… der Niederländer. Der Amerikaner. Jan Brandt. Gegen die Welt. Meine momentane Bettlektüre nach langen Tagen. Vorher waren es Marten ‘t Hart und Jonathan Franzen. Jan Brandt, Deutschland, geboren 1974. Jugend in den Achtzigern. In Ostfriesland. Leer, Aurich. Provinz.
Ist das ein Makel der deutschen Literatur? Dieses oftmals Kleinstädtische. Enge. Gegen die Welt überrascht mich gerade. Das Buch berührt mich, piekst mich an, erzählt mir etwas, hat eine Stimme, die zu mir spricht. Wieso schafft Brandt das, was vor ihm viele versucht haben? Weshalb gelingt es ihm , die Zwänge, in denen sich seine Protagonisten bewegen, so sichtbar zu machen. Weil ich auch in den Achtzigern aufgewachsen bin, so wie die Jungs um Daniel Kuper? Weil ich weiß, was eine Herkules Prima 5S ist und welchen Stellenwert sie hatte?
Oder weil ich in meinem Leben durch die Provinz getingelt bin und die von Brandt beschriebene Atmosphäre einer verklemmten Westernstadt so gut kenne? Dawson City – Jericho, Ostfriesland. Ich könnte im Quartettspiel der Provinzilität mit Ortsnamen aus dem Emsland, dem Münsterland, der Eifel, dem Westerwald, dem Oberbergischen kontern. Stich.
Lese ich ‘t Hart oder Franzen, lächle ich. Diese Niederländer in ihrem verklemmten Glauben. In ihrer spröden Christlichkeit, in ihrem Bibelstellenverharren. Diese Amerikaner. So liberal, so freigeistig, so locker, so cool. Tolle Namen. Allein: Sie dürfen New York schreiben und damit eine Stadt im eigenen Land meinen. Ganz easy. Keine metapher, kein übergroßes Konstrukt. Eine Stadt, in der Freunde oder Verwandte leben. Ich könnte dem Koblenz entgegenstellen oder Detmold. Wenn ich Franzens Figuren zuschaue, wie sie sich in ihrer eigenen Engstirnigkeit verheddern und dabei ihre Freiheit wie eine Kopfschmerztablette im Aquarium eines Glases Wasser auflösen, dann kann ich nur lächeln. Ein wenig mitleidig überheblich. Siehste, die haben’s auch nicht leicht. Trotz Vegas, Kalifornien, leben auf dem Sunset Boulevard. Glamour, Psychoanalyse inklusive.
Nun ist da dieser Herr Brandt, der den Weg aus dem Ostfriesland der Siebziger und Achtziger bis nach Berlin geschafft hat, wo man leben muss, um den Abstand zu haben und den Mikroskopieblick auf die Vergangenheit zu richten. Die Vergangenheit eines Volkes. Des deutschen Volkes, dass sich marschieren ließ, einst, und das nach der x-ten Aufklärung dann in den Sechzigern begann, sich selbst zu sezieren, um dann trotzdem in den alten Mustern weiterzumachen? Weshalb kommt mir diese Jan Brandt Welt der Achtziger so vor, als habe sich nichts getan? Weshalb ist dieser Ort Jericho so zeitlos? Haben wir in den letzten 40 Jahren wirklich irgendetwas von unseren Zwängen über Bord geworfen? Stehen wir heute mit unserem wahren inneren Kern an einer anderen Stelle?
Ich freue mich so über dieses Buch gegen die Welt, weil es groß ist. Weil es mit ganz eigenen Mitteln Verklemmtheit zeigt. Manchmal schaue ich auf meine Tastatur und sehe die 26 Buchstaben plus Hilfstasten. In diesen Tasten steckte gegen die Welt und Jan Brandt hat die Geschichte dort heraus gehoben. In einer Zeit, in der sich alles auf das Materielle stürzt. Die Dollars, die Euros, die Maschinen zur Bewahrung der Umwelt, die Technologien zum Kampf gegen alles. In dieser Zeit ist ein solches Buch doppelt viel wert, weil es den Menschen in den Mittelpunkt rückt und uns eindringliche Fragen stellt. Wie seid ihr unterwegs? Was macht ihr aus dem, was ihr habt? Wie menschlich seid ihr?
Keine politischen Fragen, keine Problemlösungsansätze. Eine Auseinandersetzung, die Worte in den Mittelpunkt rückt, die fragen: Was machen wir hier eigentlich Tag für Tag? Sich damit auseinanderzusetzen wäre parallel zu allem technologischen und ökonomischem Fortschritt sicherlich eine wichtige Säule für den Ausgang des Menschen in diesem Land aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Ich bin gespannt, wie das Buch weitergeht. Momentan fahre ich mit Jan Brandt Bahn – Richtung gegen die Welt:)