Hoffnung, Liebe, Weihnachten.

Liebe ist nur ein Wort. Sagen manche, heißt es manchmal. Mich beschäftigt das Wort gerade aus zwei Gründen: Bei mir nahe stehenden Menschen steht es gerade um die Liebe nicht sehr gut. Und Ela und ich sind nächste Woche seit 20 Jahren zusammen. Jubiläum. Nun möchte ich hier nicht das Eine gegen das Andere stellen oder mich hervorheben im Sinne von “Sehr her, bei uns klappt es doch auch”. Never. Es gibt immer, wie im Fernsehen, gute Zeiten, schlechte Zeiten. Der Mond geht auf, der Mond geht unter, die Sonne kommt, die Sonne geht, der Frühling frühlingt, der Herbst herbstet. Kreisläufe, Wechsel. Sicherheit ist in Sachen Liebe ein fulminantes Risikogeschäft, von dem selbst Hedgefonds die Finger lassen.

Also habe ich mir Gedanken über die Liebe gemacht. Meine Liebe. Bin ihr nahe getreten, um nachzufühlen, wie es ihr geht. Ein Ergebnis dieser Innensicht kann und werde ich euch nicht mitteilen, weil sich das nicht in Worte fassen lässt. Ich möchte hier auch nicht meine Sprachwerkzeuge wirken lassen. Das wäre profan und instrumentalisiert. Was ich aber sagen und schreiben möchte, ist folgendes: Die Liebe spielt gerade jetzt eine immens große Rolle. Sie ist wirklich wichtig.

Wir haben ein Jahr hinter uns, das von merkwürdigen Ereignissen geprägt war und ist. Kernkraftwerke sind in die Luft geflogen und haben Menschen und Meer verseucht, die Atomkraft wurde in Deutschland perspektivisch ausgeschaltet, Revolutionen haben sich durchgesetzt, Kriege werden geführt, der EURO und Europa zappeln wie ein Fisch an der Angel und lassen sich nicht in ruhige Gewässer ziehen. Es war ein unruhiges Jahr mit einem wunderschönen November.

Ich persönlich bin reich beschenkt worden. Mit und von diesem Blog, den ich betreiben konnte bei gleichzeitigem, persönlichem Bestumsatz im Business. Ich durfte eine sehr schöne Zeit in Italien verbringen, war in Berlin, in Frankreich und Ela hat mir einen Gedichtband gestaltet, den ich bislang noch nicht unterbringen konnte – das wäre der Gipfel gewesen. Aber ich will nicht unverschämt sein. Mein persönliches Schicksal meinte und meint es gut mit mir. Ich durfte ein weiteres luxuriöses Jahr in einem der reichsten Länder der Erde verbringen. Ich schaue nach Durban, sehe wie die von der Klimakatastrophe am stärksten betroffenen Entwicklungsländer um Entlastung kämpfen und Spielball der Industrienationen sind.

So what? Ja. Wir sind im Landeanflug in Richtung Weihnachten. Adventszeit. Lichter leuchten und ich versuche, nicht an die Kohlendioxidbilanz des E-Schmucks zu denken. Stattdessen denke ich an ein altehrwürdiges Wort, dass so beschädigt ist wie viele andere Worte: Besinnung. Sich besinnen. Nicht besonnen werden, sondern aus sich selbst heraus Besinnung schaffen. Der WW, der Weihnachtswahn läuft auf Hochtouren. Geschenke, Karten, Weihnachtsessen und -feiern, der Tannenbaum, die Planung für die Festtage. Ein Fest der Liebe. Ja. Und dann ist alles organisiert und alles ist bereit und die Festklamotten liegen bereit und es wird gesungen. So weit, so gut. Wenn es klappt. Wenn es nicht nur eine Vorstellung von schöner, heiler Welt ist. Wenn die angestauten Emotionen und Erwartungen dann nicht explodieren oder in schlechte Laune und Anspannung implodieren. Erwartungen, Vorstellungen, Verpflichtungen. Entäuschungen.

Der Kern der Weihnacht. “Uns ist ein Kind geboren.” Der Heiland, geschickt vom heiligen Vater zur Errettung der Welt. Hey! Errettung der Welt. Da war doch was. Adam und Eva hatten sich nicht fernhalten können und waren hinausgestoßen worden. Seither wälzen wir uns in Schuld und leben sündig, wie es von der Kanzel heißt. Mich persönlich stört diese Sicht der Schuld und Sühne, weil sie den Menschen so klein macht. Eine sich selbst bewahrheitenden Prophezeiung. Nun leben wir in dieser Welt, die ich gerne einmal Paradies II nennen möchte. Phil Collins: All, think twice, it’s just another Day in Paradise.

Da haben wir diesen Planeten mitten im Weltall geentert, haben es vom Lurch zum Menschen geschafft und können Äpfel essen, die wir von Bäumen pflücken. Frisch und knackig. Wir können in den Wald gehen, uns von herunterfallenden Sonnenstrahlen streicheln lassen. Wir haben Familien, in denen wir wie in einem warmen Nest durchatmen können. Und was machen wir? Stoßen Kohlendioxid aus, weil wir glauben, sonst nicht genügend Geld zu haben, um zu leben. Uns zu ernähren. Was einst die Frucht vom Baum der Erkenntnis war, ist jetzt der Baum der Umweltverschmutzung, von dem wir reichlich knabbern. Tatsächlich ist es so, dass wir es gerade so richtig vermasseln. Die Kiste in den Dreck fahren, in den Sand setzen.

Wir haben die Chance, das in Durban zu ändern. Einen internationalen Klimavertrag zu unterzeichnen, der unser Paradies erhält. In Durban schlafen sie nicht, verhandeln die ganze Nacht, die ärmsten Entwicklungsländer wollen auf Geld verzichten, um ein Zeichen zu setzen. Denen steht das Wasser, bzw. die Dürre bis zum Hals, während sich hier noch manche fragen, ob es überhaupt einen Klimawandel gibt und ob der mit Kohlendioxid zu tun hat. Gleichzeitig sitzen wir auf privater Ebene Zuhause und vergessen, die Liebe zu füttern. Mit kleinen Brotkrumen. “Ich schieße keine Möwen tot, ich lass sie lieber leben und fütt’re sie mit Roggenbrot und rötlichen Zibeben”.

Was ist los? Sind Menschen so? Können wir unser Glück nicht fassen, halten? Ich plädiere für Besinnung und Katharsis. Das schöne alte griechische Wort für Reinigung. Die Welt reinigen, unsere Gedanken reinigen. Sich konzentrieren. Auf das Wesentliche. Weihnachten, das Fest der Liebe. Der Erlöser wurde geboren. Wer ist der Erlöser? Wo wohnt er? Erlösung ist Passiv. Erlöst werden. Da reichen keine Kerzen, kein Kinderlein kommet. Da braucht es internationale Verträge und Zuhause einen ehrlichen, offenen, gütigen Blick auf die Liebe. Dann würde es vielleicht klappen mit der geweihten, gesegneten Nacht. Wir sind dran mit dem Segnen.

P.S. Die Rose oben habe ich heute Morgen fotografiert. Sie blüht seit gestern vor unserem Haus. Ein Zeichen, für was auch immer.

Berlin mit Glen Hansard, Durs Grünbein, E.E. Cummings & Ela

24 Stunden. Ein Tag in meinem Leben. Dienstag sind Ela und ich in Köln-Bonn losgeflogen. Wir haben uns einen Ausflug gegönnt. Die Kinder bei Freunden gut untergebracht, Cooper bestens versorgt und wir auf und davon.

Ein herrlicher Tag in Berlin. Für den Abend hatten wir Karten für ein Glen Hansard Konzert im Festsaal in Kreuzberg. Zuletzt hatten wir ihn zusammen mit Markéta Irglová in Düsseldorf gesehen. Nun machen beide Solotourneen, weil sie beide wieder solo sind. Zumindest nicht mehr gemeinsam zusammen. Wen es interessiert, hier die beiden in ihrem gemeinsamen Film Once (gab es den Musik-Oscar für) – zumindest im Trailer.

Wir sind in Schönefeld gelandet und sind erst einmal mit der S-Bahn in die Stadt gefahren. Sushi essen. In Mitte in der Mittelstraße. Happy Hour mit günstigen Mittagsmenüs. Es gibt Tee, frischen Ingwer, leckere Sushis. Danach ins Hotel: Gat Point Charlie in der Mauerstraße in Mitte. Frische, neue, schöne, fröhliche Zimmer. Junges Design, herrliche Betten. Alles sehr inspirierend.

Den Nachmittag sind Ela und ich verliebt durch Berlin gestromert. Ela hat in der Nähe der Hackeschen Höfe in ihrem Lieblingsschuhladen ein Paar wunderschöne braune Schuhe gekauft. Italienische. Festes Leder. Braun. Sie kam in den Laden, dessen Besuch auf der Liste ganz oben stand, und wusste gar nicht, wo sie zuerst und wo sie zuletzt schauen sollte. Ich weiß nicht mehr, wie viele Modelle sie anprobiert hat. Ich saß da, schaute zu, freute mich. Es kamen noch andere Frauen in der Zeit in den Laden und alle reagierten gleich. Staunen, Überraschung, anfassen, aussuchen, Größen kommen lassen. Überall standen Kartons, Papier flog herum und dazwischen saßen Männer und konnten oder wollten das Klischee nicht glauben. Es war schön, das zu sehen. Das in den Schuh Schlüpfen des Fußes, das Ausprobieren, Auftreten, die Hose heben, den ganzen Fuß betrachten, schlendern, drehen… Immer und immer wieder. Ein besonderer Schuhladen.

Mit den neuen Schuhen durch Berlin – was hat sie sich gefreut und immer wieder gesagt “Jens, schau mal, ich habe neue Schuhe! Sind die nicht schön? Und so gemütlich.” Ihr hättet diese Freude, dieses Lächeln, Lachen sehen sollen. Schuhe sind Glücksbringer. Wir haben uns dann in der Strandbar Mitte an die Spree gesetzt. Haben einen Aperol getrunken, auf die Museen geschaut und haben uns gefreut. Auf dem Heimweg ins Hotel sind wir noch auf der Friedrichstraße zu Dussmann Das KulturKaufhaus rein. Ich wollte mir Lyrik kaufen und habe es auch getan: Erich Fried, Gedichte und Durs Grünbein, Liebesgedichte. Ela hat mir dann heimlich auch noch ein kleines Büchlein gekauft und verpacken lassen. Wie sie das immer macht? E.E. Cummings, erotic poems. Mit diesem Buch hat es eine besondere Bewandtnis, die 20 Jahre zurückliegt. Ein Buch als Zitat. Hat mein Herz berührt.

Wir sind dann ins Hotel, haben uns in die Bar gesetzt, haben einen Latte Macchiato getrunken und gelesen. Gedichte. Gedichte in einer Bar in der Mitte Berlins. Ich glaube, ich hätte dort die Nacht verbringen können mit Ela und den Gedichten. Mein Kopf fing schon an zu spinnen und hörte den ganzen Abend nicht mehr auf. Chaos, Feuerwerk, Blitze in den Serpentinen meiner Hirnwendungen. Drei Gedichte sind in der Anlage entstanden. Ich bin gespannt, ob ich sie schreiben werde. Das Gefühl ist noch da, der Corpus, die Bilder. Zu viel. Zu viele Eindrücke. Overload.

Mit diesem Gefühl in meinem Kopf bin ich dann, sind wir zu Glen nach Kreuzberg. Er hat sich fast drei Stunden die Seele aus dem Körper gesungen. Dieser verrückte Ire. Drei Saiten sind ihm gerissen. An seiner alten Gitarre, die er durchgespielt hat. Auf dem Holzdeck prangen große Löcher, die er dort hineingespielt hat. Es war ein so beseeltes Konzert. Was für ein Tag. Den Part von Marketa in Falling Slowly hat ein kleines Mädchen aus dem Publikum übernommen, das er auf die Bühne geholt hat. Eine Frau saß im Publikum, die hatte er am Morgen an einer Tankstelle getroffen. Sie hatte ihn angelächelt, er hatte sie angelächelt, dann hörte er seine Stimme aus dem Radio ihres Autos… Als eine Frau nach einem Song den Saal verlassen wollte, hat er für sie gesungen, um sie zum Bleiben zu überreden. Ist schon auf Youtube, diese Szene. Der Song. Spontan. Er hat einen Song in Gänsehaut-Version unplugged gesungen und zum Schluss zwei Songs zusammen mit dem Mann, der sich um seine Gitarren kümmert. Glen kommt einfach super sympathisch rüber. Zwischendurch hat er von Eddie Vedder (Sänger von Pearl Jam) erzählt, mit dem er durch Amerika getourt ist. Ein wirklich intensives, langes, besonderes Konzert.

Jetzt ist es 22 Uhr, ich bin hundemüde, habe Berlin noch im Kopf und in den Knochen und freue mich nun auf mein Bett und noch ein wenig Lyrik. Ich glaube, heute von E.E. Ich wünsche euch einen schönen Tag. Kauft vielleicht mal wieder einen Gedichtband. Ist gar nicht so einfach, etwas jüngeren Datums zu finden. Morgen Früh habe ich ein Briefing und bin deshalb unterwegs – ich wollte nicht noch einen Tag im Blog schwänzen…

Die alte, alte, schöne, schöne Liebe.

Wie sie daher kommt, dieses luftige Wesen. Diese alte Seele. Gestern Abend hatte ich einen Augenblick, der wohl durch die BRIGITTE ausgelöst worden ist. Nehme ich an. Ela hatte beim Frisör in der BRIGITTE geblättert und ein Dossier entdeckt, in dem Männer über Männer berichten. Nicht irgendwelche Männer, sondern die beiden einzigen Männer der BRIGITTE-Redaktion. Die haben also mal erklärt, weshalb Männer sind wie Männer nun einmal sind. Da standen viele nette Dinge drin und ich kann nur allen Frauen, die uns ein wenig mehr verstehen möchten, anraten, den Beitrag zu lesen. Gut geschrieben, erhellend, erleuchtend.

Ein wichtiges Thema war: Männer können keine Übergänge. Die fallen in ein Loch, die Energie trudelt ins Nichts, die Stimmung sinkt. Ela hatte das einer Freundin erzählt, die dann berichtete: “Mein Mann kam von der Arbeit, niemand war da. Er war allein. Von 100 auf der Arbeit auf 0 Zuhause. Peng! Schlechte Laune.” Wenn die Säge nicht sägen kann, der Held kein Held ist. Interessanter Aspekt und ich kann nicht leugnen, auch manchmal ein Übergangsproblem zu haben. Zum Beispiel im Beruf, wenn ich von super gefragt auf kein Schwein ruft mich an überschwenken muss. Hier habe ich mir ja den Blog konstruiert, der das sinnvoll auffängt und abfedert. Eine gute Sache, so ein Blog. Und Spaß macht er auch noch und viele nette Menschen trifft man.

Zurück zur alten, alten, schönen, schönen Liebe. Gestern Abend hatte ich also einige Übergangsstunden für mich. Ela und die Kinder waren ausgeflogen. Cooper war noch da, der hat assistiert. Übergangshelfer. Ich saß da im Garten und dachte im Licht der untergehenden Sonne an die Liebe. Glück gehabt, nicht ins Loch der schlechten Laune gefallen:) Und mir kam ein Bild, ein Satz: “Wäre die Liebe fest wie Beton, wäre sie grau.” Und zudem wäre sie von Eisen durchzogen. Ich suchte nach Bildern, die adäquater sind und blieb an dem hängen, was mich umgab. Die Liebe ist wie eine Sommerwiese. Ich weiß, das ist jetzt ziemlich kitschig. Lasst das jetzt mal bitte zu, ohne auszusteigen. O.K.? Also sie ist wie eine Sommerwiese. Satt, wohlriechend, schön, abwechslungsreich. Und sie vergeht im Herbst, liegt im Winter am Boden, um sich im Frühling zu berappeln. Sie ist nie einfach nur da. Sie verändert sich. Trägt Jahr für Jahr ein anderes Kleid mit anderen Blumen und erscheint täglich in einem neuen Licht. Sehr lebendig. Und wenn sie im Winter grau und trist wie Beton erscheint, so weiß sie doch, dass sie immer wieder erwachen wird. Deshalb ist die Liebe so schön. Sie ist da und sie ist ein Warten und Sehnen.

Nun gehen die Sommerwiesen bald. Es ist also an der Zeit, sich einige oder vielleicht auch nur eine schöne Blüte zu schnappen, um sie zu trocknen und in die Schatzkiste für den Winter zu packen. In Form eines schönen Sommerabends mit dem Liebsten, der Liebsten. Der Winter kann manchmal lang sein. Ela und ich werden in diesem Jahr 20 Jahre zusammen sein. Im Dezember dann. Eine alte, alte, schöne, schöne Liebe, die mal Sommer- und mal Winterwiese war und ist. Im Wechsel. Wir haben vieles kommen und gehen sehen. Gemeinsam. Das füllt die Schatzkiste, in der ich immer wieder gerne nachschaue und entdecke. Gestern Abend zum Beispiel. Auf der alten Natursteinbank im Garten. Die Sonnenstrahlen im Gesicht. Manchmal ist die Liebe einfach nur wahnsinnig kitschig schön…