1974. Ich war neun Jahre alt. Ein kleiner blonder Junge mit blonden Haaren und blauen Augen. Meine Oma nannte mich „Spinnewip“, was so viel wie Fliegengewicht oder spirreldünn geheißen haben dürfte. Ich wusste, was sie meint. Essen war nie meine Stärke. In dem Jahr sind wir umgezogen. Vor den Sommerferien war ich Schüler einer dritten Klasse in Nordrhein-Westfalen, danach in einer vierten Klasse in Rheinland-Pfalz. Kaisersesch in der Eifel. Eine Geschichte für sich.
Später bin ich dann in Cochem an der Mosel zur Schule gegangen. Letztes Jahr hatten wir Klassentreffen in Cochem. Nun war ich wieder dort. An der Mosel. Mit Zoe auf Klassenfahrt. Als Betreuer. Radtour. Ich war drei Tage dabei – von Montag bis Mittwoch. 30 Kinder, zwei Lehrerinnen, zwei Mütter, zwei Väter.
Es war ein komisches Gefühl, dort zu sein. Als Gast. Tourist. Ein wenig wie Rückkehr. Anreise entlang der Autobahn, an Kaisersesch vorbei. Das Grab meines Vater, dass ich Mittwochabend zusammen mit meiner Mutter besucht habe. Alte Zeiten mit jungen Menschen. Von Manderscheid mit dem Fahrrad nach Bernkastel-Kues. Jugendherberge. Oben über der Mosel. Traumhafter Blick. Echt schön da. Und diese Jugendherberge, 1903 als das Luxushotel an der Mosel gebaut, ist wirklich eine Reise wert. Total entspannte Menschen. Die Kids haben sich wohl gefühlt, durften ihr Ding machen. Keiner hat gemotzt. Super Atmosphäre.
Und ich konnte die Mosel mal anders sehen. Aus anderer Perspektive. Kannte sie nur mit dem Blick des Schülers, der sich in Cochem durch die Touristenmassen den Berg raufgequält hat. Irgendwie hatte ich die Mosel nicht so schön in Erinnerung. Und es heftet ihr, glaube ich, weiterhin ein Hauch Spießigkeit an. Tatsächlich lagen in den Touristen-Restaurants in Bernkastel überall Schweineschnitzel mit Pommes auf den Tellern.
Aber. Die Landschaft. Das Hinterland Richtung Hunsrück und Eifel. Wow. Am zweiten Tag sind wir auf den Olymp gewandert. Der Rückweg lief durch einen kleinen Eichenwald am Hang. Wie in Italien. Wir haben dort in der Sonne gesessen, die Zeit genossen. Schön, wirklich schön. Leider hat es am Mittwoch geregnet. Mit dem Fahrrad die Mosel entlang bis nach Traben-Trarbach. Nächste Jugendherberge. Regen. Die rechte Moselseite entlang, wo irgendann die Straße aufhörte. Dicht am Fluss vorbei. Morgennebel. Alles so grün. Eigentlich müssten wir in Deutschland 100 Namen für Grün haben. Für den frischen Roggen, das junge Buchengrün, für das junge Gras, wenn es neu kommt. Und, und, und.
Wenn ich nicht gerade damit beschäftigt war, die Heizer des Spitzentrios einzufangen oder Kinder mit Jacken zu versorgen, konnte ich den Blick nicht von der Landschaft lassen. So schön. So nah. Mosel. Deutschland. Mittendrin. Einfach kurz hinfahren und sich freuen. Jetzt im Mai, bevor die Touristenmassen kommen und die Radwege übervölkert sind. Manchmal hadere ich mit dem Umzug damals. Mir war es nicht recht. Ich hatte in NRW bleiben wollen. Wer fragt schon einen Neunjährigen. Und wenn es halt so ist… Die Schönheit der Landschaft meiner Kindertage hat mich ein wenig versöhnt. Da komme ich her. Dort ist es schön. War es schön. Wird es immer schön sein.
Mittwochabend musste ich zurück. Arbeit am Donnerstag und heute. Zumindest drei Tage mit Zoes Klasse. Ich liebe das. Das war jetzt meine dritte Klassenfahrt als Betreuer. Die Kids zu erleben, das ist schon besonders. Natürlich schaue ich dann auch mal, wie Zoe in der Klasse ist. Spannend. Natürlich mit Abstand aus dem Hintergrund. Als wär ich nicht da. Ab und an kommt sie dann, kurz andocken. Irgendwann ist sie groß. Noch wenige Jahre. Und weg. Die Zeit genießen, die Kindheit der eigenen Kinder.






