Vollmond. Morgen. Wetterwechsel. Wir werden sehen. Ein heikles Ding so kurz vor Weihnachten. Es soll anfangen zu regnen. Das heißt: Weiße Weihnacht wird zum Wettlauf mit der Zeit. Was ich genau weiß, der riesige Schneeberg vor unserem Haus wird bis zum 24. nicht abtauen. Der von der Gemeinde entsandte Traktor zum Räumen des Schulhofes hat ihn gestern Abend noch einmal höher aufgetürmt. Er ist jetzt über zwei Meter hoch, nur ein kleiner Weg zwängt sich durch zum Haus.
Schnee. Schnee. Schnee. Gestern Nachmittag waren wir vier Stunden auf der Autobahn unterwegs. Aus der Eifel zurück ins Oberbergische. Mein kleiner Bruder ist 40 geworden. Ein bewegender Augenblick. Zurück in die Heimat, in eine andere Zeit. Am Samstag auf der Autobahn wurde mir schon anders. Die alten Zeiten. Damals. Anfang der achtziger Jahre. Helmut Kohl war am 6. März 1983 noch nicht zum Bundeskanzler gewählt worden, die Friedens- und Ökobewegung war noch groß. Mitten in unserem kleinen Dorf gab es eine große Diskothek in einem alten Getränkemarkt. Ein Kifferschuppen. Ausgestattet mit alten Kirchbänken und einer Monster-Soundanlage für die Musik der Zeit damals. Samstagnacht stand der Parkplatz voll – Autos aus Köln, Bonn, Koblenz, Trier. Unser Dorf Kaisersesch in der Eifel hatte in der Szene Berühmtheit erlangt.
Wir fuhren am Samstagnachmittag nach Kaisersesch. Auf die Party in der alten Schule. Mein kleiner Bruder hatte die Musicalbox aufgebaut. Soundanlage, Lichtanlage, kleine Bühne für den DJ, den Raum mit schwarzen Tüchern verhangen. Zeitreise. Aufregend. Die Menschen von früher. Der DJ war in meiner Klasse, bevor ich das Dorf verlassen habe. Viele bekannte Gesichter. Auf der Hintour hatte Ela im Auto Pink Floyd aufgelegt. The Dark Side of the Moon von 1973. Die Kinder protestierten, wir haben den Klang nach vorne auf die Boxen gelegt und sind mit Time & Co. über die Autobahn getanzt. Was für eine Musik. Was für eine Ruhe. Intros. Zeit, eine Stimmung aufzubauen. Heute Morgen bin ich gleich zu Youtube rüber, die wohnen hier im www direkt neben dem fiftyfiftyblog, und hab’ die gebeten, mir mal ein paar alte Nummern einzuspielen. Hach! Könnt ihr euch an Wish you were here und Hey you erinnern?
Mein kleiner Bruder hat sich das Logo der Musicalbox auf den linken Arm tätowieren lassen. Obendrauf. Unter dem Arm steht der Name seines Sohns. Sein linker Arm wird einmal seine Lebensgeschichte in Tattoos erzählen. Wir sehr ich ihn mag, diesen kleinen Bruder und seine Tattoos. Auf der Party lief die Musik. Erst wollte keiner tanzen. Ela und ich sind dann auf die Tanzfläche. Eröffnungstanz. Die Kinder kamen mit und dann die Nichten und meine Schwägerin und meine Brüder und meine Mutter. Alle auf der Tanzfläche. Alle voller Lachen. Da war sie wieder da, die alte Zeit. Wunderschöne Frauen mit langen Haaren in dicken selbstgestrickten Wollpullovern und mit Birkenstocks, die sich im Klang der Musik wiegten. Einmal kam ein Hippie auf die Tanzfläche. Seinen Blaumann hatte er mit Hühnerfedern beklebt. Irgendwann war die Musicalbox voller Hühnerfedern. Damals.
Diese ganzen Erinnerungen, so ein Leben voller Bilder, das ist das wirklich Gute am Älterwerden. Schwelgen in satten Farben. Ihr auch? Schaut mal nach, was da ist. Wo eh so viel Schnee liegt und die Welt zum Erliegen kommt. Wie ruhig es ist. Es fahren kaum Autos. Gedämpft. Da kann man sich gut noch mal einen Tee aufsetzen und The Dark Side of the Moon durchhören. Am besten mit einem Plattenspieler. Ich hab das Kratzen der ersten Umdrehungen noch im Ohr. Ciao.