R.I.P.

Rest in Peace mein lieber Baum.

Zoe kam nach Hause. Papa, der Baum, dein Baum, er ist umgekippt. Dorfnews. Von den Bäumen. Getrommelt, erzählt, geflüstert. Der Nachbar gestorben, ein guter Nachbar. Alt. Über Achtzig. Sehr geliebt. Ich möchte keinen Vergleich ziehen, zwischen Mann und Baum. Aber ich werde mich daran erinnern, dass dies das Jahr war, als alles zusammen kam. Auf die vielen Entwicklungen noch lauter kleine i-Pünktchen. Akzente. Veränderungen. Unaufhaltsam.

Im Buddhismus, in meiner Linie, ist die Vergänglichkeit ein zentrales Thema. In den Meditationen wird sie in den einleitenden Worten genannt, weil sie zeigt, wie wichtig der Moment ist. Was morgen geschieht, wo wir morgen sind, weiß nur der Wind. Wenn überhaupt. Und so geht es weiter. Löst sich auf, findet sich neu. Wie die Wolken am Himmel, die ziehen, tanzen, sich vereinen, um abzuregnen und im grellen Blau sich aufzulösen. Was hat Bestand? Was ist fest? Eine Eisenbahnschiene? Wie ragen sie in die Luft, gedreht wie ein Stück Draht, wenn’s kracht. Wenn Züge ihre Spur verlieren und sich am lichten Tage ineinander schieben. Zum Beispiel. Oder Türme, die fallen. Vom einen auf den anderen Augenblick. Im Radio die fassungslose Stimme, die das Undenkbare beschreibt. Den Moment werde ich nicht vergessen. Konnte es nicht fassen. Mit den Kindern gespielt, im großen Zimmer. 9/11.

Von den großen Türmen zu einem kleinen Baum. 2012. Das Jahr, das als Jahr der Veränderung angekündigt wurde. Was war im Vorfeld von Konstellationen gesprochen worden. Ich hatte mich lächelnd zurückgelehnt, hatte mit Ela die halbe Nacht getanzt, Sylvester, wir standen auf einer Terrasse und prosteten sorglos dem neuen Jahr zu. Ich bin nach London gegangen für eine Woche in die buddhistische Sangha, habe Englisch gelernt, kam zurück. Vorher mein Vater. Der neue Job demnächst. Sylvester war von all dem nichts in meinem Kopf. Ich dachte, alles bliebe automatisch, wie es ist. Für immer. Ich hatte meine Lektionen nicht gelernt, obwohl ich es hätte besser wissen müssen. Die Meditationen sagen es. Immer wieder. Alles ist vergänglich. Hänge nicht daran. Lass die Seile gehn.

Den Baum habe ich gestützt nach dem Sturm, weil er noch schiefer hing. Es gibt Dinge, die lassen sich nicht aufhalten. Mit noch so großer Kraft nicht. Wozu auch? Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Alles eins. Ich habe diesen Satz lange nicht verstanden, weil mein Kopf in gestern, heute, morgen unterteilte. Auf anderer Ebene jenseits des Tagesgeschäftes ist es aber so, dass alles wie bei diesen russischen Figuren ineinander steckt. Die Gegenwart entält die Zukunft und die Vergangenheit. Bestimmt sie, ist bestimmt worden. Denn die Gegenwart ist die ehemalige Zukunft. Zukunft ist die baldige und spätere Gegenwart und irgendwann Vergangenheit. In diesem Augenblick glauben wir, Vergangenheit und Gegenwart sind klar weil schon oder gerade gelebt. Und die Zukunft wäre offen. No. Speedtrain. Die Zukunft ist schon definiert, geschaffen. Auch in diesem Augenblick, auch mit diesem Text. Bausteine, Mikrosysteme. Alles ist mit allem verwoben.

In einem lichten Augenblick draußen habe ich das einmal gesehen. Vorsicht, jetzt wirds esoterisch. Wer das nicht mag, sollte jetzt Kaffee trinken gehen. Es war ein Tag 2005. Im Frühjahr. Aus bestimmtem Grund war der Kirschbaum gefallen. Ein einschneidender Tag, der schmerzte. Wenn Bäume fallen, bestimmte Bäume, sind das Coelhos Zeichen auf dem Weg. Grenzsteine. Menhire. Im Eindruck dieses Falls ging ich ins Maikäfertal. Allein. Noch ohne Cooper, der später im Jahr zu mir stieß. Im Februar des Jahres hatte ich das erste Mal meditiert und war geflasht. Das passte. Nun ging ich diesen Weg entlang zu einem meiner Bäume. Da gibt es mehrere. Manchmal bin ich ein sentimentaler Sack. Die verschrobene Birke an der Ecke mit den Rindenverletzungen. Sie hat sich dort so reingedrängt ins Eck und kämpft ums Licht neben den Eichen. David, Goliath.

Dort stand ich und legte meine Stirn an den Baum. Da war das Bild. Die Wiese vor mir, der Wald dahinter voller Leuchtpunkte. Wie eine 3D-Karte mit kleinen Erhebungen, auf denen orangene Lichter leuchten. Und alle waren miteinander verbunden, durch dünnere oder dickere Lichtfäden. Nur ein Bild. Ein kurzer Augenblick. Verbundenheit des Guten, dachte ich. Ging nach Hause und nahm es mit. Manchmal kommen solche Bilder. Kennt ihr sicherlich auch. Messages, Botschaften am Rande. Alles steht und fällt in einem Zusammenhang.

Mein kleiner Baum liegt nun am Boden. Vielleicht reichen die letzten Wurzeln noch für ein Aufblühen im Frühling, um irgendwann vom Bauern beiseite geräumt zu werden. So it is. R.I.P.

8 Antworten auf „R.I.P.“

  1. Hallo Jens,

    ein schöner Text. Ein großes Jahr. Veränderung, Schmerz, Neues, Freude. Alles liegt so dicht beieinander.

    Ich stelle in diesem Jahr fest: Wer nicht hinschauen will, wer im Alten verhaftet bleibt, weil er Angst vor der Veränderung hat, wer die Zeichen nicht erkennt oder erkennen will, wird gnadenlos „vor den Kopf gestossen“ – immer und immer wieder. Und wer die „Schuld“ im Aussen sucht, leidet und Opfer ist, bleibt hängen, stagniert, wird krank oder bricht sich die Knochen…

    Ein schönes Wochenende
    Tine

    1. Hi Tine,

      danke. Yes, ein unbändiges, kraftvolles Jahr. An allen Ecken und Enden funkt und spratzt es. Meien Güte. Tatsächlich, der Speed ist so hoch, dass alles aus der hand gerissen wird, was man versucht festzuhalten. Plötzlich springen Männer mit Fallschirmen aus der Stratossphäre. So ganz nebenbei. Da ist es schon hilfreich, möglichst klar zu sein und bei sich zu bleiben. Würde es nur immer gelingen:) Bei allem was geschehen ist, möchte ich die Uhr nicht zurückdrehen. Das alles war und ist eine große Erfahrung. Ich denke, für mich habe ich viel gelernt, auch wenn manches eine harte Schule war. Ein wahrhaft strenges Jahr, das es dennoch gut mit mir meint. Das Komische ist: Seit langem fühle ich mich nun wieder wie ein Glückskind.

      Ich wünsche dir auch ein schönes Wochenende.

      Liebe Grüße

      Jens

  2. Hallo Jens,

    kennst Du das Lied? Mein Freund, der Baum, er starb im Morgenrot. Neben Wolken und Wettererscheinungen mag ich besonders Bäume. Bei meinen Eltern gibt es ein paar Bäume, die ich besonders mag. Eine Eiche an den Bahnschienen, auf die ich früher gerne geklettert bin, bis ich feststellte, daß es dort viele Ameisen gab, die ich nicht mochte. Eine Eßkastanie auf dem Hof, die jedes Jahr leckere Kastanien verschenkt. Eine riesige Eiche, die auf der früheren Kuhweide steht. Dort kann man es sich so richtig gemütlich machen mit einem Buch …
    Eines Sonntagnachmittags, wir saßen mit der ganzen Familie in der Küche und aßen Kuchen, kippte auf einmal unser geliebter Birnenbaum vor dem Küchenfenster um. Und warum? Unsere Schweine pflegten ein Schlammbad im Teich zu nehmen. Danach ging es in die Sonne. Wenn der Schlamm getrocknet war, wurde sich am Stamm des Birnbaumes der getrocknete Schlamm abgerieben. So sah das schweinische Schönheitsprogramm aus!

    Was gestern noch morgen war, ist übermorgen schon vorbei. Das Leben ist kein Stillstand, sondern eine ständige Bewegung. Manchmal erkennen wir Zusammenhänge erst später. Machen wir das beste aus dem gegebenem.

    LG
    Annegret

    1. Hallo Annegret,

      was für schöne Erinnerungen. Bullerbü. Überall verwunschene Orte. Kopfkino. Sonnenschein. Wir sind immer umgezogen, deshalb waren mir meine Bäume abhanden gekommen. Immer neue gesucht. Hier nun sind sie. Das ist gut. Scheinbar gibt es Menschen wie uns, die Bäume so sehen. Obwohl. Ich denke, alle Menschen freuen sich. Manche vielleicht anders. Keine Ahnung. Danke für die schönen Bilder! Das Lied kenne ich, ja.

      Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.

      Liebe Grüße

      Jens

  3. Wie traurig. Der Baum ist nicht mehr.
    Das ist ein bisschen so wie ein/das alte Haus verlieren…
    Und immerwährende Wandlung und Verbundenheit mit allem oder nicht: er fehlt. Jetzt, und immer wieder einmal jenen, die um ihn wussten und für die er Bedeutung hatte. Ich lege ein imagäres Gänseblümchen zu seinen Wurzelfüßen. R.I.P
    filo

    1. Liebe filo,

      so it is. Ich sage mir jetzt: O.K. – es ist nur ein Baum, der dem Wind nicht standgehalten hat. Mag nicht trauern. Ins Gestern schauen. Es gibt so viele Verabschiedungen. Es hat nicht sollen sein und auf der Welt gibt es größere Probleme. Sag ich und fühl was anderes, was ich verschweige.

      Danke

      Jens

  4. So, so, hier treibst Du Dich also herum….
    Zu Deiner „Alles-Verbunden“-Vision: Ich empfehle Dir und allen Lesern, die sich mit Buddhismus/Meditation beschäftigen das Buch „Hardcore Zen“ von Brad Warner. Brad Warner ist Zen-Meister und weit vom esoterischen Erleuchtungstinnef entfernt anzusiedeln. Er verpackt sein tiefgehendes Wissen in lässige Formulierungen, was sehr wohltuend ist. Dein Blogeintrag erinnert mich an ein Kapitel, wo Warner seinem Lehrer Gudo Nishijima Roshi von seinem Klartraum erzählt, wobei sich das Universum vor ihm entwickelte, eine Art Verschmelzung mit Gottes Geist. Sein Lehrer schrieb zurück, dass das Ganze nur Hirngespinste seien, was Warner natürlich (zunächst) am Boden zertörte. Nachdem er stundenlang über die Mail von Nishijima gegrübelt hatte, aß er in seiner Mittagspause eine Mandarine. Er erfreute sich an dem wunderbaren Geschmack, erfreute sich daran, hier und jetzt am Schreibtisch zu sitzen und empfand große Dankbarkeit, denn niemand sonst würde jemals jene Mandarine schmecken. Darüber schrieb er erneut eine Mail an seinen Lehrer, der diesmal antwortete: „Eine Mandarine zu essen, ist echte Erleuchtung“.
    Das finde ich grandios! Wobei ich in keinster Weise Deine „Vision“ bezweifeln will und kann. Die Frage ist nur, wie man damit umgeht. Da ich immer noch ohne Boot im Meer herumtreibe, habe auch ich nicht die geringste Ahnung! Brad Warner gibt aber, meiner Meinung nach, eine gute (und echt coole!!) Hilfestellung.
    AHOI!
    Holzbeinpiratin

    1. Liebe Kollegin,

      du hier. Freut mich. Der andere Kanal war ausgereizt. Kein Publikum, kein Interesse. Hat keinen Spaß mehr gemacht. Hier ist das anders. Und so freue ich mich, dass du hier bist. Welcome!

      Besagte Vision: Richtig, ein Hirngespinst. Keine Eingebung, kein göttliches Zeichen, kein Wallfahrtsort. Mitnichten. Ein inneres Zeichen. Ein inneres Nervenspiel. Eine Information, die als Ball ins Spiel gebracht wurde. Was damit tun? Für mich einfach ein Hinweis, aufs Licht zu schauen. Mehr nicht.

      Bei uns hier in Waldbröl hat Thich Nhat Hanh eine buddhistisches Zentrum in entstehen lassen. Seine Linie hat Geh-Meditationen, in denen es darum geht, zu gehen. Nur zu gehen. Sich bewusst zu sein, dass man geht. Nichts anderes. Gehen. In dem Moment. Ich denke, dass es einen Weg gibt, es zu schaffen, nur zu gehen. Das fällt nicht vom Himmel. Da gibt es Dinge, die vorher geschehen sollten. Einiges sollte man wissen, lernen. Manches erfahren. Anderes üben. Und: All das wollen. Manchen ist der Weg gegeben, manchen nicht. Mit gut. Ohne auch gut. Da gibt es keine Trennung. Keine Wertung. Keine Überlegenheit. Nur das, was passt. Bei manc hen jenes, bei manchen anderes.

      Ich für mich habe, auch im Zusammenhang mit dem besagten Bild, den tibetischen Buddhismus gewählt. Es hätte auch etwas ganz anderes sein können. Mit dem christlichen Glauben hatte ich Probleme. Nicht, weil er mir fern ist. Gott ist mir durchaus nah. Nur habe ich keine Anknüpfungspunkte. Die meisten Predigten haben mich gelangweilt und waren auswendig gelernt. Kein Hafen. Kein Wohlfühlen. Keine Möglichkeit. Für mich. Mir, das sage ich nur für mich, gibt der tibetische Buddhismus mehr. Die Meditationen passen zu mir, sind für mich besser als Gebete. Aber ich weiß sehr genau, dass sie für viele Unsinn sind. O.K. So ist das.

      Wo ist dein Boot geblieben? Bau dir eins.

      Herzliche Grüße

      Captain J.

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