
(Menschen vor einer Tacita Dean Videoinstallation, London – TATEmodern 2012)
Du bist hier. Du liest gerade einen Private-Blog. Du liest Dinge über ein fremdes Leben. Du liest Seelenzustände, Gedanken, Gedichte, Innenwelten. Was so passiert, und es passiert so viel. Bist du jetzt ein Voyeur? Bin ich ein Exhibitionist?
Wir treffen uns hier. Du. Ich. Ich schreibe für dich, du liest mich. Vielleicht beschleicht dich ein Gefühl von Heimlichkeit, weil du leise rangeklickt kommst und liest und gehst. So, als würdest du über einen Zaun blicken, durch ein Fenster und verschwinden. Leise, lautlos.
Marc Zuckerberg hat das Ende des Privaten ausgerufen. Natürlich nimmt der den Mund immer ziemlich voll. Sein Job ist halt Vision. Macht er ja auch ziemlich gut. Hunderte Millionen Menschen, die sich auf Facebook treffen, die posten, was das Zeug hält. Es ist eine neue Zeit angebrochen.
Welchen Nutzen hat das Private? Das Verschlossene? Der geschützte Raum? All die Dinge, die niemanden etwas angehen? Wohl fühlen im Schutzraum?
Ich bin einmal morgens Früh allein durch Aachen gegangen. Da fiel mir ein fremdes Familienalbum vor die Füße. Sperrmüll und es lag da auf dem Gehsteig. Ich habe es aufgehoben, durchgeblättert. Ein ganzes Leben. Taufe, Kommunion, Hochzeit. Feste. Lachen. Gesichter. Menschen. Ich wollte es erst aufbewahren, weil ich dachte, es wird nun achtlos weggeworfen und irgendwann vermisst es jemand. Die Kinder, die Enkel. Irgendwer, der gerne wüsste, wie es war.
Wie es war.
Wie war es denn? Dein Leben? Bislang? Erinnerst du dich?
Für mich ist es Erinnerung und Weg, hier zu schreiben. Die Offenheit gefällt mir. Das ist Freiheit. Meine Mutter hat immer gesagt: „Kinder, es ist egal, was die Nachbarn sagen.“ Genau. Ist ja mein Leben. Meine Entscheidung. Mein Gefühl. Meine Freiheit. Ich lade dich ein, das hier zu lesen. Und ich wünsche mir, dass du dich dabei gut, frei, aufgehoben, an meiner Seite, verbunden fühlst. Das fände ich schön. Wenn sich Menschen berühren. Nah kommen. Distanz auflösen. Es zulassen.
Bloggen. Sich nicht verstecken. Es einfach halten. Lüften. Dazu stehen. Es genau so machen, wie ich will. Ich fühle mich nicht als Exhibitionist und empfinde dich hier nicht als Voyeur. Es freut mich, dass du da bist. Interesse hast, dich auseinandersetzt und den Mut hast, dieses eventuelle Gefühl von Voyeurismus auszuhalten. Dass du dieses Experiment, Projekt, mit mir teilst.
Wir wollen die Welt verändern? Immernoch? Dann müssen wir freier werden und mutig sein. Experimentieren und schauen, was es sonst noch gibt. Ich zeige euch, wie ich es mache. Mit welchen Mitteln ich dem Leben begegne und wie ich mit dem umgehe, was geschieht. Manchmal weiß ich, dass das anderen hilft. Wie eine zweite Meinung, eine Alternative. So what? Wir sind alle Menschen, wir wissen alle, dass wir nicht perfekt sind und mal oben und mal unten sind. Was gibt es da zu verstecken? Wir alle haben neben allem Schönen Probleme in irgendeiner Form, werden alt, sterben. Wir alle sind gemeinsam unterwegs.
Ich kann durch den Blog freier atmen. Fühle mich verbunden. Ich kann besser durchs Leben gehen. Die Trennung besser verarbeiten, mich einfacher entlieben. Treffe ich Freunde, wissen die Bescheid, weil sie den Blog gelesen haben. Ich muss nicht alles erklären. Ist ja öffentlich. Lesbar für die ganze Welt. Und? Für mich wird das immer normaler, ich spüre, wie sich Enge auflöst und durch etwas Neues ersetzt wird. Das ist ein aktuell gesellschaftliches Phänomen. Realität. Schaut mal hin.
Ihr könnt also gerne offen dazu stehen, dass ihr fiftyfiftyblog lest, könnt darüber sprechen und weitererzählen, was hier geschieht:) No limits.
