Bewusstseinserweiterungsprozess Jonathan Meese

Jonathan Meese ist die Konsequenz.

Am Ende, wenn nichts mehr geht, wenn die Lichter ausgehen, sich die Menschen zur Ruhe legen, wenn sie im Privaten verschwinden, in den IKEA-Rückzugsräumen, wenn sie die “Fickzellen mit Fernheizung” (Heiner Müller, Medeametrial Landschaft mit Argonauten) warm halten, kommt die Zeit, wachzurütteln, ein neues 68, ein wildes Szenario, das schreit, spuckt, kotzt und den Hitlergruß als Provokation in den Himmel wirft.

Jonathan Meese ist Künstler. In Tokio geboren 1970. Er kam mit seiner Mutter zurück aus Japan, sprach nur Japanisch, lief durch Düsseldorf und schrie “I kill you”, weil er die Sprache nicht sprach, nicht verstand. Ein Wahnsinniger, könnte man denken, wenn man ihn sieht, wenn man seine Performances auf Youtube sieht, seine Manifeste hört, seine Reden, seine Gesten, seine KUNST.

Er zieht sich zurück aus der Realität, weil er sie nicht erträgt. Geht raus und ruft die “Diktatur der Kunst” aus. Bedient sich der Mythen, der Diktatoren der Geschichte und sagt, dass sei Vergangenheit und die Kunst die Zukunft. Er glaubt nicht an Politik, an Demokratie, an die reale Realität. Er wirft seinen Künstlerkollegen vor, angepasst zu sein. Sich nicht einzumischen. “Systemzerstörend? Null Komma Null.” Dabei sieht er sich selbst nicht im Mittelpunkt. Der Künstler sei unwichtig, könne auch ein Tier sein, die Kunst allein zähle.

Meese ist ein Star. Ausstellungen weltweit. Anerkannt von den Großen der Szene. Kiefer, Baselitz, Immendorf. Er wird gesammelt, ausgestellt, hofiert. Er arbeitet mit der Volksbühne zusammen, mit Castorf – klar, die Lebendigkeit des Poststrukturalismus. Foucaults Auferstehung – Wahnsinn und Gesellschaft. Das ist einer, der lässt nicht los, der fighted unermüdlich. Ein Agent Provocateur. Die Kunst wird wieder politisch. Da ist einer, der hat das Provokationspotenzial von Beuys. Ein Aushängeschild der deutschen Contemporary Art. Ein Enfant Terrible.

Endlich.

Es tut gut zu sehen, dass einer die Grenzen sprengt mit jeder Menge ART-TNT. Dass da einer die Energie hat, dagegen zu gehen. Gegen die Normalität des Kunstbetriebes und des eingeschlafenen Denkens. Einer, der provoziert und inspiriert. Alles auf den Prüfstand stellt. Das Anti-Valium, Nietzsches Anti-Christ, das Dionysische. Ein neuer Traum als Stachel im Fleisch.

Jonathan Meese hat nur eine Grenze. Seine Mutter. Sie ist in seinem Atelier dabei, wenn er malt, entwirft, klebt, gestaltet, formt, was auch immer. Sie ist sein Halt. “Meine Mutter ist der Zugang zur Realität für mich. Wenn sie weg ist, geht es erst richtig los.” Puh. Er hat Angst vor dem Draußen, sagt er. Die Streifen seiner schwarzen adidas-Trainingsjacke schützen ihn, sagt er. Er will das Draußen nicht und geht doch rein wie kein anderer. Wir alle werden mit Meese noch viel Spaß haben. Mit einem Künstler, der ein Bewusstseinserweiterungsprozess ist. Jonathan Meese.

www.jonathanmeese.com

Ateliergespräch mit Ina T. von Trash/Treasure

STAUB. MOP ART. TRASH/TREASURE.

Gestern Abend hatte ich das sehr große Vergnügen, Ina T. von Trash/Treasure in ihrem Atelier in Köln besuchen und interviewen zu dürfen. Nach dem Gespräch mit Norbert van Ackeren in der letzten Woche war ich angefixt. Hatte Lust auf Kunst, wollte das Konzept Ateliergespräch weiterführen, weil Kunst in keinem Museum der Welt so direkt, nah, authentisch und nackt ist wie im Atelier. Es ist wie eine Spurensuche am Tatort Kunst. Da hängen, stehen, liegen, verschwinden die Bilder, Objekte, Installationen. Fragmentieren sich im Gesamtzusammenhang. Erzählen die Geschichten weiter, weil überall Hinweise herumliegen, herumstehen. Vorstufen, Informationen, Bücher, Fotos, Tests, skurrile Gebilde, die Bindeglieder waren, um die Idee zu transportieren. Kurz: Es ist einfach aufregend. Kunst spürbar, anfassbar, herausgenommen aus der Heiligkeit der Ausstellungen und Museen. Ich konnte Bilder herumtragen, hinstellen, einen Gesprächsrahmen schaffen.

Es war ein langes Gespräch. Bis zwei Uhr in der Nacht und es war nur ein Ausschnitt des Gesamtwerkes, auf den wir uns konzentriert haben. MOP ART. Ein Gemeinschaftsprojekt der beiden Künstlerinnen Bea T. und Ina T., die gemeinsam Trash/Treasure bilden. Bea ist vor zwei Jahren gestorben. Während unseres Gespräches ist sie im Raum, weil sie die andere Hälfte von MOP ART ist. Die Wissenschaftlerin, die Denkerin, die Schreiberin. Sie ist in den Bildern, Objekten, Katalogen, Installationen. Ich sehe sie auf einem Foto an der Wand. Im Projekt vertieft, in der Arbeit, in der Kunst, knietief im Staub.

Denn Staub ist das Thema. 1993 waren die beiden Frauen auf der Autobahn A1 unterwegs, als die Idee geboren wurde, die bis heute arbeitet, bewegt, macht, tut. MOP ART ist zwischenzeitlich um die Welt gegangen mit Ausstellungen in Deutschland, Island, den Niederlanden, Belgien, Spanien, Tunesien, Israel, Türkei, Japan.

Anfangs war der Staub eine dumpfe Masse. Eingesammelt mit Staubsaugern, aus fremden Wohnungen, Geschichten erzählend aus dem Privaten. Es gab Menschen, die konnten ihren Staub nicht hergeben. Zu intim. Es entstand die Bildreihe “Verkehrte Ordnung” eins, zwei und drei bzw. blau, gelb, rot für eine Ausstellung in Düsseldorf zum Thema Ordnung.

Der Staub als Konglomerat, Zusammensetzung der Komponenten, Dokumentation. Verpackt in kleine Tütchen, Beweismaterial. Haare, Partikel, Stücke von Blättern oder Verpackungen. Geschichten. Das war der Anfang. “Zunächst gab es Berührungsängste des Publikums, später kamen erst die Frauen, die erzählten und unsere Arbeit reflektierten, dann die Männer. Die Experten, die beruflich mit Staub zu tun haben. Das war äußerst inspirierend, weil wir Staub plötzlich anders sahen. Als ein Funktionselement der Gesellschaft, das zum Beispiel das Fortschreiten der Zeit zeigt. Wir besorgten uns Normstaub aus Minnesota. Staub nach DIN, der so teuer wie Gold war. Dieser Staub ist definiert – in einem Jahr fallen in Mitteleuropa auf einen Quadratmeter 2,63 g Normstaub. Damit definiert Staub in seiner Menge auch Zeit. Es entstanden die Objekte “Gewicht der Zeit” (Foto ganz oben).”

Trash/Treasure gingen weiter, tiefer. Von der Haushaltsebene auf die Wissenschaftsebene. “Wir kontaktierten die NASA, weil wir von kosmischem Staub gehört hatten, der oberhalb der Stratosphäre mit U2-Flugzeugen eingesammelt wird. Millionen Jahre alter Staub aus dem All, der erzählt. Die NASA hat den Staub unter Elektronenmiskroskopen bearbeitet, in einzelne Staubkörner separiert. Wir hatten Glück, haben einen Ansprechpartner gefunden, der offen für Kunst und unsere Ideen war. Irgendwann kam ein großer gelber Umschlag mit Aufdruck NASA und darin waren vierzig Aufnahmen einzelner Körner kosmischen Staubs. Wir waren auf der Mikroebene angelangt, beim kleinsten Teilchen. Das war extrem faszinierend und natürlich inspirierend. Stardust, Sternenstaub.”

Es entstanden immer neue Konzepte, die Staub neu beleuchteten. Die Staubfalle. Ein Gefäß mit Trichter, das Staub sammelt. Trash/Treasure verkauften sie, trafen die Käufer/innen in ihrem jeweiligen heimischen Umfeld und fotografierten sie mit ihrer Staubfalle. Fotos aus Wohnzimmern in Deutschland, Büros in Japan… In einer Ausstellung entstand in einem Raum ein “Museum des Staubs”, in dem “Staubfänger” von Menschen aus der Region ausgestellt wurden. Es entstanden Staubbilder an Wänden, die langsam herab rieselten, Staubecken, Staubinstallationen am Boden, die Botschaften verkündeten. Ein Meer von Staubkunst. Bis hin zur Eigenreflektion des Projektes MOP ART in Ölbildern, die in der Türkei ausgestellt wurden. Menschen, Paare im Gespräch über MOP ART: STELL DIR NUR MAL VOR, WAS ALLES DAHINTER STECKT. WIR BERÜHREN DEN HIMMEL, GREIFEN NACH DEN STERNEN, GANZ REAL…

Nun geht das Projekt MOP ART in seine letzte Phase. Ina entfesselt sich vom Staub, lässt das Material gehen. Dazu verwendet sie digitale Malerei, mit der sie Schicht um Schicht überlagert. Wild, bunt. Farben, Strukturen. Feuerwerk, Finale. Wenn die Bilder als Prints produziert sind, wird es eine Ausstellung geben. ENTFESSELUNG. Freu ich mich sehr drauf. “Du wirst ab heute Staub mit anderen Augen sehen.” Stimmt. Sternenstaub. Kosmischer Staub. Informationsträger. Symbol der Zeit. Kunst ist einfach groß. Ideen, Horizonte, der andere, weite Blick. Danke, Ina und Bea, danke Trash/Treasure.


(© Trash/Treasure, Ina T.)

Ateliergespräch mit Norbert van Ackeren

Liebend auch umfängt im Schweigen im Zimmer die Schatten der
Alten,
Die purpurnen Martern, Klagen eines großen Geschlechts,
Das fromm nun hingeht im einsamen Enkel.

Denn strahlender immer erwacht aus schwarzen Minuten des Wahn-
sinns
Der Duldende an versteinerter Schwelle

(aus der menschheitsdämmerung: Georg Trakl, Gesang des Abgeschiedenen)

Die Rolltreppe runter. Von unten kündigt sich der Ort des Geschehens an. Musik. Bierbänke, ein Schaufenster voller Zeichnungen. Köln, Ebertplatz, Labor, Projektatelier. Vernissage.

Kurz nach 19 Uhr, gleich werde ich auf die Bilder des Norbert van Ackeren treffen. Hinten im Atelier, das ein vergessenes Ladengeschäft ist an einem Ort, an dem sich nur schlecht Geschäfte machen lassen, aber umso besser Kunst. Ich frage, ob ich darf. Ins Atelier, schauen. Ich hatte schon länger den Gedanken, Ateliergespräche mit Künstlern zu führen. Ihre Arbeit, ihre Arbeiten hier vorzustellen. Nicht planen, machen. Also gehe ich an Leinwänden vorbei, atme Neonlicht, versuche den Blick zu fokussieren, mich anziehen zu lassen, zu sehen, wo es mich hintreibt, was mich hält.

Das Atelier des Norbert van Ackeren. Hinten durch in der Tiefe des Ebertplatzes, als würden nebenan U-Bahnen als wilde Tiere ihr Unwesen treiben und jede Sekunde durchs Mauerwerk brechen. Da stehen sie. Die Gesichter. Die Leiber. Die Figuren, Menschen, Wesen. Verrenkungen, Verletzungen. Ich bin sprachlos, weil ich das nicht erwartet hätte. Die Intensität des ersten Blicks, Eindrucks ist hoch. Die Bilder, Gemälde, nebeneinander aufgereiht an der hinteren langen Wand. Norbert kommt rein. Ich frage, ob ich fotografieren darf. Ja. Später frage ich, ob er mir erzählt. Ja.

Er findet die Themen in Zeitungen oder im Internet. Die Bilder sind da. Das Paar der ausschweifenden Fete auf Hawaii. Ein kleiner Mann reitet auf einer dicken Frau. Der Junge aus Tschernobyl mit den Elefantitisbeinen, die Brüder, einer lebt in Israel, hat Bergen-Belsen überlebt, der andere in Ausschwitz gestorben. Das Mädchen aus dem Kosovo. Ein Foto aus der WAZ. “Da habe ich das erste Mal dieses Wort Kollatteralschaden bewusst wahrgenommen. Flüchtlinge waren bombadiert worden. Ein kleines Foto des toten Mädchens. In Decken gehüllt. So viele Decken.”

Van Ackeren liest Trakl. Ein Buch lehnt an der Wand. Unscheinbar, mittendrin. Neonlicht, kein Fenster. Sakral. Das Hawaii-Bild wie ein Kirchengemälde in Italien. Der dunkle Hintergrund. Tief schwarz. Grafiker-Asphalt. Die abgesetzten Farben, ein Hauch Renaissance. Norbert van Ackeren hat seine eigenen Materialien. Keine Tuben. Die Farben entstehen durch Umwandlungsprozesse. Durch Oxidation oder den Einfluss von Sonnenlicht. Stammen aus der Fotoentwicklung, dem Druckbedarf. “Es haben sich rund fünf Substanzen herauskristallisiert, die meine Farben sind.” Aus den offenen Beinen des Tschernobyl-Jungen wächst grünes Kupferoxid. Eine lebendige Wunde. “Das Bild ist zwei Monate vor Fukushima entstanden. Wir vergessen so schnell.”

Das verwundete Kind ist als Prinz in einem Goya-Arrangement gemalt. Inthronisiert mit einer Elster auf Kopfhöhe und einer Katze zu Füßen. Symbole der alten Malerei. “Ich habe Kunst nicht studiert. Irgendwann bin ich auf Max Ernst gestoßen, habe mir ein kleines Atelier gebaut. Ich habe mich in die Museen gesetzt, Bilder geguckt. Geschaut, wie sie es gemacht haben.”

Anfang des Jahres war er in London. TATEmodern, National Gallery. Viele kleine Galerien im Umfeld. Er guckt, sucht, findet. “Es klingt vielleicht pathetisch, aber es sind die alten Themen. Tod, Leben, Liebe, Kuss, die Badenden. Das ist der Deal, das sind die Themen.”

Wir hatten eine intensive Viertelstunde für unser Ateliergespräch, das mich beeindruckt hat. Dann musste Norbert los. Was für eine Atmosphäre. Kunst atmen. Ich war dieses Jahr auch in der TATEmodern und National Gallery und habe viel gute Kunst gesehen. Aber das hier war anders. Näher. Anfassbar. Da ist ein Maler ohne Allüren. Mit Richtung, Ziel. “Ich brauche kein Atelier mit Fenstern und Ostlicht.” Der erzählt, in den Figuren und Wesen steckt, der sie empfindet, auf der Leinwand lebendig werden lässt. Verändert. Jedes der Bilder eine komplette Geschichte. Was er malt, ist fühlbar. Weckt Emotionen, geht alles andere als spurlos vorüber. Das ist Kunst, die wirkt, die zerrt, die nicht lässt, die will, die berührt. Und: Die Bilder sind lebendig. Die Oxidationsprozesse gehen weiter. “Ich weiß nicht, was passiert. Die sind nicht für die Ewigkeit. Ich muss nichts erhalten, für mich müssen nur die Bilder raus aus mir.”

Norbert van Ackeren ist 1969 in Oberhausen geboren, arbeitet in Ateliers in Duisburg und Köln und wird im September in Duisburg zusammen mit seinem Kölner Atelierpartner Michael Nowottny ausstellen. Wer sich für die Arbeiten von Norbert van Ackeren interessiert oder wer mehr Infos zur Ausstellung im September haben möchte, kann ihm mailen: norbert@van-ackeren.de. Infos zum labor Projektatelier Ebertplatz gibt es hier.

Abriss ART mit Trash Treasure

Rette sich wer kann. Rettung naht. Heute schon gerettet worden?

Manchmal ist es ein aussichtsloses Unterfangen. Dinge sind dem Untergang geweiht und das Unausweichliche wird kommen. Der Eisberg für die Titanic. Wie war das mit dem römischen Reich?

Letzte Woche fand ein außergewöhnliches Kunstprojekt in einem Einkaufszentrum in Erftstadt Liblar statt: Kunst in Abrissekstase. Dieses Einkaufszentrum wird abgerissen. Oder wurde schon? Ich weiß es nicht. Bevor die Bagger anrollen, haben sich letzte Woche eine ganze Reihe unterschiedlichster Künstler getroffen, um diesen morbiden Raum zu nutzen. Ich habe eine Einladung über Facebook erhalten. Von Trash Treasure. Einer Künstlerin aus Köln.

Bin ich am Samstag gerne gefolgt. Über die Autobahn nach Liblar. Vorbei an gelben Rapsfeldern. Dem Untergang entgegen. Aktionskunst. Abriss ART. Vor dem Einkaufszentrum Bauzäune, Schuttcontainer und Teile des Gebäudeinnenlebens. Wo ist Trash? Habe gefragt und sie gefunden. “Wo ist dein Projekt?” Hat sie mir gezeigt. Ein kleiner Raum aus Rigips direkt im Eingangsbereich. Sie wollte retten. Schützen. Hegen. Der kleine Raum war bereits verletzt, von ersten Abrissspuren gezeichnet. Ein Radlader hatte eine Ecke eingedrückt, die Rigipsplatten zerstört. Wunden. Verletzungen, die Haut eingerissen, das Ständerwerk gebrochen. Der Mensch kann ausgesprochen brutal sein. Beschädigt. Gut, dass es Heilerinnen mit dem anderen Blick gibt. Mit den Mitteln, den Tinkturen, den Salben und Pflastern. Das hat etwas Mütterliches. Kümmern, verarzten, trösten. In jeder Situation. Das Weibliche, das Rettende. Die Bagger sind die men’s world.

Sind die noch zu retten? Kunst, die dann abgerissen wird? Entstehen lassen, um es verschwinden zu lassen? Ich war froh, Trashs Arbeit zumindest fotografisch zu erhalten. Ihre Rettungsaktion. Sie hat den Raum verarztet. Hat alles repariert, was bereits zerstört war. Mit Tape. Wieder drangeklebt, drübergeklebt, zusammengeklebt. Dazu Rettungssätze: “Vertrau mir!” “You are SAFE”, “Trust me” “Ein Stück heiler Welt!”, “Rettet den Raum!”.

Trash ist Israelin. “Ohne Trash kein Treasure”, meint sie. Das eine definiert das andere. Was definiert der Absiss? Der Untergang? Das Rettung möglich ist. Praktiziert werden kann. Es gibt einen Ausweg, immer. Und wenn es mit ein paar Tesastreifen passiert. Der Raum ist da, auch wenn er weg ist. In den Köpfen, auf den Fotos.

Mir hat er ausgesprochen gut gefallen. Auch, weil ich ihn fotografiert habe. Sehr ästhetisch, dieses Chaos aus weiß, rot, schwarz und blau. Habe mir alles genau angesehen, jeden Spruch gelesen, alle Winkel betrachtet, alle Details, die da gerettet wurden. Die Abdeckung der Neonlampen. Die Teppichreste am Boden, der Stuhl, auf dem die “Dynamitstange” aus Neonröhren mit ihrer Kabelzündschnur liegt. Trash hat Humor. Sitzt mit mir in der Sonne. Lacht viel.

Sie ist Israelin. Künstlerin seit vielen Jahren. Ausstellungen überall. Mit eigenem Atelier und dem besonderen Blick. Wir stromern durchs Haus, durch die Ausstellung. Bleiben hier und dort stehen. Oben auf der Dachterrasse mit dem zugemüllten Biotop – ein “Kleinod” der besonderen Art. ART. Zwei Stühle vor einer Holzhütte. Es könnte eine einsame, romantische Insel sein… Im Hintergrund ein Hochhaus, ein Schornstein, ein Zweckbau, eine Kneipenwerbung, ein blauer Himmel…

Trash führt mich zu den Containern. Treasure entdecken. Ich leihe ihr meine Kamera, ihre ist ausgerechnet an dem Tag ausgefallen. Sie fotografiert. Teile der ehemaligen Ausstattung des China-Restaurants. Rote Schrift auf weißem Grund. Eingerahmt von geborstenem, grünem Thermopenglas. Dieser Ort hat eine eigene Ästhetik. Hier wird schön, was geht. Das Ende naht, der Radlader steht bereit, die Container sind hungrig.

Es hat Spaß gemacht. Aktionskunst der besten Art. Lebendig, subkulturig. Der Maler aus Chile, aus Bordeaux angereist, der tagelang an seinem Gesicht malt, in das dann die Baggerschaufel reinhauen wird. Bautz, Spreng, Splitter. Weg. Container. Vergänglichkeit. Ein modernes Mandela. Nicht anhaften, den Moment leben. War ein toller Moment. Geschenkt. Genommen. Bewahrt. Ein Museum für 96 h. Viele Menschen wollten das sehen. Es war voll. Es war gut.

Ich füge euch einige Fotos hinzu, damit ihr seht, was WAR.

One day in TATEmodern

Jetzt ist meine London-Reise untergegangen. Titanic. Natürlich nicht ganz. Ich hab die Bilder auf der Festplatte und natürlich im Kopf, wobei ich manchmal nicht weiß, ob die geschossenen Fotos nicht irgendwann die gespeicherten Fotos überlagern. Viele Kindheitserinnerungen entspringen der Familienfoto-Sammlung meiner Ursprungsfamilie. Und auch die Erinnerungen meiner nun eigenen Familie kommen oft direkt aus einem der vielen Fotoalben. Der Speicher ist voller Fotos.

Ich war in London, um mein Englisch zu verbessern. Dazu habe ich den Kurs LLLE – Love London Learn English gebucht. Fünf Tage, von Montag bis Freitag. Weil ich noch nie nicht in London oder England war, bin ich früher angereist. Samstags. Bin in Gattwick gelandet, habe mir einen Zug einer der vielen Gesellschaften geschnappt und bin bis zur Station London Bridge. Vom Zug aus schon konnte ich die Tower Bridge sehen. In der Sonne. Von der Tower Bridge bin ich zur Old Street und von dort zu Fuß in meine WG. Mit einem großen Blumenstrauß, den ich von meinen ersten Pfund gekauft habe. Weiße Lilien und gelbe Rosen. Ein frisches Bild. In der WG bekam ich das Sofa im Living Room. Kein eigenes Zimmer für über eine Woche. Spannendes Experiment. Musste ich mich dran gewöhnen. Kann ich jetzt brauchen:)

Ich habe mit drei Ungarn, einer Polin, einem Amerikaner, einem Deutsch-Amerikaner und einem Briten zusammengewohnt. Oshi, Peter und Ilango (ein kleines, sechs Monate altes Baby) haben mich in Empfang genommen (ich hatte ein Baby auf dem Arm, habe mit einem Baby auf der babydecke gespielt und habe Ilango erfolgreich gefüttert – hach. Erinnerungen.). Eine junge Familie. Sehr, sehr nett. Es gab Kaffee und Fragen und ich war gleich drin in der Sprache – noch holprig, was am Ende der Zeit anders aussah. Tatsächlich habe ich in der Woche darauf einmal in englischer Sprache gedacht.

Von der WG aus habe ich mich direkt auf den Weg gemacht. Zu Fuß. Quer durch die City of London, das Bankenviertel. Kein Mensch auf der Straße. Als ich abends zurückkam, war ich ganz allein in den Straßen. Keine Seele. Ab und an ein Auto. Saturdaynight im Bankenviertel. Das Geld schläft. Es war, als wäre ich über die Dorfstraße von Nosbach gegangen.Nur sah alles ganz anders aus. Dann leuchtete das EI zweischen Glasfassaden hervor, dann stand da plötzlich eine alte Kirche zwischen Glaspalästen und überall waren Baustellen. Kein Arbeitstag – es fehlten schlicht 750.000 Menschen, die hier nur zum Arbeiten hinkommen. Strange. Mir war es recht, so konnte ich mich an die Massen gewöhnen.

Mein Weg führte mich direkt zur Tower Bridge. Am Ufer der Themse entlang. Die Sonne schien, die Menschen saßen auf den Bänken. Meine Kamera war sehr hungrig, gierte nach Input. All diese Sehenswürdigkeiten. Was mich jedoch am meisten angezogen hatte, war die TATEmodern. Ich habe das Museum über die Milleniums Bridge erreicht. Dort lag es. Was für ein Ort. Voller Menschen. Kunstfreunde. Freunde der modernen Kunst. Die Welt ist voll davon, was sich hier auf dem Land nur schwer glauben und nachvollziehen lässt. Alle interessiert an Contemporary Art. Ich wollte nur kurz rein, mal reinschnuppern, um mir später mehr Zeit zu nehmen. Da war schon die erste Videoinstallation zu sehen. Tacita Dean. Eine Engländerin, mein Jahrgang, 1965. Der Umgang mit Geschichte. Das Thema meiner Generation. Wir hängen und stehen jetzt in den großen Museen. Wir:) Es ist so weit. Projekt 65. Einer der letzten Massenjahrgänge vor dem Pillenknick.

Eine riesige alte Turbinenhalle. Dunkel. 25 Meter hoch, 30 Meter breit, 100 m lang. Ein Theaterraum, eine Bühne, eine Kulisse. Ich erinnere mich an eine Theaterszene. Macbeth. Die Bühne leer. Schwarz. Stille nach der Schlacht. Der Kämpfer kehrt heim, schleudert einen Vorschlaghammer über die Bühne. Das dumpfe Aufschlagen. Raum. Hier: Die Videowand. 10 Meter hoch, 4 Meter breit. Bilder wie aus einem Traum. Standbilder, bewegte Bilder. Ohne Ende. Der Film des Lebens. Gedankenband. Unaufhörlich. Ich saß da. Starrte, schaute. Wie schön, dass Menschen solche Dinge schaffen und sich einander damit beschenken. Kinder liefen ins Bild, Schatten entstanden. Ich bin am Ende der Woche zurückgekehrt, um mir die Installation noch einmal anzusehen.

Und dann ging ich verloren in diesem wahnsinnigen Museum. Habe mir fast alles angesehen, außer die aktuelle Ausstellung der Japanerin Yayoi Kusama. Das war zu viel. Am Ende war ich sechs Stunden unterwegs. Meine favorites: Tacita Dean, Joseph Beuys und Do Ho Suh aus New York, der die Treppe aus Gaze an den Himmel eines Ausstellungsraumes gehängt hat. Einige meiner Fotos aus London und aus der TATEmodern findet ihr auf meiner Pinterest-Seite. Verloren zugehen in dieser weiten Welt, die so wenig Sicherheiten bietet. Könnte ich nur eines Tages diese bescheuerte Angst ablegen… Oder sie einfach akzeptieren. Oder.

Abends, als dann die Sonne untergegangen war, stand ich auf dem Balkon der TATEmodern und sah die beleuchtete St.Pauls Kathedrale, die Skyline und die Lichter der Stadt in der Themse gespiegelt. Ich habe mich sehr, sehr wohl gefühlt. Sehr glücklich. Ein schöner Moment. Am Ende der Woche war ich hierher zurückgekehrt, um mit einer Kursteilnehmerin den Blick zu teilen. Wir saßen im Restaurant, haben auf die Stadt geschaut und haben uns danach TRAVELLING Lightning im National Theatre angesehen. Wie durch ein Wunder bekamen wir Karten in der zweiten Reihe. Großes Theater. Fast jedes Wort verstanden. Ich habe gespürt: Da ist eine große Sehnsucht. Ein Hunger. Nach Kunst, Bühne. Nach Menschheitsgeschenken. Die WG hat mich eingeladen, wiederzukommen. Im Herbst findet der nächste Kurs statt. Mal sehen. Ich würde schon gerne… Aber da sind so viele Pläne und wie immer habe ich Angst, mich zu verzetteln.