Wenn Italiener morgens in der Bar ihren Kaffee trinken, dann trinken sie meist einen Espresso. Sie bestellen aber keinen Espresso, sonder einen caffé. In kleinen, dickwandigen, weißen Tassen. Der caffé läuft langsam und ölig aus der Maschine. Die sehr kleine Tasse ist nur ein wenig gefüllt. Weiß Gott nicht bis zur Hälfte. Dann kommt Zucker hinein und es wird mit einem kleinen Löffel gerührt. Wie gerührt wird. Wie nur kann man mit einem Löffel so viel Beiläufigkeit ausdrücken? Natürlich interpretiere ich als Lebenslust saugender Germane aus Germania, wie Deutschland in Italien heißt, diese Gesten des Alltags. Dieses Eingespielte. Tausendfach Ausgeführte.
Im Kloster hoch über dem Berg war ich an einem Tag alleine essen. Ich hatte mir mein Fahrrad geschnappt und war vom Meer hinauf auf 480 gestürzt. Man könnte in diesem speziellen Falle sagen: Gott entgegen. Oder dem Papst. In der Kirche begegnete ich einem Lächeln Woytilas. Schönes Foto.
Die meisten Menschen aßen das Menü. Die Feuerwehrmänner, die dort oben postiert sind, um Waldbrände im Keim zu ersticken und zwei Männer in hellblauen Hemden am Tisch neben mir. Ich bestellte Troffie al Pesto und sah, wie eine junge Frau den Monsieurs bleu ihre Pasta Ragu als Premi Piatti ihres Menüs servierte. In der Mitte landete eine große Schale mit Parmesan. Der Mann, den ich sehen konnte, mit tief braunen Augen und Locken, nahm den Löffel aus dem Parmesan, ohne hinzusehen. Mit der anderen Hand begleitete er seine Worte, als würde er sie zum Ohr des gegenüber sitzenden Mannes tragen. Galant. Weich. Harmonisch. Mich interessierte die andere Hand, die wie blind geführt den Löffel in den Parmesan eintauchte, ihn herauszog. Über dem Teller entwickelte sie eine filigrane Technik, um den Parmesan gleichmäßigst zu verteilen. Der Zeigefinger schlug leicht gegen die Löffelmulde, die übrigen vier Finger hielten den Löffel und führten ihn wie auf einer geheimen Straße sicher über die Spaghetti Ragu, die bei uns Spaghetti Bolognaise heißen. Ein Schauspiel, ein Spektakel. In meinem Kopf.
Gleiches vollführen die Menschen in den Bars morgens mit ihrem Kaffee. Der Löffel ist ein Spielzeug, der den Zucker am Boden der Tasse rasch und mit federleichten Bewegungen aus dem Handgelenk auflöst. Es scheint, als würden die Italiener mit diesem morgendlichen Ritual gleich auch sämtliche Probleme des Tages wegwischen. Eine Meditation. Ein Automatismus. Eine verdammt coole Leichtigkeit, die ich versucht habe, zu kopieren. Meine Hand ist ein Fels, ein Planet. So schwer, so unbeweglich, so ungalant wie Herders „Italienische Reise“. Germanisch, kein bisschen römisch. Ach! Die Kinder haben sich kaputt gelacht, wenn ich die Nummer mit dem Parmesan versucht habe. Ein Tanzschüler der ersten Stunde, der rumstolpert, über seine eigenen Finger fällt. Parmesangebirge statt eines Teppichs. Nun, ich habe es mit einem Lächeln genommen. Sagen wir, einigen wir uns darauf, dass ich andere Qualitäten habe. Ts. Pf.
Oben in diesem Kloster mit seiner besonderen Stimmung habe ich dann diesen Cappuccino auf dem Foto oben getrunken. Unter Bäumen, auf einer Bank mit Blick auf das tief unten liegende blaue Meer. Da ich kein Italiener bin, ziehe ich den Cappuccino dem caffé vor. Zu jeder Tageszeit, was nach dem Essen eigentlich ein Fauxpas ist. Nun, da kann ich dann schon auch ignorant sein. Vor allem, weil dieser Cappuccino original in Italien nicht zu vergleichen ist mit einem Cappuccino überall auf der Welt. Ich habe Cappuccino in Neuseeland getrunken, der teils grausam war. Mit italienischen Maschinen aufgebrüht, aber leider hatten die wohl Altöl in den Siebträger geschüttet. Grausam. Ich habe mal in New York in einem Starbucks unweit der Wallstreet einen Cappuccino getrunken. Der ging so. Kürzlich auf dem Weg an die Ardeche habe ich in Frankreich einen am Automaten gezogen. Der war künstlich. Artifiziell. Überraschenderweise geht der McDonald einigermaßen. Kürzlich auf dem Autohof auf dem Weg nach Italien kurz vor Freiburg getestet. Ein Euro für 0,2 Liter. Was für eine charmante Angabe. 0,2 Liter Cappuccino. 0,3 Liter kosteten 2,39 €. Schüttel. Die können nicht rechnen, diese Amis. Nunja, damit lösen die halt auch dauernd Finanzkrisen aus. Bestellen einfach immer den großen…
Der Cappu in Italien, wie er dort liebevoll rührend genannt wird, ist einfach eine ganz andere Liga. Dolce & Gabbana versus H&M oder C&A. Die Tassen sind konsequent weiß und dickwandig. Keine Experimente, keine Arabesken. Höchstens ein Kaffeemarken-Logo aufgedruckt. Das Bauchige der Tassen ist eine Einladung, sie zu umschließen. Denn es ist eine heilige Verbindung, die zwischen Tasse, Kaffee und Trinkendem entsteht. Da ist alles auf das Wesentliche reduziert. Keine Kakaoherzen oder Schokoladenschwaden obendrauf. In einer Bar, bei Gianni in Vernazza, hatte sich die Barrista erlaubt, vor dem Einfüllen der Milch etwas dunklen Kakao auf die Kaffeeoberfläche in der Tasse zu streuen. Ich traute meinen Augen nicht. Das hatte ich vorher nie gesehen. Ein Geheimnis! Als sie dann die Milch einfüllte – die Milchzubereitung ist mit dem Schütteln und Schwenken und aus dem Handgelenk Gießen auch weniger eine profane Handlung als ein Akt der Liebe – wurde der Kakao von der Milch an den Tassenrand hochgespült. Ich nahm die Tasse mit einem Lächeln, das vom Personal nie erwiedert wird (ist ja nur ein Cappu, ach, ach!!!), und führte sie zum Mund. Ich wusste, was kommt. Der Kaffee fließt entlang der runden Innenwand nach oben zum Tassenrand. Dort vereinigt er sich mit dem dunklen Kakao und ein wenig Milchschaum, um dann in meinem Mund alles preis zu geben. Das Kaffeeöl, den Zucker, den Kakao, das Cremige des Schaums. Ein Spektakel.
Damit ein Cappuccino all das kann, was potenziell in im steckt, braucht es einiges. Frisch gemahlene Bohnen, die im Mahlgrad auf die Luftfeuchtigkeit abgestimmt sind. Das ergibt die Geschwindigkeit, mit der das heiße Wasser mit möglichst viel Druck durch das Kaffeepulver gedrückt wird. Nicht zu langsam, nicht zu schnell. Genau mit dem Tempo, das die Kaffeeöle mitnimmt und die Reizstoffe lässt, wo sie sind. Die Barrista am Genoveser Bahnhof zum Beispiel verändern den Mahlgrad zwischendurch immer mal. Schauen, wie sich das gemahlene Pulver an der Luft verhält. Man sieht es. Ehrlich. Perfekt machen das auch die Frauen in dem kleinen Café in Levanto. An der Ecke. Hinten. Dort trinke ich auch gerne einen caffé, weil er wie eine Praline ist. Dunkel, ölig, mit leichtem Schaum vom hohen Druck.
Nun sitz ich hier. Versuche unserer Gaggia solche Köstlichkeiten zu entlocken. Leider zu klein. Zu wenig Druck. Da braucht es diese großen Chromungetüme mit ihrer brachialen Kraft. Der Stolz jeder Bar. Wie sie dort thronen. Ich vermisse den Cappuccino und die Gesten. In Italien bin ich Voyeur, der das Geheimnis versucht zu erschließen. Ich komme nicht dahinter, obwohl es letztlich die große Einfachheit und Klarheit sein dürfte, die sich hinter einem scheinbaren Chaos versteckt. Weshalb die Europäer Probleme haben, miteinander klar zu kommen? Man lade einen Italiener zu einer guten Tasse deutschen Bohnenkaffee schön aus der Kaffeemaschine ein. Dann noch Dosenmilch rein, umrühren, fertig. Den Blick möchte ich sehen. Was machen dann die Finger? Und die Augen? Und der Mund? Das könnte er nicht verstehen. Das würde gegen alles gehen. Gegen alles. Ich sollte mal einen Italiener einladen. Ich wüsste wen. Dieser Mann vom Strand… Aber das ist eine ganz andere Geschichte.