Wie aufregend kann Leben sein?

Entwicklung geschieht an den Kanten. The edge. Geschichte verläuft in Sprüngen. Es bahnt sich an, staut sich auf, bricht los. Renaissance, Aufklärung, französische Revolution, der Weg in die Moderne, die westliche Demokratie. Mit idiotischen Rückschlägen und unnötigen Arabesken. Shit happens.

Die Ontogenese enthält die Phylogenese. Die Entwicklung des Einzelnen bildet die Gesamtentwicklung ab. In der Zeit als Embryo. Auf der Ebene der Erscheinung sind es die verbliebenen, rudimentären Merkmale des Körpers. Die kleine Ecke in den Augen, der Blindarm. Wir bewegen uns permanent in einem großen Entwicklungszusammenhang.

Trotzdem leben wir unser eigenes Leben. Hier und jetzt. Gestern, morgen. Dieses Leben ist eingebunden in die Gesamtentwicklung, in der es Sprünge gibt. Und es gibt die Sprünge in der Individuelentwicklung. Die Dinge laufen parallel und jeder Mensch könnte seinen eigenen Graphen an die große Welt- und Menschheitslinie anlegen und schauen, wo er steht. Es ist ein Mitgehen. Sich trennen, nah dran sein, Augen verschließen, nicht wollen, begeistert sein und, und, und.

Kommen wir zum Thema. PUNKT, wie eine sehr gute Freundin schreiben und sagen würde. Diese besondere Frau. Ach. Tagebucheintrag am 4. April 2012: In den vergangenen Wochen war das Meer rau. Der Himmel hing voller leuchtender Sterne, was das Navigieren extrem vereinfacht hat. Die Wellen waren hoch wie Türme. Die Sicht mal weit und klar, mal war da nur die Wand. Nur Welle, nur Tal, sonst nichts. In Seenot geraten. Gekämpft. Aufs Deck geknallt, umgeschmissen. Zurück in die Wanten, mehr Segel. Trotzen. Das Schwert griffbereit. Die Nase blutig geschlagen, der Körper voller blauer Flecken. Brüche.

Nun: Ist da ein weites Land. Überraschend. Die Fahrt war kurz. Den stürmischen Atlantik in Tagen. Dennoch. Es fühlt sich anders an, dieses Leben. Plötzlich. Frei, leicht. Schön. Es ist aufregend. Das Leben tanzt. Ich tänzele. Es scheint, eine Stufe genommen zu sein. Es liegen schöne Dinge vor mir. Und wenn ich zurückblicke, liegen da mehr schöne Dinge als doofe. Ich muss oft lachen. Mit Menschen. Und loslaufen. Ich kann wieder laufen. Schnell, weit, leicht.

Mein Dachfenster ist eingebaut. Das neue Bett steht darunter. Musik fliegt mir zu, die ich in die Anlage werfe. Gestern Abend lag ich nach einem langen Tag in der Badewanne. Kerzen. Duft. Aus meinem Zimmer klang ein jazziger Sting. Es ist der Augenblick, der zählt. Moment für Moment. Bei mir ist gerade so viel Platz für Neues, neue Gedanken, neue Menschen, dass ich denke: Wie aufregend kann Leben sein?

Für dich. Du weißt.

Zweizwölf, PUNKT

DIFFERENZIEREN
hat sie geschrieben

Von dem Baum
den Joints und Jack Daniels

Dem durchs Haar Streichen
endlosem Küssen

when my body is with yours

Der Blick in den Himmel
Fenster im Dach
Spiegelbild oben
die Hand
vorsichtig

Das Herz aus der Schachtel
liegt dort
die Schnüre hängen herab
über den Rand

Jedes Geräusch
laut

Jedes Gefühl
Sturm

Jedes Wort
Tiefe
tief

Killing me softly

märz 2012

mowaii oder die Kunst des Designs

Kürzlich hatte ich das sehr große Vergnügen, den Künstler, Grafiker und Designer David Grasekamp einen Abend für mich zu haben. Eine Einladung zu Steak & Beer. Männer. Herren. Und weil wir beide eher doch zur Fraktion des empathischen Mannes gehören, sind wir ins Café Sehnsucht gefahren. Köln Ehrenfeld. Wir hatten einen sehr intensiven Abend mit einem nachhaltig wirkenden Gespräch. Das ist so mit David. Intensität ist sein Markenzeichen. Einer, der da ist. Der in einem Körper wohnt, der auf geheimnisvolle Art und Weise Energie akkumuliert. Gleichzeitig ist sein Geist so wach, dass all die Bibliotheken seines Kopfes ständig bereit sind, Information zusammenzusuchen und sinnvoll zu nutzen.

David Grasekamp ist Grafiker und Designer. David ist Künstler. Er hat in Paris gelebt, hatte dort ein Atelier, hat gemalt, verkauft. Er hat in Tokio gelebt. Vor dem Untergang der Lehmann Brother’s. Seine Agentur heißt mowaii.com: http://mowaii.com/ Als Künstler ist er hier zu finden: http://www.davidgrasekamp.com/. Dort gibt es auch einen Link zu seinen Bildern auf Flickr. Obwohl. Tja. So ist das. Die muss man im Original sehen. Sie sind teilweise groß. Sehr groß. Und: Wenn man so direkt vor ihnen steht, sehr intensiv. David eben. Details. Sinn. Geschichte. Tieferes Leben.

Am Ende unseres Gespräches im Café Sehnsucht hat David in seine Jackentasche gegriffen. Er gab mir seine Visitenkarte. mowaii. Make your spirit visible. YES. Das war visible und touchable. Optik, Haptik. Die schönste Visitenkarte, die ich je in den Händen hielt. Seit dem Abend liegt sie hier auf dem Schreibtisch und zieht meinen Blick an. Manchmal nehme ich sie in die Hand, weil sie sich so schön anfühlt. Jim fragte: „Papa, was ist das?“ Leuchten in den Augen. Er bekommt allmählich ein Gefühl für all diese Dinge. Aufwachsen in einem Medienhaushalt.

David: „Ich habe keine Lust auf Kompromisse. Das sage ich auch meinen Kunden. Weshalb Geld verschleudern für schlechte Visitenkarten? Für eine unpersönliche Kommunikation. Für Kompromisse? Für Abziehbilder?“ Der erste Eindruck zählt. Das Erscheinungsbild. Der Auftritt. Der Erstkontakt. Das Gewicht. Nachhaltigkeit ist ein oft falsch verstandenes, geduldig eingesetztes Modewort. Ich muss es immer wieder für Unternehmen schreiben und weiß oft, dass es lieblos auf die Fahne getackert ist. Ohne Halt und Rahmen und Liebe zu dem, was da steht.

Diese Visitenkarte ist das Gegenteil. Sie hat Gewicht, ist auf teurem, rarem Papier, Karton gedruckt. Was ich zuvor nirgendwo anders gesehen habe: Der hohe Rand ist rot eingefärbt. Diese Karte stammt aus einer Manufaktur. Klassisch gedruckt und verarbeitet, aber mit den Ideen eines Grafikers und Designers, der Künstler ist. Vier Farben plus zwei Sonderfarben wurden genutzt. Alles steht so, wie es trägt. Eine Ordnung, die prägt. Harmonie. Abstände. Typo. Auf der Rückseite steht David Grasekamp, Designer. Wer hätte diese Berufsbezeichnung mehr verdient?

Für mich ist es ein großes Vergnügen, mit einem Menschen wie David Grasekamp zusammenzuarbeiten, weil ich permanent von ihm lerne und intelektuell herausgefordert werde. Nicht einfach ein Job. Ist oft genug der Fall. Auftrag, Stoppuhr Start, los, Finger fliegen lassen, Geist auf Koffein und Adrenalin setzen. High Pressure. That’s the normal way. Mit David ist es anders. Definitiv besser. Nachhaltiger. Intelligenter. Durchdachter. Fundierter. Wesentlicher. Berührender. Wenn Ihr, die ihr das hier lest, einmal eine wirklich gute Kommunikation braucht, keinen Schnellschuss, sondern etwas Besonderes, Dauerhaftes, dann ruft ihn an. Lohnt sich. Ihr bekommt am Ende deutlich mehr als nur ein lieblos verpacktes Päckchen Visitenkarten. Spirit. Einen eigenen Weg.

Facebook Inspiration, Pearl Jam und „Zweifel sind wie Curare“

Was für ein Wochenende. Schon lange nicht mehr so viel erlebt. Eigentlich hatte ich vor, nur mein Zimmer zu streichen und ansonsten ganz Galama durch die Tage zu gehen. Ist dann nichts draus geworden. Freitagabend direkt: Die Tribute von Panem. Mit Jim im Kino. Ich hatte den Film rausgesucht und ihn gefragt, ob er Lust darauf hätte. Da hat er riesige Augen bekommen, das Gesicht in eine Sonne verwandelt und nur etwas von genial, den wollen alle sehen, der läuft schon? gestammelt. Bingo. Papa-Volltreffer. „Ich bin bestimmt der Erste, der den sieht.“ Glücklich, die beiden Jungs. Nah. Better Man.

Also habe ich Karten online ausgedruckt, wir sind an die Tanke und haben uns mit Proviant eingedeckt und haben uns auf den Weg gemacht. Unterwegs hatten wir ein gutes Gespräch. Mein Gott, Jim ist jetzt 15. Das ist eine ganz andere Liga. Was der mitbekommt. Wie klar der ist. Ich war komplett von den Socken. Samstag, Zoe und Ela waren schon weg, habe ich ihn geweckt und gefragt, was er zum Frühstück trinken möchte. „Machst du mir einen Cappuccino?“ Und ob. Da saßen wir am Tisch. In der Küche. Tranken Kaffee. Unterhielten uns. Schön. Ich hab ihn dann zum Zug gebracht. Umarmungen an Bahnhöfen sind nicht von dieser Welt. Dieringhausen, Köln, Hamburg, Schleswig. Ohne Handy. „Papa, kein Problem.“ Er ist Segeln mit Freunden.

Dann war ich allein, allein. Nicht ganz. Da war eine nette Frau. Auf Facebook. Wir haben ein paar Tage lang gechattet. Zuvor. Es ging um Musik. Hin und her. Ich begann, mein Zimmer zu streichen. Spachteln, abkleben, Möbel rücken, Farbe anrühren, Ecken streichen. Zwischendurch Facebook. Suchtpotenzial. Songs austauschen. Nettigkeiten. Ein klein wenig flirten. Virtueller Zeitvertreib. Da war eine Freundin online und hat mich für den Abend auf eine Party eingeladen. Hippie-Party. Ein Sechzigster-Geburtstag. Organisiert von einer Frau für Ihren Ex-Ex aus England. Ihr Ex war auch da, weil er bei ihr wohnt. Und ihr aktueller Freund war unterwegs in Spanien. Geht doch. Hat mich gefreut, bei all den Zweifeln, die ich ständig höre. Mir ist ein Satz eingefallen: Zweifel sind wie Curare. Anschließend sind wir nach Köln zum Tanzen gefahren. Das Zimmer war nach dem Tag also nur zu 75% gestrichen. Und am Sonntag Nachmittag war ich mit meiner Mutter verabredet. In der Eifel. Um 4 Uhr ins Bett, um 10 Uhr aufgestanden, die Bude fertig gestrichen. Hier siehts aus. Aaah! Junggesellenbude. Schön! JA!!! Aber: Das Zimmer ist fertig. Sehr schön. Sehr frisch. Da lag ist gestern Abend dann in meinem neuen Bett im frisch gestrichenen Zimmer und: Hörte Musik.

Wie das ganze Wochenende. Alte CDs durchgehört. Inspiriert durch Facebook. Portishead, Doors, Jimmy Hendrix, Janis Joplin, The Cure, Waterboys, Neil Young, Deep Purple, Yo La Tengo und einen ganz speziellen Song von den Toten Hosen (Boah, ey.)… Den ganzen Tag lief der CD-Player. Ziemlich laut. Was gibt es für geile Musik auf dieser Welt! Gestern Abend bin ich dann um halb Zwei ins Bett. Mit Damien Rice. Ein ruhiger Abschluss. Fast. Ich musste noch die ganze Zeit über ein Wort nachdenken, das im „Gespräch“ auf Facebook gefallen war. DIFFERENZIEREN. Ein Lieblingswort. Nicht von mir. Es ist schön, alte Musik zu hören und mit neuen Menschen neue Gedanken zu teilen. Sehr aufregend. Sehr inspirierend. Wer hätte das gedacht.