Rettet das Ritual!

Rituale. Rituale. Rituale. Was war das noch? Religion, Naturreligion, Tanzen um ein Feuer? Jim kam vor Weihnachten aus der Schule und sagte beim Mittagessen: „Unser ganzes Leben ist geprägt von Ritualen. Alles sind Rituale. Das Zähneputzen morgens, das Mittagessen, das Fahren mit dem Schulbus. Alles.“ He? Alles Rituale? Wie das so zwischen Vater und Sohn und Sohn und Vater ist, war ich erst einmal skeptisch. Das kann doch nicht sein, dass alles Rituale sind. Ich meine, das wäre doch total inflationär. Ritual leitet sich doch nicht von steter täglicher Wiederholung ab.

Habe ich dann in etwa so formuliert und wir haben eine ganze Weile diskutiert. Ela und Zoe mögen das zwar nicht, weil Jim Steinbock ist und ich bin Widder, was bisweilen zu sturen Positionskämpfen führt. Der Junge führt in der Sprache ein scharfes Florett, ist schnell im Denken und treibt einen schnell in die Ringecke. Und freut sich. Ich meine, wir beiden freuen uns, dass wir einander als Diskussionspartner haben, weil die Themen, die so aus der Schule kommen, wirklich spannend sind. Das nehme ich doch gerne auf – aber eben nicht 1:1. Was Jim sicherlich auch langweilen würde. Und mich natürlich auch.

Jetzt haben wir Januar und mich beschäftigt das Thema immernoch. Weihnachten, Heiligabend waren wir in der Schule. Dort gibt es einen schönen Festakt mit klassischer Musik. Das ist das Schöne an Waldorf, da gibt es immer richtig gute Musiker. Das hat Stil. Im großen Eurythmiesaal mit den hohen Decken standen große, geschmückte Fichten. Alle saßen auf ihren Stühlen, es war ruhig und angenehm, da kamen die Kinder herein. Die Kleinen. Wurden an der Tür einzeln begrüßt, um sich anschließend in die erste Reihe zu setzen. Es wurde gesungen, es wurde die Weihnachtsgeschichte vorgetragen. Also das war ein Ritual, meiner Meinung nach. Eines mit Saft und Kraft. The same procedure as every year.

Und ich muss sagen, ich finde es gut und schön, dass es solche Rituale gibt. Riten. Denn die sind zu einem raren Gut geworden. Mir scheint, dass sie gar verschwinden. Zurücktreten. Ist in einer zunehmend modernen, technisierten Gesellschaft kein Platz für Rituale? Für Traditionen? Das sind Rituale doch – Traditionen. Oder? Nun stammen viele unserer etablierten Rituale aus dem christlichen Umfeld. Weil die Kirchen aber immer mehr Federn lassen – überall werden Kirchen geschlossen und verkauft, Pfarrstellen gestrichen – gibt es auch immer weniger Raum für Rituale. Christliche Rituale.

Gibt es Ersatz? Entdecken wir uns da gerade neu und substituieren die alten Rituale durch neue? Kürzlich war ich in Köln mit der Familie zum ersten Mal auf einem Poetry Slam. In Köln im Ehernfelder Kultur-Bahnhof. Gerammelt voll der Laden. Zweihundert, dreihundert Literaturinteressierte! Auf der Bühne junge Menschen, die ihre Texte sprachen. Auswendig, überwiegend. Sehr spannend, sehr unterhaltsam, bestens moderiert. Das Publikum, wir, hingen an den Lippen der Autoren/innen. Nach jeder Runde wurde abgestimmt, wer weiterkommt. Es ist ein Wettbewerb. Es gab lustige, ernste, politische, lange, kurze Storys und Gedichte. Die, die da oben standen, hatten tatsächlich was zu sagen. Persönliche Botschaften für ein mehr als interessiertes Publikum. Ist Poetry Slam ein neues Ritual? Die Kirche der Gegenwart? Die Messe der jungen Generationen?

Dass ein Wandel stattfindet, spüren wir wohl alle. Die Zeiten ändern sich. Der Zeitgeist. Ich merke, dass ich tatsächlich etwas tun muss, um Schritt zu halten, um alte, ehrwürdige, wohl gehütete Denkmuster zu überwinden. Ich sitze in einem Poetry Slam und versuche zu verstehen, was da passiert. Es ist so anders und ich merke, dass es mir schwerfällt, zuzugeben, dass das wirlich gut ist. Wieso? Weil ich mein Ego überwinden muss, um in eine neue Zeit zu kommen? Weil ich dazu alte, liebgewonnene Ansichten über Bord werfen oder zumindest grundrestaurieren muss? Läuft die Zeit zu schnell oder bin ich mit 46 in einem Alter, wo das Alter beginnt? Es fällt immer leicht zu sagen „Früher war alles besser. Die Werte verfallen, die Jugend hat nur noch Konsum im Kopf. Keine Rituale mehr.“ Stimmt so nicht.

Die Kirche versucht dem teils durch Anpassung entgegenzukommen. Eine Bekannte erzählte mir, dass im Weihnachtskrippenspiel in ihrer Gemeide vermeintliche Jugendsprache gesprochen wurde – Josef sagte zu einem der Hirten „Hey Alter!“. Und es gibt mittlerweile wohl so eine Art Heiligencomics für die Kleinen, in denen Jesus ein Handy hat. Aua. Das ist wohl nicht der Weg. Alte Rituale, neue Rituale. Ich merke, ich bin da hin und her gerissen. Das wird mich wohl noch eine ganze Weile beschäftigen. Mir sind Rituale wichtig, deshalb möchte ich, dass sie gerettet werden. In irgendeiner Form. Aber dieser Rettungsgedanke „Save the…“ ist wohl mittlerweile auch eher antiquiert. Ich glaube, ich muss da noch mal Jim konsultieren:)

Was geht 2012?

Die Welt unter? Oder was? Gute Vorsätze wie Bauch weg und Po knackiger? So sieht es gerade bei uns im Fitness-Studio aus. Rappelvoll. Bis März. Die guten Vorsätze lassen Verträge unterschreiben, die dann ein Jahr laufen – aber nach wenigen Wochen nicht mehr genutzt werden. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, heißt es. Hieß es früher – ich glaube, heute sagt man das nicht mehr.

Andere sagen, 2012 wäre das Jahr der Entscheidung, der Wende. Auf der Welt würde die männliche Dominanz auslaufen und die Frauen würden das Ruder übernehmen, was für einige dann wohl gleich einem Weltuntergang ist. Also ich denke, es läuft alles weiter wie bisher, außer das, was wir ändern. Alles andere ist doch eher Wunsch und Mythos. Denn woher soll es kommen, wenn wir es nicht selbst in die Hand nehmen? Von nix kommt nix. Da wird weder der Po knackiger noch das Bauchröllchen weniger. Und die Sache mit den Frauen? Die verdienen 2012 in gleicher beruflicher Position wie ein Mann immer noch weniger. Aus welchen Gründen auch immer. Und auch da ändert sich nichts, wenn… Eben. Action.

Und wie sieht es hier aus? Bei mir? Im fiftyfiftyblog? O.K. Da ist tatsächlich ein Bauchröllchen. An den Weltuntergang glaube ich nicht – zumindest nicht im Sinne von Armageddon und der biblischen Apokalypse. Das ist schleichender und auch hier fällt das nicht vom Himmel, sondern ist klar zuzuordnen. Wenn man Kernkraftwerke in Erdbeben- und Tsunamigebiete baut und sich Nationen gegenseitig mit Atomraketen in Schach halten, dann kann es passieren, dass da was ganz dumm läuft. Das ist dann aber nicht der Zorn Gottes, sondern die grenzenlose Doofheit von Menschen. Und das ist dann doch die eigentliche Frage immer und überall: Wie doof wollen wir eigentlich sein? Persönlich und in der Gemeinschaft?

Für mich selbst habe ich mir vorgenommen, das Bauchröllchen zu eliminieren, was bislang bis zum Sommer immer geklappt hat. Da bin ich einfach zu eitel. Mit Speckrolle am Strand ist so gar nicht mein Ding. Ergo: Weniger essen. Klarer Zusammenhang. Viel essen, zu viele Kalorien, Speckröllchen. Weniger essen, weniger Kalorien, Speckröllchen weg. Keine Brigitte-Diät, keine Eiweiß-Drink-Tricks, keine Idee aus den USA. Wenn ich etwas essen möchte, dann steh ich eben vor meinem Herd und koche mir etwas anständiges. Pragmatismus. Ziele.

Und sonst? Ich habe ein paar Dinge gebucht. Im Januar werde ich einen für mich neuen Lama meiner buddhistischen Linie kennenlernen. Ein Meditationswochenende. Ein Kurs. Das ist immer sehr belebend und inspirierend. Ende Februar bin ich dann in London und lerne fünf Tage Englisch. Mein Englisch hat dringend eine Politur nötig. Das scheppert erbärmlich. Den Kurs werden Buddhisten in London durchführen. In ihrem Zentrum und ich werde bei Buddhis in London wohnen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Sprache und Spiritualität. Abends gibt es gemeinsame Meditationen, die immer besonders intensiv sind, wenn da alle sitzen und murmeln und Mantras sprechen. Hört sich schön an und tut gut.

Im Mai steht ein besonderes Klassik-Konzert an, für das ich gleich Karten buchen werde, wenn klar ist, wer mitkommt. Im Sommer geht es dann wieder nach Levanto. Es gibt also schon einige Dinge, auf die ich mich freue und über die ich hier dann auch berichten werde. Ihr seid also dabei. Dann gibt es noch einige angedachte Themen, die noch nicht konkret genug sind. Eines ist ein Schreibkurs zum Thema Veränderung. Hier in der Schule. Muss ich noch ausbauen die Idee – das gehört zu einem Konzept, zu dem ich einen Beitrag liefern soll. Eine Idee einer fiftyfiftyblog-Leserin…

Also gibt es wieder eine ganze Menge zu tun und ich habe bereits die Ärmel hochgekrempelt. Ich freue mich auf 2012 und das, was ich dazu beitragen kann. Konkret.

’nen Korb bekommen…

Voll den Korb bekommen. Von Jim. Gestern nach der Schule kam er in mein Büro. „Hi Papa, hier, für dich. Zum Pilzesammeln.“ Oh. Überraschung. „Aber, äh, es ist doch noch gar nicht Weihnachten. Also, ich meine. Wäre es nicht vielleicht besser, sich den als Geschenk aufzuheben? Bis Samstag?“ Grins. „Nö, nö.“ Grins. Also wirklich. Dieser Herzenbrecher. Wie sagt man dann? Guter Junge. Wirklich. Ich bin schon sehr, sehr froh, ihn zu haben.

Und deshalb möchte ich auch die Gelegenheit nutzen, auf einen Blogbeitrag von Frau Sibylle Berg kurz einzugehen. Der war auf Spiegel Online zu lesen und hieß Oooooooh! Ihr Armen! In dem Beitrag machte sie sich darüber lustig, dass es eine Tendenz gibt, Jungen zu stärken. Dass in Männer- und Kerlsblogs Maskulinistenclubs (hat sie sich selbst ausgedacht, schreibt sie) entstehen.

Sie macht sich darüber lustig, weil sie dahinter den Wunsch sieht, dass die Frau wieder in die zweite Reihe tritt. Kann ich einerseits gut verstehen, andererseits denke ich: Sie hat wahrscheinlich entweder keine Kinder oder keinen Sohn. Ich glaube nämlich, dass sich das mit den männlichen Vorbildern durchaus positiv und auch im Interesse der Frau interpretieren lässt. Ich denke, wenn Jungen mit männlichen Vorbildern aufwachsen, trägt das durchaus zu einer positiven Sozialisierung bei. Ohne! Ohne, dass hier Unterdrückungsmechanismen weitergegeben werden. Männer sind ja nicht nur Idioten!

Ich gebe zu, das fällt teils schwer, dass so zu sehen, weil auf der internationalen Bühne viele Männer durchaus ordentlich viel Scheiß bauen. Und ja, es sind immernoch die Kerle, die in unserer Gesellschaft überwiegend das Sagen haben und zu Wort kommen. Und immernoch verdienen Frauen in Deutschland bei gleicher Tätigkeit weniger Geld. Und in den Top-Positionen in Wissenschaft und Wirtschaft tummeln sich viel mehr Männer als Frauen. Und selbst bei Spiegel Online stehen fünf männlichen Bloggern nur zwei Bloggerinnen entgegen.

Gerade deshalb ist es wichtig, eine positive, nicht schräge Männlichkeit weiterzugeben. Denn Jungs, denen Vorbilder fehlen, die neigen dazu, sich nur durch Rumprügeln und Unterdrücken beweisen zu wollen. Jungs, die keine Vorbilder haben, die in einem Vakuum aufwachsen, haben eher ein Problem und reagieren oft aus einer Schwäche heraus. Sie denken, sie müssten männlich sein, wissen aber nicht, was das ist, und suchen sich dann die Klischee-Abziehbilder. „Ich bin ein Mann, wenn ich Stärke zeige und andere dominiere.“ Krach! Bumm! Das ist Mist. Gerade so ist es doch oft in der Vergangenheit gelaufen, weil die Väter weg waren. Weg sind. Beruf. Jagen. Sich beweisen, da draußen. Die ihre Familien, ihre Söhne vergessen, nichs mitbekommen. Die irgendwann merken „Och. jetzt ist es zu spät.“

Um zurück zum Korb zu kommen, den ich bekommen habe: Korbflechten für seinen Papa ist für mich durchaus ein Zeichen von Männlichkeit im menschlichen Sinne. Ich habe das Gefühl, das läuft bei Jim in guten Bahnen. Obwohl wir so männliche Dinge machen wie durch die Natur tigern und im Freien campen. So richtiges Männerzeugs mit Lagerfeuer. Aber ich denke, das trägt nicht dazu bei, Frauen in den Schatten zu stellen, sondern einen eigenen, hoffentlich guten Weg zu gehen, auf dem es nicht nötig ist, irgendwen anderes dominieren oder in die zweite Reihe stellen zu wollen. Und da leisten viele Menschen wirklich gute, sinnvolle Männerarbeit, die nicht diskreditiert werden sollte. Ich plädiere nach wie vor dafür: Männer, kümmert euch um eure Söhne! Und um eure Töchter. Dazu könnte ich auch eine ganze Menge schreiben, weil ich Jim nicht gegen Zoe ausspiele und Zoe nicht gegen Jim. Ich versuche beiden dabei zu helfen, ihr Ding zu machen. Und wahrlich habe ich keine Lust darauf, dass Zoe jetzt oder später einmal von irgendwem als Mädchen und Frau unterdrückt oder dominiert wird. Eine in sich ruhende Weiblichkeit sowie eine in sich ruhende Männlichkeit sind durchaus ein Weg, gut klar und miteinander zurecht zu kommen. Fifty-fifty. Deshalb darf der fiftyfiftyblog gerne auch als Maskulinistenclub gesehen werden.

Ab ins Altersheim?

Was? Hä? Wie denn jetzt? Hey, Herr Schönlau, was soll das denn? Altersheim? Ja, ja. O.K. Ich gebe zu, ich bin 46 Jahre alt und deutlich zu jung, um mir tatsächlich Gedanken zu machen. Mach ich trotzdem. Perspektivisch. Weshalb? Och, weil es mir Spaß macht. Quatsch aber auch. Weil es vielleicht wichtig ist? Rechtzeitig und so. Gedanken machen, wie ich leben will. Immer dann, wenn man das Leben so total gehen lässt, wenn man sich sagt, das regelt sich alles von alleine, dann setzt man im großen Kasino of real life auf Rot oder Grün. Alles oder Nichts. Hauptgewinn oder Arschkarte.

Gestern habe ich über Twitter und Facebook eine nette Schweizerin kennengelernt. Also bin in Kontakt getreten. Social Media halt. Sie war über einen Beitrag von mir zum Thema Älterwerden (Ich weiß nicht mehr, welcher das ist und was ich geschrieben habe. Der Kopf zu voll. Zu viele Beiträge. Annegret hat’s gefunden – eine Antwort in der Rubrik 50/50-Fragen.) im Blog gelandet. Der gefiel ihr und so sind wir jetzt Facebook-Freunde. Und da „sprachen“ wir über das Thema Alters-WG, weil ich da so etwas im Hinterkopf habe. Ich würde mal sagen, in etwa zehn Jahren wird es hier im Haus ziemlich ruhig werden. Wenn Zoe und Jim gehen, bleibt eine Ruhe. Stille. Sind Ela und ich allein hier im Haus, weil die Kinder zum Beispiel bei der Oma sind, dann können wir das alte Gebäude nicht mit Leben füllen. Wir verlaufen uns. Dann wird die Alte Schule plötzlich zum Schloss mit vielen Zimmern. Halloooo?

Bisher war angedacht, die Schule dann später zu verkaufen und irgendwo wieder kleiner einzusteigen. Reduzierte Wohnfläche. Das ist natürlich noch überhaupt nicht konkret und wird sich auch wieder ändern, dennoch mache ich mir da gerne meine Gedanken, weil ich mich dann auf das freue, was kommt. Das wird aufregend. Eine schöne Veränderung, so stelle ich mir das vor. Nur, wird das mit der schönen Veränderung nicht klappen, wenn da nicht jetzt schon zumindest im Denken ein Veränderungsprozess stattfindet.

Wohnen im Alter. Damit verbinde ich Schnabeltassen, Rolatoren und Windelwechseln. Aber das kommt ja, hoffentlich, erst ganz spät. Vorher ist da Raum. Platz. Entfaltungsmöglichkeit. Wenn das rechtzeitig angedacht und umgesetzt ist. Nun kam mir kürzlich der Gedanke, dass unser schönes altes Haus doch hervorragend für eine Alters-WG geeignet wäre. Zusammenleben mit Gleichdenkenden. Gleichlebenden. Sich auf das Abenteuer einlassen. Ich weiß, was ihr jetzt denkt. Skepsis. Ih, Haare im Waschbecken. Streit um Küchendienst. Wie soll das alles geregelt werden?

Ich erinnere mich an schöne Zeiten im Internat und in der Studi-WG. Das war sehr schön, auch wenn Themen geregelt werden mussten. Aber wir sind doch Menschen. Lern- und anpassungsfähig. Und was ist wichtiger: Ein hundertprozentig sauberes Bad ohne Fremdspuren oder ein gemeinsames Leben, Lachen, sich helfen. Glücksforscher haben herausgefunden, dass soziales Miteinander, menschlicher Kontakt für das eigene Glück am wichtigsten sind. Gespräche, das Teilhaben. Miterleben, was passiert. Und dadurch mittendrin dabei sein in einer Wichtigkeit. Und damit eben auch eine Aufgabe haben: Miteinander leben und füreinander da sein, was im Alter eine besondere Bedeutung hat. Klar, da kommt Angst hoch, plötzlich für einen Pflegefall verantwortlich zu sein. Aber das sind nur die typischen Ängste vor Neuem. Keine Frage, für einen solchen Fall der Fälle müssen Modelle angedacht und Vereinbarungen getroffen sein. Das ist alles noch nicht durchdacht und etabliert. Da gibt es keine Muster und Vorbilder, das muss man weitestgehend selbst entwickeln. Man zahlt also einen Preis, bekommt dafür aber Gemeinschaft. Und hoffentlich auch Glück, wenn man die richtigen Menschen erwischt.

Denn es ist klar: Das Projekt Alters-WG steht und fällt mit den Menschen, mit denen man zusammenlebt. Da passt nicht Jeder und Jede. Da muss man schon gut überlegen. Und ja: es ist ein Risiko. Doch das ist das Alleinwohnen auch, wenn man es nicht schafft, Kontakt zu halten. Sicherlich ist die Alters-WG nicht das Nonplusultra, aber eine überlegenswerte Alternative. Ich auf jeden Fall behalte das mal im Hinterkopf und schaue, wer da passen und wie das laufen könnte.

P.S. Der fiftyfiftyblog ist übrigens mittlerweile ja auch eine kleine WG. Irgendwie. Mit Besuchern, Probewohnern/innen und fest Eingezogenen:)

Hoffnung, Liebe, Weihnachten.

Liebe ist nur ein Wort. Sagen manche, heißt es manchmal. Mich beschäftigt das Wort gerade aus zwei Gründen: Bei mir nahe stehenden Menschen steht es gerade um die Liebe nicht sehr gut. Und Ela und ich sind nächste Woche seit 20 Jahren zusammen. Jubiläum. Nun möchte ich hier nicht das Eine gegen das Andere stellen oder mich hervorheben im Sinne von „Sehr her, bei uns klappt es doch auch“. Never. Es gibt immer, wie im Fernsehen, gute Zeiten, schlechte Zeiten. Der Mond geht auf, der Mond geht unter, die Sonne kommt, die Sonne geht, der Frühling frühlingt, der Herbst herbstet. Kreisläufe, Wechsel. Sicherheit ist in Sachen Liebe ein fulminantes Risikogeschäft, von dem selbst Hedgefonds die Finger lassen.

Also habe ich mir Gedanken über die Liebe gemacht. Meine Liebe. Bin ihr nahe getreten, um nachzufühlen, wie es ihr geht. Ein Ergebnis dieser Innensicht kann und werde ich euch nicht mitteilen, weil sich das nicht in Worte fassen lässt. Ich möchte hier auch nicht meine Sprachwerkzeuge wirken lassen. Das wäre profan und instrumentalisiert. Was ich aber sagen und schreiben möchte, ist folgendes: Die Liebe spielt gerade jetzt eine immens große Rolle. Sie ist wirklich wichtig.

Wir haben ein Jahr hinter uns, das von merkwürdigen Ereignissen geprägt war und ist. Kernkraftwerke sind in die Luft geflogen und haben Menschen und Meer verseucht, die Atomkraft wurde in Deutschland perspektivisch ausgeschaltet, Revolutionen haben sich durchgesetzt, Kriege werden geführt, der EURO und Europa zappeln wie ein Fisch an der Angel und lassen sich nicht in ruhige Gewässer ziehen. Es war ein unruhiges Jahr mit einem wunderschönen November.

Ich persönlich bin reich beschenkt worden. Mit und von diesem Blog, den ich betreiben konnte bei gleichzeitigem, persönlichem Bestumsatz im Business. Ich durfte eine sehr schöne Zeit in Italien verbringen, war in Berlin, in Frankreich und Ela hat mir einen Gedichtband gestaltet, den ich bislang noch nicht unterbringen konnte – das wäre der Gipfel gewesen. Aber ich will nicht unverschämt sein. Mein persönliches Schicksal meinte und meint es gut mit mir. Ich durfte ein weiteres luxuriöses Jahr in einem der reichsten Länder der Erde verbringen. Ich schaue nach Durban, sehe wie die von der Klimakatastrophe am stärksten betroffenen Entwicklungsländer um Entlastung kämpfen und Spielball der Industrienationen sind.

So what? Ja. Wir sind im Landeanflug in Richtung Weihnachten. Adventszeit. Lichter leuchten und ich versuche, nicht an die Kohlendioxidbilanz des E-Schmucks zu denken. Stattdessen denke ich an ein altehrwürdiges Wort, dass so beschädigt ist wie viele andere Worte: Besinnung. Sich besinnen. Nicht besonnen werden, sondern aus sich selbst heraus Besinnung schaffen. Der WW, der Weihnachtswahn läuft auf Hochtouren. Geschenke, Karten, Weihnachtsessen und -feiern, der Tannenbaum, die Planung für die Festtage. Ein Fest der Liebe. Ja. Und dann ist alles organisiert und alles ist bereit und die Festklamotten liegen bereit und es wird gesungen. So weit, so gut. Wenn es klappt. Wenn es nicht nur eine Vorstellung von schöner, heiler Welt ist. Wenn die angestauten Emotionen und Erwartungen dann nicht explodieren oder in schlechte Laune und Anspannung implodieren. Erwartungen, Vorstellungen, Verpflichtungen. Entäuschungen.

Der Kern der Weihnacht. „Uns ist ein Kind geboren.“ Der Heiland, geschickt vom heiligen Vater zur Errettung der Welt. Hey! Errettung der Welt. Da war doch was. Adam und Eva hatten sich nicht fernhalten können und waren hinausgestoßen worden. Seither wälzen wir uns in Schuld und leben sündig, wie es von der Kanzel heißt. Mich persönlich stört diese Sicht der Schuld und Sühne, weil sie den Menschen so klein macht. Eine sich selbst bewahrheitenden Prophezeiung. Nun leben wir in dieser Welt, die ich gerne einmal Paradies II nennen möchte. Phil Collins: All, think twice, it’s just another Day in Paradise.

Da haben wir diesen Planeten mitten im Weltall geentert, haben es vom Lurch zum Menschen geschafft und können Äpfel essen, die wir von Bäumen pflücken. Frisch und knackig. Wir können in den Wald gehen, uns von herunterfallenden Sonnenstrahlen streicheln lassen. Wir haben Familien, in denen wir wie in einem warmen Nest durchatmen können. Und was machen wir? Stoßen Kohlendioxid aus, weil wir glauben, sonst nicht genügend Geld zu haben, um zu leben. Uns zu ernähren. Was einst die Frucht vom Baum der Erkenntnis war, ist jetzt der Baum der Umweltverschmutzung, von dem wir reichlich knabbern. Tatsächlich ist es so, dass wir es gerade so richtig vermasseln. Die Kiste in den Dreck fahren, in den Sand setzen.

Wir haben die Chance, das in Durban zu ändern. Einen internationalen Klimavertrag zu unterzeichnen, der unser Paradies erhält. In Durban schlafen sie nicht, verhandeln die ganze Nacht, die ärmsten Entwicklungsländer wollen auf Geld verzichten, um ein Zeichen zu setzen. Denen steht das Wasser, bzw. die Dürre bis zum Hals, während sich hier noch manche fragen, ob es überhaupt einen Klimawandel gibt und ob der mit Kohlendioxid zu tun hat. Gleichzeitig sitzen wir auf privater Ebene Zuhause und vergessen, die Liebe zu füttern. Mit kleinen Brotkrumen. „Ich schieße keine Möwen tot, ich lass sie lieber leben und fütt’re sie mit Roggenbrot und rötlichen Zibeben“.

Was ist los? Sind Menschen so? Können wir unser Glück nicht fassen, halten? Ich plädiere für Besinnung und Katharsis. Das schöne alte griechische Wort für Reinigung. Die Welt reinigen, unsere Gedanken reinigen. Sich konzentrieren. Auf das Wesentliche. Weihnachten, das Fest der Liebe. Der Erlöser wurde geboren. Wer ist der Erlöser? Wo wohnt er? Erlösung ist Passiv. Erlöst werden. Da reichen keine Kerzen, kein Kinderlein kommet. Da braucht es internationale Verträge und Zuhause einen ehrlichen, offenen, gütigen Blick auf die Liebe. Dann würde es vielleicht klappen mit der geweihten, gesegneten Nacht. Wir sind dran mit dem Segnen.

P.S. Die Rose oben habe ich heute Morgen fotografiert. Sie blüht seit gestern vor unserem Haus. Ein Zeichen, für was auch immer.