White smoke on the water…

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… a fire in the sky.

Er ist 76, also etwas jünger als mein Vater. Der wäre am 26. März 79 geworden. Papa und der neue Papst. Ein Argentinier, der sich Franziskus nennt, ein Herz für die Armen hat (heißt es) und sich in Argentinien gegen die Homo-Ehe gestellt hat (las ich).

Gestern Morgen war ich am See entlang gefahren. Die Sonne stieg auf, das Thermometer raunte mir Minus-11-Grad ins Ohr. Ups. Das sind immerhin 28 Grad Unterschied zu den kürzlich gemessenen 17 Grad. Das ist für mich und meinen Körper eine echte Klimakatastrophe. Egal. Am Abend vorher hatte ich gelesen, dass sich die Kardinäle in Rom eingeschlossen haben in die Sixtinische Kapelle. Großes Aufsehen, der Petersplatz voller gläubiger Menschen, die Schweizer Garde im Einsatz. Hoffen. Bangen. Wünschen. Ein wenig auch eine WM. Wer wird Papst? Nach Deutschland. Endlich ein afrikanisches Land?

Merkwürdigerweise hat mich diese Papstwahl innerlich ergriffen als hätte ich was damit zu tun. Keine Ahnung weshalb. Gestern Morgen hatte ich am See angehalten, hatte den Morgen bewundert, den über dem See in der Kälte aufsteigenden Dampf. Weißer Rauch. Smoke on the Water. Headbanging im katholischen Jugendzentrum. Rumknutschen und so. Damals. Erinnerung. Es ist doch irgendwie alles miteinander verbunden, zumindest manchmal.

Abends beim Yoga lag ich am Ende der Stunde auf meiner Matte in der glücksbringenden Entspannungsphase und driftete mal wieder weg in das Land der unbegrenzten Freiheit, das keine Sternenbannerfahne hat. Wutsch. Ciao. Schönen Tach noch. Als ich zurückkam durch den Channel gleißenden Lichts (lasst mich mal ein wenig übertreiben:) ), dachte ich an die Konklave. An den Nebel vom Morgen und den schwarzen Rauch, der schon mehrfach aufgestiegen war. Warum? Keine Ahnung. Hatte ich im Kopf.

Später warf ich den Rechner an, Mails checken, facebook, Blog, Spiegel Online. Da war er. Franziskus der Auserwählte. Ein sechsundsiebzigjähriger Argentinier auf dem jetzt alle Hoffnung liegt. Ich meine, wenn sie einen so alten Mann wählen, der wohl auch schon gewisse Gebrechen vorzuweisen hat (weshalb sein Vorgänger Tschüss und Auf Wiedersehen gesagt hat), dann muss der doch was haben. Eigentlich spricht doch schon das Alter gegen ihn. Mit welcher Amts-Zeitspanne wird gerechnet? Das geht wohl eher in die Richtung einer mittelfristigen Beschäftigung. Wir werden sehen.

Persönlich wage ich zu hoffen. Möge Franzikus die Kraft haben, die Kirche nach vorne zu bringen. Möge er ein großes Herz für die Menschen haben, möge er für sie leuchten, ein Vorbild sein und die Kraft haben, die katholische Kirche ins Rollen, in die positive Bewegung des menschlichen, sozialen Fortschritts zu bringen. Meinen Segen hat er, wenn ich das mal respektlos sagen darf, weil mir zumindest seine Namenwahl gefällt. Wir werden sehen. Möge der Himmel leuchten über uns.

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This is the Sea an der Wand

Das weite Meer. Der Blick vom Anleger in Vernazza auf die unruhige See, das brodelnde, wellige Leben als Hintergrund. Es war ein Abend, an dem wir alle dort gelandet sind. Das ganze Wohnprojekt plus Freunde. Ein schöner Abend. Ein Teil der Gruppe war gewandert. Ich war mit den Jungs unterwegs, wir hatten rumgeblödelt, was so weit ging, dass Jim und sein bester Freund auf dem Weg lagen, rumkugelten und sich die Bäuche hielten. Der Grund: Unser Geheimnis. Es ging um eine Szene, die wir uns vorgestellt haben. Um einen Gesichtsausdruck als Reaktion. Und es hatte mit Mädchen zu tun. Jungs halt.

Irgendwann waren wir alle angekommen in meinem schönsten Ort der Welt, in dem der Sommer wohnt und der Friede, weshalb es so komisch war, dass ausgerechnet dort die Schlammlawine runterkam, um alle zuzumatschen. Aber haben sie ja wieder hingekriegt. Im Sommer drauf gleich wieder gelacht, getanzt, Konzerte gegeben.

Nun wollten wir dieses Meer gerne in unsere Wohnung holen. Ein Tapetenwechsel. Ein neues Bild an der Wand im Ofenzimmer, eines, das uns durch den Winter trägt. Wir haben Bilder gesichtet, und von denen gab es reichlich, weil Jim, Jens und Jens ihre Kameras dabei hatten und für viel Material gesorgt haben. Letztlich sind es dann die Wellen oben geworden. Ein ruhiges und zugleich aufgewühltes Foto jenseits der lieblichen Urlaubsimpression.

Wir haben es in matt auf Alu-Dibond im Art-Finish-Look produzieren lassen. In der Größe (100 x 150 cm) wäre das richtig teuer geworden – Museumsqualität:) – aber das Glück war uns hold und ließ eine Mail mit 40% Rabatt ins Haus flattern. Die 40% galten bis 12 Uhr mittags am nächsten Tag. Highnoon. Das hat für ein wenig Hektik im Hause gesorgt. Aber, es hat geklappt. Bei ablaufender Uhr. Tatsächlicher Versandzeitpunkt der Bilddatei: 11:59 Uhr. Das war knapp.

Vorgestern kam das Bild mit professionellem Aufhängesystem, gestern haben Ela und ich die Sache profimäßig an die Wand gebracht. Als Grafikerin wollte sie es ziemlich exakt gerade haben, was bei schiefen Wänden nicht so einfach ist. Old School. Erst mit der Wasserwaage, was ihr nicht gefiel. Es war immer einen Ticken… Nach rund 20x aufhängen, abhängen, justieren, aufhängen hat es dann gestimmt. Eine Freundin, die auf einen Kaffee vorbei gekommen war, hat es als gerade abgenommen. Puh. So hängt unsere neue Errungenschaft nun also an der Wand und schwappt einen Hauch Meer und Italien ins Ofenzimmer. An der Wand gegenüber von unserem Podest mit Futon. Also freue ich mich auf Winterabende, an denen der Ofen bollert, sein Licht in den Raum wirft und wir gemütlich dem Meeresrauschen zuhören. Das wird schön. „Hast du’s schön? Weiß nich… Dann mach es dir schön.“

Außerdem: Ich sage nur Feng Shui. Verbindung der Elemente. Feuer, Wasser. Ein energetisierendes Spannungsfeld. Zwei Pole. Als wäre das so geplant. Der rechte Ort. Die Puzzleteile rutschen in ihre Ordnung.

Als ich gestern Abend vom Sport zurückkam, aufwendiges Arbeiten an Sixpack & Co., lief im Radio ein Rückblick auf das Jahr 1992. Es wurde über den französischen Film Delicatessen gesprochen, über die Musik von Rage against the Machine und von Quentin Tarantinos Regiedebüt Reservoir Dogs. Das war das Jahr, als Ela und ich nach Mannheim gezogen sind. Der erste Job nach dem Studium – Sie als Grafikerin, die Ausstellungskataloge entworfen hat, ich als Regieassistent am Nationaltheater. Wir hatten eine Wohnung mit Garten in der Vorstadt, wo wir wilde Partys gefeiert haben. Da liefen unter anderem die Waterboys mit This is the Sea.

Das #vernazzafloodbook von Andrea Erdna Barletta

Vernazza. Immer wieder Vernazza. Das Dorf lässt mich nicht los. Erst recht nicht seit der Flutkatastrophe am Tage des 25. Oktober 2011, als der Himmel über Vernazza brach und in wenigen Stunden die halbe Regenlast eines ganzen Jahres niederging. Das Wasser aus den Bergen sammelte sich. Ab 15 Uhr war die Hauptstraße des für mich schönsten Cinque Terre-Ortes ein reißender Fluss. Um 18 Uhr hatte dieser Fluss eine Höhe von rund drei Metern erreicht. Aus den Bergen kam Schlamm, es wurden Autos mitgerissen. Die Macken an den Häusern sind überall zu sehen. Das Dorf wurde durch Schlamm geflutet, teilweise wurden Häuser weggerissen.

Dieses Jahr war ich während des Levanto-Urlaubs oft in Vernazza. Als müsste ich dort sein, um meine Verbundenheit zu zeigen. Ein Mal bin ich mit dem Fahrrad hingefahren. Von Levanto den Berg rauf, am Kloster vorbei, die Küstenstraße hoch über dem Meer entlang bis nach Vernazza runter. Die Straße ist gesperrt. Überall sind Teile abgebrochen. Schneisen der Verwüstung haben sich in die Landschaft gegraben. An einer Stelle lagen plattgewalzte LKW flach am Boden. Die Räder von sich gestreckt, die Aufbauten weggerissen. Boote hingen noch in Büschen, ein Baucontainer lag irgendwo – neben den Häusern im Tal, die teils rechts und links umspült worden sind. Was muss das für ein Gefühl gewesen sein. Der Tag der Sintflut.

Einen Abend waren wir mit allen plus Freunden in Vernazza. Wir waren von Corniglia die Küste entlang gewandert, waren vorne am Anleger schwimmen und springen. Wir haben uns Pizza besorgt und Bier und haben gelacht, getobt, den x-ten Sonnenuntergang gesehen und Vernazza genossen, wie man nur Vernazza genießen kann. Elegant gekleidete Menschen auf der Straße, die unter den bunten Sonnenschirmen von Gianni Franzi oder im Gambero Rossi essen. Beim Vorbeigehen spinxe ich gerne auf die Teller und sehe, wie Köstlichkeiten Stück für Stück verschwinden.

Auf dem Weg vom Anleger ins Dorf bin ich in der Ausstellung von Andrea Erdna Barletta gelandet. Ein Grafiker und Fotograf aus Levanto, der die Folgen der Katastrophe und die Aufräumarbeiten dokumentiert hat. Irre Fotos. Ausgestellt in einem kleinen Raum im Hafen von Vernazza. Hoffnung und Verzweiflung. Der Helfer, der im Schlamm eine italienische Fahne findet und sie an eine schlammverschmierte Fassade in die abgerissenen Kabel hängt. Feuwehrleute, die verschüttete Türen aufschneiden. Immer mit der Angst, sie könnten jemanden finden, der es nicht geschafft hat oder aus den Bergen hinabgespült wurde. Das Foto der beiden jungen Frauen mit Mundschutz. Große Gummihandschuhe an den Händen – die eine küsst der anderen auf die Stirn. In den Augen ist das Lächeln zu sehen, die Freude, der Zusammenhalt. Teilweise seht ihr die Bilder oben auf dem Foto mit Andrea Erdna Barletta im Hintergrund. Einige Fotos gibt es auf Flickr zu sehen. Nicht nur von den Aufräumarbeiten, sondern auch von den Aktionen, die die bösen Geister der Vergangenheit vertreiben sollen. Unter anderem ein riesiges Mandala, dass die Bevölkerung geschaffen hat. Ein Foto das zeigt, wie die Zukunft Vernazzas aussieht. Bunt, lebendig, froh, mit dem Lächeln dieses Ortes. In Vernazza wird viel gelacht, gelächelt…

Copyright Jens Koch. 2012. (Danke, Jens:) )

Ich habe mich mit Andrea Erdna Barletta unterhalten, habe sein Buch gekauft. Der Erlös kommt www.vernazzafutura.it zugute. Eine schöne Aktion, um irgendwie die 80.000.000 € rein zu bekommen, die die „Alluvione“ im Meer versenkt hat. Ich habe ihm versprochen, über die Aktion zu bloggen. Er hat mich, uns, fotografiert, ich habe ihn fotografiert (oben). So kann ich ein wenig mehr für Vernazza tun. Hoffentlich. Der Spendenbutton ist weiter auf der Startseite für die, die noch nicht haben und gerne möchten. Wer auf facebook ist, kann die Aktion mit einem „Gefällt mir“ auf der Seite „Libro: Alluvione a Vernazza“ unterstützen. es geht weiter…

Geld oder Leben?

Wie viel Geld braucht der Mensch, um glücklich zu sein? Was ich so wahrnehme, ist immer knapp nicht genug da. Gefühlt. Die Ansprüche wachsen mit dem Einkommen. Genau genommen ist für uns hier ja jeder Tag another day in paradise. Das Wasser kommt aus der Leitung, der Strom aus der Steckdose und das Internet mittlerweile durch die Luft. Wir wehren uns gegen Geschenke wie Toaster oder Serviettenringe, sind froh, wenn der Sperrmüll mal wieder eine Ladung mitnimmt und kämpfen gegen übervolle Räume, Keller und Dachböden, die unsere Möglichkeiten zustellen.

Italien. 2012. Ein Campingplatz. Freiheit. An meinem Körper ein paar alte Flip-Flops und eine kurze Hose. T-Shirt spare ich mir, weil ich den Meerwind und die Sonne auf der Haut mag. Nehme mit, was da ist. Anfangs haben wir zu wenige Stühle, weil wir in neuer Konstellation mit zusätzlichen Freunden unterwegs sind. Kaufen ist der Impuls. Warum eigentlich? Die abreisenden Camper werfen ihre weg. Campingplatz-Sperrmüll. Ich nehme mir die Stühle, die wir brauchen, um sie später weiterzugeben an zwei durchreisende Amerikaner. Völkerverständigung. Verbindung. Ein Boot.

Campen ist ein wenig wie leben in einem Flüchtlingslager. Selbstverständlich nicht von der der Not und den Emotionen her, aber hinsichtlich Enge und Verzicht auf Privatssphäre. Ich erinnere mich an eine Frage von Jim, als er noch ganz klein war und aus dem Nachbarzelt eindeutige Geräusche eines jungen Paares kamen. „Papa, was machen die da?“ Ich sagte: „Jim, dem Mann geht es nicht gut, ich glaube, der hat Asthma.“ Am nächsten Tag wollte Jim wissen, ob der Mann jetzt wieder gesund ist. „Ja Jim, dem geht es wieder gut. Richtig gut.“ Da war er beruhigt.

Die Plätze auf dem Zeltplatz in Levanto sind klein. Ein alter Olivenhain, Terrassen, die nicht als Zeltplatz geplant waren. Aber das aufstrebende Europa wollte nach dem Krieg nach Italien und so wurde aus dem Hain 1957 ein Zeltplatz mit wachsender Beliebtheit. Die Menschen kommen, immer wieder. Und immer wieder treffen wir die gleichen Leute, die sich den Mücken, dem Staub und der Enge aussetzen. Was ist das? Klar, Italiensehnsucht. Aber auch: Der Wunsch nach Freiheit. Das schöne Gefühl, nichts zu haben. Nichts zu brauchen. Zu spüren, wie wenig genügt. Tagsüber ist das Zelt tabu. Viel zu heiß. Sauna. Keine fünf Minuten zu ertragen. Da bleibt nur Strand oder Hängematte. Kein Dach über dem Kopf. Und: Es fehlt nicht! Im Gegenteil.

Dieses Jahr hatte ich im Urlaub ein schönes Gefühl von Bescheidenheit. Irgendwie brauchte ich nichts außer dem, was da war. Was die Natur und die Menschen um mich herum zu bieten hatten. Und das war so viel. An einem Abend haben wir zu einem Paellaessen eingeladen. Es gab nicht genug Stühle, das Kochen auf dem Elektroplattenkocher war schwierig, weil bei Volllast die Sicherung flog, aber es ging. Hat sogar Spaß gemacht unter der größten Dunstabzugshaube der Welt zu kochen. Wir hatten heimischen Wein abfüllen lassen in der Enoteca, frische Sachen eingekauft. Alle kamen, hatten sich so chic gemacht, wie es ein Campingplatz zulässt und hatten Spaß. Satt. Paella vom Plastikteller. Die Woche drauf gab es ein Pastaessen, zu dem alle ihre Geheimrezepte beigesteuert haben. Große Freude, kleiner Aufwand.

Luxus, der kein Luxus ist. Zumindest kein kaufbarer. Geld spielt keine Rolle. Sehen, was zählt. Konzentrieren auf das, was wichtig ist. Das Meer nehmen, die Sonne, die Luft. Gespräche unter freiem Himmel, auf Steinen, im Sand, auf der Via del Amore. Da saß ich eines Abends. Und es war so schön, dass es kaum auszuhalten war. Ein Ort, der fast weh tut. Eine kleine Bar im Fels über dem Meer. Und ich fragte mich, wo die restlichen sieben Milliarden Menschen sind. Weshalb sie diese Bar nicht stürmen, diesen Augenblick verstreichen lassen. Weshalb alle Touristen vorbeiziehen und sich von den wartenden Zügen abtransportieren lassen, wegziehen. Weshalb sich Brad Pitt und Angelina Jolie nicht jeden Abend zum Sonnenuntergang einfliegen lassen. Nothing. Zuletzt saßen wir allein. Die Bar schloss. Das Glück wurde in kleine Pakete zum Mitnehmen gepackt, es liegt jetzt in einem heiligen Ort in mir. Mindestens für immer und noch zwei Leben drauf.

Geld oder Leben? Leben. Ever. Es braucht so wenig, glücklich zu sein. Kein Haus, kein Hotel, kein Flug. Irgendwie nach Italien kommen. Wie Johann Wolfgang und alle nach ihm. Weil dieses Jahr so wenig gereicht hat, um viel zu sein, hatte ich üppige Restbestände in meiner Urlaubskasse. Weil man bestimmte Dinge halt nicht kaufen kann. Aber, ich bin natürlich kein Heiliger und Bettelmönch. Ich hab dann doch nach meiner Rückkehr gleich investiert. Restbestände in italienische Schuhe, weil Schuhe in diesem Urlaub eine Rolle gespielt haben. Vielleicht möchtet ihr sehen, welche? Nein? Ja? O.K. Hier der Link zu meinen neuen MOMA Miele von Riccardo Cartillone. Manchmal ist Geld dann doch eine gute Sache. Ich wiederspreche mir? Ach was. Es ist, wie es ist. Ohne wäre auch gut gewesen.