunächst Schiffbruch. Der Palast wunder-, wunderschön. Sehr alt. So alt, dass Türen fehlen, Wasserhähne kaputt sind, sich das Mobiliar auflöst, die Telefone beharrlich schweigen und nur der junge Direktor voller Fantastereien Optimismus verbreitet. Indien. Alles ist anders. Und doch ist alles gleich. Das Gepäck voller Leben, alle Geschichten mitgenommen. Es gibt kein Entkommen. Keine einsame Insel, die Vergessen macht, die auflöst. Alles ist im Gepäck.

Das erfahren wir, die wir als Spiegelbilder dort unten im Publikum sitzen und schauen, wie und wo wir uns bei den Sieben einreihen.

Ich weiß nicht, ob es in Indien so ist wie im Film. Ich habe schon so viele unterschiedliche Storys gehört. Die komplette Bandbreite. Ich weiß nur, ich will da unbedingt hin. Es zieht… Der Film nimmt seinen Lauf. Die Schwierigkeiten werden größer und kleiner – je nachdem, wie sehr die Figuren daran hängen. Sie haben es selbst in der Hand. „Am Ende wird alles gut, und wenn es nicht gut wird, ist es nicht das Ende.“ Natürlich wird es gut. Cinemascope gut. Sich zum Ende hin rauswinden. Haken an die Vergangenheit. Easy, alles easy.

Der schwule Richter stirbt. Er hatte als Kind und Jugendlicher in Indien gelebt, hatte sich in seinen Freund aus Kinderzeiten verliebt. Die beiden waren ein Paar, wurden entdeckt, getrennt. Räumlich. Für immer. Es fehlte der Mut, die Entscheidung. Die beiden treffen sich, der Richter stirbt. Das Herz versagt. Und so geht es in irgendeiner Form allen. In Indien, zunächst auf sich allein gestellt, entwickeln sie ihre Überlebensstrategien. Bessere, schlechtere. Es geht um die Konfrontation mit dem eigenen Leben. Der eigenen Geschichte. Den eigenen Glaubenssätzen. Dem real existierenden Konstrukt am Ende.

Fragen über Fragen tauchen auf. Was soll werden? Was war? Wie komme ich dort hin, wo ich hin will? Habe ich den Mut dazu? Die Möglichkeiten. Nicht alle können das. Eine Frau muss fliehen. Kann der Wahrheit ins Gesicht sehen, sich ihr aber nicht stellen. Die Päckchen sind zu tragen oder aufzuschnüren oder wegzuschmeißen.

Ein bewegender Film. Lustig, traurig, berührend. Ein farbenfrohes, verrücktes Indien. Aber verrückt ist es überall, wo Menschen sind. Auch in unserer Reihe im Kino. Best Exotic Marigold Hotel.