Tanzen, lieben, sterben mit Romeo & Julia in Köln

Es war schön, in Köln viel zu früh anzukommen, um Viveka zu treffen, die dann doch noch einmal weg musste. Also habe ich mir die Nikon geschnappt und habe mich auf den Weg gemacht. Über das Gelände des Carlswerks, auf dem früher einmal Kabel fabriziert wurden. Heute residiert hier übergangsweise das Schauspiel Köln. Im Depot. Wahrscheinlich werden dort sonst die Bühnenbilder und die Ausstattung aufbewahrt, nun ist es der Ort des Geschehens. Bis das neue Schauspielhaus aus Ruinen auferstanden ist.

An diesem Abend wohnen dort Romeo und Julia. Wir befinden uns in der tiefen Vergangenheit Italiens, in Verona und stehen als Zuschauer zwischen den Fronten. Für die Montagues auf der einen Seite? Oder doch für die Capulets?

Wie geht man mit solch altem Stoff um? Was macht man mit dem Klassiker der Klassiker auf der Bühne? Ich war gespannt. Das Programmheft und meine ersten Blicke ins Netz hatten schon ein wenig vom Bühnenbild und den Kostümen gezeigt. Modern, wie es dann so heißt. Was ja nun zunächst nichts heißt. Wer möchte schon Shakespeare im Pumphosen.

Das Saallicht ist noch an, der Vorhang geschlossen, Musik dahinter. Der Vorhang öffnet sich und gibt den Blick frei auf einen Maskenball, wie er im Amnesia auf Ibiza stattfinden könnte. Die Bühne besteht aus Glasboxen, die sich über Türen und Drehtüren öffnen und verändern lassen. Das Glas zeigt das ganze Geschehen. Anfangs hat jeder seine Box. Mal sind die Türen geschlossen und die Stimmen dringen nur über Mikros nach draußen, mal geben sie den Weg frei, um vorne an der Rampe zu spielen.

Wir haben im Stück einiges übersprungen und stürzen uns in das Aufeinandertreffen Romeos und Julias auf dem Kostümball der Capulets. Es wird getanzt. Wild, zeitgemäß, stilvoll. Julias Mutter heizt ein, ist die anfeuernde Gastgeberin. Ein fantastisches Tableau, das lange steht und dem man gerne zuschaut. Eher eine Performance als ein Schauspiel. Schönes Licht, gute Musik, ein spannendes Bild zum Auftakt. Das Ensemble tanzt ziemlich gut. Ich hätte noch lange zusehen können und hätte es einfach als Ballett genommen. Aber wird sind ja erst im zweiten Akt.

Die Geschichte nimmt ihren Lauf. Romeo und Julia. Liebe auf den ersten Blick. Der Zwist der Familien, ein rasender Tybalt, ein erschlagener Mercutio und bald darauf ein erschlagener Tybalt. Was für ein Drama. Rasant gespielt, fesselnde Kampfszenen. Theater, Theater.

Und immer wieder schöne Bilder und Szenen. Die wunderbar gespielte Amme (Sabine Waibel) im Gespräch mit Bruder Lorenzo (Benjamin Höppner). Erst sprechen sie, dann unterhalten sie sich in Zitaten und dann in Songs. Purple Rain. Depeche Mode. Lust am Spiel. Es waren sicherlich muntere Proben. Viel durfte, viel ist geblieben. Es ist schön, wenn Schauspieler dürfen.

Der zarte Moment. Die Balkonszene. So schön gespielt, fein gesprochen. Die Nachtigall. Die Lerche. Zwischen den Zeiten, zwischen den Stühlen. Wollen, dürfen, können. Gehen, bleiben, fliehen. Im Hintergrund nur ein säuselndes Liebespaarknäuel. In einer der Glaskabinen ineinander versunken. Wenn doch nur die Liebe immer die Oberhand behielte. Wenn sie doch die Kraft hätte, all das andere hinweg zu wischen. Wie könnten die beiden in den Sonnenaufgang gehen und die Welt mit Anmut bezaubern.

Wäre da nicht diese Welt. Wären da nicht diese Vorstellungen. Ein Montague? EIN MONTAGUE? Mitnichten. Die Mutter, Julias Mutter, einen Vater gibt es in der schön reduzierten Fassung nicht, hat andere Pläne. Paris soll es sein. Julias Gatte werden. Wo sie doch schon heimlich geheiratet. Romeo, der aus Verona verbannt ist. Hätte er Tybalt in seiner Raserei doch nicht erschlagen…

Ying und Yang. Die Liebe und die Rache vereint sind keine gute Rezeptur. Aber wem sagt man das 2017. Menschen. Es ist ein hin und her. Viel los auf der Bühne. Irgendwo ein Monolog, ein Dialog. Darüber, dahinter, daneben die anderen. Ein wildes Treiben. In einer Szene erheben sich die zerschlagenen Körper von Mercutio und Tybald. Zu Geistern werden sie, die im Raum sind. Zu Boten des Unheils, die im Spiel ihre Bahnen ziehen. Blut ist geflossen, die weiße Weste ist gefärbt. Es macht viel Spaß, dem allen zuzusehen. Romeo und Julia ist gute Unterhaltung. Bei Shakespeare im Buch und an diesem Abend auf der Bühne des Schauspiels Köln.

Es ist bekannt, am Ende ist das Liebespaar gestorben. Auch den Paris rafft es dahin. Die Mutter bleibt, die stark aufspielende Yvon Jansen, die kalt und warm und herrisch und besessen und mütterlich kann. Am Ende gab es viel Applaus für das Ensemble, für Romeo & Julia, für Thomas Brandt und Kristin Steffen, die auch im Verneigen nicht voneinander lassen konnten. So hat die Liebe doch gewonnen, denn der letzte Vorhang ist auch nur eine Vorstellung.

Saturday Night in Köln

Samstagnacht in Köln. Wir wollten uns mit Barbara und Norbert treffen. Eigentlich hier in Mühlhausen, aber die Wochenenden bei Künstlerfreunden sind rar. Auftritte, Jobs. So haben wir uns im Belgischen Viertel verabredet. In der Malschule Reinkarnation. Ein Auftritt von Barbara und Doris mit ihrem Programm Interstellar. Gerne. Immer wieder gerne.

Wir konnten in Barbaras Wohnung schlafen. Von dort haben wir uns am frühen Abend aufgemacht. Von Deutz an den Rhein auf die gegenüberliegende Seite des Doms. Die Sonne ging unter, die Betonstufen am Ufer waren voller Menschen. Es war warm im Oktober, ein Wettergeschenk, eine Sommerverlängerung.

Dort saßen wir und schauten wie alle. Dann machten wir uns auf den Weg. Über die Kaiser-Wilhelm-Brücke quer durch die Stadt ins belgische Viertel. Der Auftritt. Wir kamen zu spät. Ich hatte die Einladung falsch gelesen. 19.30 statt 19.00. Ohne Brille. Egal. Wir sahen, hörten das Ende und tauchten ein, halfen beim Abbau, verstauten die Bühne im Kombi und ergatterten einen Tisch draußen in einer Pizzeria. Aßen, tranken, lachten, lebten Köln. So schön. Mit Doris und Martin, Norbert kam später aus Düsseldorf und irgendwann fanden wir uns tanzend in der Wohngemeinschaft wieder. In der Bar zum Hotel, in dem Viveka und ich früher einmal im Fotografenzimmer übernachtet hatten. Wir tanzten und irgendwann war es 5 Uhr morgens. Wie die Zeit vergeht. Und wir machten uns auf den Weg nach Deutz. Mit niemandem bin ich so gerne unterwegs wie mit Viveka. Schlendern, schauen, staunen, lachen. Um 05:40 Uhr im Bett. Glücklich. Kölner Nächte.

Der wunderbar wundersame Peer Gynt am Schauspiel Köln

Ach, was für ein schöner Abend! So erfrischend, so theatrig, so ein schönes Schauspiel voller Bilder, Sprache, Musik, Bühne, Kostüme.

Lange nicht mehr war ich im Theater. Die Aufführungen in der Waldorfschule meiner Kinder. Klassenspiele. Berührend. Aber in einem Stadttheater? Ich weiß nicht, wann zuletzt. Ich hatte mich nach meiner Zeit als Regieassistent am Nationaltheater in Mannheim entfremdet. War von Hans-Ulrich Becker zu Wally Bockmayer gewechselt und bin dann irgendwann in die Werbung.

Aber das Gefühl habe ich nie verloren. Die Sehnsucht auch nicht. Wenn das Saallicht ausgeht, der Vorhang langsam den Blick frei gibt und der Beleuchter die Lichtstimmung 1 hochfährt. Peer Gynt. Gespielt von einem 8-köpfigen Männerensemble unter der Regie des Intendanten Stefan Bachmann. Die schlichte Bühne mit großem, schrägem Drehkreis in der Mitte von Olaf Altmann und die Kostüme von Jana Findeklee und Jogi Tewes.

Acht Männer auf der Bühne. Jörg Ratjen, Nicolas-Frederick Djuren, Marek Harloff, Niklas Kohrt, Justus Maier, Max Mayer, Seán McDonagh, Peter Miklusz. Sieben plus Peer Gynt (Jörg Ratjen). Die Sieben spielen alle Rollen des Stücks. Sie sind Trolle mit langen Penissen, die Geliebte, ertrinkende Seemänner, Verrückte, Sklavinnen, Dorfbewohner, ein Geist, eine Braut, ein Schmied und einiges mehr.

Was ist das überhaupt für ein Stück? Eine Traumwelt, eine Abenteuerromanze, ein Märchen. Egal. Zu Beginn betritt Peers Mutter die Bühne. Ein Mann im grob-grünen Strickkleid. Sie stemmt ihre gespreizten Beine gegen die Wand der hohen Seite der Drehbühne und gibt sich ihren Wehen hin. Oben auf der Bühne erscheint Peer Gynt im babyblauen Strickanzug. Ibsen ist Norweger, die Kostüme sind gestrickt. Nicht im klassischen Muster, aber mit grober Nadel. Teils.

Die Reise beginnt. Peer fantasiert und lügt sich durch das Leben. Wird begehrt und ausgestoßen, verachtet und geliebt. Er will sein Ich entdecken, er will frei sein, er will lieben. Solvejg, das Mädchen aus seinem Dorf. Die Einzige, für die er neben seiner Mutter empfindet.

Fast drei Stunden dauert das Stück. Das kann im Theater lang werden. Wenn es nicht gut läuft sogar sehr lang. Das ist an diesem Abend nicht der Fall. Die Männer spielen um ihr Leben. Gehen tief in ihre Rollen, werden von einem maximal präsenten Gynt mitgezogen und geben alles. Die Trollfrau im grünen, gestrickten Tanga-Bikini. Wie eine Elfe über die Schräge der Drehbühne tanzend. Sich Peer im Geschlechtsakt hingebend. Später wird sie ihm einen Sohn gebären. Peer könnte im Reich der Trolle aufgenommen werden und entsprechend der Losung “Troll, sei dir selbst genug!” leben. Vielleicht sogar glücklich werden.

Es ist der Kampf um dieses Glück. Dieses eigene Glück zwischen Peer Gynts Fantasie und der Wirklichkeit der Welt. Jörg Ratjen spielt das wunderbar eindrucksvoll. Nuanciert zwischen Wut, Trauer, Verzweiflung, purer Lust, Angst und kindlicher Naivität. Es ist ein stilles Glück, ihm vom Zuschauerraum aus zusehen zu dürfen. Dieses Theater in diesen Zeiten. Diese gleichbleibende, fortwährende Faszination. Man könnte denken, das analoge Spiel auf der Bühne sei ein Anachronismus. Ist es nicht. Weil es um den Menschen geht. Um das Reflektieren des Menschseins. Ganz besonders in dieser Inszenierung.

Man leidet mit. Als die Mutter stirbt. Peer war lange weg, war reich geworden und wieder arm, hatte Amerika bereist und Marokko, war in der Irrenanstalt gelandet, war dort zum Kaiser aufgestiegen, hatte nach Gold gesucht und wurde auf dem Weg in die Heimat ein Schiffbrüchiger, der mit Geistern kämpft. Ein Stehaufmännchen. Einer, der sich die Schlinge um den Kopf legt, um ihn dann irgendwie wieder herauszuziehen. Durchgehend konfrontiert mit den Wirren der Welt. Und doch so voller Gefühl. Seine Mutter stirbt und er ergeht sich in Hoffnung. Als sie schon reglos hinter ihm liegt, spricht er weiter von Zukunft. Er will nicht. Er will die Dinge nicht wahr haben. Will sich der Realität auf keinen Fall stellen. So ist es ein Gag am Rande, dass seine weißblonde Perücke irgendwie auch an die Haare dieses amerikanischen Präsidenten erinnert. Peer Gynt ist ein Meister der “alternativen Wahrheit”. Als er sich von seiner Mutter dann doch verabschiedet und sie am Fuße der Drehbühne langsam aus dem Geschehen herausfährt, entsteht eines der schönsten Bilder dieser Inszenierung.

Und es sind viele schöne Bilder. Sehr schöne Bilder. Als das Schiff untergeht, rollen die ertrinkenden Matrosen im schummrigen Licht über die sich bewegende Schräge der Bühne. Poetik. Ästhetik. Ich staunte wie ein Kind. Diese Vorstellung hat auch etwas von Zirkus. Die acht Männer in ihren skurrilen Kostümen und Bewegungen. Ein wenig auch ein Schaubunden-Theater der Skurrilitäten. Das macht sehr viel Spaß. Das ist frech, lebendig. So wie die Sprache, in die immer wieder Begriffe der Jetztzeit eingeflochten sind, um die Ibsenschen Reime zu durchbrechen.

So viele Bilder noch in meinem Kopf. Die Sklavinnen mit den Peitschen, der reiche Peer mit seinen Doppelgängern hoch oben am Bühnenrand, der heranschleichende Tod mit der riesigen Suppenkelle, der Freudsche Irrenarzt und seine wahnsinnigen Insassen (darunter ein Albert Einstein), die singenden, schreienden Matrosen oben am Bug, die weggejagte Braut im weißen Kleid, der hausbauende Gynt mit der Axt, die Trolle in Strickhöschen, die von hoch oben gesprochene Predigt des Pfarrers, die erblindete Solvejg, die ihren lange ersehnten Peer im Schoß wiegt. Und, und, und. All das in einer Atmosphäre aus stimmigem Licht und passender Musik. Nicht Grieg, Beatles und Co. Passend. Berührend. Wie die ganze wunderbar wundersame Vorstellung, die ausverkauft war. Ein starkes Schauspiel in einer starken Inszenierung. Draußen in Mülheim am richtigen Ort.

INTERSTELLAR 2 2 7 und die SUPERNOVA in Köln

“Eine Supernova (Plural Supernovæ, eingedeutscht Supernovae oder Supernovä) ist das kurzzeitige, helle Aufleuchten eines massereichen Sterns am Ende seiner Lebenszeit durch eine Explosion, bei der der ursprüngliche Stern selbst vernichtet wird. Die Leuchtkraft des Sterns nimmt dabei millionen- bis milliardenfach zu, er wird für kurze Zeit so hell wie eine ganze Galaxie.”

Muss man dann auch nochmal nachlesen im Wiki. Und INTERSTELLAR ist die Sache mit irgendwo zwischen den Sternen. Flieger, grüß mir die Sonne, grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond. Nehmen wir die Ingredienzen und packen sie in den Mixer und drücken PUSH. ZACK. Aus der kleinen Schublade unten ziehen wir die Summe unserer Sehnsüchte des Moments.

Können wir Kunst ohne das betrachten, das um uns herum geschieht? NRW-Landtagswahl, old Mc Donald Trump, Syrien. Zwischen den Sternen, im Raum. Leben und Wirken in 3D. Der Himmel über uns, die Sterne so weit. “Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.” Die Träume kehren zurück und landen hart auf dem Boden der Tatsache. Wenn die Zeiten verwaltet werden, wenn die Hoffnung darin liegt, dass es irgendwann einmal wieder andere Schlagzeilen gibt. Leben im Postideologischen. Vakuum im Denken. Fokussierung des Materiellen. Make irgendeinen Scheiß great again.

Theater der Keller in Köln. Es geht einige Stufen hinunter an der Bar vorbei, an der wir die vorbestellten Karten abholen. Wenn ich nach all den Jahren Theater betrete, kehrt dieses alte Raum-Zeit-Gefühl zurück, die tiefer gelegten Erinnerungen. Das Luftflimmern der Premierenabende. Alle sind da. Die Freunde, die Kunstliebenden, die sich auf das Abheben in andere Welten freuen. Den Countdown in sich tragen, die Bereitschaft, die Atmosphäre zu verlassen und gegebenenfalls beim Wiedereintritt zu verglühen.

Die erste Reihe ist bedenklich frei, als ob es um die Platzverteilung am ersten Tag nach den Sommerferien geht. Nun. Weshalb nicht. Direkt rein, mittendrin, eintauchen. Die Lichter gehen aus, es wird dunkel. Die vielverheißenden Bühnenrequisiten verschwinden im Nachthimmel. INTERSTELLAR, oben die langsam aufleuchtenden Sterne des Theaterhimmels. Barbara Schachtner betritt den Raum. Im Sternengewand. Weite weiße Bluse, später eine Videoleinwand, silberne Hose, rote Augenbrauen, ein Notenblatt auf den Rücken geheftet, auf dem die kleinen bekannten runden Kreise fehlen. Irgendwie sind es andere Zeichen. Neue Musik. Wir sind in einem anderen Universum. Dorrit Bauerecker betritt den Raum. Kastagnetten klacken, Absätze. Pfeiftöne, Mundlaute. Minimalismus, jeder Ton zählt.

Die beiden sind das, was man Vollblutmusikerinnen nennen könnte. Dazu sind sie Schauspielerinnen, Freundinnen, Video- und Performancekünstlerinnen, die sich im Raum bewegen, tanzen, und Frauen, die künstlerisch Neuland betreten. Zu den Sternen fliegen. Sich nicht auf das Bestehende verlassen, das Bestehende nutzen, um Gas zu geben.

Und so geschieht an diesem Abend alles auf der Bühne. Die Sinne sämtlich bekommen ihre Goodies und dürfen sich im Raum fallen lassen. In immer neuen Konstellationen und starken Bildern entfaltet sich das Geschehen. Die SUPERNOVA in Bild und Klang. Konzert, Performance, Rauminstallation. Vieles könnte man in Skulpturen einfrieren. Loops sind zu hören, Stimmen. Barbara dreht sich mit Dorrits kleinem Klavier in den Armen und Dorrit spielt darauf. Planeten kreisen umeinander. Ein riesiger Lampenreflektor wird zum grün erleuchteten Singrohr, in dem Barbaras Gesicht und Stimme erscheinen. Die Sonne im Raum, die SUPERNOVA, eine der SUPERNOVAS des Abends. Alles ist sehr dicht, kompakt inszeniert. Zum Klang kommt noch ein Bild, noch ein Licht, noch eine Bewegung, noch ein Miteinander.

Es ist ein tolles Licht, es sind faszinierende Bilder, es sind neue Kompositionen und Lieder. Die Reise durchs All dauert die Minuten über eine Stunde hinaus lang. Dichte Minuten in immer neuen interstellaren Klanginstallationen. Die Melodika wird zum Klavier. Barbara sorgt mit einer großen Luftpumpe für den nötigen Atem, Dorrit spielt. Sie spielen, die beiden. Mit dem Klavier, dem Keyboard, dem Mini-Klavier, mit den Stimmen, mit allem. Mit dem rauschenden Radio auf der Steele. Die Zackbox mit den leuchtenden Lampen. Im Zusammenspiel und Zusammenklang sind es die Kompositionen der Zeit, die Geräusche unseres Lebens, eine Reflexion des Gegebenen.

Zwischendurch sehe ich Dorrit ein Notenblatt zur Seite legen. Ich weiß nicht, wen oder was die beiden spielen. Es ist nicht wichtig, es sind nicht die Namen. Haydn & Co. KG. Es ist der Mut, der Zeit vorauszueilen, das ganz Eigene zu machen. Das nie zuvor Dagewesene. Im interstellaren Raum sind es nicht die Interpretationen, es sind die neuen Begegnungen. Das ist das Inspirierende.

Am Ende das Lied, in dem es darum geht, das zu tun, was man liebt. Ein Universum, in dem mehr Supernovas aufleuchten bis zum Verglühen.

Wir konnten dann noch den Abend gemeinsam verbringen. Die Bühne aufräumen, INTERSTELLAR 2 2 7 für die folgende Tournee in Autos räumen, Premierenfeier im Foyer, weiter in ein Restaurant… Ein beseelter Abend. Ein weiteres Stück Interstellar auch in mir. Das ist gut.

Barbara Schachtner: Stimme, Gesang, Looper, Video
Dorrit Bauerecker: Klavier, Akkordeon, Toypiano, Melodika
Sandra Reitmayer (Regie), Sabine Seume (Coaching in Choreographie), Norbert van Ackeren (Bühnenausstattung)

Im Rausch der Kunst

Fanta

Für Viveka!
(Die meint, ich würde zu wenig bloggen.)

Manchmal finden Dinge zusammen. Kulminieren. Manchmal ist es fast zu viel. Für einen Moment, eine Stunde, einen Tag. In diesem Fall eine Nacht.

Es ist einige Zeit her. Tatsächlich mag ich nicht nachdenken, wann. Vor einer Woche? Vor zwei Wochen? Egal. Köln. Viveka, Zoe und ich waren auf dem Weg zu meinem Bruder und meiner Mutter in die Eifel. Wir waren für samstags verabredet. Freitags waren Viveka und ich in Köln eingeladen. Ich habe Jens gefragt, ob wir seine Wohnung haben können. Bin ich am Wochenende nicht in Nosbach, ist er dort und seine Wohung in Köln ist frei. Praktisch. Und er ist einfach sehr nett und unkompliziert. So konnten wir dort schlafen und Barbaras Einladung zu ihrer Geburtstagsfeier annehmen.

Südstadt. Eine Bar, ein Club, ein Musikkeller. Was auch immer. Barbara Schachtner. Ich erwähne das, weil in diesem Text einige Namen erscheinen werden. In etwa so wie in einem russischen Roman. Ihr könnt schon einmal die Ohren anlegen und mitzählen.

Am gleichen Abend lief eine Vernissage in der wunderbaren Galerie des Sebastian Linnerz. Könnt ihr euch erinnern? Dort war ich auf Graham Foster gestoßen. Zeichnungen, Installationen, Arrangements. Dieses Mal wurden Fotos von Martin Classen ausgestellt. Der Rheinauhafen davor. Als die Kaufpreise für einen Quadratmeter noch nicht 8.000 € betrugen. Als die Podolskis dieser Welt den Menschen noch nicht von ihren Balkonen auf den Kopf spucken konnten. Gut. Das war anders. Lassen wir das mit dem Werten. Es gibt andere Probleme von größerer Bedeutung. Es ist einfach eine Geschmacksfrage.

Die Ausstellung läuft, die Fotografien sind schön, der Besuch lohnt sich. Wegen der Kunst, wegen der Nettigkeit des Gastgebers, wegen des Themas. Infos, Öffnungszeiten: Sebastian Linnerz – plus Raum für Bilder.

Tja, und kaum standen wir dort, trafen wir Helga Mols und David Grasekamp. Am Wochenende zuvor hatten wir einen intensiven Nachmittag in ihrem Atelierhaus. Helga hatte zur Ausstellung “Baumstücke” geladen. Was dort alles geschehen ist an einem kurzen Nachmittag, was es zu sehen gab, weshalb sie mir eine Zeichnung geschenkt hat, später. In einem anderen Beitrag.

Füße

Helga und Davids Kunstweg begleite ich, mit ein wenig Distanz, nun seit einigen Jahren. Es ist schön, Entwicklungen mitzuerleben. Zu sehen, wie sich die Dinge fügen, wie Themen entstehen, in sich gewinnen, Fahrt aufnehmen, lebendig werden. Dieses Atelierhaus hat nach vielen, vielen Jahren des künstlerischen Schaffens eine Magie. Das rote Holzhaus an der Agger atmet. Farbe. Gesichter, Waffen, Blumen, Zweige, Tupfer, Sprenkel auf Leinwand. Öl.

Ich ging in der Galerie umher. Kam in das Arbeitszimmer von Sebastian, der dort mit einem Mann stand. “Jens, darf ich dir Boris Becker vorstellen.” Mein Hirn arbeitete. Herrje. Namen. Etwas war da. Boris Becker. JA! Overath. Die Ausstellung im Kulturbahnhof, in der Helga und David ihre gemeinsame Arbeit ausgestellt hatten. Eine Aktion – “wir schenken der Stadt ein Museum”.

Fotografien. Zwei Stück. Exponiert ausgestellt. Inszeniert. Präsentiert. Jim und ich hatten lange davor gestanden. Der Boris Becker. Ich hatte seinerzeit über die beiden Arbeiten bloggen wollen, traute mich aber nicht, meine Fotos der Fotografien zu veröffentlichen. Urheberrecht. Man darf Fotos der Arbeiten nur so lange zeigen, wie die Ausstellung läuft. Ich habe keinen Bock auf diesen Mist und Anwälte und Abmahnungen und weiß der Teufel. Schweren Herzens hatte ich verzichtet, obwohl ich viel schreiben wollte. Die haben mich echt getroffen. Bang! Bautz! Tja. Und dann: Boris Becker himself.

“Fotografierst du?” “Ja” “Hast du zwei Arbeiten im Overather Kulturbahnhof ausgestellt?” “Nein, äh,doch!” Tja. Der Spiegel schreibt etwas von einem der bedeutendsten Fotokünstler Deutschlands. Einer der Besten, ist da zu lesen. Hat wie Gursky bei den Bechers in Düsseldorf studiert. Und seither Geschichte geschrieben. Verkürzt gesagt. Im nächsten Jahr stellt er im Landesmuseum Bonn aus. Ich bin dabei. Also schaue zu. Hin. Fahre hin, schaue sie mir an, die Bilder, die Ausstellung. Was für ein Gestammel wegen des großen Namens, Schönlau. Lande mal, wie Frau Beckmann sagen würde. Gut, gut.

Seine Arbeiten, über die ich nicht geschrieben habe, stammen aus der Serie Total Desaster. Sehr realistisch. Eine Küche, eine Hausrückwand. Jeweils voller Gegenstände, Details, Geschichten, Vermutungen, Anmutungen. Er hat erzählt, dass die Laboranten bei der Arbeit an “Grünwald, 2012”, an dem Küchenbild, Profiling betrieben haben. “Das muss ein älterer Mann sein, der da wohnt, wegen der Medikamente, und er hat ein Kind und ist Künstler. Und…” Ja, meinte Becker, stimmt. Geschichten, die das Leben erzählt. Wir unterhielten uns, Helga und David kamen hinzu, Viveka auch. Beim Abschied hat er sich mit Viveka zum Rollmops-Essen verabredet. “Der Mann ist Fotokünstler, nett, charmant, isst Fisch, geht mit Freunden in Brauhäuser. So einer zum Anfassen.” Geschichten, die das Leben schreibt.

Wir haben uns dann noch mit Martin Classen unterhalten, über Fotoarbeiten von ihm in der Eifel. Ein Zumthor-Projekt, die Bruder-Klaus-Kapelle in Mechernich. Zumthor, Kolumba, Köln. Es ist jetzt kurz nach 21 Uhr an diesem Freitagabend in Köln. Das Kolumba wird später noch Thema sein.

Wir verabschieden uns. Von allen. Helga Mols, David Grasekamp, Sebastian Linnerz, Martin Classen. Boris Becker ist schon weg. Umarmungen. Abschied. Die Nacht ist jung. Vorbei am Ebertplatz, ein Blick ins Labor, in die Tiefen der U-Bahn. Südstadt.

Labor

Ebertplatz

Als wir ankommen, ist niemand da. Niemand, den wir kennen. Wir gehen in den Keller, wo ein österreichischer Sänger mit mazedonischen Wurzeln singt. Von seinem Großvater, der den Nazis nicht verraten hat, wo die Söhne, die Partisanen sind, der am letzten Tag des Krieges von den Hakenkreuzlern ermordet wird. Ein sympathischer junger Mann, eine schöne Stimme. Er singt auf mazedonisch, die Geschichte hatte er zuvor erzählt. Das nimmt den Schrecken. Applaus. Zugabe. Wieder hoch: Barbara und Norbert treffen. Barbara Schachten und Norbert van Ackeren. Ich glaube zwei Wochen zuvor, drei Wochen zuvor hatten wir einen gemeinsamen Abend in Duisburg Ruhrort verbringen wollen. In Norberts Atelier. Norbert war krank geworden und hatte sich auskurieren müssen, um am nächsten Tag nach Paris zu können. (Das schreibe ich jetzt, weil Künstler und Paris schön romantisch klingt und die Stadt das jetzt gebrauchen kann.)

Ein DJ. Musik. Tanz. Ausgelassen. Unterhaltungen. Ich setze mich zu Marc Steinmann. Einer der Kolumba Kuratoren. Weil Barbara dort kürzlich mit ihrem Ensemble unterwegs aufgetreten war, hatten Viveka und ich erstmals den Weg dorthin gefunden. Schande. Mann! Was für ein Museum. Was für Räume! Dieses Land ist so unermesslich reich. Da kann ein ganzes Stadtarchiv unwiederbringlich weg brechen und in der Erde verschwinden, an anderer Stelle wächst etwas anderes aus dem Boden (das jetzt bitte nicht wörtlich nehmen wegen Jahreszahlen und Abfolgen und was, wann war und so… herrje). Oder: Wie vom Himmel gefallen. Trifft bei einem Diözesan-Museum wohl eher den Nagel auf den Kopf.

Wir haben uns über die Ausstellung unterhalten. Über das Konzept. Über die geschulten Sicherheitsleute, die vor Ausstellungseröffnung an die Exponate herangeführt werden. Jedes Detail stimmt. Das ist, was man im Kolumba spürt. Die Liebe zur Kunst. Natürlich habe ich mich noch mit Norbert unterhalten. Über Kunst, wo wir schon beim Thema waren. Mein persönlicher Arte-Themenabend. All diese Menschen, all diese Kunst in einer Nacht.

Am Ende sind wir im Tsunami gelandet. 90er Mucke. Zu The Cure getanzt. 1985. Hatte ich noch in den Füßen. Zeitsprung. Um 6 Uhr waren Viveka und ich im Bett. Die U-Bahnen fuhren wieder und die letzten Meter zur Wohnung musste Viveka barfuß gehen. Die Schuhe, die Nacht, das Tanzen. Ach, die Welt. Überbordend ergreifend. Fast zu viel für einen Landmenschen wie mich. Aber. Erfüllend. Und jetzt bin ich froh, die Nacht aufgeschrieben zu haben. Ehrlich? Ich hatte Respekt vor diesem Text. Wegen der Namen und der Größe. Den Dingen gerecht werden, ihnen Respekt erweisen, sich nicht verraten. Leicht schreiben, aus der Nacht heraus tanzen. Danke, Barbara, danke Sebastian, für die Einladungen. Es war mir, ich denke uns, also Viveka und mir (das schreibe ich jetzt einfach, weil ichs weiß), ein ausgesprochenes Vergnügen:)

Tsunami