Wie sieht’s aus?
Puh, ich sage euch. Mal eben so sein Leben auf den Kopf stellen, sich neu erfinden, das haut einen ganz schön aus den Socken. Ich habe das Gefühl, mein Kopf wird umgebaut. Alles neu denken. Das Projekt läuft, etabliert sich. Am Sonntag waren Ela und ich mit Freunden in der Kölner Philharmonie. Jens, ihr Freund, war hier und hat auf die Kids aufgepasst. Jens und ich tauschen Musik, haben teils den gleichen Geschmack, haben zu meinem Geburtstag zusammen gekocht. Gestern Morgen hat er die Kinder zum Bus gebracht, ich hab ihm nen Kaffee gekocht. Es geht nur zusammen. Es geht. Immer besser. Wir werden, wenn das zeitlich klappt, mit der ganzen WG gemeinsam nach Italien fahren. Sommerurlaub. Und ich freue mich drauf. Ehrlich.
In der Zwischenzeit suche ich. Nach neuen Wegen. Habe mir die Haare abgeschnitten, mein Gewicht bei 60 Kilo eingependelt, mein Zimmer umgebaut, viele Gedichte geschrieben, Konzerte besucht, Pläne geschmiedet… Für mich wichtig: Ich habe mich entschieden. Nichts, nichts, rein gar nichts geht hier am Projekt Familie vorbei. Ich werde meinen Papa-Job durchziehen. Bis die beiden auf eigenen Füßen stehen.
Letztlich muss ich sagen: Diese Freiheit, diese neue Freiheit fühlt sich gut an. Wo Schatten ist, ist auch Licht. Vieles ist jetzt leichter. Die alten Fesseln, die ich so nie empfunden habe, sind jetzt weg. Plötzlich kann ich, abgesehen von meinen Papa- und Hausmeisteraufgaben, tun und lassen, was ich will. Niemand redet rein. Die letzten Wochen hab ich nachts meist nur drei Stunden geschlafen. Mein Ding. Komplett. Kann absolut für mich allein entscheiden. Nach zwanzig Jahren Beziehung gibt es doch viele Dinge, die unterbewusst arbeiten. Einschnüren. Manchmal erwische ich mich bei dem Gedanken: Das kannst du jetzt einfach tun. Ohne zu fragen, ohne abzustimmen. Termine, klar, die müssen geregelt werden. Aber was ich tue, komplett mein Ding. Ich kann jetzt wilde Dinge tun.
Die größte Neuentdeckung ist die Musik. Wiederentdeckung. In den Neunzigern habe ich viel verpasst. War mit Karriere, Ela, Kids, Haus beschäftigt. Familienphase. Die läuft allmählich aus und mein Leben kehrt zurück. Da ist nun viel Platz. Für Portishead, Massive Attack, Faithless, Rage against the Machine. Liege abends in meinem neuen Bett, schaue durch das Dachfenster in den Himmel, höre die CDs. Platten hören. Komplett. Ewig nicht gemacht.
Jede Medaille hat zwei Seiten. Manchmal kommt die Trauer. Das die Familie als konventionelles System nicht funktioniert hat. Das sich die Liebe zwischen Ela und mir aufgelöst hat. Manchmal fühlt es sich an wie versagen, dann wieder ist es gut. Das wird noch eine Weile so gehen. Was ich weiß: Ich will nicht mehr zurück zu dem, was vorher war. Das Neue hat sich noch nicht komplett gefunden, aber es kommt. Stück für Stück. Und es ist aufregend, so, wie es mir gefällt, weil viel, viel passiert. Mein Leben ist jetzt lebendig und bunt wie seit Urzeiten nicht mehr. So gehe ich weiter. Tag für Tag. Nacht für Nacht. Mit Menschen, die mir zunehmend ans Herz wachsen. Neue Menschen. Alte Menschen. Da ist jetzt viel Platz…




