One day in TATEmodern

Jetzt ist meine London-Reise untergegangen. Titanic. Natürlich nicht ganz. Ich hab die Bilder auf der Festplatte und natürlich im Kopf, wobei ich manchmal nicht weiß, ob die geschossenen Fotos nicht irgendwann die gespeicherten Fotos überlagern. Viele Kindheitserinnerungen entspringen der Familienfoto-Sammlung meiner Ursprungsfamilie. Und auch die Erinnerungen meiner nun eigenen Familie kommen oft direkt aus einem der vielen Fotoalben. Der Speicher ist voller Fotos.

Ich war in London, um mein Englisch zu verbessern. Dazu habe ich den Kurs LLLE – Love London Learn English gebucht. Fünf Tage, von Montag bis Freitag. Weil ich noch nie nicht in London oder England war, bin ich früher angereist. Samstags. Bin in Gattwick gelandet, habe mir einen Zug einer der vielen Gesellschaften geschnappt und bin bis zur Station London Bridge. Vom Zug aus schon konnte ich die Tower Bridge sehen. In der Sonne. Von der Tower Bridge bin ich zur Old Street und von dort zu Fuß in meine WG. Mit einem großen Blumenstrauß, den ich von meinen ersten Pfund gekauft habe. Weiße Lilien und gelbe Rosen. Ein frisches Bild. In der WG bekam ich das Sofa im Living Room. Kein eigenes Zimmer für über eine Woche. Spannendes Experiment. Musste ich mich dran gewöhnen. Kann ich jetzt brauchen:)

Ich habe mit drei Ungarn, einer Polin, einem Amerikaner, einem Deutsch-Amerikaner und einem Briten zusammengewohnt. Oshi, Peter und Ilango (ein kleines, sechs Monate altes Baby) haben mich in Empfang genommen (ich hatte ein Baby auf dem Arm, habe mit einem Baby auf der babydecke gespielt und habe Ilango erfolgreich gefüttert – hach. Erinnerungen.). Eine junge Familie. Sehr, sehr nett. Es gab Kaffee und Fragen und ich war gleich drin in der Sprache – noch holprig, was am Ende der Zeit anders aussah. Tatsächlich habe ich in der Woche darauf einmal in englischer Sprache gedacht.

Von der WG aus habe ich mich direkt auf den Weg gemacht. Zu Fuß. Quer durch die City of London, das Bankenviertel. Kein Mensch auf der Straße. Als ich abends zurückkam, war ich ganz allein in den Straßen. Keine Seele. Ab und an ein Auto. Saturdaynight im Bankenviertel. Das Geld schläft. Es war, als wäre ich über die Dorfstraße von Nosbach gegangen.Nur sah alles ganz anders aus. Dann leuchtete das EI zweischen Glasfassaden hervor, dann stand da plötzlich eine alte Kirche zwischen Glaspalästen und überall waren Baustellen. Kein Arbeitstag – es fehlten schlicht 750.000 Menschen, die hier nur zum Arbeiten hinkommen. Strange. Mir war es recht, so konnte ich mich an die Massen gewöhnen.

Mein Weg führte mich direkt zur Tower Bridge. Am Ufer der Themse entlang. Die Sonne schien, die Menschen saßen auf den Bänken. Meine Kamera war sehr hungrig, gierte nach Input. All diese Sehenswürdigkeiten. Was mich jedoch am meisten angezogen hatte, war die TATEmodern. Ich habe das Museum über die Milleniums Bridge erreicht. Dort lag es. Was für ein Ort. Voller Menschen. Kunstfreunde. Freunde der modernen Kunst. Die Welt ist voll davon, was sich hier auf dem Land nur schwer glauben und nachvollziehen lässt. Alle interessiert an Contemporary Art. Ich wollte nur kurz rein, mal reinschnuppern, um mir später mehr Zeit zu nehmen. Da war schon die erste Videoinstallation zu sehen. Tacita Dean. Eine Engländerin, mein Jahrgang, 1965. Der Umgang mit Geschichte. Das Thema meiner Generation. Wir hängen und stehen jetzt in den großen Museen. Wir:) Es ist so weit. Projekt 65. Einer der letzten Massenjahrgänge vor dem Pillenknick.

Eine riesige alte Turbinenhalle. Dunkel. 25 Meter hoch, 30 Meter breit, 100 m lang. Ein Theaterraum, eine Bühne, eine Kulisse. Ich erinnere mich an eine Theaterszene. Macbeth. Die Bühne leer. Schwarz. Stille nach der Schlacht. Der Kämpfer kehrt heim, schleudert einen Vorschlaghammer über die Bühne. Das dumpfe Aufschlagen. Raum. Hier: Die Videowand. 10 Meter hoch, 4 Meter breit. Bilder wie aus einem Traum. Standbilder, bewegte Bilder. Ohne Ende. Der Film des Lebens. Gedankenband. Unaufhörlich. Ich saß da. Starrte, schaute. Wie schön, dass Menschen solche Dinge schaffen und sich einander damit beschenken. Kinder liefen ins Bild, Schatten entstanden. Ich bin am Ende der Woche zurückgekehrt, um mir die Installation noch einmal anzusehen.

Und dann ging ich verloren in diesem wahnsinnigen Museum. Habe mir fast alles angesehen, außer die aktuelle Ausstellung der Japanerin Yayoi Kusama. Das war zu viel. Am Ende war ich sechs Stunden unterwegs. Meine favorites: Tacita Dean, Joseph Beuys und Do Ho Suh aus New York, der die Treppe aus Gaze an den Himmel eines Ausstellungsraumes gehängt hat. Einige meiner Fotos aus London und aus der TATEmodern findet ihr auf meiner Pinterest-Seite. Verloren zugehen in dieser weiten Welt, die so wenig Sicherheiten bietet. Könnte ich nur eines Tages diese bescheuerte Angst ablegen… Oder sie einfach akzeptieren. Oder.

Abends, als dann die Sonne untergegangen war, stand ich auf dem Balkon der TATEmodern und sah die beleuchtete St.Pauls Kathedrale, die Skyline und die Lichter der Stadt in der Themse gespiegelt. Ich habe mich sehr, sehr wohl gefühlt. Sehr glücklich. Ein schöner Moment. Am Ende der Woche war ich hierher zurückgekehrt, um mit einer Kursteilnehmerin den Blick zu teilen. Wir saßen im Restaurant, haben auf die Stadt geschaut und haben uns danach TRAVELLING Lightning im National Theatre angesehen. Wie durch ein Wunder bekamen wir Karten in der zweiten Reihe. Großes Theater. Fast jedes Wort verstanden. Ich habe gespürt: Da ist eine große Sehnsucht. Ein Hunger. Nach Kunst, Bühne. Nach Menschheitsgeschenken. Die WG hat mich eingeladen, wiederzukommen. Im Herbst findet der nächste Kurs statt. Mal sehen. Ich würde schon gerne… Aber da sind so viele Pläne und wie immer habe ich Angst, mich zu verzetteln.

Die Liebe des Tanztheaters der Pina Bausch.


Copyright terafoto. Danke, dass ich dein Foto hier benutzen darf!

Tanz, Theater. …como el musguito en la piedra, ay si, si, si … (…wie das Moos auf dem Stein…) Gestern Abend in Wuppertal mit Ela und Christiane. Ein Geburtstagsgeschenk, dass ich eingelöst habe. Im Februar hatte ich bereits kurz über Pina Bausch geschrieben, nachdem ich Wim Wenders Film Pina im Kino gesehen hatte. Der Film hatte mich fasziniert und ich wollte gerne eine ihrer Inszenierungen sehen, um selbst zu spüren, was die Faszination ausmacht. Live.

Wuppertal im Juni. Ein warmer Abend, eine merkwürdige Stadt. Deutschland. Paris, Tokio, London, New York. Ein kleines Opernhaus. Ausverkauft. Wie immer, wenn ein Pina Bausch-Stück aufgeführt wird. Das Ensemble ist unterwegs, ist weltberühmt. Ein Blick in den Spielplan zeigt, es ist eine der raren Gelegenheiten, Pina Bauschs Tanztheater zu erleben. Die Komapnie ist viel unterwegs: Oslo, London, Warschau, Budapest, Ottawa…

…wie das Moos auf dem Stein… Vorletzte Woche hatte ich eine Männer-Frauen-Väter-Mütter-Themenwoche. Gestern Abend auf der Bühne – nur ein weißer Tanzboden, eingerahmt von schwarzen Wändern und Vorhängen – 9 Tänzerinnen und 8 Tänzer. Frauen, Männer, die sich im Spiel miteinander, in der Auseinandersetzung untereinander näherter, lockten, stießen, verführten, berührten, bedrängten, entzogen. Fast drei Sunden lang, unterbrochen nur von einer kurzen Pause. Und ich saß da, sog die Bilder auf. Die Frauen in langen Kleidern, barfuß oder in Stöckelschuhen. Sie schwangen ihr Haar, legten es. Männer in dunklen Anzügen, Hemden. Männer unf Frauen in immer wieder neuen Sitautionen. Das ewige Spiel.

Wir waren hier im Blog ind en Kommentaren um das Thema herum gekreist und hatten keine richtige, am Ende fest stehende Antwort gefunden. Das hat der Abend gestern auch nicht. Aber er ist einen großen Schritt weitergegangen. Er hat das Thema, das Menschengeschlecht, das Geschlecht der Menschen in aller Zartheit aufgenommen und mit einer tiefen Feinfühligkeit zelebriert. Jeder Augenblick getragen von Emotion. Jeder Solotanz durchdrungen von Erfahrung, von Annäherung, vom Ausdruck des eigenen Verstehens. Die Männer so männlich und gleichzeitig so verletztlich. In starken, großen Bewegungen. In Kreisen um das Geschenen herum. Kraftvoll, dynamisch. Die Frauen zentrierter, mittiger. Auch voller Kraft und Ausdruck, aber verletzlicher. In einer ganz anderen Körperlichkeit. Der Ausdruck weiblicher Seelen. Es war so spürbar.

Tatsächlich war es die große Liebe der Pina Bausch, die den Abend getragen hat. Die Liebe zu Menschen. Zu den Kleinigkeiten des Lebens, die das Große ausmachen. Es war ein sicherer Raum, diese Bühne, dieses Theater. Es gab so viel Harmonie, ohne der Anbiederung. Das die Geschlechter Trennende, männliche Gewalt etwa, löste sich auf in ein Empfinden. Am Anfang: Zwei Tänzer trugen eine Tänzerin über die Bühne. Berührten sie sie und hoben sie hoch, schrie si. Ließen sie sie los, verharrte sie. Das war auch das Schlussbild. Das kniete die Frau, der Mann entfernte sich ind Dunkel der hinteren Bühne. Wer ist der Stein? Wer das Moos?

Pina Bauschs Tanztheater von der ersten bis zur letzten Minute pure, konsequent inszenierte Emotion. Alles passt perfekt, ohne perfekt zu wirken. Es scheint, als hätten die Tänzerinnen und Tänzer allen Raum der Welt, um auszudrücken, was sie zu sagen haben. Dennoch greifen die Bewegungen wie zahnräder eines Uhrwerks ineinander. Mänr und Frau bewegen sich ineinander, verschmelzen ihre Körper, löen sich aus der Bewegung heraus auf in ihre eigenen Körper. Fließend, leicht. Keine Akrobatik, keine Sensationen – nur stimmige, fließende Bewegungen. Eingerahmt in fantastische Bilder. Der Mann, der sih amHochseil entlanghangelt, während die Frau weder wegkommt, noch sich zu ihm hin bewegen kann. Ein Gurt um ihre Hüfte mit einem Seil, dass sie hält. Gefesselt, angeleint. Oder das ganze Ensemble am Boden, jeweils hintereinander sitzend in langer Reihe und sih, wie bei en Affen, kraulend, untersuchend. Die bunter Kider der Frauen auf dem weißen Boden, die langen dunklen Haare. Oder diue Frau, die ihr Haar auf den Boden legt. Ein Mann legrt seinen Kopf darauf, wie auf in Kissen. Sie rutscht weg, nimmt ihre Haare, das Kissen mit. Diese Sehnsucht nach Aufgehobenheit.

Mein Kopf ist voller Bilder. Ein Fotograf, der die Kompanie während der Arbeit fotografieren darf, kann sich glücklich schätzen. Authentizität, Audrucksstärke, große Bilder in Hülle und Fülle. Das liebevolle Tanztheater der Pina Bausch ist voller großer Momente, die eigentlich so klein sind. Alltag. Pure Begegnungen. Transformierte Realität fernab jedweder Künstlichkeit. Nun wird die Kompanie einige Monate unterwegs sein. Die Welt beglücken. Ich freue mich auf die Heimkehr und darauf, den in den Inszenierungen lebendigen Geist der Pina Bausch wieder zu erleben. Ihre Stärke strahlt weit über ihren Tod hinaus, ihr Können, ihre Kunst, ihre Menschlichkeit, ihre Fähigkeit, Tänzerinnen und Tänzer zu locken, sie weit gehen zu lassen. Über ihre Grenzen hinaus. Vielleicht sind das Offenbarungen. Auf jeden Fall ist es schön, unendlich schön. Anzusehen und zu fühlen.

Helga Mols: STRANGE LOOPS.


©Helga Mols. Aus der aktuellen Ausstellung STRANGE LOOPS.

Eben habe ich mit David telefoniert. David Grasekamp von mowaii.com, der deutschen Kommunikationsagentur, die beim internationalen Web Font Awards in New York den 3. Platz belegt hat. David lebt mit Helga, Helga Mols, zusammen, die als zeitgenössische Malerin zunehmend an Bedeutung und Berühmtheit gewinnt. Im letzten Jahr hatte ich im Blog über eine Ausstellung in ihrem Haus berichtet, in der sie Arbeiten ihrer Mutter vorgestellt hat. Nun stellt sie selbst aus und zeigt, was in ihrem Atelier zuletzt entstanden ist.

Das sind vornehmlich abstrakte, grelle, bunte, kraftvolle Arbeiten, die eine Magie entwickeln. Wenn man ihnen gegenübertritt, wenn man mit ihnen – man muss letztlich sagen mit sich – konfrontiert wird. Die Bilder, teils Großformate der Größe 120 x 150, teils kleine 30 x 30 Quadrate, entstehen über Wochen. Schicht lagert sich über Schicht. Die Erkennbarkeit verschwimmt, die Eindeutigkeit löst sich auf im Raum der Bilder. Es entsteht Tiefe, die zieht, die spiegelt, die befremdet, beglückt.

Helga arbeitet in ihrem Atelierhaus parallel an unterschiedlichen Schaffenssträngen, die sich letztlich vereinen. In ihrer Ausstellung im Kulturhaus Zander zeigte sie wunderschöne Blumen neben abstrakteren Tuschezeichnungen und dynamischen Spritzbildern. Da stand ein Auto aus Leinwand, ein dreidimensionales Gemälde – FLOW. Wie im Flug hatte es Farbspritzer aufgenommen und mit ihnen die Geschwindigkeit der Zeit aufgenommen. STRANGE LOOPS. nun ist wie die Fortführung des Themas. Ein Übergang in eine tiefere, verdichtete Abstraktheit.

David, der am Sonntag um 11 Uhr in die Ausstellung einführen wird, hat mir den tieferen Ansatz am Telefon erläutert. Es geht um Strukturen, rekursive Prozesse. Daher ist der Ausstellungsname STRANGE LOOPS. vom amerikanischen Mathematiker Douglas R. Hofstadter geliehen, der in dem Bereich forscht. Wer jetzt glaubt, solche Bilder würden in wenigen Minuten aus dem Bauch heraus auf die Leinwand gespachtelt, den möchte ich einladen, sich die Ausstellung anzusehen. Die Termine und weiteren Infos findet ihr hier. Ich bin überzeugt, es lohnt sich.

STRANGE LOOPS. Neue Bilder von Helga Mols im Atelierhaus Mols in Overath.

» SA. 21. Mai / Vernissage
» SO. 22. Mai / Einführung (12 Uhr)
» MI. 25. Mai / Werkschau (19 Uhr)
» SA. 28. und SO. 29. Mai
» DO. 02. und SA. 04. und SO. 05. Juni 2011

Immer ab 11 Uhr und an den Wochentagen auch nach telefonischer Vereinbarung.