Glühwürmchenleuchten und Sternschnuppenwünsche!

Glühwürmchen, Sternschnuppen. Ah, oh, Feuerwerk. Licht! Am Himmel, am Ende des Tunnels. Für gewöhnlich ziehen wir uns ja ins Haus zurück, wenn es draußen dunkel und mithin auch kalt wird. Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? Vor Gespenstern? Hexen? Geistern? Vampiren? Untoten? Zombies? Natürlich niemand. Wenn man fragt. Obwohl ich nicht genau weiß, wohin die Jungs und Mädels, die all diese momentan populäre Horrorlektüre lesen, die Bilder in ihren Köpfen stecken. Zoe erzählte kürzlich etwas von Angst vor einer Hand unter ihrem Bett. Uahhh! Eine Freundin hatte da etwas erzählt… (Deshalb hat sie heute Nacht bei mir gepennt, weil unter meinem Bett keine Hände wohnen. Bin ich mir sicher.)

Wer sich nun dennoch traut und die Nacht zum Tag macht, kann sich in diesen bestimmten, einzigartigen Nächten und Abenden freuen. Inszenierungen der Natur. Als wir kürzlich mit der ganzen Familie ohne Cooper mit dem Rad aus einem Restaurant zurückkamen (das war noch in Italien, sorry. Schon wieder Italien.), hielten wir an einer dunklen Stelle an und schauten erst auf das Meer und dann in den Himmel. August. Sternschnuppenregen. Die fallen wie Flocken vom Himmel. Tschiiuuu… Langer Streif. Wir standen dort, Lenker in der Hand, Kopf im Nacken. Jim sah fünf Sternschnuppen in kurzer Zeit. Wobei man natürlich aufpassen muss, dass man sich nicht aufgrund eines vorbei fliegenden Flugzeugs irgendetwas wünscht. Als wir da so standen, hat uns scheinbar die familiäre Gruppendynamik in eine gleiche Ausrichtung gebracht (West-Nord-West). Plötzlich war da ein Falling Star so groß und lang und wunderbar sichtbar. Und: Wir haben ihn alle zusammen gesehen. Ich gebe zu, das ist ein wenig kitschig urlaubsromantisch. Ja, ja. Schon klar. Aber es war so wunderschön kitschig romantisch. Da steht da so eine Familie und schaut in den Himmel und darf sich gemeinsam etwas wünschen. Wie sehr ich mir etwas gewünscht habe und wie schön sich das angefühlt hat. Und neben mir meine Allerliebsten (nur Cooper hat gefehlt). Ich hätte weinen können, was Jungs ja bekanntlich nicht tun. Und ich schon gar überhaupt nicht:)

Und dann war da noch eine Rückfahrt aus einem Restaurant. Allerdings mit dem Auto hier in der Gegend. Wir kamen aus Freudenberg und irgendjemand brauchte eine der berühmten Familienpinkelpausen, die kürzeste Fahrtstrecken gen Unendlichkeit dehnen. Wir hielten an einer Stelle, die Platz für unser Auto bot. Irgendwo in der Pampa. Und wir stiegen alle aus, weil es so eine schöne laue Nacht war und der Himmel so weit und das Leben so schön. Dann sahen wir sie: Glühwürmchen. Nicht eines, viele!!! Überall diese kleinen fliegenden Taschenlampen. Eben habe ich einen Bericht in der Zeit (die genialste Zeitung überhaupt!!!) bzw. auf Zeit-online gelesen. Da ging es um Glühwürmchen, was mich zu diesem Nachtthema heute insgesamt inspiriert hat. Da stand: Glühwürmchen erzeugen Licht durch Biolumineszenz. Über einen chemischen Prozess bringen sie ihr Hinterteil zum Leuchten. Das Beste dabei: 95 % der aufgewendeten Energie wird in Licht umgesetzt. Das haben bislang kein Edison und keiner seiner Glühbirnen-Weiterentwickler-Nachfolger geschafft. O.K. Die Glühwürmchen haben da auch einen besonderen Anreiz. Es geht beim Leuchten um Sex. Tatsächlich morsen die Botschaften in die Nacht. Anmach-SMS. „Netter Glühwurm sucht nette Glühwürmin zum gemeinsamen Glühen. Baby.“ Oder so. „Lass mich deine Lampe sein.“ Oder romantische Oden. Oder doofe Anmachsprüche. Einfach mal so in die Nacht: „Haben wir uns nicht irgendwo schon einmal leuchten sehen?“

Auf jeden Fall stehen Glühwürmchen und Sternschnuppen in Sachen Romantik und Ästhetik auf einer Stufe. Ihr solltet euch mal nachts auf die Socken machen und beiden Phänomenen die Möglichkeit geben, sich euch zu präsentieren. Aber wahrscheinlich seid ihr eh Glühwürmchen- und Sternschnuppen-Spezialisten/innen, die alles schon erlebt haben. Glühwürmchen so groß wie Straßenlaternen in den Tropen. Da glaubste, E.T. kehrt zurück. Vielleicht habt ihr ja Lust, mal zu berichten, was ihr da schon so gesehen habt und wie romantsich das war… Würde mich freuen.

Das große Fressen!

Wikipedia: „Das große Fressen (Originaltitel: La Grande Bouffe) ist ein französisch-italienischer Spielfilm aus dem Jahr 1973. Regie führte Marco Ferreri, das Drehbuch schrieben Rafael Azcona und Francis Blanche. Die Hauptrollen spielten Marcello Mastroianni, Ugo Tognazzi, Michel Piccoli, Philippe Noiret und Andréa Ferréol.“ Uaah! Habt ihr den Film gesehen? Ich schon. Eklig. Aber intensiv und gut. Ach, diese Zeit des großen europäischen Kinos…

Am Wochenende haben wir den Film nicht gesehen, aber ein „großes Fressen“ veranstaltet. Wie kürzlich berichtet, lernt Zoe im Urlaub oft sehr nette Menschen kennen. Dieses Mal auch. Eine Familie aus Essen, die am Wochenende zu Besuch war. Da wurde viel geredet – unter anderem natürlich über Italien und Levanto – und viel getrunken und gegessen. Highlight war Samstagabend ein Pfifferlings-Risotto. Am Morgen hatte ich mit Cooper zusammen über 2 Kilo frische Pfifferlinge gesammelt. In diesem Jahr ist das kein Suchen, sondern ein Finden und Ernten. Die wachsen einem quasi vor die Füße.

Also habe ich mir unseren großen, gusseisernen, französischen Brattopf geschnappt und losgelegt. Olivenöl, kleinst gewürfelte Zwiebeln, durchgepresster Knoblauch und dazu einige Kräuter. Etwas Salbei und Thymian aus dem Garten, Petersilie. Für den Grundgeschmack. Dann den Arborio-Reis der Kategorie Superfino. Das alles anbraten – auch den Reis, um alles, bevor es braun wird, mit trockenem Martini abzulöschen. Nun habe ich die mit der Hand grob zerkleinerten Pfifferlinge in den Topf gegeben. Angesichts der gesammelten Menge konnte ich großzügig vorgehen. Damit nun nichts anbrennt, habe ich immer wieder Gemüsebrühe hinzugegeben. Gerade so viel, dass der Reis feucht geblieben ist, aber nicht ertränkt wurde. Natürlich musste ich rühren, rühren, rühren. Zum Ende hin kommt dann der Parmesan hinzu, der untergerührt wird. Und Salz und Pfeffer. Das Risotto war sehr lecker. Parallel habe ich im Ofen Putenbrust in Olivenöl mit frischer gelber Zucchini aus dem Garten schmoren lassen.

Sonntag gab es dann Kürbissuppe. Grundlage war ein Hokaido-Kürbis aus unserem Garten. Das ist so schön, eben mal in den Garten runterzugehen und einen frischen, reifen Kürbis zu ernten. Und den dann in den Topf zu hauen. Das heißt, zunächst habe ich ihn im Dampfgarer gegart. Parallel habe ich Zwiebeln mit Curry, Koriander, Pfeffer und Ingwer gedünstet und mit Kokosmilch abgelöscht. Dann Safranbutter und den Kürbis hinzu, leicht ziehen lassen und pürieren. War auch ziemlich lecker.

Als wir in Neuseeland waren, haben wir in der Golden Bay ausgewanderte Deutsche besucht. Freunde von Elas Bruder. Die hatten einen riesigen Selbstversorgergarten. Mit allen erdenklichen Gemüsen. Einfach rausgehen, ernten, kochen. So frisch, so knackig. Leider wird es nun hier allmählich kalt und die kulinarischen Gartengenüsse werden zum Auslaufmodell. Aber: Noch wächst der Pflücksalat. Und die ganzen Kräuter. Wie hat mein Papa immer gesagt: „Ach Kinder, so ein bisschen was fressen ist doch was Schönes.“ Damit hat er einen seiner Freunde aus der Jugend zitiert. Recht hatte der.

Abendspaziergang nach Monterosso

Freitag. Letzter Tag der Italienwoche im fiftyfiftyblog. Ich schreibe über eine Wanderung nach Monterosso, dem ersten der fünf Cinque Terre Orte in Ligurien. Die Wanderung von Levanto aus dorthin dauert rund zwei Stunden und führt an der Küste entlang. Immer wieder gibt der Wald den Blick frei auf das Meer. Es ist so gut wie nichts los auf diesem Weg, weil die Italiener – glaube ich – nicht so gern wandern. Nehme ich an.

Ela hatte den Vorschlag gemacht, den Weg am Abend zu gehen. Spontan. Jim und ich hatten Lust, mitzukommen, Zoe hat sich auf dem Zeltplatz für die Zeit eine andere Familie gesucht. Sie ist gerne mit anderen Menschen zusammen und unterhält sich und lacht und… Eine kleine Kommunikations-Power-Maschine. Über sie haben wir schon so viele Menschen kennengelernt. Aktuell ist sie gerade in Essen und besucht Urlaubsbekannte, die uns am Wochenende besuchen.

Am Abend ist dieser Weg besonders schön. Die Sonne neigt sich gen Levanto und macht sich allmählich vom Acker. Das heißt, sie steht tief und erzeugt ein besonderes Licht. Und es ist nicht mehr so heiß, obwohl es uns auch oft gelingt, in der prallen Mittagshitze zu wandern. Touriidioten. Aber im Urlaub ist es so schwierig, morgens früh aus dem Quark zu kommen. Ist ja Urlaub. Da muss noch ein Cappuccino getrunken werden und man muss nochmal in die Stadt, was besorgen, und überhaupt lange schlafen. Was auf dem Zeltplatz maximal 9 Uhr bedeutet, weil spätestens dann das Leben erwacht und keine Ruhe mehr zu finden ist.

Wir sind dann aus Levanto heraus an all diesen schönen kleinen Häusern vorbeigewandert, die ihre Terrassen dem Sonnenuntergang entgegen strecken. Da sitzen dann Menschen, freuen sich des Lebens, sind sich mit dem, was sie sehen selbst genug. Eine wunderbare Tageszeit! Auf halber Strecke haben wir eine Frau mit ihrem Hund getroffen, die gerade ihr Zelt aufbaute. Schön mitten in der Pampa. Fearless.

Zwischendurch immer wieder die Aussichtspunkte, an denen der Blick steil die Felsen herabfällt bis aufs Meer. Türkis schimmernde Buchten. Ach, jetzt da unten reinspringen. Denke ich nun und denkt man, wenn man da oben steht. Dieses Meer mit seinem frischen, warmen Wasser. Kurz vor Monterosso führt ein kleiner Weg vorne zu einem Leuchtturmhaus. Die Fenster eingeschlagen, unbewohnt. Was für ein Fleck Erde! Kurz davor eine alte, verfallene Kapelle. So schön, so aufregend. Jim und ich sind durch das alte Haus gestromert. Von Zimmer zu Zimmer. Ohne, dass man weiß, was einen erwartet. Das steht einfach leer. Ts.

Am Ende ging es steil herab nach Monterosso. Felsen herabspringen. Die Knie schmerzen, glücklich in die Stadt einlaufen. Gerade dort angekommen, ging der Vollmond auf. Was für ein Spektakel. Wir standen am Meer und schauten auf den Nachbarort Vernazza, als sich plötzlich diese riesige Leuchtkugel über den Berg schob. Ich weiß nicht, wie die Italiener das hinbekommen, ein Highlight nach dem anderen in mein Blickfeld zu rücken. Die sind einfach unglaublich…

Blick von der Piper Bar auf Lampedusa.

Ich erlaube mir, das Thema Italien noch ein wenig weiter auszuführen. Vielleicht nenne ich das jetzt einfach Italienwoche im fiftyfiftyblog. Egal. Ich schreibe einfach. Über einen Abend in der Piper Bar. Wir waren den ganzen Tag unterwegs gewesen. Die Kinder waren alleine unterwegs, Ela und ich hatten uns an der Küste eine kleine nette Bucht gesucht. Hatten gelesen. Mein Buch: Maarten ‚t Hart, Der Schneeflockenbaum. Wieder sehr, sehr schön zu lesen. Diese Niederländer, was dieses kleine Land an guter Literatur hervorbringt. Europa.

Ich ging allein in die Piper Bar, um den Sonnenuntergang zu sehen. Aperozeit vor dem Essen. Ist die Sonne untergegangen, leert sich die Bar im Handumdrehen. Vorher: Italienisches Leben. Alle haben ein Birra Media oder ein Spritz, das Modegetränk der Saison. Oder der letzten Saison? Kein Ahnung. Auf jeden Fall ist das Aperol mit Prosecco und einem Spritzer Soda sowie einer Orangenscheibe und Eiswürfeln. Und es gibt Snacks. Oliven, Pizzastücke, Chips. Ich ergatterte einen Tisch in der ersten Reihe und hatte mir Die Zeit mitgenommen, weil ich Lust auf Input hatte. Vorher hatte ich mich mental gewappnet, dass mich dieses erneute Aufbranden der Finanzkrise mit Börsendesaster und so weiter nicht anficht. Also saß ich da, las unter anderem einen Artikel über die Festung Europa, trank Spritz und sah der Sonne zu, wie sie ihren Bogen am Horizont schlug. Irgendwann beleuchtet sie den Felsen rechts der Bucht und lässt dort die einzelnen Bäume schimmern. Dann sieht der Fels aus, als sei er der Rücken eines Dinosauriers, der den Kopf unter Wasser getaucht hat.

Ich las über Europa und dachte an einen mare Artikel über Lampedusa, in dem es um das Schicksal einer Bootsbesatzung afrikanischer Flüchtlinge ging, von denen es nur wenige zum rettenden Ufer geschafft hatten. Sehr bewegend zu lesen. Und als ich so auf das Meer schaute und am geistigen Horizont Libyen, Tunesien, Sudan, Äthiopien, Somalia auftauchten, da fiel mein Blick auf einen schwarzen Mann, der in den Wellen tobte. Klingt jetzt vielleicht kitschig und ausgedacht, aber es war so. Plakativ. Der Mann spielte im Wellenschaum mit seiner kleinen Tochter. Die war vielleicht zweieinhalb und hatte noch diesen Babyspeck und den tapsigen Gang. Sie lief in die Wellen, die Wellen kamen und sie lief unsicheren Schrittes zurück. Im Vertrauen auf ihren Baywatch-Papa, der sie keine Sekunde aus den Augen ließ. Ein so schönes Bild. Das klare Licht der untergehenden Sonne. Der Mann trug eine Badehose in hellblau und rot. Das Mädchen einen kleinen Rüschenbadeanzug. Die beiden sahen wahrlich nicht wie Flüchtlinge aus. Dennoch musste ich an Europa, Afrika und Lampedusa denken.

Es könnte so schön sein. Die Menschen werden gerettet, kommen nach Europa, spielen mit ihren Kindern lachend in den Wellen. Ich weiß, so einfach ist das nicht. Aber warum eigentlich nicht? Wovor haben wir Angst? Das nicht genügend Platz am Strand oder in der Piper Bar ist? Oder es zu wenige Jobs gibt? Oder was? Ich meine, wenn die Menschen ihr leben riskieren, um nach Europa zu kommen, weshalb helfen wir ihnen dann nicht? Geld überweisen, Entwicklungshilfe schicken – das machen wir doch seit Jahrzehnten. Deutschland schrumpft. Wir haben bald zu wenige Menschen. In der Perspektive einen Mangel. Woran liegt es dann, dass wir Europa versuchen abzuschotten? Welchen Zweck hat das? Ich hab es da in der Piper Bar nicht verstanden und verstehe es auch jetzt nicht. Europa beteiligt sich an Kriegen, um Freiheit zu erreichen. Demokratie. In Libyen, Afghanistan, Irak, im Kosovo. Weshalb können wir Friedens- und Freiheitsarbeit nicht auch gezielt rund um die Flüchtlingsfrage leisten?

Ein großes Thema, bei dem sicherlich die Meinungen auseinandergehen. Für mich war es einfach an dem Abend so etwas wie eine sichtbare Vision eines guten Miteinanders. Klar, schön und weich gezeichnet. Urlaub! Aber dennoch: Warum kann es nicht so sein?

Nicht irgendein Cappuccino!

Wenn Italiener morgens in der Bar ihren Kaffee trinken, dann trinken sie meist einen Espresso. Sie bestellen aber keinen Espresso, sonder einen caffé. In kleinen, dickwandigen, weißen Tassen. Der caffé läuft langsam und ölig aus der Maschine. Die sehr kleine Tasse ist nur ein wenig gefüllt. Weiß Gott nicht bis zur Hälfte. Dann kommt Zucker hinein und es wird mit einem kleinen Löffel gerührt. Wie gerührt wird. Wie nur kann man mit einem Löffel so viel Beiläufigkeit ausdrücken? Natürlich interpretiere ich als Lebenslust saugender Germane aus Germania, wie Deutschland in Italien heißt, diese Gesten des Alltags. Dieses Eingespielte. Tausendfach Ausgeführte.

Im Kloster hoch über dem Berg war ich an einem Tag alleine essen. Ich hatte mir mein Fahrrad geschnappt und war vom Meer hinauf auf 480 gestürzt. Man könnte in diesem speziellen Falle sagen: Gott entgegen. Oder dem Papst. In der Kirche begegnete ich einem Lächeln Woytilas. Schönes Foto.

Die meisten Menschen aßen das Menü. Die Feuerwehrmänner, die dort oben postiert sind, um Waldbrände im Keim zu ersticken und zwei Männer in hellblauen Hemden am Tisch neben mir. Ich bestellte Troffie al Pesto und sah, wie eine junge Frau den Monsieurs bleu ihre Pasta Ragu als Premi Piatti ihres Menüs servierte. In der Mitte landete eine große Schale mit Parmesan. Der Mann, den ich sehen konnte, mit tief braunen Augen und Locken, nahm den Löffel aus dem Parmesan, ohne hinzusehen. Mit der anderen Hand begleitete er seine Worte, als würde er sie zum Ohr des gegenüber sitzenden Mannes tragen. Galant. Weich. Harmonisch. Mich interessierte die andere Hand, die wie blind geführt den Löffel in den Parmesan eintauchte, ihn herauszog. Über dem Teller entwickelte sie eine filigrane Technik, um den Parmesan gleichmäßigst zu verteilen. Der Zeigefinger schlug leicht gegen die Löffelmulde, die übrigen vier Finger hielten den Löffel und führten ihn wie auf einer geheimen Straße sicher über die Spaghetti Ragu, die bei uns Spaghetti Bolognaise heißen. Ein Schauspiel, ein Spektakel. In meinem Kopf.

Gleiches vollführen die Menschen in den Bars morgens mit ihrem Kaffee. Der Löffel ist ein Spielzeug, der den Zucker am Boden der Tasse rasch und mit federleichten Bewegungen aus dem Handgelenk auflöst. Es scheint, als würden die Italiener mit diesem morgendlichen Ritual gleich auch sämtliche Probleme des Tages wegwischen. Eine Meditation. Ein Automatismus. Eine verdammt coole Leichtigkeit, die ich versucht habe, zu kopieren. Meine Hand ist ein Fels, ein Planet. So schwer, so unbeweglich, so ungalant wie Herders „Italienische Reise“. Germanisch, kein bisschen römisch. Ach! Die Kinder haben sich kaputt gelacht, wenn ich die Nummer mit dem Parmesan versucht habe. Ein Tanzschüler der ersten Stunde, der rumstolpert, über seine eigenen Finger fällt. Parmesangebirge statt eines Teppichs. Nun, ich habe es mit einem Lächeln genommen. Sagen wir, einigen wir uns darauf, dass ich andere Qualitäten habe. Ts. Pf.

Oben in diesem Kloster mit seiner besonderen Stimmung habe ich dann diesen Cappuccino auf dem Foto oben getrunken. Unter Bäumen, auf einer Bank mit Blick auf das tief unten liegende blaue Meer. Da ich kein Italiener bin, ziehe ich den Cappuccino dem caffé vor. Zu jeder Tageszeit, was nach dem Essen eigentlich ein Fauxpas ist. Nun, da kann ich dann schon auch ignorant sein. Vor allem, weil dieser Cappuccino original in Italien nicht zu vergleichen ist mit einem Cappuccino überall auf der Welt. Ich habe Cappuccino in Neuseeland getrunken, der teils grausam war. Mit italienischen Maschinen aufgebrüht, aber leider hatten die wohl Altöl in den Siebträger geschüttet. Grausam. Ich habe mal in New York in einem Starbucks unweit der Wallstreet einen Cappuccino getrunken. Der ging so. Kürzlich auf dem Weg an die Ardeche habe ich in Frankreich einen am Automaten gezogen. Der war künstlich. Artifiziell. Überraschenderweise geht der McDonald einigermaßen. Kürzlich auf dem Autohof auf dem Weg nach Italien kurz vor Freiburg getestet. Ein Euro für 0,2 Liter. Was für eine charmante Angabe. 0,2 Liter Cappuccino. 0,3 Liter kosteten 2,39 €. Schüttel. Die können nicht rechnen, diese Amis. Nunja, damit lösen die halt auch dauernd Finanzkrisen aus. Bestellen einfach immer den großen…

Der Cappu in Italien, wie er dort liebevoll rührend genannt wird, ist einfach eine ganz andere Liga. Dolce & Gabbana versus H&M oder C&A. Die Tassen sind konsequent weiß und dickwandig. Keine Experimente, keine Arabesken. Höchstens ein Kaffeemarken-Logo aufgedruckt. Das Bauchige der Tassen ist eine Einladung, sie zu umschließen. Denn es ist eine heilige Verbindung, die zwischen Tasse, Kaffee und Trinkendem entsteht. Da ist alles auf das Wesentliche reduziert. Keine Kakaoherzen oder Schokoladenschwaden obendrauf. In einer Bar, bei Gianni in Vernazza, hatte sich die Barrista erlaubt, vor dem Einfüllen der Milch etwas dunklen Kakao auf die Kaffeeoberfläche in der Tasse zu streuen. Ich traute meinen Augen nicht. Das hatte ich vorher nie gesehen. Ein Geheimnis! Als sie dann die Milch einfüllte – die Milchzubereitung ist mit dem Schütteln und Schwenken und aus dem Handgelenk Gießen auch weniger eine profane Handlung als ein Akt der Liebe – wurde der Kakao von der Milch an den Tassenrand hochgespült. Ich nahm die Tasse mit einem Lächeln, das vom Personal nie erwiedert wird (ist ja nur ein Cappu, ach, ach!!!), und führte sie zum Mund. Ich wusste, was kommt. Der Kaffee fließt entlang der runden Innenwand nach oben zum Tassenrand. Dort vereinigt er sich mit dem dunklen Kakao und ein wenig Milchschaum, um dann in meinem Mund alles preis zu geben. Das Kaffeeöl, den Zucker, den Kakao, das Cremige des Schaums. Ein Spektakel.

Damit ein Cappuccino all das kann, was potenziell in im steckt, braucht es einiges. Frisch gemahlene Bohnen, die im Mahlgrad auf die Luftfeuchtigkeit abgestimmt sind. Das ergibt die Geschwindigkeit, mit der das heiße Wasser mit möglichst viel Druck durch das Kaffeepulver gedrückt wird. Nicht zu langsam, nicht zu schnell. Genau mit dem Tempo, das die Kaffeeöle mitnimmt und die Reizstoffe lässt, wo sie sind. Die Barrista am Genoveser Bahnhof zum Beispiel verändern den Mahlgrad zwischendurch immer mal. Schauen, wie sich das gemahlene Pulver an der Luft verhält. Man sieht es. Ehrlich. Perfekt machen das auch die Frauen in dem kleinen Café in Levanto. An der Ecke. Hinten. Dort trinke ich auch gerne einen caffé, weil er wie eine Praline ist. Dunkel, ölig, mit leichtem Schaum vom hohen Druck.

Nun sitz ich hier. Versuche unserer Gaggia solche Köstlichkeiten zu entlocken. Leider zu klein. Zu wenig Druck. Da braucht es diese großen Chromungetüme mit ihrer brachialen Kraft. Der Stolz jeder Bar. Wie sie dort thronen. Ich vermisse den Cappuccino und die Gesten. In Italien bin ich Voyeur, der das Geheimnis versucht zu erschließen. Ich komme nicht dahinter, obwohl es letztlich die große Einfachheit und Klarheit sein dürfte, die sich hinter einem scheinbaren Chaos versteckt. Weshalb die Europäer Probleme haben, miteinander klar zu kommen? Man lade einen Italiener zu einer guten Tasse deutschen Bohnenkaffee schön aus der Kaffeemaschine ein. Dann noch Dosenmilch rein, umrühren, fertig. Den Blick möchte ich sehen. Was machen dann die Finger? Und die Augen? Und der Mund? Das könnte er nicht verstehen. Das würde gegen alles gehen. Gegen alles. Ich sollte mal einen Italiener einladen. Ich wüsste wen. Dieser Mann vom Strand… Aber das ist eine ganz andere Geschichte.