Le Havre von Aki Kaurismäki

Wie, wie, wie habe ich mich gefreut! Gestern auf Spiegel online entdeckte ich die Ankündigung. Heute kommt ein neuer Kaurismäki Film in die Kinos. Aki Kaurismäki. Es war Ende der achtziger Jahre, als ich in Aachen Geisteswissenschaften studierte. An einer kleinen Philosophischen Fakultät, die umgeben war von den unermesslich riesigen Instituten des deutschen Maschinenbaus und der Elektrotechnik. Wir sahen Buchstaben, sie Zahlen. Wir sprachen in Kneipen über Literatur und Filme, sie beugten sich über Gleichungen und kritzelten Formeln notfalls ins Holz der Tische. Sie belächelten uns wegen unserer Luftigkeit, der brotlosen Kunst, die wir lernten. Sie schauten herab auf ihre uniformierten Karohemden. Sie waren Snobs, wir waren Snobs:)

Das Jahr 1989. Ein Wendepunkt. Für mich. Ich ging ans Theater als Hospitant, schrieb Stücke, entdeckte Heiner Müller und sah zum ersten Mal einen Kaurismäki Film. Leningrad Cowboys go America. Schräg. Wir Geisteswissenschaftler fühlten uns mit Mitte Zwanzig ein wenig wie die Bohemiens. Wir feierten Partys, diskutierten bis in die Nacht, tranken viel, viel Kaffee immer und überall und redeten, redeten, redeten. Kam ein neuer Independent-Film, sahen wir die Premiere. In Burtscheid, dem Kurteil Aachens. Im Diana, einem alten, wunderschönen Kino mit Tischen und Tresen hinten. Biertrinken und rauchen während des Films.

Wir sahen sie alle: Aki Kaurismäki, Jim Jarmusch, David Lynch, Derek Jarman, Peter Greenaway… Europäisches Kino der Achtziger und Neunziger. Wie aufregend das war. Und nun plötzlich ist es wie ein Déjà-vu. Kaurismäki fällt mir vor die Füße. Einfach so. Vom Himmel herab aus dem Nichts. Mein Unterbewusstsein hatte ihn schon lange abgeschrieben und unter Vergangenheit abgespeichert.

Und nun kommt Le Havre. Startet heute. Kommt in die Kinos. Ein grandioser Film. Behaupte ich, nach allem, was ich auf Spiegel online gelesen und auf Youtube gesehen habe. Da ist es, dieses wunderbar intellektuelle Kino “Made in Europe” mit seiner Zeit und Ruhe, die Geschichte zu erzählen. Mit der Gelassenheit, den Emotionen der Protagonisten und Zuschauer Raum zu geben. Es kann sich entfalten. Die kleinen Gesten können wirken. Wieder arbeitet Kaurismäki mit seinen Farben, die schon in “I hired a Contract Killer” so besonders waren.

Und: Wie der Teufel es will, es geht um Einwanderung. Ein Thema des fiftyfiftyblogs – Blick von der Piper Bar auf Lampedusa und Schlaft miteinander! Allmählich wird mein Blog zur Bibliothek meines Lebens. Ich kann mich selbst zitieren. Ein echtes Tagebuch. Da war doch…

Es freut mich, freut mich, freut mich so, dass Aki Kaurismäki das Thema aufgenommen hat und es so gefühlvoll filmisch umsetzt. Mit wenigen Worten Menschlichkeit zeigt. Dass, was uns verbindet über Hautfarben und Religionen hinweg. Wie kann man einem kleinen schwarzen Jungen, der zu seiner Mutter will, nicht helfen? Da steht der Junge bis zum Bauch im Wasser. Mitten im Hafenbecken von Le Havre – was für ein Name in diesem Zusammenhang. Für die einen ein Illegaler, für den anderen ein Mensch. Er fragt den Schuhputzer: Bin ich hier in London? Ist er nicht, weil der Kleintransporter von schwer bewaffneten Fahndern geöffnet wurde. Der Junge kann fliehen, aber sein Ziel nicht erreichen. Er wird zum Gejagten und so steht ihm das Wasser bis zum Hals, als er seinen Retter trifft. Nein, kein Sozialarbeiter, keine staatliche helfende Hand, kein professioneller Samariter. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, der die einzig wichtige Frage stellt: Hast du Hunger? JA!!! Und er teilt sein Baguette und hilft und versteckt den Jungen…

Weiter weiß ich nicht. Will ich auch noch nicht wissen. 93 Minuten dauert der Film, der in allem reduziert ist. Mein Herz macht Bumm Bumm, meine Seele lechzt nach solchem cineastischen Futter. Krise? Was für eine Krise, so lange es solche Filme und Filmemacher gibt! Ziehen wir halt ins Kino und leben die Realität des realistischen Films. Denn: Egal! Hauptsache es macht Spaß…

Hier der Trailer:

Wer gerne in seinem Leben und Werk stöbern möchte, findet auf Spiegel online die gesammelten Beiträge der Vergangenheit. Und hier noch die deutsche Aki Kaurismäki Seite.

True Grit, The King’s Speech, Pina.

In diesem Jahr hat es Hollywood geschafft, mich ins Oscar-Fieber zu ziehen. Hallo Herr Schönlau, schön, dass sie sich auf den Walk of Fame gemacht haben, und ein paar Sterne vergeben wollen, die Menschen an den Himmel schießen. Gute Überleitung, Sterne, Western, US-Marshall Jeff Bridges und Texas-Ranger Matt Damon. Beide tragen einen, wie einst John Wayne, in dessen Fußstapfen sie mehr oder weniger treten. True Grit. Gestern Abend in Siegen. Skurriles Publikum, die Popcorntüten werden immer größer, für die Becher mit der schwarzen Geheimniskrämer-Limonade dürften 10.000 Xe vor dem L nicht mehr ausreichen. Wieso erinnert mich das – ich werde jetzt mal im Stile der Coen-Brüder böse und sarkastisch – an die Fütterung von diesen netten intelligenten Tieren, die im Kino manchmal Babe genannt werden? Neben mir zogen sich zwei Jungs auf ihrer Kuschelbank die Mega-Portion Tortilla-Chips mit Doppeldip rein. Das knackste und roch streng nach chemischen Gewürzen und Dip. Die Jungs waren zudem über ihre Kuschelbank überrascht – “Hey, wie assi is das denn? Deshalb hat die Alte so gegrinst.” True Grit. Western, harte Burschen.

Ziemlich viele Oscars sollen die Coens, Bridges und Damons bekommen. Moment. Ein Name fehlt: Hailee Steinfeld. 14 Jahre alt, oscarnominiert. Sie spielt in diesem Remake des 70’er Klassikers mit John Wayne die Mattie, die den Rachefeldzug am Mord ihres Vaters in die eigenen Hände nimmt. Was sie da spielt, ist nicht nur für ihr Alter oscarverdächtig. Ganz in der Rolle, zweihundertprozentig überzeugend. Bridges spielt schon gut, aber Steinfeld ist grandios. Leider kackt Damon ab. Vielleicht auch nur durch die leicht veralbernde Synchronstimme, vielleicht wollten die Coens zu viel. Er wirkt als Texas-Rancher La Beef ein wenig turtelig überzeichnet. Schade, wo ich diesen Sexiest Man Alive (nicht meine Aussage) doch tatsächlich ziemlich gerne mag. Allerdings nicht, wenn er durch Szenen hampelt.

Was passiert im Film? Einiges Skurriles. In Sepiafarben gemalt, werden die rauen Zeiten inszeniert. Schmutzige Unterwäsche, Whiskeyflaschen, da hängt jemand hoch an einem Baum, wird abgeschnitten, fällt herunter, von einem vorbeiziehenden Indianer mitgenommen, um an einen weißen Medizinmann verkauft zu werden, der ihn weiterverkaufen will, nachdem er ihm die Zähne gezogen hat. True Grit. Wahrer Mut. Klar, den haben die Coens. Die machen einfach. Deshalb kommt Bridges so gut, weil er sich fett – im wahrsten Sinne des Wortes – auf den breiten Rücken der Rolle setzen kann. “Ich wollte mal auf einem Pferd sitzen”, sagte er in etwa so. Den alten Stinkstiefel kann er wie kein zweiter. Oscars? Ja. Auf alle Fälle für Hailee. O.K., Jeff würde ich auch einen geben. Für den Film? Muss nicht unbedingt. Total umgehauen hat er zwar viele Cowboys, die mit klaffenden Wunden von Pferden fielen oder an die Wand geknallt wurden, mich aber nicht. Emotional hat er nicht gepackt. Frech ist er, verspielt. Den Kick hat er nicht.

Vielleicht The King’s Speech? Hab ich letzte Woche gesehen. Auch in Siegen. Kaum Publikum. Eindeutiges Oscar-Votum? Langsam. Auch hier schreibt die Presse und die Werbetrommel rührt. Bombastische Superlative der Kategorie über allem sind da zu vernehmen. Welche Kraft die Maschinerie entwickelt. Welchen Sog. Wie von Sinnen tippte ich mein Ja unter die Online-Reservierung und ließ mich wie ein Schaf vom Hirten in den Kinosessel locken. Dieses Mal von den werten Engländern, die in Hollywood gerne groß auftrumpfen würden.

Komischerweise wieder Sepiafarbtöne. Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Alles braun, schwarz, grau, blass. Pastellig. Wie in True Grit. Zeiterscheinung. Eine Ästhetik, die wunderbare Kameraeinstellungen in den Londoner Nebel zaubert. Schön anzusehen. Die Kamera, ihr würde ich den Prinzen in Gold an das Objektiv hängen. Hier, nimm, mein wachsames Auge. Und dann ist da Co-Co-Colin Fi-Fi-Firth, der bereits für den Oscar nominiert ist. Der stottert sich ganz schön was zurecht. Ohne Unterstützung, wie er gesagt hat. Es gibt viele Leute, die einem helfen, mit dem Stottern aufzuhören, eine Einweisung in prachtvolles Stottern ist am Markt der Coaches und Trainer nicht abrufbar. Meint er. Firth hat sich eingefühlt, hat sich das bei Könnern abgeschaut. Und er hat seine Sache britisch stocksteif gut gemacht. Die Gespräche mit seinem Logopäden, der innere und äußere Kampf sind sehenswert. Firth oder Bridges? Es wird ein Kopf- an Kopfrennen. Zumindest aus meiner Perspektive. Wie die Jury drüben in den States denkt und tickt, keine Ahnung. Die haben ein anderes Verhältnis zu Sternen und Sternchen.

Ja, ich habe etwas vergessen. Den Oscar für den besten Film. Hier bringe ich ganz deutsch alternativ ein drittes Pferd auf die Rennbahn. Pina von Wim Wenders. Ich antizipiere, nehme vorweg, weil ich den Film noch nicht gesehen habe. Nur den Trailer. Weshalb dann meine Favoritenbelegung? Ich meine, fernab der Oscars. So weit ich weiß, ist Pina nicht nominiert. Oder? Hab gegoogelt und so schnell nichts gefunden. Egal. Ich werde ihn mir ansehen, wenn das hier in der Gegend möglich ist. Ob Filme über Tanztheater auf dem Land gezeigt werden? Passt nicht zu den XXXXXL-Fressorgien, die hier abgehalten werden. Ich denke, Pina schafft es nicht aufs Land. Egal. Also ein Doppelegal. Zweimal. Was mir der Trailer gezeigt hat, die Poesie, die Bilder, die Ästhetik, die Tänzer/innen, der Ausdruck – das ist mir nicht egal. Sehr vielversprechend. Scheinbar eine authentische Hommage an die Größte des Tanzes: Pina Bausch. Gestorben 2009. Auferstanden 2011?

Macht euch selbst ein Bild, was euch gefällt und wie es euch gefällt. Hier die Trailer-Links (bitte jeweils ein wenig warten, die Trailer beginnen dann automatisch). Viel Spaß mit großem Kino – ob Oscars oder nicht:

True Grit

The King’s Speech

Pina

Drama, Drama um Tamara

Wer ist Tamara? Eine Leinwandfigur. Wir haben es wieder getan. Sind zu viert ins Kino gefahren. Diesmal nach Köln. Cinenova in Ehrenfeld. Keiner der riesigen Kinopaläste, sondern eine umgebaute Fabrikhalle. Eintritt bezahlbare 6 € und Sweets zu Preisen, die sich kreditfrei aus dem normalen Tagesbudget bezahlen lassen. Die hatten sogar Lakritz. Sehr sympathisch. Wenn meine Eltern Sonntagnachmittags gerne mal allein sein wollten, durften mein älterer Bruder und ich ins Kino. Tüte Katjeskinder für 60 Pfennig und dann “Vier Fäuste für ein Halleluja” mit Bud Spencer und Terence Hill. So hatten wir alle unseren Spaß.

“Immer Drama um Tamara” von Stephen Frears war gestern ein Aufheller. Nachdem der Südwind mächtiges Tauwetter herangepustet hatte, war mir gestern komisch. Eis und Schneematsch und alles ein Einerlei. Da kam die britische Komödie mit ihrer heftigen Sprache (F…, Sch…, Pf…) genau richtig. Komischerweise ging es wie in “3” wieder um sexuelle Begierde, Betrügereien und Bettgeschichten. Diesmal jedoch weniger schwerwiegend erzählt. Die Szenerie: Ein englisches Dorf. So groß wie unser Dorf. So verschlafen wie unser Dorf. Dort hat sich ein Ehepaar niedergelassen. Er Bohemien, Bestsellerautor, leicht schmieriger Schleimer und Verführer, sie Seele des Landguts. Die beiden vermieten Zimmer an Autoren/innen. Da kommen ziemlich skurrile Typen und Gespräche zusammen.

Wie im Sommernachtstraum nehmen die Dinge ihren Lauf. Kommentiert von zwei fünfzehnjährigen Mädchen, deren Schaltzentrale die Bushaltestelle des Dorfes ist. Alles geht seinen Gang, bis eine ehemalige Dorfbewohnerin mit Hotpants die Welt durcheinanderwirbelt. Skurrile Situationen entstehen, die Geschichte ist trocken britisch erzählt, die Dialoge – vor allem der beiden fünfzehnjährigen Mädchen – sind witzig. Englisch. Muss ich doch mal hin, auf die Insel drüben.

Nachdem wir noch ein Bier getrunken hatten, fiel ich um halb Eins ins Bett. In der Nacht träumte ich von einer Hochzeit. Ob mich der Film an “Vier Hochzeiten und ein Todesfall” erinnert hat? War’s der Südwind? Oder das Lakritz? Auf jeden Fall: Schön war es. Ich war nicht der Bräutigam. Diese Erfahrung fehlt mir ja bekanntlich gänzlich. Ich war dabei. Draußen auf einer grünen Wiese im Sommer. Der Bräutigam trug einen weißen Pullover, hatte zwei große Ohrringe und eine Irokesenfrisur. Mein älterer Bruder war dabei. Wir waren eingeladen, weil wir dem Bräutigam einen Gefallen getan hatten. Ich glaube, wir hatten bei einem Umzug geholfen (gefühlt habe ich in meinem Leben eine Millionen Mal bei Umzügen geholfen und irgendwie immer die Waschmaschine getragen). Die Atmosphäre der Hochzeit war so schön. So warm war es, die Sonnenstrahlen, die lachenden, fröhlichen Menschen. Meine Seele wollte sich wohl in einer Sehnsucht tummeln. Licht, Wärme. Nicht im Gedanken, ich würde heiraten, falls ihr das jetzt denkt. Ach, wie schön. Bin und bleibe ein unverbesserlicher romantischer Harmoniker mit dem Drang nach Happyend. Alles wird gut. Ist gut. Immer.

Euch einen schönen Tag. Mit Liebe, Licht, Sommerlust. Zwar fallen die Sonnenstrahlen wahrscheinlich wieder in Tropfenform, aber egal, Hauptsache es macht Spaß. Tschüss.