Ein geschenkter Abend in Vernazza

Wie schön kann schön sein? Lässt sich Glück greifen? Darf man vom Leben die Superlative erwarten? Was passiert, wenn man überverwöhnt wird?

Vernazza. Ihr wisst. Meine stille, laute Liebe. Der Ort, der im letzten Jahr durch eine Regenflut teils verschüttet wurde. Schlammlawinen mit Autos und Teilen von Häuser hatten sich durch die Hauptstraße in den Hafen gezwängt. 80.000.000 Euro Schäden. Würde Vernazza wieder auferstehen? Si. Naturalmente. Vieles ist für den Sommer übergetüncht, überall sind die Schäden zu sehen, aber das Leben präsentiert sich, als wäre nichts geschehen.

Samstag, 28. Juli 2012. Ich werde unruhig. Will nach Vernazza. Vorne auf den Anleger, auf den Lieblingsfels. Boardshorts an und von der Hafenmauer springen. Zum Felsen rüber, rauf, runter. Den Sonnenuntergang sehen, Pizza essen, ein Bier trinken. Als ich mit den Kids ankomme, ist die Stadt voller Polizia und Carabinieri. Eine Polizeispur bis zum Anleger. Baden unter Polizeischutz. Irgendetwas ist los, im Busch. Ein spätes Ausflugsschiff kommt. Zwei Polizisten warten am Anleger, zwei stehen im Hintergrund, da sind auch noch Zivilbeamte. Neben dem Ausflugsschiff ein Polizeiboot. Gebannte Blicke. Was passiert? Werden wir Zeugen einer Verhaftung? Geht da irgendjemand von Bord, auf den ein längerer Aufenthalt bei Wasser und Brot und Tütenkleben wartet?

Das Boot legt an, die Landungsbrücke wird ausgefahren. Viele Menschen steigen aus. Mit Instrumenten. Geigenkoffern. Mafia? Sind da Waffen drin? Die Polizisten schauen immer wieder zu uns auf den Felsen. Hä? Hey, wir haben nichts gemacht. German Tourists. Just swimming, eating, sitting, having a beer. Ach so. Die schauen auf die hübschen Hippiefrauen aus Vernazza hinter uns. Die sitzen dort oben ohne mit gepiercten Brustwarzen. Dann kann der Polizeieinsatz ja nicht so dramatisch sein, wenn für solche Blicke Zeit bleibt.

Die Situation ist entspannt. Dort kommt ein Orchester. Klar, da stehen ja die Stühle. Viele Stühle. 70. Aber weshalb die Polizei? Später erfahren wir, dass es das Palestinian Youth Orchestra ist, das dieses Polizeiaufgebot ausgelöst hat. Junge Musiker/innen in Bademode, Flip Flops. Mit Sonnenbrillen, lachend. Das Orchester formiert sich. Direkt auf dem kleinen Platz am Meer unterhalb unseres Affenfelsens. Die Sonne geht unter, die Musik beginnt.

Ups. Ein Sinfonieorchester, komplett besetzt bis zur Triangel. Solisten, eine Sängerin. Die können was. Jugendorchester hört sich vieleicht nach Kompromiss und schiefen Geigentönen an. No! Kein schiefer Ton, im Gegenteil, schöne, schöne Musik. Im Hintergrund geht die Sonne unter und das Meer platscht leicht an die Kaimauer. Was für eine Stimmung. Wir hören Beethoven, Al Yamani, Delibes, Dvořák, Azmeh und Rimsky-Korsakov.

Wir hatten Glück. Waren zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Das Konzert war das Highlight des 21. Levanto Festival Massimo Amfiteatrof. Ich denke, Levanto hat dieses Konzert nach Vernazza verlegt, um den Nachbarort zu unterstützen. Die Menschen der Region halten zusammen. Auf Fotos ist unser Campingplatzchef Marco zu sehen, wie er Schlamm aus einem Haus in Vernazza schleppt. Eine Bekannte aus Levanto hat nach der Flut Menschen aus Vernazza aufgenommen, die evakuiert wurden.

Und nun das. So ein Abend. Eine solche Musik. Eine solche Atmosphäre, die alle Gedanken an Flut und Schlamm wegwischt. Ein Seelenpflaster. Was für ein Ort. Geschenkte Zeit, wieder einmal eingebrannte Erinnerung in Bildern.

Geld oder Leben?

Wie viel Geld braucht der Mensch, um glücklich zu sein? Was ich so wahrnehme, ist immer knapp nicht genug da. Gefühlt. Die Ansprüche wachsen mit dem Einkommen. Genau genommen ist für uns hier ja jeder Tag another day in paradise. Das Wasser kommt aus der Leitung, der Strom aus der Steckdose und das Internet mittlerweile durch die Luft. Wir wehren uns gegen Geschenke wie Toaster oder Serviettenringe, sind froh, wenn der Sperrmüll mal wieder eine Ladung mitnimmt und kämpfen gegen übervolle Räume, Keller und Dachböden, die unsere Möglichkeiten zustellen.

Italien. 2012. Ein Campingplatz. Freiheit. An meinem Körper ein paar alte Flip-Flops und eine kurze Hose. T-Shirt spare ich mir, weil ich den Meerwind und die Sonne auf der Haut mag. Nehme mit, was da ist. Anfangs haben wir zu wenige Stühle, weil wir in neuer Konstellation mit zusätzlichen Freunden unterwegs sind. Kaufen ist der Impuls. Warum eigentlich? Die abreisenden Camper werfen ihre weg. Campingplatz-Sperrmüll. Ich nehme mir die Stühle, die wir brauchen, um sie später weiterzugeben an zwei durchreisende Amerikaner. Völkerverständigung. Verbindung. Ein Boot.

Campen ist ein wenig wie leben in einem Flüchtlingslager. Selbstverständlich nicht von der der Not und den Emotionen her, aber hinsichtlich Enge und Verzicht auf Privatssphäre. Ich erinnere mich an eine Frage von Jim, als er noch ganz klein war und aus dem Nachbarzelt eindeutige Geräusche eines jungen Paares kamen. „Papa, was machen die da?“ Ich sagte: „Jim, dem Mann geht es nicht gut, ich glaube, der hat Asthma.“ Am nächsten Tag wollte Jim wissen, ob der Mann jetzt wieder gesund ist. „Ja Jim, dem geht es wieder gut. Richtig gut.“ Da war er beruhigt.

Die Plätze auf dem Zeltplatz in Levanto sind klein. Ein alter Olivenhain, Terrassen, die nicht als Zeltplatz geplant waren. Aber das aufstrebende Europa wollte nach dem Krieg nach Italien und so wurde aus dem Hain 1957 ein Zeltplatz mit wachsender Beliebtheit. Die Menschen kommen, immer wieder. Und immer wieder treffen wir die gleichen Leute, die sich den Mücken, dem Staub und der Enge aussetzen. Was ist das? Klar, Italiensehnsucht. Aber auch: Der Wunsch nach Freiheit. Das schöne Gefühl, nichts zu haben. Nichts zu brauchen. Zu spüren, wie wenig genügt. Tagsüber ist das Zelt tabu. Viel zu heiß. Sauna. Keine fünf Minuten zu ertragen. Da bleibt nur Strand oder Hängematte. Kein Dach über dem Kopf. Und: Es fehlt nicht! Im Gegenteil.

Dieses Jahr hatte ich im Urlaub ein schönes Gefühl von Bescheidenheit. Irgendwie brauchte ich nichts außer dem, was da war. Was die Natur und die Menschen um mich herum zu bieten hatten. Und das war so viel. An einem Abend haben wir zu einem Paellaessen eingeladen. Es gab nicht genug Stühle, das Kochen auf dem Elektroplattenkocher war schwierig, weil bei Volllast die Sicherung flog, aber es ging. Hat sogar Spaß gemacht unter der größten Dunstabzugshaube der Welt zu kochen. Wir hatten heimischen Wein abfüllen lassen in der Enoteca, frische Sachen eingekauft. Alle kamen, hatten sich so chic gemacht, wie es ein Campingplatz zulässt und hatten Spaß. Satt. Paella vom Plastikteller. Die Woche drauf gab es ein Pastaessen, zu dem alle ihre Geheimrezepte beigesteuert haben. Große Freude, kleiner Aufwand.

Luxus, der kein Luxus ist. Zumindest kein kaufbarer. Geld spielt keine Rolle. Sehen, was zählt. Konzentrieren auf das, was wichtig ist. Das Meer nehmen, die Sonne, die Luft. Gespräche unter freiem Himmel, auf Steinen, im Sand, auf der Via del Amore. Da saß ich eines Abends. Und es war so schön, dass es kaum auszuhalten war. Ein Ort, der fast weh tut. Eine kleine Bar im Fels über dem Meer. Und ich fragte mich, wo die restlichen sieben Milliarden Menschen sind. Weshalb sie diese Bar nicht stürmen, diesen Augenblick verstreichen lassen. Weshalb alle Touristen vorbeiziehen und sich von den wartenden Zügen abtransportieren lassen, wegziehen. Weshalb sich Brad Pitt und Angelina Jolie nicht jeden Abend zum Sonnenuntergang einfliegen lassen. Nothing. Zuletzt saßen wir allein. Die Bar schloss. Das Glück wurde in kleine Pakete zum Mitnehmen gepackt, es liegt jetzt in einem heiligen Ort in mir. Mindestens für immer und noch zwei Leben drauf.

Geld oder Leben? Leben. Ever. Es braucht so wenig, glücklich zu sein. Kein Haus, kein Hotel, kein Flug. Irgendwie nach Italien kommen. Wie Johann Wolfgang und alle nach ihm. Weil dieses Jahr so wenig gereicht hat, um viel zu sein, hatte ich üppige Restbestände in meiner Urlaubskasse. Weil man bestimmte Dinge halt nicht kaufen kann. Aber, ich bin natürlich kein Heiliger und Bettelmönch. Ich hab dann doch nach meiner Rückkehr gleich investiert. Restbestände in italienische Schuhe, weil Schuhe in diesem Urlaub eine Rolle gespielt haben. Vielleicht möchtet ihr sehen, welche? Nein? Ja? O.K. Hier der Link zu meinen neuen MOMA Miele von Riccardo Cartillone. Manchmal ist Geld dann doch eine gute Sache. Ich wiederspreche mir? Ach was. Es ist, wie es ist. Ohne wäre auch gut gewesen.

T. of you

Als jetzt
wie jetzt
kann es nicht sagen

Wunscherfüllendes Sternschnuppenlächeln
Holly Golightly

Wenn ich
wenn du
wenn überhaupt
vergiss es

Tricks
zaubern kannst du

Schweige
verbrenne

Höre Musik
Song um Song
around, around

Nah

Verworrenes Atmen
tänzeln auf Beton

Smoke on the water
das letzte Gras

So what?

Zurück
warten
wissen
wollen

L.

Kein Wort über meine Lippen

august 2012

Alles noch ganz slow…

Mann. Urlaub. Tatsächlich die Systeme runtergefahren. Bin noch ganz beduselt von der Rückfahrt und den vielen Erlebnissen. Bloggen? Och ja. Lieber wäre mir jetzt ein Spaziergang am Strand. Levanto, die Promenade entlang. Ist der Surfmann schon da, der die Bretter vermietet? Gibt es Wellen oder bleibt die See ruhig? Oder durch die kühlen Tunnel nach Framura joggen? Einen Espresso in der Bar im kleinen Hafen? Welcher Strand ist heute der beste? Steinstrand links in der Bucht? Sandstrand? Zu Füßen der Piper-Bar für den entspannten Cappuccino zwischendurch? Oder mit dem Fahrrad durch die Tunnel in die Schnorchelbuchten? Zum Strand mit dem Riff, wo Jim acht Meter tief getaucht ist? Oder zu dem Strand, wo wir über den Fels geklettert sind samt Schwimmzeug, um zu der Grotte zu kommen, in die Jim von der Meerseite getaucht ist und mir das Herz stehengeblieben ist, als er plötzlich unter Wasser in der Dunkelheit verschwand?

Was für ein Urlaub. Zu sechst. Sehr schön, sehr harmonisch, sehr entspannt. Freunde getroffen, neue kennengelernt, Paella- und Pastaessen auf dem Campingplatz veranstaltet, Klassikkonzerte in Kirchen und auf freien Plätzen gehört. Schumann, Bruch, Mozart. Das Fest der Meere mit großem Markt, Kreuzprozession und Abschlussfeuerwerk auf offenem Meer. Gewandert, Berge erklommen und nach Vernazza gefahren. Mehrfach. Alle fünf Cinque Terre Orte besucht und die Nacht zum Tag gemacht. Den Mond wandern gesehen, Sternschnuppen, die keine Wünsche übrig ließen. Himmlisch, pardiesisch. Das Leben hat mich, uns, verwöhnt. Umschlossen, umgarnt, an die Hand genommen. Was soll jetzt noch kommen?

Am Freitag dann packen, Ela hatte wegen Ihrer Yogaausbildung schon Mittwoch fahren müssen, und nach Hause. Fünfzehn Stunden, um langsam anzukommen, heimzukehren. Meine Seele liegt noch am Strand, verliebt. In die Welt, die warmen Sommernächte. Schön. Intensiv. Verzaubernd der Sonnenuntergang auf der Via del Amore, die zurecht so heißt. Wahrlich. Langsam versinkt die Sonne blutrot im Meer, um den Weg frei zu geben für die Lichter der Strandpromenade von Monterosso. Die Eiswürfel im Aperol Spritz klingen. So süß.

Ich wollte keine Postkartenmotive fotografieren. Zu gewöhnlich. Aber was soll man machen? Bei dem Licht? Bei den Sonnenuntergängen? Bei der Stimmung? Was einem da alles vor die Kamera kommt. Und dann fehlt die Unterwasserkamera. Schnorcheln mit den Teens am Riff. Wie sie mit ihren bunten Boardshorts und Badesachen sonnengebräunt abtauchen, unter mich schwimmen, mit Luftblasen beschießen. Schöne Bilder. Sehr ästhetisch. Im Kopf. Man muss ja nicht gleich die ganze Welt digitalisieren. Obwohl Jim schon sehr gerne eine GoPro hätte, die HD-Aufnahmen als Bild und Video unter Wasser macht.

Jetzt bin ich also zurück und trage die Liebe zu diesem Land und all den Eindrücken in mir. Lenny Kravitz, die coolste Socke der Welt, hat da einen schönen Song, der passt. Make me feel so sweet… Sehnsucht, ja, Sehnsucht.