Entlieben

Vorn an den Fingern
ganz vorn
noch eben
zu spüren

Rot, warm
Liebe

Weiche Schnur

Flügel heben
Schleife lösen
vom Fuß

In die offene Hand
wie aufgeregt
Herzen schlagen

Flieg
noch ein Kuss

Flieg
noch ein Blick

Nimmermehr
zurück

Noch Flaum
dort
dort
dort

Gehen

märz 2012

Hier geht es um die neue Offenheit…


(Menschen vor einer Tacita Dean Videoinstallation, London – TATEmodern 2012)

Du bist hier. Du liest gerade einen Private-Blog. Du liest Dinge über ein fremdes Leben. Du liest Seelenzustände, Gedanken, Gedichte, Innenwelten. Was so passiert, und es passiert so viel. Bist du jetzt ein Voyeur? Bin ich ein Exhibitionist?

Wir treffen uns hier. Du. Ich. Ich schreibe für dich, du liest mich. Vielleicht beschleicht dich ein Gefühl von Heimlichkeit, weil du leise rangeklickt kommst und liest und gehst. So, als würdest du über einen Zaun blicken, durch ein Fenster und verschwinden. Leise, lautlos.

Marc Zuckerberg hat das Ende des Privaten ausgerufen. Natürlich nimmt der den Mund immer ziemlich voll. Sein Job ist halt Vision. Macht er ja auch ziemlich gut. Hunderte Millionen Menschen, die sich auf Facebook treffen, die posten, was das Zeug hält. Es ist eine neue Zeit angebrochen.

Welchen Nutzen hat das Private? Das Verschlossene? Der geschützte Raum? All die Dinge, die niemanden etwas angehen? Wohl fühlen im Schutzraum?

Ich bin einmal morgens Früh allein durch Aachen gegangen. Da fiel mir ein fremdes Familienalbum vor die Füße. Sperrmüll und es lag da auf dem Gehsteig. Ich habe es aufgehoben, durchgeblättert. Ein ganzes Leben. Taufe, Kommunion, Hochzeit. Feste. Lachen. Gesichter. Menschen. Ich wollte es erst aufbewahren, weil ich dachte, es wird nun achtlos weggeworfen und irgendwann vermisst es jemand. Die Kinder, die Enkel. Irgendwer, der gerne wüsste, wie es war.

Wie es war.

Wie war es denn? Dein Leben? Bislang? Erinnerst du dich?

Für mich ist es Erinnerung und Weg, hier zu schreiben. Die Offenheit gefällt mir. Das ist Freiheit. Meine Mutter hat immer gesagt: „Kinder, es ist egal, was die Nachbarn sagen.“ Genau. Ist ja mein Leben. Meine Entscheidung. Mein Gefühl. Meine Freiheit. Ich lade dich ein, das hier zu lesen. Und ich wünsche mir, dass du dich dabei gut, frei, aufgehoben, an meiner Seite, verbunden fühlst. Das fände ich schön. Wenn sich Menschen berühren. Nah kommen. Distanz auflösen. Es zulassen.

Bloggen. Sich nicht verstecken. Es einfach halten. Lüften. Dazu stehen. Es genau so machen, wie ich will. Ich fühle mich nicht als Exhibitionist und empfinde dich hier nicht als Voyeur. Es freut mich, dass du da bist. Interesse hast, dich auseinandersetzt und den Mut hast, dieses eventuelle Gefühl von Voyeurismus auszuhalten. Dass du dieses Experiment, Projekt, mit mir teilst.

Wir wollen die Welt verändern? Immernoch? Dann müssen wir freier werden und mutig sein. Experimentieren und schauen, was es sonst noch gibt. Ich zeige euch, wie ich es mache. Mit welchen Mitteln ich dem Leben begegne und wie ich mit dem umgehe, was geschieht. Manchmal weiß ich, dass das anderen hilft. Wie eine zweite Meinung, eine Alternative. So what? Wir sind alle Menschen, wir wissen alle, dass wir nicht perfekt sind und mal oben und mal unten sind. Was gibt es da zu verstecken? Wir alle haben neben allem Schönen Probleme in irgendeiner Form, werden alt, sterben. Wir alle sind gemeinsam unterwegs.

Ich kann durch den Blog freier atmen. Fühle mich verbunden. Ich kann besser durchs Leben gehen. Die Trennung besser verarbeiten, mich einfacher entlieben. Treffe ich Freunde, wissen die Bescheid, weil sie den Blog gelesen haben. Ich muss nicht alles erklären. Ist ja öffentlich. Lesbar für die ganze Welt. Und? Für mich wird das immer normaler, ich spüre, wie sich Enge auflöst und durch etwas Neues ersetzt wird. Das ist ein aktuell gesellschaftliches Phänomen. Realität. Schaut mal hin.

Ihr könnt also gerne offen dazu stehen, dass ihr fiftyfiftyblog lest, könnt darüber sprechen und weitererzählen, was hier geschieht:) No limits.

Wie aufregend kann Leben sein?

Entwicklung geschieht an den Kanten. The edge. Geschichte verläuft in Sprüngen. Es bahnt sich an, staut sich auf, bricht los. Renaissance, Aufklärung, französische Revolution, der Weg in die Moderne, die westliche Demokratie. Mit idiotischen Rückschlägen und unnötigen Arabesken. Shit happens.

Die Ontogenese enthält die Phylogenese. Die Entwicklung des Einzelnen bildet die Gesamtentwicklung ab. In der Zeit als Embryo. Auf der Ebene der Erscheinung sind es die verbliebenen, rudimentären Merkmale des Körpers. Die kleine Ecke in den Augen, der Blindarm. Wir bewegen uns permanent in einem großen Entwicklungszusammenhang.

Trotzdem leben wir unser eigenes Leben. Hier und jetzt. Gestern, morgen. Dieses Leben ist eingebunden in die Gesamtentwicklung, in der es Sprünge gibt. Und es gibt die Sprünge in der Individuelentwicklung. Die Dinge laufen parallel und jeder Mensch könnte seinen eigenen Graphen an die große Welt- und Menschheitslinie anlegen und schauen, wo er steht. Es ist ein Mitgehen. Sich trennen, nah dran sein, Augen verschließen, nicht wollen, begeistert sein und, und, und.

Kommen wir zum Thema. PUNKT, wie eine sehr gute Freundin schreiben und sagen würde. Diese besondere Frau. Ach. Tagebucheintrag am 4. April 2012: In den vergangenen Wochen war das Meer rau. Der Himmel hing voller leuchtender Sterne, was das Navigieren extrem vereinfacht hat. Die Wellen waren hoch wie Türme. Die Sicht mal weit und klar, mal war da nur die Wand. Nur Welle, nur Tal, sonst nichts. In Seenot geraten. Gekämpft. Aufs Deck geknallt, umgeschmissen. Zurück in die Wanten, mehr Segel. Trotzen. Das Schwert griffbereit. Die Nase blutig geschlagen, der Körper voller blauer Flecken. Brüche.

Nun: Ist da ein weites Land. Überraschend. Die Fahrt war kurz. Den stürmischen Atlantik in Tagen. Dennoch. Es fühlt sich anders an, dieses Leben. Plötzlich. Frei, leicht. Schön. Es ist aufregend. Das Leben tanzt. Ich tänzele. Es scheint, eine Stufe genommen zu sein. Es liegen schöne Dinge vor mir. Und wenn ich zurückblicke, liegen da mehr schöne Dinge als doofe. Ich muss oft lachen. Mit Menschen. Und loslaufen. Ich kann wieder laufen. Schnell, weit, leicht.

Mein Dachfenster ist eingebaut. Das neue Bett steht darunter. Musik fliegt mir zu, die ich in die Anlage werfe. Gestern Abend lag ich nach einem langen Tag in der Badewanne. Kerzen. Duft. Aus meinem Zimmer klang ein jazziger Sting. Es ist der Augenblick, der zählt. Moment für Moment. Bei mir ist gerade so viel Platz für Neues, neue Gedanken, neue Menschen, dass ich denke: Wie aufregend kann Leben sein?

Für dich. Du weißt.

Zweizwölf, PUNKT

DIFFERENZIEREN
hat sie geschrieben

Von dem Baum
den Joints und Jack Daniels

Dem durchs Haar Streichen
endlosem Küssen

when my body is with yours

Der Blick in den Himmel
Fenster im Dach
Spiegelbild oben
die Hand
vorsichtig

Das Herz aus der Schachtel
liegt dort
die Schnüre hängen herab
über den Rand

Jedes Geräusch
laut

Jedes Gefühl
Sturm

Jedes Wort
Tiefe
tief

Killing me softly

märz 2012

mowaii oder die Kunst des Designs

Kürzlich hatte ich das sehr große Vergnügen, den Künstler, Grafiker und Designer David Grasekamp einen Abend für mich zu haben. Eine Einladung zu Steak & Beer. Männer. Herren. Und weil wir beide eher doch zur Fraktion des empathischen Mannes gehören, sind wir ins Café Sehnsucht gefahren. Köln Ehrenfeld. Wir hatten einen sehr intensiven Abend mit einem nachhaltig wirkenden Gespräch. Das ist so mit David. Intensität ist sein Markenzeichen. Einer, der da ist. Der in einem Körper wohnt, der auf geheimnisvolle Art und Weise Energie akkumuliert. Gleichzeitig ist sein Geist so wach, dass all die Bibliotheken seines Kopfes ständig bereit sind, Information zusammenzusuchen und sinnvoll zu nutzen.

David Grasekamp ist Grafiker und Designer. David ist Künstler. Er hat in Paris gelebt, hatte dort ein Atelier, hat gemalt, verkauft. Er hat in Tokio gelebt. Vor dem Untergang der Lehmann Brother’s. Seine Agentur heißt mowaii.com: http://mowaii.com/ Als Künstler ist er hier zu finden: http://www.davidgrasekamp.com/. Dort gibt es auch einen Link zu seinen Bildern auf Flickr. Obwohl. Tja. So ist das. Die muss man im Original sehen. Sie sind teilweise groß. Sehr groß. Und: Wenn man so direkt vor ihnen steht, sehr intensiv. David eben. Details. Sinn. Geschichte. Tieferes Leben.

Am Ende unseres Gespräches im Café Sehnsucht hat David in seine Jackentasche gegriffen. Er gab mir seine Visitenkarte. mowaii. Make your spirit visible. YES. Das war visible und touchable. Optik, Haptik. Die schönste Visitenkarte, die ich je in den Händen hielt. Seit dem Abend liegt sie hier auf dem Schreibtisch und zieht meinen Blick an. Manchmal nehme ich sie in die Hand, weil sie sich so schön anfühlt. Jim fragte: „Papa, was ist das?“ Leuchten in den Augen. Er bekommt allmählich ein Gefühl für all diese Dinge. Aufwachsen in einem Medienhaushalt.

David: „Ich habe keine Lust auf Kompromisse. Das sage ich auch meinen Kunden. Weshalb Geld verschleudern für schlechte Visitenkarten? Für eine unpersönliche Kommunikation. Für Kompromisse? Für Abziehbilder?“ Der erste Eindruck zählt. Das Erscheinungsbild. Der Auftritt. Der Erstkontakt. Das Gewicht. Nachhaltigkeit ist ein oft falsch verstandenes, geduldig eingesetztes Modewort. Ich muss es immer wieder für Unternehmen schreiben und weiß oft, dass es lieblos auf die Fahne getackert ist. Ohne Halt und Rahmen und Liebe zu dem, was da steht.

Diese Visitenkarte ist das Gegenteil. Sie hat Gewicht, ist auf teurem, rarem Papier, Karton gedruckt. Was ich zuvor nirgendwo anders gesehen habe: Der hohe Rand ist rot eingefärbt. Diese Karte stammt aus einer Manufaktur. Klassisch gedruckt und verarbeitet, aber mit den Ideen eines Grafikers und Designers, der Künstler ist. Vier Farben plus zwei Sonderfarben wurden genutzt. Alles steht so, wie es trägt. Eine Ordnung, die prägt. Harmonie. Abstände. Typo. Auf der Rückseite steht David Grasekamp, Designer. Wer hätte diese Berufsbezeichnung mehr verdient?

Für mich ist es ein großes Vergnügen, mit einem Menschen wie David Grasekamp zusammenzuarbeiten, weil ich permanent von ihm lerne und intelektuell herausgefordert werde. Nicht einfach ein Job. Ist oft genug der Fall. Auftrag, Stoppuhr Start, los, Finger fliegen lassen, Geist auf Koffein und Adrenalin setzen. High Pressure. That’s the normal way. Mit David ist es anders. Definitiv besser. Nachhaltiger. Intelligenter. Durchdachter. Fundierter. Wesentlicher. Berührender. Wenn Ihr, die ihr das hier lest, einmal eine wirklich gute Kommunikation braucht, keinen Schnellschuss, sondern etwas Besonderes, Dauerhaftes, dann ruft ihn an. Lohnt sich. Ihr bekommt am Ende deutlich mehr als nur ein lieblos verpacktes Päckchen Visitenkarten. Spirit. Einen eigenen Weg.