Freude, Frühling, Frühlingsgefühle

Also allmählich mutiert der fiftyfiftyblog zur ornothologischen Wissenschaftsstation. Thema: Der Nestbau der Elster. Am Morgen saßen Ela und ich in meinem Bett eng nebeneinander und tranken Cappuccino. Wir ließen Revue passieren, was Revue passiert werden wollte und irgendwann kamen wir auf das Thema Frühling, was bei zwei Menschen in einem Bett hier jetzt falsche Assoziationen hervorrufen könnte. Nein, nicht das. Es ging um Gänse. Ela hat die ersten vorbeifliegen sehen. Richtung Norden. NORDEN! Dort, wo es kalt und dunkel ist. Dort, wo niemand hin will, so lange es dort kalt und dunkel ist. Ergo: Bald ist es dort nicht mehr kalt und dunkel! Weil, weil, weil der Frühling kommt!

Tiere fliehen vor Erdbeben, bevor da irgendwas mit Richterskala und Erwachen von Seismographen ist. Der siebte Sinn. Das hat mit dem zu tun, was sie im CERN gerade suchen. Die letzte Information, gegen die sich die Skeptiker so wehren. Es gibt etwas, für das wir und die Tiere einen Sinn haben, den wir aber noch nicht benannt haben. Deshalb bleibt es beim Übersinnlichen, das dann Esoterik, Mythologie, Glauben oder Schwachsinn genannt wird. Alles in einen Eimer, äh Korb. Schüssel? Wie hieß das noch. Ah, alles in einen Topf werfen. Eintopf.

Bin ich mal wieder vom Pfad der Tugend, des stringenten Erzählens abgekommen. So ist das auf dem Land. Kleine Plauderei am Gartentor (das wir nicht haben) einschieben. ’n Bier oder ’n Kaffee? Ach, nee, danke. Muss noch arbeiten. Später dann. Zurück. Wir sprachen über heimkehrende Gänse – wenn wir davon ausgehen, dass ihr Sommerdomizil ihre Heimat ist und das Winterdomizil der Ferienaufenthalt im Süden. Ich kann wohl nur so denken. Sie kommen also zurück. Gutes Vogelzeichen! „Die Zeichen stehen gut. Wenn sich am Horizont der aufgegangenen Sonne die Zeichen zeigen, kehrt das Leben zurück. Ihr könnt jetzt gehen und das Winterlager abbrechen. Hug. Hau.“

Zweifel? Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer? O.K. Jetzt kommt’s. Wir hatten dann irgendwann unseren Cappuccino getrunken und zu Ende philosophiert über alles (was letztlich nie passieren wird) und ich war allein im Zimmer, als ich SIE sah. Isabel. Die Elster. Und was hat sie gemacht? Ja. Mit dem Nestbau begonnen. Am 22. Februar. Ist das nicht irre? Durch den Blog habe ich Isabel bereits in den letzten Jahren beobachtet und über die Aktivitäten, die sie und ihr Mann Boris in den Baum gelegt haben, äh an den Tag, berichtet. 2010 am 17. März. 2011 dann am 10. März. Und nun am 22. Februar.

Also werde ich dieses Jahr wieder das Vergnügen haben, die beiden beim Nestbau, beim Ausbrüten der Eier, beim hastigen Füttern der Kleinschnäbel sowie beim Flugunterricht beobachten zu können. Ich freue mich darauf. Ihr seht, der Frühling kommt. Die Zeichen sind eindeutig. Es mag noch kleine Rückfälle geben, aber die Sonne hat hier schon ein wenig Kraft. Beim Spaziergang mit Cooper habe ich sie mir auf die Stirn scheinen lassen. Wärmt. Und dann die Augen geschlossen, die Lider locker gelassen und dieses schöne Orangerot genossen. Hach. Wie gut. Und nächste Woche London und überhaupt.

Die Kunst des Nivellierens

How to live in this age of hope? Wie soll das alles funktionieren? Die Geschwindigkeit ist frappant. Beschwingend, beänstigend. Die Pole, Nord und Süd, das up and down schwingen hin und her wie eine Laterne im Wind. Wir sind dem ausgesetzt, setzen uns dem aus. „Es passiert so viel“ ist eine Zeile aus einem aktuellen Popsong. Aktuell? Der ist schon Monate alt. Älter. Vorbei.

Die Highs sind überall. Wir bewegen uns auf hohem Niveau. Den fiftyfiftyblog habe ich auf Pinterest.com angemeldet. Dort werden unter anderem die besten Fotos des Netzes zusammengeklaut. Sieht man irgendwo was, drückt man einfach „Pin it“ und schon ist es auf der eigenen Pinterest-Seite. Wahnsinn, was es da zu sehen gibt. Die schönsten kann man sich dann wiederum selbst in den eigenen „Like-Ordner“ legen und schon hat man eine Schatzkiste. High, high level. Dazu musste man früher durch Galerien tigern oder durch Buchhandlungen, um sich die Bildbände anzusehen, die meist zu teuer waren, um sie zu kaufen. Nun ist alles easy. So easy. Auch ein Song. Easy, AC/DC, Washington DC…

Denn im Netz wohnt alles neben an. Direkt neben dem fiftyfiftyblog mit seinen bescheidenen Landfotos zum Beispiel der Fotograf Andreas Gursky mit dem derzeit teuersten Foto der Welt. Rhein II wurde im November 2011 für 3,1 Millionen Euro in New York versteigert. Schön, wenn sich Superlativen so banal in Zahlen ausdrücken lassen. Parallel dringt die Superlative immer weiter in unser Leben ein. Top-Model-Serien, Olympia, WM, Star für Baku, Formel 1, Bundesliga, Champions League, Youtube, Wer wird Millionär? Alles schlichtweg ganz oben. On the Top. Super-Super-Superlative.

Wir alle sind ganz nah dran, in den Olymp aufzusteigen. Ein richtiges Video und Zack. Berühmt. Management, Interviews, Werbetour. Wie banal wird da der ganz normale Alltag. Der Arbeitstag mit früf aufstehen, frühstücken, zur Arbeit gehen, arbeiten, Pause, arbeiten, nach Hause fahren. Und dann? Mit Kindern: Sich drum kümmern, regeln, unterstützen, fragen, beschäftigen. Ohne Kinder: Workout, Party, After-Work-Party, Freunde treffen, Clubs, Kino. Programm. Der zunehmend verkrampfte Versuch, nicht in der Mittelmäßigkeit zu landen. Schritt zu halten. Sich im modernen Leben zu positionieren. Nicht abzusacken, nicht spießig zu werden, uncool, von gestern. Ganz schöner Stress.

Wie hieß es kürzlich auf dem Poetry Slam „Reim in Flammen“ in Köln: „Ich wünsche euch, dass euer Leben so schön ist, wie ihr es auf facebook darstellt.“ Peng. Autschn. Der Druck ist da. Alles schön, modern, easy, stylish, cool, engagiert, durchblickend. Und dann kommt da dieses störrische normale Leben um die Ecke, das so ganz anders ist. Mit Anrufen, die einem nicht passen. Mit Jobs, die quer laufen. Mit Kindern, Freunden, Eltern, die nicht genau das tun, was man will. Sich vorstellt. All das, was nicht ins Image passen will. Was so banal ist. Normal. Down.

Hier setzt sie an, die Kunst des Nivellierens, die nichts anderes ist, als in Zeiten der großen multimedialen Bühnenshow mit beiden Füßen auf dem Boden zu bleiben. Realität atmen, mögen. Das ganz normale Leben. Der Abend mit einem Buch und einer Tasse Tee. Das Gespräch. Unaufgeregt. Der Spaziergang durch den Park, der kein Event ist, sondern der Spaziergang durch den Park. Viele Dinge bekommen heute einen anderen Namen, um sie abzuheben. Besonders zu machen. Dabei wird vieles diskreditiert, was schon immer gut war und immer gut sein wird. Die Kunst des Nivellierens ist es, nicht im Wolkenkuckucksheim stecken zu bleiben. Nicht mit dem Kopf permanent zwischen den Sternen zu wandeln. Sich nicht zum Highlightjunkie zu entwickeln, bei all den Highlights, die da permanent warten. Wenige Klicke entfernt. Das schon gesehen? Jenes? Die Kunst des Nivellierens ist es, das Glück dort zu suchen, wo es ist. Alltagsglück. Ganz nah.

Vlies, gold

Verschraubte Widderhörner
in Schläfen gedübelt
scharfe Schrauben
am Frontallappen
knapp vorbei

Der Druck
die Enge

Die Stirn geboten
mit gesenktem Kopf gen Golgatha
das ausgewachsene Lamm
Kämpfer
mit gedrehtem Horn

La Mancha

Goldene Hörner mit Schrammen
Ecken, Kanten
abgeschraubt am Fuß des Altars

Kopf geneigt
mit leicht geöffneten Augen
nur ein Gefühl noch

Sanftheit

Das Horn
als Opfergabe zu Füßen
geschmückt, gekrönt
mit Liebesblumen

Im Niedersinken
schließen sich die Augen
der Brustpanzer des Gladiators
öffnet sich

Der Körper dreht nach rechts
legt auf die Seite
das Herz dem Himmel dargeboten

Die Schwere fällt
als würde Gold in einen tiefen Brunnen sinken

Der dicke Teppich unter allem
trägt
Wolle auf Wolle
in diesem Augenblick

Die Wärme hüllt den Hauch
der geht

Wie Luft mit Luft vermischt
wie trockner Weizen
Korn für Korn
aus der Hand zu Boden fällt
wird alles leicht und hell

Der Augenblick
in allem aufgelöst zu sein
nun abzugeben
kein Körnchen mehr
für irgendeinen Kampf

Der Luftzug lässt die Kerzen des Altars
kurz flackern
die goldnen Hörner
Duft und Rauch im Raum

Nun ist es gut

Die Bögen, Speere, Schwerter
sind verstaut
kein spannen, spitzen, schleifen mehr

So ruhig, entspannt
ein Lächeln trägt
und legt sich golden
streichelnd schimmernd sanft
darüber

februar 2012

There is no other way…

Musik von:

„Start Again“ by Alex (feat. Snowflake & Subliminal)
http://ccmixter.org/files/AlexBeroza/31670
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