Vermisster Blogger wieder da…

Jens_After Hour

Heidanei!

Wo fang ich an, wo hör ich auf. Nun. Viveka meinte, ich müsse. Solle. Mich zurückmelden. Ich war noch nicht ganz so weit, gestern. Heute. O.K. Frei, die Sonne scheint, Deutschland ist geeint und gewinnt in der Champions League. Und nicht nur wir haben frei, der große Bruder jenseits des Atlantiks hat auch die Schaufeln in die Ecke gestellt und feiert Thanksgiving oder so was in die Richtung. Die Freiheitstatue ist eine geschlossene Gesellschaft und hat die Freiheit an den Haken gehangen. Shutdown. Klingt wie I shot the Sheriff. Wie bescheuert kann man eigentlich sein? Was für eine Kinderkacke.

Wäre ja alles egal, würden wir da perspektivisch nicht mit dranhängen. Lehmann Brothers. Danach schwiegen bei mir die Telefone. Der nächste Tag danach wird noch mehr Potenzial haben. Die haben sie nicht alle an der Latte. Politik ist doch kein Roulette. Russisches Roulette. Pah! Ami Roulette. Washington in Leaving Las Vegas. Was haben die genommen? Die fahren ihren Freiheitsschlitten im Thelma & Louise-Stil über die Klippen des Grand Canyons und vertrauen darauf, dass die Schwingen des American Eagles tragen. Leider ist er mittlerweile ziemlich gerupft. Drücken wir ihnen in ihrem Ikarus-Experiment die Daumen. Hoffen wir, dass es am Ende nicht heißen wird: Reitet ohne uns weiter!

Aber ich wollte eigentlich was ganz anderes schreiben. Genau. Wo war ich eigentlich. Mit den Jungs in Spanien. Vier Tage lang die hard und hang over. Mittwochs bis in die Nacht gearbeitet, Sachen gepackt, eine Stunde geschlafen, in die Karre, in den Flieger, ins Taxi: Good morning, Vietnam! Äh, El Arenal. Jetzt ist es raus. Egal. Ist der Ruf erst ruiniert.

Ich sage euch. Natürlich nichts. Im Gegensatz zu hang over gibt es hier keinen Nachspann mit kompromittierenden Fotos. Da heißt es Vollgas und am Ende Schweigen im Walde. Keine Kameras, keine Handys, keine Dokumentation. Das bleibt im Kreise der Verschworenen. Party. Ohne Ende. Tagsüber Strand. Abends Party. Ohne Ende. Was habe ich gelacht. Mann. ENDLICH NORMALE LEUTE. Ausnahmezustand. Nix, was es nicht gibt. Schon irgendwie ein wenig Vegas. Was in so wenigen Tagen alles passieren kann. O.K., den Tiger von Mike Tyson hatten wir nicht im Hotel.

Es ist immer lustig, wenn ich erzähle, dass ich mit den Jungs am Ballermann war. Dann schaue ich in so entgeisterte, leicht angewiederte Gesichter, die mich fragen: DU? Und ich sage. Jo. Moi.

Sonntag haben wir dann einen chilligen Strand- und Rekonvaleszenztag eingelegt, bevor der Flieger nach Hause ging. Nachts. Montagmorgen 6 Uhr aufstehen. 8 Uhr arbeiten. Briefing für einen Text, der dringend in eine Redaktion musste. Kein Problem, Erfahrung zahlt sich aus, da heißt es Vollprofi sein und durchziehen. Ausblenden, was stört, auf die Sache konzentrieren. Und dann kamen den ganzen Tag Jobs und nach 11 Stunden ohne Pause konnte ich den Heimweg antreten. Piff, Paff, Bumm. Sagen wir so: Ich habe sehr gut geschlafen.

Das war die Nächte davor nicht der Fall, weil ich eigentlich kaum geschlafen habe. Das war eher tagsüber am Strand der Fall. Saturday-Night. Durchgetanzt im Riu Palace. Irgendwann morgens lief dann New York, New York und ich habe als letzter die Tanzfläche geräumt. Raus aus dem Club, rein in die Nacht. Die Jungs hatte ich lange verloren, es hat wieder lange gedauert, alles zu rekonstruieren. Wer wo verloren gegangen ist. Wo hast du dein Portemonnaie verloren? War das vorher oder nachher? Hang over.

Ich hatte einen sehr schönen Heimweg. Am Meer entlang. Warmer Wind. Im dünnen Hemd. Ab und an nur ein Mensch. Noch in ein Café, einen spanischen Cappuccino trinken. Am Eingang ein Mann mit kleinem Hund, der mir in die Hand gebissen hat. Der Typ grinste. Bekloppt. Malle, ein Moloch. Hat nicht weh getan, nur wenig geblutet. Ich lebe noch. Zurück ans Meer. Am nächsten Tag starke Brise, Windsurfer und Kiter in der Bucht von Palma. Normales Leben. Hier trifft alles aufeinander. Schwarzafrika auf Europa, Rentner auf Teens, Normalos auf Verrückte, Vergnügungssüchtige auf Sportfreaks. Ich liebe das. Alles so anders, Konventionen ausgehebelt.

El Arenal ist letztlich ein Spiegel und ein Fluchtort. Raus aus der Enge. Buchbarer Karneval. Rausch und Freiheit. Menschen liegen sich in den Armen und erzählen, was sie lange bedrückt. Partyzone, Therapiezentrum, Urlaubsort. Magic.

Heute noch kommen mir die Lieder in den Kopf. Plötzlich ein Summen. Eine Melodie. Textfetzen. Die Mitsingnummern, die sich per Brainwashing einbrennen. “Malle is nur einmal im Jahr. Ole, Ole. Und Shalala.” Grins. Tja, es macht eben einfach Spaß, auf Tischen zu tanzen und viel Blödsinn zu reden. Eine andere Sprache. Wohltuend. Und auch ein wenig befreiend.

Barack, Vladimir, ihr kommt jetzt mal aus der Sandkiste und macht PEACE!

So, is mal Zeit für große Politik. Der fiftyfiftyblog schmeißt sich ins Weltgeschehen und unterbreitet einen Vorschlag in Güte. Da muss doch was gehen.

Dear Presidents.

Habt ihr am Wochenende mal ein wenig Zeit? Wir müssen reden. Also ich meine, ihr müsst reden. So kann das doch nicht weitergehen. Was für eine blamable Stellvertreter-Nummer. Ihr schickt Leute in Sicherheitsräte, die nix zu sagen haben. Alle wissen, wie das ausgeht. Die einen wollen dies, die anderen das. Keine Eingung in Sicht. Stattdessen schickt ihr Schiffe ins Mittelmeer. Wollt ihr jetzt Schiffeversenken spielen, oder was?

Jetzt entspannt euch mal und landet. Ich lade euch ein zu einem Vier-Augengespräch in unsere Küche. Da könnt ihr euch an den Tisch setzen, es gibt Kaffee, Schnittchen und am Ende, wenn ihr klargekommen seid, gibt es auch ein gutes Bier. Natürlich nur dann. Oder wollt ihr tatsächlich den Kalten-Krieg-Scheiß wieder aufwärmen? Syrien als neues Korea? Vietnam? Und ihr liefert die Waffen? Wozu, bitte schön? Ich meine, es gibt doch wirklich schon genug Ärger und Probleme. Ihr könntet euch doch um Wasserversorgung oder Umweltschutz kümmern. Sind doch auch schöne Themen, die Spaß machen, wenn man erst einmal angefangen hat.

Jetzt zeigt doch mal guten Willen. Krempelt die Ärmel hoch, überlegt euch eine gemeinsame Taktik, pfeift eure Scharfmacher zurück und lasst mal die Muskeln in Richtung love, peace & harmony spielen. Barack, du weißt, ne. Du hast diesen Preis da damals bekommen, der mit F anfängt und mit riedensnobel aufhört. Ich glaube, da stehst du noch ein wenig in der Kreide. Und Vladi, jetzt mal ehrlich, du kommst allmählich auch in die Jahre und die Nummer mit dem freien Oberkörper auf dem Gaul – da solltest du über einen Imagewechsel nachdenken. Klein wenig softer. Komm.

Zusammen wärt ihr das Dreamteam. Den Nahen Osten befrieden. Vladi spricht mit dem Assad und Barack bietet hier und dort ein Zückerli für den Fall, dass die Friedenstauben über Syrien wieder die Lufthoheit gewinnen. Da muss doch was gehen. Ihr seid doch die Mächtigsten, Tollsten, Allergeilsten überhaupt, oder?

Samstagabend nach dem Abendbrot könntet ihr die Küche haben. Die ganze Nacht und euch mal so richtig aussprechen. Vielleicht werdet ihr ja sogar noch so richtige Männerfreunde, die ihr Herz entdecken. Raketen und Artillerie und Bodentruppen kann jeder, Frieden können nur die Größten. Gandhi und so. So Jungs, die echt ‘nen Arsch in der Hose haben. Die nich immer gleich brüllen “Das kriegste zurück” und dann mit dem Schäufelchen werfen.

Man könnte ja auch fast denken, euch würde nichts anderes einfallen. Als würde es da eine gewisse Beschränktheit geben, über die es nicht hinaus geht. Ideen. Politinnovationen. Mal ‘n bisschen ‘nen Kopp machen. Wisst ihr noch, was dieser Gorbatschow auf die Beine gestellt hat? Oder der Sadat mit dem Begin? Camp David? O.K. – der Sadat ist dafür denn auch gestorben. Schlechtes Beispiel.

Ehrlich gesagt weiß ich immer noch nicht, welches Interesse ihr da in Syrien wirklich habt. Was wollt ihr da holen? Oder ist das einfach nur, weil ihr euch nicht leiden könnt und euch da gegenseitig irgendetwas nicht gönnt? Sind das so Kindheitsdinger? Könnt ihr nicht loslassen? Kommt Jungs, springt über euren Schatten. Packt die Raketen ein, lasst Luft ab, atmet ruhig, macht Frieden. Dann müssen nicht noch mehr Leute sterben. Nicht noch mehr Kinder ihre Eltern verlieren und umgekehrt. Da sind doch jetzt schon so viele unterwegs. Fragt mal bei UNICEF nach, die sprechen da von einer humanitären Katastrophe. Das wird durch Raketen nicht wirklich besser. Ja, wirklich. Raketen machen kaputt. Versteht ihr? Die machen große Löcher, setzen Dinge in Brand und killen alles, was da ist. Mausetot. Papas, Mamas, Kinder und die Großeltern und Nachbarn auch. Tatsache. Ich weiß, ihr seht das nicht. Ihr seht nur euren Joystick und den Highscore, über den ihr Freispiele bekommt. Aber die Realität, Jungs, das wahre Leben… Olala.

Und wo wir schon mal dabei sind: Angie und Guido, setzt euch mal in den Flieger und sprecht mit euren Freunden rechts und links von Europa. Malt denen doch mal ein Bild, wie es auch sein könnte. Wie wäre es im ersten Schritt mit einer UN-Resolution, die im Land Friedensgespräche durchsetzt. Da könnt ihr dann mal drohen: Entweder an einen Tisch, oder es gibt keinen Pudding mehr, Assad. Und für die Rebellen aller Seiten gilt das Gleiche. Dann bleibts beim fiesen Spinat und aus. Muss doch möglich sein, ein einziges Mal anders als immer zu reagieren. Die Geschichte zu durchbrechen und Unmögliches möglich zu machen. Schließlich seid ihr keine dummen Jungs, oder?

WAR!

Wieder.

Also allmählich werde ich nervös. Gefühlt hat der Rhythmus der Kriegseintrittsentscheidungen heftig zugenommen. Da braut sich was zusammen am Kriegerhimmel. Flieger, grüß mir die Sonne. Die weißen Friedenstauben haben es nicht leicht zwischen all den Drohnen und Tomahawks, die den Himmel durchfliegen, mit dem Auftrag ein target zu zerstören.

Was ist los auf der Welt?

Giftgas. Deshalb hatte der ungeliebte Mann mit dem Dabbelju nach dem George den Irak überrollt. Nichts gefunden. Nun sind in Syrien viele daran gestorben, weil angeblich Militärs aus Versehen die falschen Raketen gezündet haben. Abgeschossen in Richtung Wohngebiete der eigenen Bevölkerung. Ich stelle mir vor, dass oben auf der Höhe über unserem Dorf Regierungstruppen stationiert sind und bei uns in der Schule Rebellen mit Gewehren versuchen, Treffer zu landen. Das nennt man Bürgerkrieg.

Ich habe mir im Web Bilder der belagerten syrischen Städte angesehen. Die sehen aus wie Kabul nach dem Krieg. Häuserhüllen. Grundmauern. Alles weit weg, alles unvorstellbar. Um mich zu verschonen, erspare ich mir die Fernsehbilder (wir haben kein TV). Der Spiegel hat das tote Mädchen auf der Giftgas-Angriff-Titelseite hinter Milchglas gelegt. Sex sells, der Tod auch.

Wir sind mittendrin im Krieg der Welten. Und alle spielen mit. Die große Frage in Deutschland: Lässt sich im Wahlkampf auf irgendeine Weise mit dem Thema punkten oder gar verlieren? Der Spiegel gibt Antworten. Großes Online-Aufmacherthema.

Mir scheint es, als habe Krieg wieder ein bestimmtes Maß an Selbstverständlichkeit gewonnen. Als wäre da die Salonfähigkeit zurückgekehrt. Als wäre das zwar unangenehm, aber notwendig wie ein Zahnarztbesuch.

Antikriegsdemos? Friedenstauben? Friedensbewegung? Mahnwachen? Kerzen? Plakate?

Klar, was soll man tun, wenn Kinder im Giftgas sterben. BESTRAFEN. Sagt die Politik. Assad bestrafen. Nur der bekommt keinen Tomahawk auf den Kopf. Es soll erst einmal eine Lehre erteilt werden. Zwei, drei Tage Raketenfeuer. Der syrischen Armee zeigen, wo der Hammer hängt. Mehr nicht, weil die Rebellen teils zu al-Qaida gehören. Vertrackte Situation aber auch. Wenn man könnte, wie man wollte. Dann würde der Iran Israel auslöschen und umgekehrt und die Russen und Chinesen würden die syrischen Rebellen killen und die USA, Frankreich und Großbritannien sendeten Bodentruppen, um die demokratischen syrischen Rebellen an die Macht zu bringen. Und Deutschland würde das Technische Hilfswerk und das Rote Kreuz mit Lebensmittelspenden und Decken im Rahmen einer humanitären Mission schicken.

Was für ein Chaos. Wie eine Kirmes- und Kneipenschlägerei.

Friedensverhandlungen? Friedenspfeife? Erst nach der Tracht Prügel. Wir schauen zu, wir nehmens hin, wir sagen nichts, warten ab, überlassen es den Regierungen und deren Chefs. Kriegspoker. Es wird in Waffensystemen gedacht, um Lösungen zu bewirken. Was hat die Welt von diesem Krieg? Wo liegt der Sinn? Wo ist das fehlende Teilchen, das zur friedlichen Lösung führt? Irgendwann wird das Land so am Ende sein, dass es sowieso egal ist. Sich selbst mit der Hilfe der großen Brüder in die Steinzeit zurückgebombt. Die Zeit der vielen Toten später. Ein Land voller Feinde, voller Hass, Trauer, Verletzungen. Alles klar, alles eindeutig, alles absehbar, alles schon passiert.

Und: Alle spielen mit. Auch wir, die nichts sagen. Die gelangweilt einem Wahlkampf zuschauen, die auf Europa und die Finanzkrisen schauen und ansonsten den Blick für die Welt verloren haben. Es ist eine Valiumzeit. Alle kollektiv auf Schlafmittel. Hier tut sich nichts, apathisches Hinnehmen. Urlaubszeit, da können Kriege und neue Kriege schon einmal untergehen. Auch die Frage: Zieht Deutschland in den Krieg? Was war das damals, 1999 ein Getöse, eine Diskussion, ein Hinterfragen…

Und jetzt? Die zentrale Frage, ob der eskalierende Syrienkonflikt Vorteile für die SPD oder die CDU bringt. Hinterm Komma. Da spielen doch lieber alle weiter Gesellschaftsmikado: Wer sich bewegt, verliert.

Es ist Wahlkampf und keiner geht hin

Spürt ihr was? Ist da Politik in der Luft? Nix.

Ich meine, hey. Bundestagswahl. Vier Jahre ad acta. Aus, vorbei. Nun können wir ‘nen Strich drunter machen, zusammenzählen, überlegen, handeln. Aber? Nix. Die CDU liegt vorne, die FDP kommt rein, die SPD dümpelt, die Grünen können nix ausrichten, die Piraten entziehen Stimmen, die AfD auch, die Sonstigen sind mit 4% recht stark und das war’s.

Klar, ich meine, der Herr Steinbrück ist nun wahrlich kein Ruck, der durch’s Land geht. Germany steht in Europa wie Persil am Himmel (glaubt man), die NSA-Affäre geht allen am Po vorbei und die Sache mit Griechenland steht eh in den Sternen. Angie ist momentan so unangefochten wie der FC Bayern München. Auch wenn der Gerd nun in Detmold in den Wahlkampf eingestiegen ist und rumpoltert. Da tut sich nix mehr. Selbst wenn Angie beim Ladendiebstahl oder Sex mit Tieren erwischt würde, sie bleibt. O.K. So isses. Manchmal ist Demokratie eben auch langweilig. Da bewegt sich nix.

Ich erinnere mich an den 06. März 1983. Das war rund ein Monat vor meinem 18. Geburtstag. Helmut Kohl löste Helmut Schmidt endgültig ab und blieb dann eine ganze Weile. 16 Jahre. Dann musste was passieren, es passierte etwas, Schröder wurde dank Flutwelle knapp wiedergewählt und dann zerlegte sich die SPD ziemlich rasch. Wie unter Schmidt, dem die FDP abhanden gekommen war. Deutschland scheint ein Land für CDU Kanzler/innen zu sein, weil SPD-Kanzler den Hang haben, zurückzutreten oder an Vertrauensfragen zu scheitern. Selten kommt es zur natürlichen Abwahl im Vierjahresmodus. Da geht immer vorher schon was schief. Steinbrück hätte so ein Potenzial des Ausharrens. Die Ruhe des Abwartens. Die Politik der ruhigen Hand, die Schröder in er ersten Legislaturperiode noch ein wenig falsch verstanden hatte. Schnarch.

Nun. Demnächst ist also Bundestagswahl. Ich werde Briefwahl beantragen, weil mir alles andere zu aufwendig ist, wo das Ergebnis eh schon feststeht. Bin einfach nicht da. Klar. Gähn-Demokratie. Bin gespannt, wie die Wahlbeteiligung ausfallen wird. Ich denke, schwach. Was macht ihr? Wählen? Alternativ-Programm? Grillen? Abwarten, Tee trinken? An mir fliegen die Plakate nur so vorbei. Ich könnte überhaupt nicht sagen, wer für was steht. Außer das Übliche. Ziemlich schwammig. Eigentlich ein allgemeines weiter so. Oder habe ich was verpasst? Hat da irgendwer was richtig Spannendes auf der Menükarte? Ideen gar?

Ein Land ohne politischen Diskurs. Im Westen nichts Neues. Was ist das nun? Ein gutes Zeichen? Ein böses Vogelzeichen? Leben wir im Polit-Luxus, in er demokratischen Comfort-Zone oder läuft einfach was schief? Wo steht dieses Deutschland im August 2013? Wisst ihr, ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Da kommt nix an. Und schlimmer noch: Irgendwie interessiert es mich nicht. Mehr. Als wär ich auf Polit-Valium. Irgendwie habe ich das Gefühl, das geht vielen so. Oder?

Die feine Sache mit der guten Kunst – OSTRALE’ 013

Sebastian Hempel, Rauminstallation, Tor 10
Sebastian Hempel, Rauminstallation, Tor 10

Kunst- und Dresdenwoche hier im Blog. OSTRALE’013.

Nachdem ich nun recht umfassend über DAVIDS Auftritt und die Stadt geschrieben habe, hier nun ein Blick auf die Ausstellung. Ich habe mir erlaubt, sechs Künstler/innen heraus zu picken. Denn die OSTRALE ist ein aus dem Boden gestampftes Museum für moderne Kunst, das 90 zeitgenössische, internationale Künstler/innen präsentiert – und das in einer Form, wie man sie sich nur wünschen kann. Mit viel Raum, Freundlichkeit, Lockerheit und einer sehr schönen Atmosphäre in beeindruckender Kulisse. Letztlich verantwortlich für all das zeichnet Andrea Hilger, die auch diese 7. Internationale Ausstellung zeitgenössischer Künste unter ihre Fittiche genommen hat. Auf dem Ausstellungsgelände ist sie omnipräsent und kümmert sich – zusammen mit den vielen anderen. Man spürt die Menschen, die hinter der OSTRALE stehen. Das tut der Kunst, dem Projekt gut.

Besucherlounge im OSTRALE Café
Besucherlounge im OSTRALE Café

Die Werke der OSTRALE’ 013 hängen, stehen, liegen, leuchten, klingen, bewegen sich, lassen sich begehen in den Futterställen und Heuböden des von Hans Erlwein vor über hundert Jahren entworfenen Schlachthofgeländes. Das Schöne, das Gute: Fein ausgewählte Kunst trifft auf die atmenden Möglichkeiten der Improvisation. Nichts ist wie aus dem Ei gepellt. Keine Glasfassaden, kein Edelstahl, kein Parkettboden. Alles so, wie es mal war, als hier noch Tiere ihren letzten Weg gegangen sind. Das Überzeugende am Gelände und an den Bauten ist die Abwesenheit von gewollter Perfektion. Das gibt einen subversiven Rahmen vor, der Kunst authentisch präsentiert und ihr die Möglichkeit gibt, fernab von Hochglanz lebendig zu bleiben. Die OSTRALE ist angenehm weit weg von Investitionen, die zum Beispiel die Zeche Zollverein zu einem institutionalisierten, fixen Kunstraum machen. Mit allen umgesetzten, vermeintlichen Notwendigkeiten.

So, nun viel Spaß mit dem, was es zu sehen gibt und was ihr, wenn möglich, live erleben solltet. OSTRALE’ 013.

Das Titelfoto oben zeigt eine Rauminstallation von Sebastian Hempel aus Leipzig. Metallfäden sind etwa einen halben Meter über dem Boden quer durch den Raum gespannt. Dazwischen sind Leuchtdioden angebracht, die den Raum in blaues Licht hüllen. Yves Klein. Als Sprachmensch kam mir die Assoziation The Big Blue, Luc Besson. Der Raum hat etwas von einem Hallenbad. Als könne man eintauchen, was letztlich auch möglich ist – im übertragenen Sinne. Sphärische Musik begleitet das Licht, nimmt es auf, verstärkt das Leuchten. Ein beeindruckendes Bild gleich zu Beginn der OSTRALE (Tor 10).

Sehr gut gefallen hat mir die Arbeit von Gunda Förster. MURMELN (2013). Sie hat Leuchtkästen mit Glaskugeln gefüllt, tarnsparenten und farbigen. Ein schönes Bild. Leuchtende Kindheit. Das Kribbeln in den Fingern, sie anfassen, die glatten, handschmeichelnden Oberflächen spüren, imaginieren. Sich nähern, die einzelnen Murmeln entdecken, den Lichtreflexionen nachgehen. Eine Arbeit, die lächeln lässt, berührt, umschmeichelt, die den Raum in der Anordnung der murmelgefüllten Leuchtkästen füllt.

MURMELN, 2013, Gunda Förster, Tor 5
MURMELN, 2013, Gunda Förster, Tor 5

Ein Tor weiter zeigt der Japaner Takehito Koganezawa GRAFFITI OF VELOCITY (2008). Lichtprojektionen schwirren durch den Raum. Man steht mittendrin und sucht Halt. Wohin schauen? Wie das Gesehene halten? Die Bilder ändern sich, der Raum ist voller Farben und Formen. Ein Lichtspektakel, das einlädt, auffordert. Sich im Raum zu bewegen, sich einzulassen, aufzunehmen.

Graffity of Velocity (2008), TakehitoKoganezawa, Tor 4
Graffity of Velocity (2008), TakehitoKoganezawa, Tor 4

Tor 6. Rocco Dubbini. Drei alte Kühlschränke. Die Türen leicht, verschämt geöffnet. Aus den Türspalten tritt grünes Licht, orangenes Licht. Wer hat vergessen, sie zu schließen? Was tritt aus? Was ist im Innern? Ein Kopf, im Kühlschrank mit dem grünen Licht. Ein Opferraum. Zu dritt stehen sie dort, die Türen voneinander abgewandt. Alt, rostig, wie vergessen im Keller. Altes Eisen, alte Zeiten. Und doch groß, heroisch, füllend. Die Raumkonstellation, das Verhältnis der Drei untereinander erzeugt Spannung. Die Inhalte erzählen die Geschichte.

Rocco Dubbini, Tor 6
Rocco Dubbini, Tor 6

AND AGAIN (2012) von Katrin Caspar. Fünf Slinkys. Diese faszinierenden Metallspiralen, die irgendwo zwischen Kinderspielzeug, Wohnzimmerdeko und Naturwissenschaftsphänomen rangieren. Dort stehen sie aufgereiht wie die Orgelpfeifen nebeneinander auf dem Betonboden, recken die Spiralen zur Decke und lauschen den Klängen der Lautsprecher. Kabel führen zu ihnen, die ein Gewirr auf den Boden zaubern. Kleine schwarze Plättchen am Ende, die irgendetwas mit den kleinen, filigranen Bewegungen der Slinkys zu tun haben. Sie tanzen. Schüchtern, zurückgenommen. In ihrer Bescheidenheit liegt ein menschlicher Zug. Unaufdringlich sind sie und doch magisch.

AND AGAIN (2012), Katrin Caspar, H2 Ost
AND AGAIN (2012), Katrin Caspar, H2 Ost

Und. Eine Arbeit, die ich mir mehrfach angesehen habe. Mit Anziehungskraft. Olaf Mooij, RELICS OF A BYGONE ERA (2010). Einmachgläser wider des Vergessens. Eingelegte Autos, Reifen, Räder. Wie Pfirsiche, Birnen, Möhren im Kellerregal. Einst werden wir uns erinnern… Zeit, Realität in Formaldehyd eingelegt. Alles sieht sehr schön aus, die Farben sind stimmig und doch verbindet sich im Gehirn die Kunst mit dem Erlebten. Embryo im Glas. Anfang. Ende. Es gibt viel zu sehen in diesem Kellerregal der Kuriositäten einer noch nicht vergangenen Zeit.

Relics of a bygone era (2010), Olaf Mooij, H1 West
Relics of a bygone era (2010), Olaf Mooij, H1 West