Der wunderbare Kauf eines Gebrauchtwagens bei der Familie Santirci in Essen

Stunde der Wahrheit.

Die Karre is am Ende. Mein Plan war, es bis zum Ende zu schaffen. Januar 2014. Termin bei einem deutschen TÜV. Ciao, baby. Never. Klar, alt, rostig, leckt wie Sau. Ich meine. Ja. Was soll ich sagen? So isses. Irgendwann kommt die Inkontinenz. Auch Autos tröpfeln. Was will man machen.

Wenn man auf dem Land wohnt, braucht man diese Karren. Da führt kein Weg dran vorbei. Ganz einfach, weil keine U-Bahnen fahren, jeder Rad-Trip zum Aufstieg Alpe d’Huez wird (wo bekanntlich ohne ein gutes, feines Blutdoping nix läuft, ne Jan, Lance, Dr. Fuentes – und wer will das schon, ich komme noch nicht einmal zum Blutspenden, was viel sinnvoller wäre) und die Mindestetappe zum nächsten Ziel liegt so im zehn Kilometer-Bereich. Mal eben… Geht einfach nicht.

Deshalb haben wir zwei Autos. Einer ist jobmäßig unterwegs oder fährt wie ich zur Arbeit, der andere ist Chauffeur und Fahrer mit besonderen Aufgaben. Vom Schulbus abholen, Einkaufen fahren, Klavier, Hipp-Hopp, kein Bus fährt mehr, Freunde besuchen. All so’n Kram. Da kommt ganz schön was zusammen.

Bei meinem Pferd, das mittlerweile ein alter Gaul ist, steht die Uhr bei 310.000 Kilometern. Nun brauche ich aber ein Fahrzeug, auf das ich mich verlassen kann und das nicht dauernd in der Werkstatt steht (was mein Schätzchen tatsächlich nicht gemacht hat, außer ab und an).

Lange Rede, kurzer Sinn. Samstag habe ich einen neuen Gebrauchten gekauft. Einen kleineren mit noch weniger Spritverbrauch. 4,2 Liter Diesel, heißt es. Wäre O.K. Mir ist tatsächlich geringerer Spritverbrauch wichtiger als todschick. Is mir egal. Die Kiste soll fahren (O.K., klar. Hätte ich die Kohle, könnte es auch… Mann. Hubraum lässt sich nur durch Hubraum ersetzen).

Also habe ich das Orakel befragt. Liebes Internet, was hast du für mich. Die Firma mobile machte mir einige Vorschläge, aber ich haderte und zögerte. Bis kürzlich. Da fing mein guter Wagen an zu dampfen. Wie so eine Heißmangel. Vorne raus wie Atem an kalten Tagen. Die Folge: Ich muss jetzt regelmäßig Wasser nachfüllen. Oder die Wasserpumpe samt Dichtung austauschen. Da läuft so ein kleines Rinnsal, wie ich heute entdeckt habe…

Hab ja sonst nichts zu tun. Komisches Gefühl, wenn man sich da in so eine Autoschlange einreiht und die Karre unterm Popo dampft wie ein Feuerdrache. Ist noch genügend Wasser drin oder sagen gleich die roten Lampen, dass ein Boxenstopp angesagt ist? Ein Fall für die gelben Engel? Holt mich hier raus! Macht weder wirklich Spaß noch Sinn. Und es lohnt sich nicht wirklich, noch Zeit und Muße und Geld in eine Reparatur zu stecken (da wäre einiges fällig. Zum Beispiel der linke Kotflügel, der zaubern kann. Der hat Metallic-Blau in Rostbraun verwandelt. Echt.)

Ich bin aktiv geworden. Und? Ihr glaubt es nicht, aber das Schicksal führte mich nach Essen zu einem türkischen Gebrauchtwagenhändler. Attenzione! Das Kopfkino schlägt jetzt Alarm und verwandelt das Wort Gebrauchtwagenhändler in Angst, Sorge und Misstrauen. Klar, ist mir auch so gegangen. Der Preis war in Ordnung, die Farbe hätte eine andere sein können, die Fakten stimmten. Also habe ich den Hörer genommen, habe angerufen und hatte Herrn Santirci am Apparat.

Ich habe ihm dann auf den Zahn gefühlt, weil ich wissen wollte, ob ich es mit einer ehrlichen Haut zu tun habe. Es ging hin. Es ging her. Ich stellte penetrante Fragen und diskutierte mit ihm das Serviceheft und Kilometerstände durch. Ich gebe zu, ich war ein wenig fordernd und habe auch Wert darauf gelegt, persönlich überzeugt zu werden. Herr Santirci war irgendwann ein wenig ungehalten, weil er das Gefühl nicht los wurde, ich würde ihm nicht vertrauen. Ganz genau so war das auch. Zunächst.

Die Wellen schlugen hoch, er sprach von dreißig Jahren und Ehrlichkeit und offenen Worten. Ich suchte ihn zu beruhigen. Er müsse mich verstehen, ich wolle nur wissen, ob er tatsächlich eine ehrliche Haut sei und ob ich ihm vertrauen könne. Denn: Gebrauchtwagenkauf ist fernab aller Fakten einfach Vertrauenssache. Ich möchte ein gutes Gefühl haben.

Er legte auf, weil er noch weitere Papiere aus dem Fahrzeug holen musste, er rief zurück. Ein großes Palaver. Wir kamen uns näher, der Ton wurde sanfter, das Vertrauen stieg. In mir. In ihm. Wir einigten uns, dass ich vorbeikommen würde. Am nächsten Tag. Essen. Was für ein wundersamer Zufall, wie habe ich mich gefreut. Geht doch, liebes Schicksal. Einfach mal mitgedacht und 1 und 1 zusammengezählt.

Also konnte ich statt des jährlichen Holzsägens für den Winter (das wäre am Samstag dran gewesen), nach Essen fahren. Zur Liebsten (die momentan im Blog namentlich nicht erwähnt werden möchte, was ich selbstverständlich respektiere. Klar, Logo.) Wir verbrachten also einen schönen Abend und fuhren am Samstag in der Früh zum Verkaufsplatz der Familie Santirci.

Dort geschah dann Wundersames. Wir betraten die heiligen Hallen. Das Büro. Funktionsmöbel, Rechner, ein Schreibtisch, hinter dem mein Gesprächspartner saß. 53 Jahre alt, seit 50 Jahren in Deutschland. Ich stellte mich vor. Sein Sohn fragte, ob wir gerne einen Kaffee trinken würden. Und wie. Wir waren zu früh gefahren, weshalb es keinen Adams Kaffee gab (erst am nächsten Tag). Ich hatte vor, mir unterwegs einen McDoof-Cappuccino (gar nicht so schlecht) zu gönnen, aber das gelbe M verweigerte mir ein in die Quere kommen. Nix. Also freute ich mich über das Angebot.

Herr Santirci zog die Augenbrauen hoch: „Ich wundere mich. Sie sind Herr Schönlau? Ich habe mich geirrt. Ich hätte Sie mir ganz anders vorgestellt. Eher so mit Anzug. Sie müssen wissen, ich versuche seit 20 Jahren, aus Menschen schlau zu werden. Sie zu lesen. Bei Ihnen, habe ich mich geirrt.“ Ups.

Der Kaffee kam. Köstlich. Türkischer Mokka. Schwarz, tiefer Geschmack. Wir sahen uns in die Augen, lächelten, hatten Spaß an unserem kleinen psychologischen Spielchen. So isses. So saßen wir da, tranken Kaffee, sprachen über Wien, das osmanische Reich und allerlei anderes. Wir haben uns gut verstanden und ich habe mich wohl gefühlt in diesem schmucklosen Verkaufsraum eines Gebrauchtwagenhändlers, der so viel Wärme ausstrahlte. Ein guter Mensch, würde ich sagen.

Er gab uns die Schlüssel für den Wagen, wir fuhren eine Runde durch Essen. Wir kamen zurück, setzten uns wieder, erzählten. Verhandelten. Unterschrieben. Ich zahlte an. Ein gutes Auto in einem guten Zustand. Sehr gepflegt. Und: 4,2 Liter Verbrauch. Mit einem Auto kauft man sich Kosten. Die halte ich gerne niedrig, weil alles andere nicht wirklich Sinn macht. Die Freude am Fahren ist ein Mythos, den jede Autobahn killt. Egal. Ich bin sowieso weniger auf Straßen unterwegs als in Gedanken.

Wir verabschiedeten uns herzlich. Voller Respekt und Achtung füreinander. Wir gaben uns die Hand und das war der eigentliche Vertrag. Nun geht das Procedere seinen Weg. Heute hat er mich angerufen, dass der Wagen frisch getüvt ist. Morgen kommen die Papiere, dann klicke ich mich durch die Versicherungen, buche einen Termin beim Straßenverkehrsamt, lasse die Schilder drucken und kehre zurück. Hoffe auf einen guten Mokka und bin gespannt, was es noch zu erzählen gibt. Das könnte eine Menge sein, da bin ich mir sicher. Essen ruft. Verrückte Welt.

4 Antworten auf „Der wunderbare Kauf eines Gebrauchtwagens bei der Familie Santirci in Essen“

  1. Hallo Jens,

    mit Deinem wunderbaren Bericht schmeckte der heiße Tee noch mal so gut. Ja, Autokauf ist Vertrauenssache. Unser Autochen haben wir von unserer vertrauten Werkstatt. Das alte Autochen kam nach 19 Jahren nicht mehr über den TÜV. Und ohne fahrbahren Untersatz steht man eben schlecht da. Der Chef hatte gerade ein Auto reinbekommen, das er uns anbieten konnte. Meiner Tochter, gerade Führerscheinbesitzerin geworden, war begeistert. Ich etwas weniger. Nach 21 Jahren Automatik war Schaltwagen angesagt. Und die Quetschkiste war – obwohl es das gleiche Modell war – im Innenraum ein wenig geschrumpft. Nun gut, ich habe mich an das neue Autochen gewöhnt.

    Ich hoffe, daß Dich Dein neues Auto lange Zeit begleiten wird.

    LG
    Annegret

    1. Hi Annegret,

      danke. Die Sache mit den Autos ist schon… Tja. Brauch man. Hier, heute, wo man keine Pferde mehr hat. Hauptsache, es läuft. Auf der Straße, im Leben:)

      Liebe Grüße und allzeit gute Fahrt

      Jens

  2. Lieber Jens,

    netter Bericht, aber ich muss doch auf die Sache mit der Inkontinenz ansprechen, nein so geht das gar nicht. Inkontinenz tztztztz…. Sag nicht Dein altes Auto hat genießt und dabei … na aber … hm hm hm .
    Hätteste mal mit Deinem Alten besser trainieren müssen, Boden, Beckenbodentraining nennt man das….
    Nix für ungut, alles Gute zu Deinem Neuen und toi, toi, toi, auf dass er lange fahren tut!

    Herzliche Grüße
    Gitta

    1. Hi Gitta,

      was glaubst du, wie die 310 TKM zusammengekommen sind? Ständiges Training. Aber, tja, hilft nix. Tropft halt. Hoffen wir mal, dass er das lange macht, das mit dem Fahren.

      Liebe Grüße

      Jens

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert