… oder gelesen habe. Wie ihr wahrscheinlich schon mitbekommen habt, lese ich. Eingentlich alles, von der Zahnpastatubenaufschrift über das Wochenblatt bis zu den verschiedenen schönen Romanen dieser Welt. Wahrscheinlich tanke ich dabei mein Buchstabenreservoir auf, das jeden Tag berufsbedingt Verluste hinnehmen muss. Aktuell habe ich zwei Bücher gelesen und in einem bin ich mittendrin.
Unterm Scheffel, Maarten ‘t Hart
Der Niederländer schreibt einfach schön. Die Themen sind unspektakulär, die Sprache fließt ruhig dahin wie komponiert. Maarten ‘t Hart ist ein wandelndes Musiklexikon. Die klassische Musik kennt er scheinbar nicht nur in Auszügen. Gleiches gilt für die Bibel. Seine Romane sind voller Musik und Bibelzitate. In Unterm Scheffel steht die Hauptfigur, ein Komponist Ende Vierzig, tatsächlich unter dem Scheffel. Seine Frau, eine europaweit singende Sängerin, die er kaum sieht, herrscht über die heimischen vier Wände. So sie da ist. Dann wird die Welt des Komponisten eng und er zieht sich zurück in seine Gedanken, seinen Garten. Das wird zunächst anders, als er (Ende vierzig) eine wunderschöne junge Frau (Anfang 30) kennenlernt. Die beiden haben eine Affäre, treffen sich, verlieben sich ineinander. Er kann es nicht fassen. Das geschieht in der ersten Hälfte des Buches und ist aufregend zu lesen, wenn man Liebesgeschichten mag. Im zweiten Teil des Buches wird es dann traurig, weil die Liebe verrinnt. Unter anderem, weil seine Welt aus Mozart, Schubert, Schumann, Brahms, Bach nicht mit ihren Red Hot Chilli Peppers harmoniert. Da können beide nicht über ihren Schatten springen. Nur: Wohin mit der unglücklichen Liebe, die zwischen den Fingern hindurchrieselt und sich nicht halten lässt? Mal wieder wirklich schön, schön geschrieben. Kein Wort zu viel, die Figuren lebendig klar gezeichnet, die Geschichte dicht und stringent erzählt. Maarten ‘t Hart schafft es einfach, das Wesentliche, das Leben zu beleuchten, ohne Arabesquen. Mal wieder sehr empfehlenswert.
Das war ich nicht, Kristof Magnusson
Ein Roman über die Finanzkrise, einen Schriftsteller und seine Übersetzerin. Zunächst laufen die Erzählstränge – überschrieben mit JASPER, MEIKE, HENRY – parallel. Die Figuren erzählen in ihren Kapiteln aus der Ich-Perspektive. Schritt für Schritt fließen die Geschichten ineinander. Der berühmte Schriftsteller und Pulitzer-Preisträger schafft es nicht, seinen groß angekündigten Roman über die Finanzkrise zu schreiben, die vor ihrem Mann geflohene Übersetzerin gerät daraufhin in Geldprobleme und der Banker, der für den Schriftsteller als Vorbild einer Romanfigur erscheint, verliebt sich in die Übersetzerin. Die Figuren treffen sich in Chicago, die Verwicklungen nehmen ihren Lauf. Ihren dramatischen Lauf. Geld ist da, Geld ist weg, der Roman wird geschrieben, wird er nicht. Eine turbulente Dreiecksgeschichte, in der viel passiert und die sich gut lesen lässt. Der Einblick in die Welt der Banker und Trader ist faszinierend. Insgesamt ist das Buch schön geschrieben, gehört aber nicht zur großen Literatur. Dazu fehlt es den Figuren letztlich an Tiefe. Dennoch macht das Buch Spaß, zieht immer weiter in sich herein und wird teilweise richtig spannend. Am Ende gibt es eine Auflösung aller Verwicklungen und Antworten auf die im Raum stehenden Fragen. Ein ganz gutes Buch, das ich empfehlen kann.
Simpel, Marie-Aude Murail
Ein Jugendbuch, das über Jim bei uns gelandet ist. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis, wie ein Aufkleber vorne drauf verkündet. Hauptfiguren sind zwei Brüder in Paris. Der jüngere ist 17 und Gymnasiast, sein Bruder ist 22 und geistig behindert. Colbert und Simpel, der eigentlich Barnabé heißt, aber aufgrund seiner geistigen Entwicklung, stehengebleiben auf dem Stand eines Dreijährigen, den Spitznamen Simpel trägt. Colbert hat seinen Bruder aus dem Heim gerettet, weil er nicht mitansehen konnte, wie der dort immer schweigsamer wurde und sich in sich zurückzog. Der Vater ist irgendwie weg, die Mutter lebt nicht mehr. Colbert ist auf sich allein gestellt, hat nur das Geld aus dem Erbe der Mutter. Die beiden kommen nach Paris, wohnen zunächst bei einer unerträglichen Großtante und brauchen dringend eine Wohnung. Nicht so einfach zu bekommen mit 17 und einem Bruder, der auffällig ist und immer im falschen Augenblick das Falsche sagt. Colbert und Simpel kommen in einer WG unter, in der sie mit drei jungen Männern und einer jungen Frau zusammenwohnen. Zunächst scheint es, als würde es nicht klappen, dieses besondere Zusammenleben mit einem geistig Behinderten, dem dauernd etwas einfällt. Der Betreuungsaufwand ist groß, Colbert muss zur Schule gehen. Eigentlich kann das Modell nicht funktionieren. Aber. Menschlichkeit. Die Freude an Simpel, der oft einfach die Wahrheit sagt und so etwas wie einen guten Geist verkörpert. Er wächst den Mitbewohnern und der Mitbewohnerin ans Herz. Und so entsteht eine schöne Geschichte, die äußerst einfühlsam und spannend geschrieben ist. Aus dem Problemfall wird ein wertvoller Mitmensch. Wie das Buch ausgeht, weiß ich noch nicht. Ich lese gerade das letzte Drittel. Aber ich habe das Gefühl, alles wird gut und immer besser. Ein Buch, dass ich Menschen, die manchmal gerne Jugendliteratur lesen, sehr empfehlen kann. Einfach gut und konsequent geschrieben.
Was lest ihr gerade? Vielleicht könnt ihr Tipps geben und Namen nennen. Ist doch immer spannend, neues zu entdecken. Könnt ihr hier machen oder im Forum, wo ich ein Thema Buchempfehlungen eingerichtet habe.