Ein Mann, ein Hund, eine Maus.
So fangen Geschichten an, die das Leben schreibt. Auf dem Land. Was ist geschehen? Ich würde von Kausalzusammenhängen sprechen. Es ist so, dass es hier wettertechnisch gerade ziemlich ungemütlich ist. Der Himmel fällt uns auf den Kopf. Gestern zwei Sturm-Attacken. Gegen Mittag stand ich in der Küche und kochte, als der Regen von Westwindböen gepeitscht horizontal am Fenster vorbei flog. Ein Hauch Waterboarding. Die Bäume neigten sich zum Boden und ich war mir nicht sicher, ob ich samt Haus mitgerissen würde Richtung Mars und Unendlichkeit, ein Gottesteilchen in den Wogen der Zeit, ein Spielball der atlantischen Tiefausläufer, eine Randerscheinung im Wetterwahnsinn dieses Sommers. Fünf Minuten Spektakel, Sonne, Wolken, Blauerhimmelfetzen. What shall we do?
Am Abend dann Dramatik. Gewitter, Hagelkörner in Zentimetergröße und Ela und Cooper draußen im Wald. Joggen. Zackende Blitze und Rettungskinder, die mit Schirmen Mutter und Hund zur Hilfe eilen wollen. NO! Ihr geht da nicht raus. Vater mit ausgebreiteten Armen vor der Tür. Ihr bleibt hier, ich fahre mit dem Auto, ihr passt auf. Auf was auch immer, Hauptsache drinnen. Diese Welt da draußen hat ’ne Macke. Ist November oder was? Befinden wir uns am Nordpolarmeer im Zentrum of the perfect storm?
Als ich Ela und Cooper im Wald finde, lächeln beide. „Wir sind doch nicht aus Zucker!“. Yo! Der Himmel lächelt auch mit weißen Zähnen aus himmlisch blauen Feldern. Sonnenstrahlen verarschen mich. Hey, Vorsicht! Ich kann auch anders.
Diese Kapriolen sind natürlich nicht allein Menschen beeinflussend. Man stelle sich vor, man sei ein Rotkehlchen. Wo will man denn da wohnen zur Zeit? Also ich persönlich würde als Rotkehlchen mal ordentlich was futtern und dann ab nach Süden. Italien. Genau. bald.
Zu Mr. Tom. Tom & Jerry. In diesem Fall Tom & Jim. Bei Jim im Zimmer sind während seines Kanada-Aufenthaltes Mäuse eingezogen. Ich hätte nicht von WG sprechen sollen. Erst fielen kleine schwarze AA-Kügelchen auf. Dann hat Jim eine gesehen. Nase raus aus dem Loch hinter dem Heizungsrohr. Gucken und Hetzewetze Richtung Küche ein paar kleine Krümelchen holen. Moment mal! Mietvertrag? Gefragt, ob? Mal eben einfach so eingezogen. So nicht! Klar, bei dem Wetter draußen, da muss man sich mal ’nen Plan B überlegen. Für das weitere Sommerwetter ein böses Mäusezeichen…
Da wohnen diese kleinen sehr süßen Scheißer unter dem Holzboden und zecken sich durchs Leben. Kann ich noch ein Stück von dem Käse? Sehr delikat. Danke, lecker. Und…
Kein Pardon. Lebendfalle. Was immer fängt, ist Brot mit Nutella. Süße Mäuse. Jim will Körner und Käse. Sein Zimmer, seine WG. Er dreht einen Film, wie Mr. Tom in die Falle geht. Zeigt er mir. Hier ein Körnchen, schwupps, dort ein Körnchen. Einen Fuß in die Falle. „Och, lieber nicht. Freiwillig Käse verschenken riecht nach Verarsche. Wie hat der Lehrer gesagt?“ Noch ein Körnchen. „Och, nur mal schnuppern.“ Rein in die Falle, raus aus der Falle. „Oh, mein Gott, riecht das gut. Lieber nicht. Oder vielleicht einen kleinen Happen?“ ZACK! Tür zu. Boah ey, was war der Mr. Tom sauer. Mit den Zähnen an den Gitterstäben. „Lasst mich sofort raus. Penner, Wi…“ Und dann hingesetzt und erst einmal Käse gefuttert. Ratatouille sag ich nur.
Jim hat ihn dann raus gebracht. Freigelassen. Wo? Im Garten. Oh no. Vorne zur Tür raus und hinten durchs Loch in der Bruchsteinmauer wieder rein. The same procedure. Falle, Körner, Käse. Nachts. Zack! „Papa, es war drei Uhr. Weißt du, was die für eine Randale gemacht hat? Da hab ich sie wieder raus gelassen.“ In sein eigenes Zimmer. Der Junge liebt seinen Schlaf und Mäuse findet er süß. Allerdings hat er damit Mr. Toms Selbstbewusstsein ins Unermessliche gesteigert. Popeye. Dicke Arme. Ela sitzt abends nach dem Gewitterschreck im Ofenzimmer und liest, da kommt der Kollege als neuer Mitbewohner durch den Raum und marschiert in die Küche. „Och, ich könnte so einen kleinen Happen vertragen. Soll ich dir was mitbringen?“ Da fehlte nur das Schätzchen.
Klare Ansage. Jim, die Maus muss weg. Und: Heute Nacht nimmst du die Falle samt Maus und stellst sie vor die Tür. KEIN PARDON! Heute Morgen steht die Falle samt einem niedergeschlagenen Mr. Tom wo? Auf dem Küchentisch. Er konnte dem Käse wieder nicht widerstehen. Irgendwie fast schon menschlich. Guten Morgen! Grrrr. Nicht sehr freundlich, der Ausziehende. Das Fell von dem Riesenkäsestück etwas fettig. „Na, Mr. Tom, heute Haare gegelt?“ Böse. Sag ich natürlich nicht. Stattdessen rede ich ihm gut zu, spreche über Absprachen und das geht so nicht und wir müssen uns trennen und woanders im Wald ist es doch auch schön. „Bei dem Wetter?“ „Mr. Tom, man muss auch mal Kompromisse eingehen!“ „Du kannst ja in den Wald ziehen!“ „Sitz ich in der Falle?“ „Arschloch!“ „Hey!“ O.K., ich meine, kann ich ja verstehen. Irgendwie.
Ein Mann, ein Hund, eine Maus.
Auf dem Weg in den Wald. Was hat Mr. Tom gezetert, sich erregt, von Occupy und 99% gesprochen und von gnadenloser Rache, wenn er mit seinen Kumpels kommt, die solche Arme haben und dann gibt’s ordentlich auf die Fresse, kein Kindergeburtstag, nee, kein Kindergeburtstag. Aber hallo. Mir zittern die Knie, hab ich gesagt. Am Ende des Wegs, Orangenbaumblätter auf dem Boden, hab ich die Falle abgesetzt. „Mr. Tom, irgendwie sind sie mir ja ans Herz gewachsen, aber wir passen nicht zusammen.“ Dann habe ich die Falle geöffnet. Nix passiert. Mr. Tom läuft nicht raus, sondern schaut mir mit seinen wunderschönen braunen Perlglotzern auf den Grund meiner Seele. „Vielleicht doch WG?“ Ich bleibe standhaft. „Nee du, weißt du, bei uns wohnen gerade eh schon ziemlich viele Leute und so. Ein Kommen und Gehen.“ „O.K.“ Dann dreht er sich um, setzt sich vorne auf die Fallenschwelle und schaut in den Wald. Ich spüre: Die Nummer gefällt Mr. Tom so ganz und gar nicht. „Hier soll ich wohnen? Mit Spinnen und Hasen und vergammelten Blättern und nassem Moos und Baumrinde und all diesem Ökoscheiß? Ich bin ’ne verdammte Hausmaus mit Bedürfnissen. Käse, Brotkrümel…“ „Lieber Tom, aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen: Manchmal läuft es einfach anders. Du musst es nehmen wie es kommt. Hilft nix. Ciao, bello.“ Und er geht raus und seinen Weg und…





