Wir leben in einem Kulturkreis, der es gerne ordentlich hat. Das ist meistens eine sehr angenehme Sache, weil vieles gut geregelt ist und vergleichsweise hervorragend funktioniert. Mal mehr, mal weniger. Es gibt Regelungen und Mechanismen, die greifen. Fällt Schnee, kommt morgens der von der Gemeinde geschickte Traktor und räumt den Schulhof vor unserer Haustür. Brennt es, fährt die Feuerwehr raus. Habe ich auf der Autobahn eine Panne, ist irgendwann der ADAC da. Regelungen. Fast alles ist geregelt, geordnet. Teils auch genormt und zertifiziert. Was auch nicht schlecht ist – zum Beispiel wenn es um Qualitätsmechanismen oder Umweltschutz in Unternehmen geht. Da haben sich Menschen zusammengesetzt und überlegt, formuliert, entschieden, was gut ist.
Nun stelle ich häufig fest, dass es in unserem Land den Wunsch gibt, auch Sprache möglichst fest in ein Regelungsschema zu pressen. Wir alle wurden in der Schule nach Duden ausgebildet. Der ist für das Schuldeutsch und das Deutsch der öffentlichen Hand die vorgebende Institution. Im Berufsalltag nun geschieht es immer wieder, dass Kunden zu mir kommen “Mein Deutschlehrer aber hat früher gesagt…” Da spüre ich dann den Wunsch nach richtig und falsch, nach oben und unten.
Dabei wird oft vergessen, dass die Sprache ein lebendiges Tier ist. Ein Feuerdrachen, ein sanftes Einhorn, eine Raubkatze, ein schnoddriger Pinguin. Sprache ist ein lebendiger Organismus, der sich den Prinzipien der Evolution unterwirft. Es gibt ökologische Nischen, es gibt Entwicklungstendenzen und es gibt “strike for the fittest”. Der Stärkere überlebt. Der stärkere Begriff, die stärkere Redewendung. Die Sprachwissenschaftler der Duden-Redaktion schauen dem Volk ständig aufs Maul und schreiben mit. Was gestern noch falsch war, steht morgen im Duden. Was hätte da der Herr Gymnasiallehrer von 1978 gesagt? Der würde sich gar nicht mehr auskennen, was da plötzlich alles so geht, was Alter? Korrekt.
Eine große Sprachmacht haben die Anglizismen. Ein Horror für mich. Weil ich sie nicht mag? Nein, bewahre. Ich liebe Anglizismen, weil sie vielfach Dinge viel inhaltlicher und emotionaler ausdrücken können, als es die entsprechenden deutschen Wörter vermögen. Ich suche noch nach einem Adäquat für Marketing, das ähnlich kurz, prägnant, klingend und umfassend ist. Mountainbike. Cool. Weshalb dann ein Horror? Ich verwandle gerade zum Beispiel eine neuseeländische Kampagne in eine deutsche Kampagne. Das ist die Übertragung von ziemlich sexy in geduldig. Der Klang, das Pointierte, die Leichtigkeit – haben wir so nicht (unsere Sprache hat andere Qualitäten, cool ist sie nicht). Und da gibt es doch tatsächlich Menschen hier im Land, die die deutsche Sprache retten wollen, als könnte man das verordnen. Als würde Sprache nicht in der Luft liegen.
Und vor allem: Als wäre Sprache nicht eines der größten Zeichen für die Freiheit des Menschen! Der Duden ist im allgemeinen Leben nicht verpflichtend. Wir dürfen sprechen und schreiben, wie und was wir wollen. Wie uns der Schnabel gewachsen ist. Weshalb ich das hier schreibe? Weil ich es schade finde, wenn Menschen sich durch äußere Zwänge wie Orthografie und Ausdruck (das A! aus Aufsätzen) von ihrer eigenen Sprache entfernen und entfremden. Selbstverständlich ist es wichtig, so kommunizieren zu können, dass tatsächlich Kommunikation entsteht. Aber. Aber. Die Regulation der Sprache soll nicht den Mut nehmen, zu schreiben. Schreibängste entstehen lassen. Schreibblockaden. Es ist so schade, wenn die eigene Sprache nicht fließt. Wenn sie wie ein trocken gelegter Brunnen versiegt. Freude am schreiben!
Mit diesem Artikel möchte ich auffordern, vielleicht wachrütteln. Schreibt. Spielt mit Sprache. Probiert aus. Wenn ihr Lust dazu habt. Schreibt vielleicht mal ein Gedicht, bloggt, twittert, artikuliert euch, öffnet euch für neue Wörter, kombiniert sie, trickst, bastelt. Und: Entdeckt eure Sprache, baut sie vielleicht aus, wenn ihr sie schon gefunden habt. Werft Barrieren und Blockaden über Bord, sofern sie bestehen und lasst euch von niemandem sagen, wie eure Sprache auszusehen hat. Kickt das A! weg, seid frei, frei, frei. Nutzt Anglizismen, wenn ihr wollt oder verdammt sie, wenn ihr sie nicht mögt.
Die Sprache ist ein wertvolles Gut. Sprechen ist denken. Viele Dinge können wir nur denken, wenn wir die passenden Wörter haben. Wer sich Wörter nehmen lässt, lässt sich das Denken einschränken. Wer will das schon. Sprache ist wichtiger, als viele vielleicht glauben.
Vielleicht entdeckt ihr heute ja neue Wörter. Oder schöne alte. Hört mal hin.