Hinter den verschlossenen Türen Europas…

Schlüssel

Lampedusa – Hamburg.

Es beschäftigt uns alle nun ja schon seit geraumer Zeit. Auch hier im Blog ist es immer wieder mal Thema gewesen. Lampedusa und die Festung Europa. Vor den Fernsehern und Bildschirmen schauen wir zu, wie afrikanische Flüchtlinge ertrinken. Es ist wie im Film Titanic, als die Boote wegrudern, halb leer, um nicht eventuell unterzugehen.

Wir werfen keine Rettungsringe, wir lassen ertrinken. Wenn es sich rumsprechen würde, dass geholfen wird, was wäre dann los, ist die Denke. Das alte Lied der Angst. Mal lieber nichts tun und wegschaun. Ist ja nicht unser Problem. Wir sind Europa, die sind Afrika. Wir sind weiß, sie sind schwarz. Europa will nicht. Ziert sich. Ist noch nicht einmal halbherzig.

Ich sitze hier im Warmen. Der Ofen bollert, ich ruhe mich aus, weil ich den ganzen Tag gearbeitet habe. Ich habe Arbeit, ich darf arbeiten, ich will arbeiten. Flüchtlinge dürfen es nicht. Es muss erlaubt sein. Arbeitserlaubnis ist ein Wort wie Ordnungsamt. Nicht halbherzig, kaltherzig.

Franzikus war auf Lampedusa. Seine erste Reise. Was für ein Mann, was für eine Geste. Und was macht Europa? Dicht. Kopf in den Sand. Ich schreibe darüber, weil ich eben einen Artikel der Zeit gelesen habe. Hamburg. St. Pauli. Gestrandete Afrikaner, die es so weit geschafft haben.

Der erste Satz, ein Zitat: “In Deutschland gibt es kein Mitleid. Dort lassen sie dich hungern und frieren. Dort geben sie dir kein Obdach, und falls du dir Teppichreste aus einem Müllcontainer klaubst, um dich nachts in einem Park darin einzurollen, dann kommt das Grünflächenamt und steckt Zettel in die Teppiche, dass das Betreten des Rasens verboten ist.”

Hamburg. Schon wieder. Erst kürzlich habe ich einen Artikel gelesen, in dem es hieß: “Hochburg der Altersarmut ist Hamburg.” Was ist da los in der reichen Hansestadt? Kühle Nordlichter? Herzen eingefroren?

Nicht ganz. Einer hat den Anfang gemacht. Ein evangelischer Pastor. Sieghard Wilm von der Kirche St. Pauli. Als es zu regnen begann, ließ er die Flüchtlinge in die Kirche. Die Zeit schreibt und zitiert: “Er erinnert sich nicht so sehr an die abgerissene Kleidung, die sie seit Wochen am Leib trugen, sondern an die gehetzten Blicke. “Sie sahen aus wie Gejagte.” Warum er die Entscheidung traf, zu helfen, wo seit 2011, seit der Landung dieser Kriegsopfer an der Küste unseres Kontinents, niemand geholfen hatte, das erzählt er nicht als dramatische Geschichte. Es habe halt angefangen zu regnen.”

Mann! Gottes! In Italien war ihr Flüchtlingslager geschlossen worden, weil es unmenschlich war. Weil man nicht wusste, wohin mit den Flüchtlingen, gab man ihnen Touristenvisa. Damit sind sie nach Deutschland gekommen, wo es nun heißt, die seien illegal. Wer versteht da die Welt noch? Wo sollen sie denn hin? Hä? Zurück nach Libyen, wo sie um ihr Leben fürchten müssen? Nach allem, was sie hinter sich haben. Zwei Jahre auf der Flucht! Reicht das nicht?

Sie hatten Berufe, bevor sie Flüchtlinge wurden. Sie hatten Arbeit, ein Auskommen. Jetzt haben sie einen evangelischen Pastor, der sie in seiner Kirche wohnen lässt. Und die Politik beginnt zu kuschen, weil es zu menscheln beginnt rund um die 80 schwarzen Männer. Die Hilfe ist angelaufen, Freiwillige kümmern sich.

Kümmern wir uns mit. Hören wir auf zu akzeptieren, dass Menschen an den Grenzen Europas ertrinken.

Es gibt noch einiges zu tun: “Es fehlt noch immer an vielem, an Obst, Wegwerfbechern, Taschen, neuer Unterwäsche, Socken. Ein paar alte Fahrräder wären gut, bisher besitzen sie nur vier. Taschengeld gibt es übrigens auch nicht. Die Gäste, die so gern arbeiten würden, müssen ohne einen Cent auskommen.”

Spenden sind erwünscht: Hamburger Sparkasse, BLZ 200 505 50, Konto 1206 123 331

Den kommen die Polen holen

Focus I, 2001
Focus I, 2001

Ups.

Klingt wie ‘ne Drohung. Nein, nein, wir wollen hier mal niemanden verunglimpfen. Aber, ja, letztlich war es tatsächlich so. Hier nun also der vierte Teil der angekündigten Trilogie-Fertigstellung. Hä? Egal. Mann muss auch mal drei gerade sein lassen, oder wie hieß das? Immer diese Konventionen.

Wir haben also fast die ganze Kiste durch. Nur das Verticken der alten Möhre fehlt noch. Hier kommt die ganze Wahrheit. Es war der Dienstag nach dem Montag, an dem ich die hässlichsten aller Felgen mit den schrottigsten aller Reifen für viel zu viel Geld gekauft hatte. An diesem Dienstag hatte sich am späten Nachmittag ein Zeitfenster überraschend geöffnet, dass es mir erlaubte, den Wagen einigermaßen fit für den Verkauf zu machen. Saugen, wischen, putzen, polieren. All das Zeugs, was man macht, um einen alten Wagen in neuem Glanz erscheinen zu lassen. Nein, ich habe nicht mit Tricks gearbeitet. Kein stinkiges Cockpitspray und auch kein Glanzgel für die Reifen.

Nur die Hundehaare raus, den Matsch aus den Radkästen und vor allem die Kaugummis und angelutschten Bonbons unter der Rücksitzbank hervorgepopelt. Auf was für Ideen Kinder so während einer langen Autofahrt kommen. Die glauben tatsächlich, dass alles, was man da so in die Sitzspalten drückt, wie von Zauberhand verschwindet. Das sah nicht schön aus. Wirklich nicht. Mit Saugen war da nichts zu machen. Kratzen. Uah.

Ich habe nun also gemacht und getan und die Kiste aufgebockt und die Alus runter und die anderen drauf und dann fiel es mir auf. ET. Nein, keine Filmfigur aus fernen Welten. Einpresstiefe. So ein… Ja, die Felgen, die ich für den neuen Wagen retten wollte, die Alus, ja, genau die, die passten nicht auf den neuen Wagen. 52,5 statt 47,5. Die ganze Schrottplatzaktion umsonst. Stunden verschenkt, eine Geschichte gewonnen:)

Ich meine, jetzt mal ehrlich, wer denkt denn, wenn alles passt – Reifengröße, Felgengröße in Zoll – an die Einpresstiefe? Das sind diese Zentralfehler, die passieren, weil man einfach nicht an alles denken kann. Nun, mir war es egal. Letztlich.

Da stand er nun bereit für den Verkauf. Mein Schrauber meinte: Versuchs mit 300 Mein Freund, der Ford-Ingenieur, über den wir den Wagen damals gekauft hatten, meinte: 500 kriegste immer. Gut. Zwei Thesen, meine Meinung: Versuchs mal mit 500. Immerhin läuft die Kiste gut, springt an, hat gute Bremsen, noch ein wenig TÜV und die Mängel halten sich in Grenzen. Nur halt: 308.000 Kilometer auf der Uhr. Italien, Elba, Schulbus, Schule, Arbeit, Kundenbesuche… Wo der schon überall war. Viel rumgekommen und im Herzen eine treue Seele. Zoe mochte ihn nie, weil unser weißer Golf damals dafür sterben musste. Der Typ aus Berlin, der ihn abgeholt hatte, hätte nicht von Ausschlachten und Schrottpresse erzählen sollen. Das hat sie dem neuen Auto nie verziehen.

Dienstagabend haben Jim und ich die Kiste online gestellt. mobile. de. Alles offen und ehrlich. Die ganze unangenehme Wahrheit eines in die Jahre gekommenen Gebrauchtwagens. Die Anzeige haben wir ohne Rufnummer eingestellt, nur mit Mail-Möglichkeit. Sonst rufen die Jungs an, die als erstes nach dem Preis fragen. Telefonterror. Hatte ich keine Lust drauf, weil ich Mittwochmorgens arbeiten musste. Da kommt dauerndes Ring-Ring nicht so gut. Mittwochmittag hatte ich dann sieben Anfragen. Überwiegend aus dem ost- bzw. südosteuropäischen Raum. Na, ich wusste nicht. Ein nicht abgemeldetes Auto in die Hände eines rumänischen Gebrauchtwagenhändlers geben? Ich gebe zu, da schwingen Ressentiments mit. Ja, ich sollte mehr Vertrauen haben. Nun.

Das beste Gefühl hatte ich bei der Mail von Bartek. Er hatte mir seine deutsche Handynummer mitgesendet und bat um Rückruf. Hab ich gemacht. Ich musste langsam sprechen, weil er nicht alles verstand. Ein Pole, wie sich später rausstellte. Eine nette Stimme, klang solide. Erst wollte er am Donnerstagabend kommen, dann rief er kurze Zeit später an, ob er vielleicht direkt…

War mir recht. Fünfzig Minuten später stand er mit seinem Abschleppwagen vor der Alten Schule. Was mir als erstes auffiel: Bartek trug Salomon Speedcross 3 in Schwarz. Meine Schuhe! Also so wie meine. Er schaute sich den Wagen an, während Herr Cooper um Streicheleinheiten bettelte und ich weg musste, um Jim vom Bus zu holen. Ich ließ Bartek den Autoschlüssel dort und überließ ihm das Auto für die eingängige Prüfung. Als ich 20 Minuten später kam, bereitete er schon das Aufladen vor. Er gab mir seinen Ausweis für den Vertrag und ich schrieb. Er gab mir das Geld, 500 (Festpreis ohne Verhandlungsbasis war meine starre, eindeutig kommunizierte Haltung), und versicherte, den Wagen am nächsten Tag abzumelden und dann zog er los.

Drei bis vier Autos würde er sammeln, um sie nach Polen zu bringen. Dort lässt er sie reparieren und dann verkauft er sie. Europa, Globalisierung, grenzüberschreitendes Business. Ich fand es auf jeden Fall lustig, dass mein Auto nach Polen geht. In ein Land, das ich bislang nicht kenne. Vor dem ich seit der Solidarnosc-Bewegung Anfang der Achtziger großen Respekt habe und das ich jetzt wirklich mal endlich besuchen sollte. Die Ostseeküste rauf…

Zwei Tage später hat Bartek die Abmeldebescheinigung gemailt. Ein guter Deal mit einem guten Typen. Handfest, ehrlich, ohne großes Aufsehen. Ich dachte: Es freut mich, dass wir Nachbarn sind. In Europa. Ein gutes Land, scheinbar, mit guten Leuten.

So. Das wars. Die vierteilige Autotrilogie hat ihr Ende gefunden. Wenn ich Freitagmorgen mit unserem anderen Auto zum TÜV fahre, wird das dann eine ganz andere Geschichte sein:)

Schnellzulassung eines Kraftfahrzeugs auf einer deutschen KFZ-Zulassungsstelle in 14 Minuten

Kennzeichen

Ruckizucki!

Auto zulassen stand auf dem Programm. Behördengang. In meinem Innersten rumorte es und Vorstellungen von stundenlangem Rumsitzen, endlos langsamem Umklappen der mechanisch betriebenen Wartenummeranzeige und von schlechtem Automatenkaffee kamen hoch. In meinen Händen sah ich schon eine Ausgabe des Spiegels aus dem Jahr 1989, die schon Generationen von KFZ-Zulassern die Wartezeit verkürzt hatte.

Kurz: Ich hatte Angst. Moloch. Kafka. Verschwunden in den endlosen grauen Gängen einer original deutschen Behörde. Es müsste international ausgeschriebene Reisen in solche Häuser geben, um den Eindruck der German Autobahn um einen weiteren zentralen Eindruck zu erweitern. Ein Ort der Ordnung direkt neben dem Ordnungsamt, der Paragraphen, Regelungen, Amtshandlungen, Stempel und Gebühren. Ein Ort des Kuschens, Unterordnens, Klappe halten und tun und machen, was gesagt wird. Zimmer 5! Unterschreiben! Zur Kasse! Lichtbild? Formular ausfüllen. Stramm stehen. Ah nee, letzteres nicht. Aber so ähnlich. Meine Annahme, mein Grundgefühl.

Ämter sind wie Krankenhäuser. Strecken die Arme aus, um einen abzuwehren. Fernzuhalten. Deshalb habe ich mich vorbereitet. Früher habe ich im Vorfeld angerufen, habe mir den Namen des Gesprächspartners geben lassen, um ihn mir zu notieren und habe dann aufgeschrieben, was ich alles in welcher Form zwingend mitbringen muss, um das zu bekommen, was der Grund meiner Anreise ist. Denn: Ich habe schon mehrfach erlebt, das ein Detail nicht stimmt und deshalb… Tut uns leid, sie müssen verstehen, bitte kommen Sie doch noch einmal vorbei.

Nun leben wir im zentral organisierten Informationszeitalter, in dem man nur wenige Klicks von Information und den Abhörmikrophonen und Mitschneidegeräten der NSA weg ist. Die Firma Google hat mir freundlicherweise geholfen, das Oberbergische Straßenverkehrsamt im Netz zu finden. Jetzt wissen die das auch. Dort habe ich nach ein wenig Suchen gefunden, was ich suchte. WAS SIE IM RAHMEN DER ZULASSUNG EINES KFZ ALLES MITBRINGEN MÜSSEN. Ich bin die Liste durchgegangen, habe alles abgehakt und in einen großen Umschlag gesteckt, damit nix verloren geht. Inklusive der Visitenkarte des Gebrauchtwagenhändlers meines außerordentlichen Vertrauens (das hat später noch eine Bewandtnis).

Nach dem Faktencheck (Ne, Jungs vom FOKUS: Fakten, Fakten, Fakten) die Vereinbarung eines Termins. Da war noch einiges frei im Terminkalender und ich entschied mich für die Pole-Position um 7.30 Uhr, um anschließend noch meiner Tätigkeit als Texter nachkommen zu können. Mittags war ich dran mit Kochen, das Zeitfenster war also begrenzt und die bevorstehende Aufgabe umfassend – dann müssen die Finger immer in diesem Turbotempo fliegen und die Ideen durchs Hirn rauschen wie der Rhein bei Hochwasser. Geschafft. Ready for German KFZ-Zulassung.

7.22 Uhr Eintreffen in der Parkgarage der Behörde. 7.24 Uhr Ziehen einer Wartenummer, von der ich überzeugt war, sie nicht zu brauchen, weil ich ja einen Termin hatte, aber man weiß ja nie und Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Ich mag die Frage nicht: Haben Sie keine Nummer gezogen? AAAAHHH!!!

7.26 Uhr Eintreffen der Dame des Informationsschalters. Ich schaue auf die Uhr. Vier Minuten. Grenzfall. Ich entscheide, ihr zwei Minuten für das Einfühlen am Arbeitsplatz zu geben inklusive Starten des Rechners. Mein Ziel ist es, um 7.30 Uhr pünktlich am Zulassungstisch zu sitzen und mich durch das Zulassungspalaver zu schnaufen. Ich gebe zu, ich war unentspannt. Der Raum, die Nummern, der Charme des Neonlichts, die nervös zuckenden Menschen neben mir mit ihren Nummernschildern unterm Arm. 7.28 Uhr. Guten Morgen, mein Name ist Jens Schönlau, ich habe einen Termin. Guten Morgen! Sie lächelt. Hach. Was sind schon Zeit und Raum, verwehende Minuten im Wind?

Schöne Zähne. Warmer Blick. Sobald die Nummernanzeige erleuchtet, gehen Sie bitte zu Schalter 2, das ist der Terminschalter. Ach, herzlichen Dank. 7.30 Uhr. German Pünktlichkeit. Was für ein Land. Verlässlichkeit, Ordnung. Am Schalter schütte ich im Stehen den Inhalt meines Couverts auf den Counter, wobei der Perso fast in eine Ritze rutscht. Dann wär er weg gewesen. Sagt sie und grinst und ordnet mit flinken Fingern den Haufen Papier. Das heißt nicht mehr Schein und Brief und Versicherungsbescheinigung. Nö. Zulassungsdingsbumms Teil I und II und irgendsoeine elektronische e Nummer aus dem Web. Kann man da ziehen nach endlosem Eintippen von Zahlenkolonnen, die das eigene Leben beschreiben. Danach weiß die NSA alles. Da biste nackt wie’n Frosch.

(Sorry, dass der Text so lang ist. Ich sitze in einem Musikraum, in dem meine Tochter den Flügel versucht gütig zu stimmen. Der Flügellehrer, äh, Klavierlehrer hört nix wegen Schnupfen. Auf jeden Fall schlag ich die Zeit mit Tippen tot…) Also sie heckt das alles in die große Rechenmaschine und schreibt mir dann mein Kennzeichen handschriftlich auf einen Zettel und gibt mir eine Plastikkarte. Mit dem Zettel Kennzeichen holen, mit der Karte zur Kasse. Ah. Wieder was Neues. Hatte einer ne Idee. Die Karte erzählt der gut gelaunten Dame hinter der fetten Glasscheibe, dass ich 34,20 zu zahlen habe. Das System mit der Karte funktioniert. Scheinbar.

Alles läuft hervorragend. Ich habe keine Zeit, mein mobiles Empfangsgerät, das ich gerne im DDR-Style Handapparat nenne (so’ne alte Nokia-Gurke – die bauen auch keine Handapparate mehr, weil die die Sparte vertickt haben. (Machen die jetzt wieder in Gummistiefel?) Das kommt davon, wenn man EU-Gelder in Rumänien abzockt und Bochum den Rücken kehrt. BOCHUM!) zu zücken und nach der Zeit zu schauen. Der Verbleib meiner Armbanduhr ist eine Extrageschichte…

Ich hetze aus dem Amt über eine Baustelle selbstmörderisch mutig durch den stockenden Berufsverkehr und rein in den Schilderladen. Jetzt kommt es: Ich zücke den Zettel mit der Nummer und die Visitenkarte des Gebrauchtwagenhändlers meines absoluten Vertrauens. Ich sage (ein Tipp des zuvor Erwähnten), ich würde die Schilder eben für jenen welchen machen lassen. Die Dame hinter dem Schilderproduktionscounter schaut einen Moment zu lang und dreht sich dann weg, um zu tun, was getan werden muss. Ratsch in die Presse. Krawumm quetschen sich die Buchstaben ins Blech, um meinem Auto eine Identität zugeben. GM. Gummersbach. Ländlicher Raum. Große Handballtradition werden sie zukünftig im Stau auf der Autobahn denken. Das liegt doch bei Köln. Oder, Hertha? Ja, Heinz, weisse doch.

Sie legt die Schilder vor mir auf die Theke und sagt: NIX. Schweigen im Walde. Normalerweise müsste sie sagen: 18 Euro. Eine prekäre Situation. Hat sich das Vorlegen der Visitenkarte und das kleine uminterpretieren der Wahrheit nun ausgezahlt oder nicht? Sie schaut. Ich schaue und reagiere. Ich lege ihr wie einem Hütchenspieler 20 Euro hin. Ein Schein. Sie nimmt ihn schnell, als wolle sie etwas vertuschen. Konspirativ, sage ich mal. Ein gutes Zeichen. Die Anwesenden im Raum hinter mir sollen nicht erfahren, dass es für dubiose Visitenkarten von Gebrauchtwagenhändlern Rabatt gibt. Satt. Sie drückt mir das Geld samt Bon in die Hand und ist schon weg. Ich gehe raus und öffne die Finger. Das Gefühl erinnert mich an die Abfahrten nach den Sommerferien. Oma am Auto in Tränen. Letzte Amtshandlung: Hier Junge, nimm. Ach, es bricht mir das Herz. Erna. Auch schon lange nicht mehr da. Ruht neben Heinrich. Und was soll ich sagen, die Finger öffnen sich, die Augen überschlagen und finden den Beweis auf dem Bon. 8 Euro. Für beide Schilder. 10 Euro gespart. Die Welt ist komisch. Verstehen tue ich nichts, aber es hat Spaß gemacht. Ich bevorzuge generell immer und überall das Ungewöhnliche. Gerade fahren kann jeder.

(Oh, die Flügelstunde ist zu Ende. Abfahrt. Schreibe ich gleich Zuhause weiter. Das Foto oben habe ich übrigens schon heute Nachmittag zwischendurch geschossen. In der Sonne. Jetzt aber. Zoe, ja, ich komme, ja doch, nur noch den Satz, bitte, also wirklich. Bis später:) )

So, Kinners, da isser wieder, der Meister der Schnellzulassung. In der Zeit, in der ich diesen Text geschrieben habe, hätte ich vier Autos zugelassen. Vielleicht sollte ich das hauptberuflich machen. Ah, ja. Fast durch. Mit den Schildern wieder todesmutig durch den anrollenden Berufsverkehr über die Baustelle ins Amt zum Schalter. Wieder eine Frau. Der habe ich die Schilder gegeben, die sie dann beklebt hat. Alles der Reihe nach. Der schüttelt die Pflaumen, der… Und wer isst sie alle auf? Fertig. Schilder bekommen, Karre zugelassen. In: 14 Minuten tutti kompletti. Um 7.44 Uhr saß ich in meiner dampfenden Kiste und habe den Heimweg angetreten. Das war mindestens Weltrekord. Wieso hat es keinen Pokal, Fotos, Interviews, Laolas gegeben?

Morgen Abend geht es nach Essen, nacher Arbeit und am Samstag in der Früh zur Familie Santirci. Mokka trinken. Und dann: Aufe Autobahn mit meinem Schatzi und volle Kanne Testfahrt. Halligalli, es geht rückwärts. Uiiii….

Der wunderbare Kauf eines Gebrauchtwagens bei der Familie Santirci in Essen

Stunde der Wahrheit.

Die Karre is am Ende. Mein Plan war, es bis zum Ende zu schaffen. Januar 2014. Termin bei einem deutschen TÜV. Ciao, baby. Never. Klar, alt, rostig, leckt wie Sau. Ich meine. Ja. Was soll ich sagen? So isses. Irgendwann kommt die Inkontinenz. Auch Autos tröpfeln. Was will man machen.

Wenn man auf dem Land wohnt, braucht man diese Karren. Da führt kein Weg dran vorbei. Ganz einfach, weil keine U-Bahnen fahren, jeder Rad-Trip zum Aufstieg Alpe d’Huez wird (wo bekanntlich ohne ein gutes, feines Blutdoping nix läuft, ne Jan, Lance, Dr. Fuentes – und wer will das schon, ich komme noch nicht einmal zum Blutspenden, was viel sinnvoller wäre) und die Mindestetappe zum nächsten Ziel liegt so im zehn Kilometer-Bereich. Mal eben… Geht einfach nicht.

Deshalb haben wir zwei Autos. Einer ist jobmäßig unterwegs oder fährt wie ich zur Arbeit, der andere ist Chauffeur und Fahrer mit besonderen Aufgaben. Vom Schulbus abholen, Einkaufen fahren, Klavier, Hipp-Hopp, kein Bus fährt mehr, Freunde besuchen. All so’n Kram. Da kommt ganz schön was zusammen.

Bei meinem Pferd, das mittlerweile ein alter Gaul ist, steht die Uhr bei 310.000 Kilometern. Nun brauche ich aber ein Fahrzeug, auf das ich mich verlassen kann und das nicht dauernd in der Werkstatt steht (was mein Schätzchen tatsächlich nicht gemacht hat, außer ab und an).

Lange Rede, kurzer Sinn. Samstag habe ich einen neuen Gebrauchten gekauft. Einen kleineren mit noch weniger Spritverbrauch. 4,2 Liter Diesel, heißt es. Wäre O.K. Mir ist tatsächlich geringerer Spritverbrauch wichtiger als todschick. Is mir egal. Die Kiste soll fahren (O.K., klar. Hätte ich die Kohle, könnte es auch… Mann. Hubraum lässt sich nur durch Hubraum ersetzen).

Also habe ich das Orakel befragt. Liebes Internet, was hast du für mich. Die Firma mobile machte mir einige Vorschläge, aber ich haderte und zögerte. Bis kürzlich. Da fing mein guter Wagen an zu dampfen. Wie so eine Heißmangel. Vorne raus wie Atem an kalten Tagen. Die Folge: Ich muss jetzt regelmäßig Wasser nachfüllen. Oder die Wasserpumpe samt Dichtung austauschen. Da läuft so ein kleines Rinnsal, wie ich heute entdeckt habe…

Hab ja sonst nichts zu tun. Komisches Gefühl, wenn man sich da in so eine Autoschlange einreiht und die Karre unterm Popo dampft wie ein Feuerdrache. Ist noch genügend Wasser drin oder sagen gleich die roten Lampen, dass ein Boxenstopp angesagt ist? Ein Fall für die gelben Engel? Holt mich hier raus! Macht weder wirklich Spaß noch Sinn. Und es lohnt sich nicht wirklich, noch Zeit und Muße und Geld in eine Reparatur zu stecken (da wäre einiges fällig. Zum Beispiel der linke Kotflügel, der zaubern kann. Der hat Metallic-Blau in Rostbraun verwandelt. Echt.)

Ich bin aktiv geworden. Und? Ihr glaubt es nicht, aber das Schicksal führte mich nach Essen zu einem türkischen Gebrauchtwagenhändler. Attenzione! Das Kopfkino schlägt jetzt Alarm und verwandelt das Wort Gebrauchtwagenhändler in Angst, Sorge und Misstrauen. Klar, ist mir auch so gegangen. Der Preis war in Ordnung, die Farbe hätte eine andere sein können, die Fakten stimmten. Also habe ich den Hörer genommen, habe angerufen und hatte Herrn Santirci am Apparat.

Ich habe ihm dann auf den Zahn gefühlt, weil ich wissen wollte, ob ich es mit einer ehrlichen Haut zu tun habe. Es ging hin. Es ging her. Ich stellte penetrante Fragen und diskutierte mit ihm das Serviceheft und Kilometerstände durch. Ich gebe zu, ich war ein wenig fordernd und habe auch Wert darauf gelegt, persönlich überzeugt zu werden. Herr Santirci war irgendwann ein wenig ungehalten, weil er das Gefühl nicht los wurde, ich würde ihm nicht vertrauen. Ganz genau so war das auch. Zunächst.

Die Wellen schlugen hoch, er sprach von dreißig Jahren und Ehrlichkeit und offenen Worten. Ich suchte ihn zu beruhigen. Er müsse mich verstehen, ich wolle nur wissen, ob er tatsächlich eine ehrliche Haut sei und ob ich ihm vertrauen könne. Denn: Gebrauchtwagenkauf ist fernab aller Fakten einfach Vertrauenssache. Ich möchte ein gutes Gefühl haben.

Er legte auf, weil er noch weitere Papiere aus dem Fahrzeug holen musste, er rief zurück. Ein großes Palaver. Wir kamen uns näher, der Ton wurde sanfter, das Vertrauen stieg. In mir. In ihm. Wir einigten uns, dass ich vorbeikommen würde. Am nächsten Tag. Essen. Was für ein wundersamer Zufall, wie habe ich mich gefreut. Geht doch, liebes Schicksal. Einfach mal mitgedacht und 1 und 1 zusammengezählt.

Also konnte ich statt des jährlichen Holzsägens für den Winter (das wäre am Samstag dran gewesen), nach Essen fahren. Zur Liebsten (die momentan im Blog namentlich nicht erwähnt werden möchte, was ich selbstverständlich respektiere. Klar, Logo.) Wir verbrachten also einen schönen Abend und fuhren am Samstag in der Früh zum Verkaufsplatz der Familie Santirci.

Dort geschah dann Wundersames. Wir betraten die heiligen Hallen. Das Büro. Funktionsmöbel, Rechner, ein Schreibtisch, hinter dem mein Gesprächspartner saß. 53 Jahre alt, seit 50 Jahren in Deutschland. Ich stellte mich vor. Sein Sohn fragte, ob wir gerne einen Kaffee trinken würden. Und wie. Wir waren zu früh gefahren, weshalb es keinen Adams Kaffee gab (erst am nächsten Tag). Ich hatte vor, mir unterwegs einen McDoof-Cappuccino (gar nicht so schlecht) zu gönnen, aber das gelbe M verweigerte mir ein in die Quere kommen. Nix. Also freute ich mich über das Angebot.

Herr Santirci zog die Augenbrauen hoch: “Ich wundere mich. Sie sind Herr Schönlau? Ich habe mich geirrt. Ich hätte Sie mir ganz anders vorgestellt. Eher so mit Anzug. Sie müssen wissen, ich versuche seit 20 Jahren, aus Menschen schlau zu werden. Sie zu lesen. Bei Ihnen, habe ich mich geirrt.” Ups.

Der Kaffee kam. Köstlich. Türkischer Mokka. Schwarz, tiefer Geschmack. Wir sahen uns in die Augen, lächelten, hatten Spaß an unserem kleinen psychologischen Spielchen. So isses. So saßen wir da, tranken Kaffee, sprachen über Wien, das osmanische Reich und allerlei anderes. Wir haben uns gut verstanden und ich habe mich wohl gefühlt in diesem schmucklosen Verkaufsraum eines Gebrauchtwagenhändlers, der so viel Wärme ausstrahlte. Ein guter Mensch, würde ich sagen.

Er gab uns die Schlüssel für den Wagen, wir fuhren eine Runde durch Essen. Wir kamen zurück, setzten uns wieder, erzählten. Verhandelten. Unterschrieben. Ich zahlte an. Ein gutes Auto in einem guten Zustand. Sehr gepflegt. Und: 4,2 Liter Verbrauch. Mit einem Auto kauft man sich Kosten. Die halte ich gerne niedrig, weil alles andere nicht wirklich Sinn macht. Die Freude am Fahren ist ein Mythos, den jede Autobahn killt. Egal. Ich bin sowieso weniger auf Straßen unterwegs als in Gedanken.

Wir verabschiedeten uns herzlich. Voller Respekt und Achtung füreinander. Wir gaben uns die Hand und das war der eigentliche Vertrag. Nun geht das Procedere seinen Weg. Heute hat er mich angerufen, dass der Wagen frisch getüvt ist. Morgen kommen die Papiere, dann klicke ich mich durch die Versicherungen, buche einen Termin beim Straßenverkehrsamt, lasse die Schilder drucken und kehre zurück. Hoffe auf einen guten Mokka und bin gespannt, was es noch zu erzählen gibt. Das könnte eine Menge sein, da bin ich mir sicher. Essen ruft. Verrückte Welt.

Schöne deutsche Einheit

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Wo wart ihr, als die Mauer fiel und die Einheit kam?

Gestern Abend bin ich mit Herrn Cooper noch einmal raus und über die Wiesen und Felder. Sonne genießen in Erwartung des heute einsetzenden Regens. Tag der deutschen Einheit. Damals. Ich hatte mich entschieden, nicht nach Berlin zu fahren, sondern aus der Eifel zurück nach Aachen. Wir saßen am Sonntagabend nach einem spektakulären Wochenende in einer Kneipe und redeten und redeten. Geisteswissenschaftler. Da kommen ein paar Worte und Meinungen zusammen.

Meine Hoffnung war es, dass aus der Einheit etwas Neues entstehen könne. So etwas wie ein gemeinsamer Neubeginn, eine Überarbeitung des Bestehenden, ein Diskurs, der schaut, was sich gemeinsam verändern, verbessern lässt.

Es kam anders. Übernahme und die Annahme der blühenden Landschaften. Der Osten wurde integriert, der Aufbau Ost gestartet, die Abwicklung der maroden DDR-Staatsunternehmen und nach wenigen Jahren war jedes Verkehrsschild der Deutschen Demokratischen Republik gegen ein westdeutsches Verkehrsschild ausgetauscht. Zurück blieben ein wenig Nostalgie, Rotkäppchen-Sekt und einige Retro-Elemente wie das Ampelmännchen, dass sich vermarkten ließ. Ach ja, klar, und der Zorn einiger. Rechtsradikale. Hoyerswerda. Herrje.

Wie groß hätte die Freude sein sollen? Ich meine, hey, so lange getrennt durch eine Mauer und dann das. Es gab ja auch die Verbrüderungsszenen und Mauerpartys. Tanzen auf dem Todesstreifen. Wahnsinn. Aber es gab auch diese “Zieht die Mauer wieder hoch”-Rufe und eine umfassende Skepsis. Pfiffe. 10. November 1989. Helmut Kohl redet vor dem Schöneberger Rathaus. Neben ihm Willy Brandt und Hans-Dietrich Genscher (Deutscher Außenminister der alten Schule). Während der Rede Pfiffe. Am Ende singen sie allein die Nationalhymne. Das war Fremdschämen am TV par excellence.

Nun haben wir einen Feiertag 3. Oktober, der an den Tag der Unterzeichnung des Einigungsvertrages erinnert. Wikipedia: “Der 3. Oktober wurde als Tag der Deutschen Einheit im Einigungsvertrag 1990 zum gesetzlichen Feiertag bestimmt. Als deutscher Nationalfeiertag erinnert er an das Wirksamwerden des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990, mit dem zum selben Zeitpunkt Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sowie Berlin als Ganzes Länder der Bundesrepublik Deutschland wurden und die Wiedervereinigung Deutschlands vollendet wurde.”

Jetzt sind wir 23 Jahre schlauer und Tag für Tag wird dieses geeinte Deutschland mehr Realität. Wird? Ja. So richtig ist Ost-West-Denken wohl immer noch nicht überwunden. Wessis, Ossis. Das braucht wohl noch eine Generation, bis das so ganz weg ist. Überheblichkeit einerseits, Stasimuff andererseits.

Es ist leider alles ein wenig kühl gelaufen. Unter anderem auch, weil die mutige Bürgerrechtsbewegung aus den Tagen der Nicolaikirche in den Mechanismen des Übergangs untergegangen ist. Der Aufbau Ost hat einfach ziemlich viel platt gemacht. So läuft Geschichte. Und wo anderswo Menschen sich die Überwindung von Trennung herbeisehnen (oder auch nicht), ist es bei uns mittlerweile eine banale Realität. So richtig gefeiert wird nicht, oder? Schade eigentlich. Eigentlich sollte das eine gute, große Party sein. Eine Einheit. Kommt vielleicht noch.

Zurück zum Tagesgeschäft. Es gibt viel zu tun…

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