Wie Leben eben so läuft

Manchmal glaube ich, ich bin das einzige Einhorn auf dieser Welt. Dann bin ich so weit entfernt von allen Realitäten. Es ist. Nun. Es ist.

Ich möchte es hier in meinem Tagebuch festhalten, nachtragen.

Es war vor rund 6 Jahren, als wir die Alte Schule in Nosbach verkauft haben. Ich dachte, es würde ein Jahr oder länger dauern, jemanden zu finden. Wir haben sie im März offeriert, im Mai war sie weg, im August musste ich ausziehen, ohne zu wissen, wohin.

Ich war lost.

Ehrlich? Abgrundtief verzweifelt und einsam. Da waren Optionen und Möglichkeiten, die waren so weit weg. Mein Innerstes hat geschrien.

Zur Arbeit bin ich gegangen, am Schreibtisch habe ich gesessen. Geliefert. Indianer weinen nicht.

Ein Leben der Normalität, den Kindern gegenüber, allen.

Innerlich bin ich gestorben.

Wie sollte ich zwischen Mai und August mal eben eine neue Bleibe finden? Wo sollte ich hin?

Dann kam das Steigerhaus wie ein Geschenk Gottes. Als wäre ich erwählt und würde irgendwer eine Hand über mein Schicksal legen.

Ich bin dann eingezogen, Max mit mir. Pella ist zu ihrer Mutter gezogen, zwischendurch ist sie mit ihrem Freund eingezogen. Ich hatte Platz, Raum. Die Kids haben rauschende Partys gefeiert.

Dann ist Viveka eingezogen.

Lange habe ich um die Alte Schule getrauert, um das Familienleben dort mit Hund. Bullerbü. Niemals hätte ich gehen wollen. Lost Paradise.

Nun liebe ich das Steigerhaus. Pella und Max leben ihr Leben in Köln, sie sind nah. Das ist so schön. Und Viveka und ich leben unser Leben hier. Leider ohne den Herrn Cooper.

Mein ganzes Leben ist immer schon viel zu intensiv. Ich weiß nicht, was ich mache. Weshalb das so ist. Immer wollte ich eine Heimat haben, und dann, nächste Gelegenheit. Scheiß drauf. Weg.

Wenn mich einer fragt, wo ich herkomme, dann sage ich: Geboren in Meppen an der Ems, dann nach Recke und Kaisersesch, in Cochem zur Schule gegangen, in Montabaur im Internat gewesen, in Koblenz bei der Bundeswehr, dann nach Aachen zum Studium, anschließend ans Nationaltheater Mannheim, zurück ins Rheinland nach Köln, erst Mülheim, dann Ehrenfeld, dann in den Reichshof nach Nosbach in die Alte Schule und dann nach Wiehl Mühlhausen ins Steigerhaus. Meine nächste Adresse möge ein Haus in Italien am Meer sein.

Was ich will? Das Schöne. Das Gute. Das Sinnhafte. Sinn soll es machen, der richtige Ort soll es sein. Das möchte ich erreichen. Das ist das, was auf der Agenda steht. Das ist meine Sehnsucht.

Bis dahin genieße ich mein pralles Leben hier. Hier. Ich liebe es, aber es nicht das Ende…

Berlin.

Alles so lange her, fast vergessen. War so viel los im Leben. Immer. Als wir uns damals getrennt haben, hatte ich eine Therapiesitzung, um nicht in Richtung Erdmittelpunkt zu fliegen. Ich sollte mich beschreiben. Oder so. Da nannte ich mich einen Highlightjunkie. Einen, der Dinge braucht, die man nicht kaufen kann.

So ist das.

So war das mit Berlin. Klassenfahrt, Abifahrt in den 80ern. Nach Ost-Berlin rüber, im Rathauskeller essen und trinken wie die Fürsten. Die 20 Ostmark wurde man nicht los. Nachts die Nutten am Nollendorfplatz. Einer von uns wollte eine der Mädels retten. Abend für Abend. Sie wollte, dass er mitkommt. Und wir haben zugeschaut, weil es unsere dörfliche Welt Zuhause gesprengt hat. PENG!

Später kam ich als Kolja wieder. Deutsches Theatertreffen, wir als Nationaltheater Mannheim. Eigentlich war ich Hans-Ulrich Beckers Regieassistent in Jerofejews Walpurgisnacht oder die Schritte des Komturs. Aber dann fiel Kolja aus und ich übernahm. Wir schliefen in einem sündhaft teuren Hotel, 480 DM die Nacht. Vom Theater bezahlt. Wir waren 27 oder so, Kinder. Ich sah George Tabori im Spiegelzelt vorm Deutschen Theater und merkte mir den Satz: “Die Kraft liegt in der Wiederholung, die Kraft liegt in der Wiederholung, die Kraft liegt in der Wiederholung”. Und seine Anmerkung: “Zentrum eines jeden Witzes ist eine Katastrophe”. Ich war jeden Abend im Theater, im Publikum oder auf der Bühne. Einen Abend bin ich mit Hendrik Arnst in der Kantine der Volksbühne gelandet und plötzlich auch auf der Bühne, im Dunkeln. Auf Carstorfs Spielfläche.

Berlin war immer anders, spannend.

Ich war dort zum Arbeiten. Als Texter. Habe am Potsdamer Platz im Sony-Center unten im Museum eine Schreibwerkstatt für Sony-Mitarbeiter*innen gegeben. Bin eingeladen worden zum Sony-Quartalstreffen mit späterem Abtanzen im Club. Das war die Zeit, als Jeffry van Ede einen neuen Wind in Sony Deutschland brachte und ich durfte mit Text supporten. Im Club kam Jeffry zu mir und hat sich bedankt. Er war für mein Leben ein Quantensprung. Er hat mir gezeigt: Veränderung ist möglich. Sogar in Deutschland.

Später habe ich Freunde besucht in Berlin, einen Schulfreund, einen Theaterfreund aus meiner Zeit als Hospitant am Stadttheater Heidelberg. Wohnen am Prenzlauer Berg, als der noch dieser Prenzlauer Berg war.

Mit der Familie war ich da, mit den Fußballjungs. Draußen am Olympiastadion haben wir gewohnt in einem Sportlerheim. Mit Patti wollte ich am Kuhdamm tanzen gehen und wir wurden zum Kuhstall geschickt, vor dem eine elend lange Warteschlange stand. Die Zeit hatten wir nicht. Vorne fuhren Limousinen vor, aus denen VIPs ausstiegen und durchgewinkt wurden. Wir haben uns in einen VIP-Pulk geschlichen, ich habe meinen Arm durch andere Arme geschoben, bekam ein Armband und bin rein… Patti hat es nicht geschafft. Das war. Nun. Wir beide dort. Kaum auszudenken.

Das Bändchen gewährte mir nicht nur Einlass, sondern auch Zutritt zum VIP-Bereich, in dem ich Champagner trank und von der Theke Champagner an leicht bekleidete Frauen weiterreichte. Später stellte sich raus, ich war mitten in der Geburtstagsfeier von PLAYBOY-Deutschland gelandet. Berlin. Wenn so ein naiver Dorfjunge einfach nur tanzen möchte.

Die nächste Nacht sind wir vom Bundespressestand mit einigen Mädels eines Jungesellinnenabschieds im Großraumtaxi tanzend durch Berlin geheizt. Ums sie zu ihren Jungs zu bringen, was wir natürlich nicht wussten. Im Morgengrauen mit dem Taxi zurück ins Sportlerheim. Noch einmal Bier an der Tanke und die Frage, ob nicht irgendwer aus der Taxizentrale mit uns grillen möchte… Das war schräg. Und als wir dann im Morgengrauen kurz vorm Olympiastadion sind, ist die Straße voller Wildschweine…

Irgendwann bin ich hingeflogen, weil ich für das Bundesministerium für Bildung und Forschung einen Wissenschaftler im PIK in Potsdam interviewen musste. Es ging um das Projekt GLOWA, die Erforschung des globalen Wasserhaushaltes. Da war schon klar, dass sich das Klima ändert und damit auch die Wassersituation auf dem Planeten. In Potsdam ging es um die Elbe. Mir wurden die computergestützten Szenarien gezeigt. Heute kann ich sagen: Ist tatsächlich so gekommen. Die Broschüre, die ich damals getextet habe, ist noch online: https://www.wusgermany.de/sites/wusgermany.de/files/content/files/brosch_glowa_final.pdf

Dann war ich noch einmal da zur Loveparade. Die letzte? Weiß ich nicht. Den ganzen Tag bis in die Nacht getanzt. Vorm Brandenburger Tor, dass in Telekom-Magenta getaucht war. Und dann noch einmal ein Glen Hansard-Konzert. Und einen Tag mit Pella im Pergamon-Museum, um ihr die Antike zu zeigen. Den Pergamon-Altar, den ich aus Peter Weiss Ästhetik des Widerstands kannte.

Und jetzt wieder.

Ruhiger.

Mal sehen. Frau Beckmann und Herr Schönlau. Ich bin gespannt…

P.S. – über Berlin habe ich schon öfter geschrieben:

Freiheit, wie ich sie liebe

Freiheit, Liebe und ich in einem Satz.

Yep:) So und nicht anders. Weil es meine Liebe ist und meine Freiheit.

Ein Sonntag im Februar. Im Bett, schön warm. Draußen regnet es und die Fische frieren im Gartenteich, der Tropfen um Tropfen heimgesucht wird vom andauernden Antlantikwetter. Den Regen hätten die Fichten der Region gebraucht, die nun alle Nadeln abgeworfen haben.

Es sind sehr speziell merkwürdige Zeiten, in denen wir leben und ich verstehe die Welt immer weniger. Was geht da vor? Was machen wir? Weshalb ist es so, wie es ist?

Ich gestehe, ich fliehe den Zeiten ins kuschelige Bett oder nehme das Auto und reite los. Alles ist besser, als dem Geschrei der Zeit zuzuhören. Das schmerzt, zuzusehen, zuzuhören, wie sich Menschen mit Worten gegenseitig in Stücke zu reißen suchen. Gute Menschen, ansonsten nette Menschen. Zu ihren Liebsten liebevolle Menschen. Worte kann man nicht zurücknehmen, sagt Viveka.

Im Himmel der Menschen werden gerade Entschuldigungsformulare en masse für die Zeit danach gedruckt. “Sorry, habe ich damals so empfunden. War ein wenig hart. Sehe ich heute anders.” Vielleicht.

Not my cup of coffee.

Fahre weg, schaue mir den Sonnenuntergang in Bonn an, schwebe durch Wuppertal, genieße den etwas zu lange ausgehaltenen Blick der Kellnerin im Restaurant, flüsstere Viveka zu – sie hat mit mir geflirtet. Ich kann das gar nicht. Danke. Hat mich berührt.

Spiele nachts auf dem Spielplatz in Calais während die Fähren die EU verlassen. Volle Fahrt voraus in die Dunkelheit. Lauf die Cote d’opal entlang, sitze in einem Restaurant in Wissent mit Blick auf das Meer. Ich bin frei, ich habe Raum für die Liebe meines Herzens. Es ist mir nicht möglich, Liebe und Geschrei zu trennen. Das kann ich nicht differenzieren, andere können das scheinbar. Mir ist das nicht gegeben. Das halte ich nur eine Zeit lang aus. Als Widder Aszendent Widder habe ich alle Kraft und Energie im Augenblick und kann Steine zum Explodieren bringen. Aber dann bin ich eine zarte Seele auf der Flucht.

Worte.

Sind mein Elixier. Weder will ich sie, noch kann ich sie relativieren. Gesagt ist gesagt ist geschrieben.

Sprache ist Gewalt, oder eben nicht.

Ausdruck dessen, was wir denken, fühlen, sind. Menschen können sprechen, schreiben, ihnen ist die ganze Kraft des Wortes gegeben. Du kannst sagen “Ich liebe dich” oder “Ich hasse dich”. Hassen ist ein schweres Wort. Dass ich es hier schreibe, ist. Nun. Ein Kompromiss. In meinem Umfeld interveniere ich regelmässig und bitte darum, es nicht zu nutzen. Nur, wenn es angemessen ist. Gesagt trägt man es in die eigene Welt. Ich glaube nicht, dass Worte wie Seifenblasen zerplatzen. Sie bleiben als Duft im Raum.

Im Hintergrund läuft Musik. Erst Portishead Roads, jetzt Slow Blues.

Über Silvester waren wir in Budapest. Haben uns eingemietet in eine Wohnung gegenüber der alten Markthalle, nicht weit von der Donau und dem Gellert-Bad. Bald sind wir in Fecamp, dann in Paris, Levanto und über Weihnachten auf Teneriffa. So Gott will.

Schutzräume, kleine und große Fluchten. Vertrieben aus dem Paradies, das Paradies verlegt, in den Koffer gepackt. Sind dann mal weg.

Der Frühling, der Sommer, der Garten. Der Garten. Die Glühwürmchen, die Hängematten, die Feuerschale.

Wird Zeit. Wahrlich.

Worte schaffen Welten.

In welcher Welt wollen wir zusammen leben?

L’amour de l’enfant terrible

Wüsste die Liebe

zu küssen

müssen

Die Lippen

des rotflauschigen Tags 

Der Morgen

die Nacht zuvor

das sturmbrandende Meer

Von Liebe gefesselt

die Süße

leichtfüßig tänzelnd

Wünschte

halten zu können

das Spüren

und Sehnen

Den Käfig geöffnet

die Fesseln gelöst

In allem

ein Augenblick 

nur

jANUAR 2022

Dieses Geräusch im Keller

Du öffnest die alte Holztür. Sie klemmt, verhakt sich am Boden, weil das Linoleum höher ist als der Spalt. Es ist eine Fuckelei jedes Mal. Ich könnte das Linoleum einfach rausschmeißen, aber ich mag es, keine Ahnung. So ist das. Ich mag es, was soll ich tun? Gehörte zum Haus dazu. Meine Glaube ist, meine Wahrnehmung, meine echte Überzeugung, dass Häuser lebendige Wesen sind. Nicht so mit Armen und Beinen und Sprechen und so. Aber fühlbar. Die Alte Schule damals war für mich eine Alte Dame. Ich hatte das Bedürfnis, ihr sehr freundlich zu begegnen in dem Wissen, dass sie noch lange da sein wird, wenn ich längst Geschichte bin. Aus der Perspektive eines Hauses kommen und gehen Menschen, die glauben, ihnen würde das Haus gehören. Die alte Dame hat über solche Dinge geschmunzelt. „Ja, glaub nur, dass du ein Haus besitzen kannst. Dass du Herrscher über Wände und Welten und Zeiten bist. Aber denk dran, wenn ich will, und manchmal will ich, dann lasse ich es dir durchs Dach auf den Kopf regnen.“

Hat sie so gemacht. Immer so kleine Spielchen, wenn es ihr zu dumm wurde. Manchmal ein Geräusch, ein Knarzen, eine undichte Leitung, ein erloschenes Heizungsfeuer. Ups.

Das Licht anmachen, der Schalter rechts, selbst im Dunkeln weiß ich, wo er ist. Licht an und dann das Geraschel, Gewusel da unten. All die Geister der Fantasie, die bluttriefenden Mumien, Zombies, Verwunschenen, Untoten. Uahh.

Es wird nur eine Maus sein. Bitte keine Ratte. Die sind mir zu stark, zu wild, zu schlau, zu kämpferisch, zu alles. Bitte keine Ratte. Obwohl, das ist schon lautes Rascheln, nicht so ein wenig, so unbestimmt, irgendwie als würde etwas leicht über etwas hinweggehen. Das ist klar, deutlich, ein festes Geräusch, definiert. 

Der Unterschied ist der zwischen leichtem Wind in einem Segel und den echten, vollen Geräuschen. Zwischen nuanciert, begleitend, wohltuend und dem Schlagen des Tuchs bei Böen und Sturm. Wenn es laut wird, hart im Ton, gewalttätig. Wenn du die Kraft spürst und weißt, dass es ernst wird. Du wirst dich gegen die Kräfte auflehnen müssen, du wirst nicht passiv bleiben können, du musst die Geräusche wahrnehmen, die Zeichen erkennen und tun, was getan werden muss. Es gibt keine Alternativen, keine Zeit für Diskussion und inneren Dialog. Du packst die Kräfte beim Schopf oder wirst in die Wellen der Zeit gestoßen. Du bist der Kapitän oder du schwimmst.

Da ist ein Wesen, das weiß, dass jemand kommt und es Zeit ist, das Weite zu suchen. Ich hoffe das. Auf keinen Fall möchte ich das austragen wie ein Duell, Auge in Auge. Komm doch. Nein. Ich möchte einfach, dass du kleines Scheißbiest dich verpisst. Für immer und ewig. Such dir einen anderen Keller, lass mich in Ruhe, ich will nicht an dich denken, ich brauch dich nicht in meinem Leben.

Die Vorräte sind angenagt. Alles. Was keine harte Hülle aus Glas oder festem Kunststoff hat, ist angenagt. Arschloch. Mach doch erst einmal eine Tüte leer. Ich entsorge alles, was eine Herausforderung ist. Die Tüten hinten im Regal, der angefressene Reis in der Ecke. Meine Hand will da nicht hin. Es ist schrecklich. Beißt mich das Vieh? Ist es da, sieht es mich, lauert es, will es die entscheidende Schlacht? Keine Ahnung. 

Wie kommt dieser Dämon eigentlich in unseren Keller? 

Tagelang geht es so. Ich sehe kein Tier, höre nur. Entsorge, räume weg, locke mit Lebendfallen. Komme ich die Treppe herunter, husch. Feigling. Aber klug bis intelligent. Obwohl es nichts mehr zu beißen gibt und selbst die angeknabberten Kunststoffstrohhalme aus dem letzten Jahrtausend entsorgt sind, gibt ES nicht auf. Husch.

Kopfkino, Fantasie. Eine ganze Familie, Horde, irgendwo in einem der Kartons zwischen Krempel und Büchern und Erinnerungen. Halt dich da raus! 

Wasser. Jedes Lebewesen muss trinken. Gut, du hast es so gewollt. Ich baue alles zu, da gibt es kein Entkommen. Demarkationslinien aus Spanplatte, fest verzurrt und dicht an die Wand gepresst. Leider bei jedem Gang in den Keller aufwendig zu entfernen, also wirklich keine Lösung auf Dauer.

Fast bin ich so weit und wende mich an einen Profikiller, der sich mit sowas auskennt. Gift würde der legen und Totfallen aufstellen. Ich möchte den Tod nicht streuen auf die Wurzeln dieses Hauses. Kein guter Segen würde auf dem Fundament liegen. Krieg ist doch keine Lösung.

Aber was tun, wenn man nicht sprechen, nicht verhandeln kann?

Ich bereite mich vor, zu tun, was getan werden muss. Ich räume den Keller Karton für Karton aus. Irgendwann werden wir uns dann in die Augen schauen und ich hoffe, dich auf irgendeine Art zu fassen. Um dich hinauszubegleiten, freundlich aber konsequent. Deine Wege sind nicht meine Wege und umgekehrt. Was willst du schon mit meinem Weg?

Lederhandschuhe müssen es sein und festes Schuhwerk und ein inneres Mobilisieren aller Kräfte. Konzentration. Ein Mantra in Richtung, dass ich es schaffe, dass alles möglich ist, dass ich doch vor solch einem Minimonster keine Angst habe.

Die Tiefen des Kellers öffnen sich. Jeder geöffnete Karton der Augenblick der Wahrheit. Nichts. Rien. Kein Tier, keine Spuren. Ich versuche, wie ein Nager zu denken, spiele Profiler. Wenn ich eine Maus oder eine Ratte wäre, wohin würde ich mich zurückziehen? Was wäre der sicherste Ort?

Ich gehe dem Geraschel der letzten Tage nach und in meinem Kopf entsteht eine Soundspur, die mich zum Fenster führt. Davor das Schwerlastregal voll beladen mit dem Gewicht der Vergangenheit. Alte Texte, Tagebuchversuche, der ganze Schwachsinn der versuchten Aufwertung des eigenen Daseins. Will mir dieses Tier etwas sagen? Ist das eine Botschaft aus einer anderen Welt, ein Schicksalswink, eine Fügung. „Räum auf, wirf weg, ordne, nehm dich nicht so wichtig. Was glaubst du denn, was von dir bleiben wird?“

Is mir egal, ich lass mir doch von einem Nager kein Denken aufzwingen. Bin schon ein wenig sauer und werde im Umgang mit den Kartons gröber. Weg mit dir. Geh zur Seite. Ich schiebe und schubse und werfe. Da liegt der Kram, weil die Kartons alt sind und keine Lust mehr haben, irgendwas zu tragen. Verräter, wie viel Dankbarkeit kann man von Kartons schon erwarten.

Werde ich das Tier töten? Jetzt doch? Du oder ich? Der Gedanke kommt mir. Weg mit all dem schöngeistigen Edelmut. Das Tier muss weg. Tier tot, Tier weg. Ist doch ganz einfach. Mein Nachbar hält mich in dem Punkt eh für bekloppt. Wegen des Aufhebens, das ich mache. Nur wegen nem Nager. Gift und Schluss.

Ich kann nicht. Ich will nicht, sollen mich die Sirenen mit ihrem schändlichen Einflüstern doch lassen.

Das Regal ist leer, kein Tier nirgends, nicht eine Spur. Nothing. Raus mit dem Regal, weg von Wand und Fenster. Ich sehe nichts. Oben ist eine dunkle Kante, verdeckt von einem Metallprofil. So eine dunkle Nische, in der auch Spinnen und Schlangen und Geister wohnen könnten. Ich leuchte mit dem Handy rein, filme die Szenerie. Spinnweben, Staub, sonst nichts. 

Allen Mut nehme ich zusammen, gehe mit den Fingern in den dunklen Spalt und fühle. Kommt der Biss? Mit den Handschuhen spüre ich nichts, ich ziehe sie aus. Ein kleiner Luftstrom, nicht der Atem eines Tieres. Da ist ein Loch, eine kleine Öffnung zwischen Fenster und Wand. Nicht zu sehen, verdeckt vom dunklen Spalt.

Hab ich dich. Deshalb das Geraschel. Hast du mich auf der Treppe gehört, bist du einfach abgehauen. Noch einen Mund voll Reis und dann Hasta la vista, baby. 

Nun, das wars. Mörtel, eine Nacht warten und schauen, ob der Schuft sich nicht durch den weichen Mörtel gequetscht hat. Hat er nicht.

Seither ist Ruhe im Keller. Und der Sperrmüll war da. Man muss auch abschließen können. Sich von sich befreien, könnte man sagen. Einfach den alten Scheiß hinter sich lassen, um es poetisch zu formulieren. 

Das Schicksal findet seinen Weg. Und wir sind nur die Kandidaten.  

Es hat mir mal jemand gesagt: Ist der Keller voll, hast du ein Problem mit der Vergangenheit. Hast du den Speicher zugestellt, verbaust du dir die Zukunft. So einfach ist das mit dem Leben. Einfach ein wenig Ordnung halten und auch mal in Löcher fühlen, die dir nicht geheuer sind. Oder so. Oder anders. Was weiß denn ich.