Man könnte verrückt werden…

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…wenn man wollte. Da ich das nicht möchte, betreibe ich manchmal aktive Nervenberuhigung und Gedankenbereinigung. Denn wir leben in unruhigen, herausfordernden Zeiten. Zumindest empfinde ich sie aktuell als unruhig und herausfordernd, aber das haben die Menschen wohl schon immer getan.

Aktuell dreht sich viel um Islam und Islamismus und Krieg und Terror. Keine schönen Dinge, die da geschehen. Schreckensbilder, die die Fantasie beflügeln. Albert Camus’ “Der Fremde”. Am Ende liegt der Mann tot am Strand. Der Araber. Kopfkino. Pegida. Beschimpfungen. Vorwürfe. Einfache Lösungen auf allen Seiten. Herrje, es ist Weihnachten.

Ja, ich halte mich da raus. Tutti kompletti. Klar habe ich meine Meinung, aber die ist weder schwarz noch weiß, weder links noch rechts, weder dafür noch dagegen. Es wird nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Die Extreme suchen sich zu nivellieren. Es ist ein Prozess, ein Ausgleich der Kräfte und Meinungen. Demokratie, juchhu. Hey, Demokratie kann nerven. Und Rosa Luxemburg hat den Satz von den Andersdenkenden gesprochen.

Derweil lese ich mit und halte mich zurück. Mach andere Dinge, die jetzt wichtig sind. Am Wasser entlang gehen, bevor der heilige Abend kommt. Schließlich sollte man dann klar sein. Es ist der Abend, an dem die Familien zusammenkommen. Da wird viel von Besinnung gesprochen. Die Menschen gehen in die Kirche und hören Zeilen aus der Bibel. Da geht es um den Erlöser, das Löschen von Schuld, um Engel, Boten und heilige Könige, die dem Stern gefolgt sind. Letztlich: Um gute Taten.

Jim und ich sind dem Wasser gefolgt. Wir haben uns Herrn Cooper geschnappt und sind unserem Bach unten im Tal bis zur Quelle gefolgt. Stoisch dem Bachlauf entlang. Wir mussten klettern, viele Stacheldrahtzäune überwinden, überschwemmte Flächen umgehen und uns dem Regen erwehren. Es sind ungemütliche Zeiten und die Raunächte stehen erst noch bevor.

Warum eine solche Wanderung? Macht klar im Kopf. Da ist nicht viel. Nur der Bach, die Landschaft, der Himmel. Jim und ich konnten ein wenig quatschen, über alles mögliche. Dinge. Keine Politik. Leben, Veränderung, Gegenwart, Zukunft. Hat Spaß gemacht. Drei Stunden waren wir unterwegs, sind an der Quelle angekommen und sind umgekehrt. Querfeldein den mehr oder weniger direkten Weg zurück. Nieselregen, frischer Wind um die Ohren.

Zwischendurch sind wir in einem kleinen, alten Steinbruch gelandet und haben Fotos geschossen. Aus allen Perspektiven. Ein verwunschener Ort, verrückte Farben. Die Fotos zeige ich euch unten. Bleibt mir nur, eine frohe Weihnacht zu wünschen. Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. Und schaut vielleicht mal, wie viel Frieden ihr so beitragen könnt. Wie viele Fronten ihr abbauen könnt. Wie viel Feingefühl ihr aufbringen könnt, um den Druck raus zu nehmen. Wie gnädig ihr dem Leben, den Mitmenschen und den Andersdenkenden gegenüber sein könnt.

Ich denke, das Wichtigste ist, dass es Weihnachten im Kreise der Familie viel zu lachen gibt. Pruuust! Haut rein:)

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Interstellar – wollen wir die Erde wirklich verlassen?

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Nun, man kann diesen Film anschauen und interpretieren. Man kann ihn zurecht als ein Meisterwerk unserer Zeit betrachten und ihn beklatschen. Hollywood liefert ganz großes Kino. Im beachtenswerten IMDb-Ranking erreicht der Film bereits eine bemerkenswerte 8,9 von 10. Das katapultiert ihn in der alltime-hall-of-fame auf den 12. Rang. Excellent, Christopher Jonathan James Nolan.

Egal. Vergessen wir einmal den Film. All das Faszinierende um Raum und Zeit, schwarze Löcher und unendliche Unendlichkeit. Das Abenteuer auf der Suche nach einer Überlebenswelt im All. Der Plan B der Menschheit. Ein Blockbuster. Es geht um Katastrophe und Rettung. Ami-Style.

Was mich interessiert: Wieso jetzt?

Kunst und Kultur sind wie die Mode. Sie nehmen Dinge vorweg und kreieren Trends. Deshalb investieren Städte in Kunst, weil sie dadurch vorweg gehen und den Status ANGESAGT erhalten. Kultur ist ein starker Faktor.

Nun dreht dieser Nolan einen außergewöhnlichen Film. Auf die animierten, übers Wasser fliegenden Paramount Pictures-Sterne folgen 169 spannende Minuten. Diese Minuten sind eine Odyssee. Matthew McConaughey (der im Film COOPER heißt!!!), der mit dem Oscar für seine Rolle im Dallas Buyers Club, betritt Neuland und durchfliegt Dimensionen.

Auf der Suche nach neuem Lebensraum.

Das ist der Punkt. Das hat mich berührt. Tatsächlich hatte ich plötzlich das Gefühl, dass es hier nicht einfach um eine Story geht. Nicht einfach um einen Film, eine Geschichte, die Aneinanderreihung gelungener Bildsequenzen. Mich hat eine Botschaft getroffen. Die Menschen verlassen das sinkende Schiff. Klar, Gedankenspiele. Aber scheinbar rückt der Kosmos ins Zentrum des Interesses.

Hier unten ist es im Zusammenleben aller ein wenig krampfig geworden. Der Club of Rome hat die Horrorszenarien der Entwicklung schon vor langer Zeit an die Wand geschrieben. Nun zeichnet sich ab, das viele Dinge eintreten. Und es gelingt nicht, eine Sprache zu finden. Babel. Es klingt wie eine Kakophonie.

Während sich Wissenschaftler Strategien überlegen, wie die Erderwärmung zu minimieren ist. Wie sich CO2 kompensieren lässt, wie mit den Folgen des weiterhin austretenden radioaktiven Wassers von Fukushima umzugehen ist, halten die Ukraine und die Idioten vom Islamischen Staat die Welt in Atem. Halten wir fest: Im Jahr 2014 freuen wir uns, dass Amerika Islamisten bombardiert. Zeitgleich ist Krieg in der Ukraine und Russland widerfahren westliche Sanktionen. Äh, wie jetzt? Was ist passiert? Da war doch mal G8. Russland als Partner… Gehen wir jetzt rückwärts?

Es scheint ein attraktiver Gedanke zu sein, dort draußen hinter der ISS das gelobte Land zu suchen. Ein Paradies, in dem Milch und Honig fließen. Lieber Planet, wir müssen uns trennen und sagen Adieu. Sorry, wir habens verkackt und nun können wir hier nicht mehr leben. Wir lassen dir die Idioten (Nazis, IS & Co.) hier und entschwinden…

Wollen wir das? Klar, eine Frage zur Unzeit. Noch ist nicht aller Tage Abend. Noch ist die Apokalypse nicht now und Armageddon ist nur ein billiger Vorreiter von Interstellar. Alles Kino. Und dennoch vorstellbarer denn je. Wir setzen die falschen Akzente. Wir vergeuden unsere Energie dafür, den schwarzen al-Baghdadi in Schach zu halten. Jahre, die verpuffen. Kräfte, die sich in Allianzen aufreiben. Sinnlos. Braucht kein Schwein.

Ich bin noch keine 50 Jahre alt und kann mich an Zeiten erinnern, da sah es echt rosig aus. Russland und Amerika hatten sich entschlossen, Abrüstung zu betreiben. Ein Michail Gorbatschow hatte eine Zeitenwende eingeleitet. Ich dachte damals: Nun ist die Welt gerettet. Wie doof kann man sein. Hammerwerfer, Vollpfosten, Kurzsichtige sterben nie aus.

Und so werden Filme gedreht, die die Geschichte der Suche nach neuem Lebensraum im All erzählen. Atlantis. Nicht im Meer, hinter den Sternen… Genau jetzt. Heute im Jahr 2014. Und die Story macht Sinn. Ja, ist überlegenwert. Paff.

O.K. Genug gejammert. Immerhin durften wir Interstellar in der Luxus-Version erleben. Nobel geht die Welt zugrunde. Für eine liebe Freundin hatte ich Webtexte für ihre Hebammenseite geschrieben – sie hat sich mit Gutscheinen für das Residenz-Kino in Köln bedankt. So ein Edelkino mit Ledersitzen und Tischchen und Bedienung und Begrüßungs-Prosecco und Antipasti und Drinks… Himmlisch. Herzlichen Dank, Michaela. Ein außerordentlich schönes und beglückendes Geschenk!

Die Sonnenfinsternis oben, das Foto, ist übrigens eine der Deckenleuchten des Kinos. So. Dann hoffen wir, dass die Wissenschaft schnell einen Weg durch die Wurmlöcher des Alls zu den sieben Bergen findet, wo es sich schön und entspannt leben lässt. Vielleicht gibt es ja für jede Religion einen Planeten, dann wären wir hoffentlich das Problem schon mal los…

Surreale Momente mit La Gare de Perpignan von Salvador Dalí

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Sinnlicher Overload. Knarrzknurrzzz im Zentralhirn. Alles echt? Alles surrealistisch?

Ihr wisst, am Ende ist dieser Blogger hier exakt genommen ein einfacher Junge vom Lande. Gerade dann, wenn die große weite Welt ruft. Nun sitze ich hier auf meinem Bett, traktiere dieses süße kleine Notebook mit hämmernden Fingern, höre schöne Musik von Viveka, denke an sie in einem von Bildern unterlegtem Dauermodus und sortiere meine sinnesbeflügelten Gedanken.

Ausgangspunkt ist ein Flug. Air Berlin gestern. München stand auf dem Programm. Ein Termin. Ich war einer von den Millionen, die morgens in ein Flugzeug steigen, um zu einem Meeting, einem Job, einem Termin zu fliegen. Business. Absichten, Ziele, Organisation, Wünsche, Hoffnungen, Arbeit. Zyklus des Geldes, der Wirtschaft, des Überlebens. Der Puls. Die Luftlinien und Flugrouten als Versorgungsadern von Gesellschaften, Nationen, Zusammenschlüssen. Flügel über allem, Auftrieb, Dynamik, Geschwindigkeiten, Prozesse des Werdens und Vergehens. Genug.

Konkret. Air Berlin ab Köln. Rein in den Luftvogel und mal wieder supergeil beschleunigt. Der Start ist es. Schneller als ein Porsche Turbo. Düsenantrieb für alle. PS? Au Mann. Das kracht, zittert, reißt. Und dann hoch. Fliegen. S-Bahn. Bus. Konferenzraum. Präsentation. Zeit. Ein geplatztes weiteres Treffen.

Dann. Dieses Déjà-vu. Eine U-Bahn-Station. Die Farben. Die Perspektive. Die Lichtrichtung. In Köln hängt Dalís La Gare de Perpignan von Salvador Dalí. Ich mag dieses Bild sehr und schaue es mir an, wenn ich im Museum Ludwig bin. Ich habe es oft fotografiert, darf es hier aber nicht zeigen. Schade. Verboten. Urheberrecht. Deutschland ist dieses immer-mehr-wird-verboten-und-kontrolliert-Land. Klare Richtlinien. Aufmerksames Annehmen der verabschiedeten Regelungen. Vorbildlich. Am Wochenende habe ich auf einem Flohmarkt ein Häuschen fotografiert. Sofort: “Dürfen Sie das?” Darf ich atmen? Darf ich etwas sagen? Darf ich auf die Toilette? Darf ich? Das Foto oben, das darf ich, weil ich kein Stativ verwendet habe und es nicht kommerziell nutze. Ich habe nachgesehen bei den Verkehrsbetrieben. Mit Stativ hätte ich nicht. Meine Güte. Als würde ich Seelen verbrennen. Genug.

Perpignan. Hier der Link zum Bild, damit ihr euch ein Bild machen könnt. Mir gefällt das Licht, mir gefällt der Aufbau, mir gefällt die Dynamik. Und die Farben, der fliegende Künstler ist für mich das Highlight. Die Symbolik, der Zug. Es saugt das Bild, es zieht. Steht man davor, es ist riesig, beginnt es zu leben. Es kommt etwas, es geht etwas. Ich bin kein Kunsthistoriker, ich kann es nur sagen, wie ich es empfinde. Es hat etwas mit Jesus zu tun und dem Tod und dem Übergang. Bahnhof.

Ein U-Bahnhof in München. Das Licht, die Farben, die Linien. Und bald schon kommt ein Waggon. La Gare de… Im Zentrum das Leben, die Menschen, viele verschleierte Frauen. München ist voller verschleierter Frauen. Seit dem all die Dinge unter dem Kürzel IS geschehen, bröckelt meine liberale Einstellung. Da rücken Dinge, gefärbt von den schwarzen Flaggen, in die Grauzone. Kreuzzug 14. Der Halbmond als Sichel. Schattenseiten der Toleranz. In der Folge werden die Waffen ausgegeben. Taucht in einem Roman am Anfang eine Pistole auf…

Surreal, diese Welt. Die Verbindungen globalisiert schleichend. Subversive Bewegung. Und dann, das Auge Gottes am Himmel (wie war das mit den Übertreibungen? :)

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Wir sind in die Innenstadt gefahren, als der Anruf kam, dass der Folgetermin ausfällt. Es hätte sich schon lohnen sollen. Ein Flug, zwei Treffen. Nun, es läuft nicht immer so. Warten auf den Abflug. Zwischenzeiten.

Zum Marienplatz, Viktualienmarkt. Fußgängerzonen sternförmig in alle Richtungen. Mehr Menschen als in unserer ganzen Gemeinde leben. Fluchttendenzen. In einem Schaufenster der Sound der Stadt. Muezzin Megaphone. Kafka. Lange Wege, Flure, Enge, Beklemmungen. Man könnte verrückt werden und glauben, es gäbe Soundbotschaften. Als müsse man nur hinhören, um den Sinn des Lebens zu erfassen. Als müsste man nur in diesem einen richtigen Augenblick dort stehen, um die Nachricht zu hören. Den Kopf neigen, das Ohr an die Scheibe, die Sinne konzentrieren, den Gehörgang freiräumen, entrümpeln, lauschen.

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Und das war lange nicht alles. Es folgte der Ort der Beichte, um heute in dieser aufgeputschten Sakralsprache zu bleiben. Ein Bündel glänzender Mikrophone. Gereicht von der Hand einer Göttin aus dem OFF. Sprich jetzt! Sag, was du immer schon sagen wolltest. Befrei dich, lass es raus, erleichtere dich.

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O.K. Landung. Zurück in der Realität. Ciao, Dalí. Am Ostbahnhof der Asiate von rechts nach links. Ein Bettler mit Tüten. Klein gebückt, silbernes Haar. Joggingschuhe an den Füßen. Asics Tiger. In XXL. Größe 47? Viel zu groß, fest an die Füße geschnürrt, irgendwo gefunden, geht schon. Passt ist eh nur eine Gewohnheit. Er hat mir gefallen, der kleine gebückte Mann mit aufrechtem Ziel.

Wir sind abgeflogen. Ich habe in der Men’s Health über das göttliche Hormon Testosteron gelesen, das Sixpack von Christano Ronaldo bewundert, ein Bier getrunken, Chips gefuttert und versucht, die Eindrücke Revue passieren zu lassen. Kommt man vom Land, sind die Sinne offen wie Scheunentore. Man nimmt die Rush hour als Grundrauschen einer irritierenden Zeit.

Dalí malte La Gare de Perpignan 1965. Da bin ich geboren worden an einem sonnigen Ostersonntag. Auferstehung. Das war eine andere, eine ferne Zeit.

Und jetzt die Rumänen…

Focus Seite

Ja Mann, was weiß ich eigentlich über Rumänien? Bilder im Kopf, sonst nix. Dracula, Transylvanien, Pferdefuhrwerke, ein toter Ceaucescu und erzkonservative CSU-Bayern, die mit Rumänen Wahlkampf betreiben. Kohl, Koch, Seehofer. Wie war das damals: Das Boot ist voll. Dann brannten die Häuser. Biedermann und die Brandstifter. Immer schön einheizen und Stimmung gegen Menschen machen und Angst schüren. Des lieben, hart verdienten Geldes wegens, dass dann die anderen in Saus und Braus verprassen. Janos hat da die schöne Geschichte vom Maulwurf und der Grille gemalt, die den ganzen Sommer über gefiedelt hat. Und? Im Winter setzt sie der Hirschhornkäfer (als Hundebesitzer mag ich keine Jäger, die nerven nur und lauern einem auf und sind tiermordende Großkotze mit perfidem Revierverhalten – wie Hausmeister in grauen Kitteln – tu das nicht, tu jenes nicht, des armen Wildes wegen, dass sie dann zum Wohle des Tieres erschießen. Hä? Nun gut, klar, es gibt auch nette Jäger. Aber einige. Vollschuss.) vor die Tür: Hast den ganzen Sommer nur gefiedelt! Nun sieh zu, wie du klar kommst! Und so stapft sie durch den hohen Schnee in dünnen Schühchen. Herrje. Das Mitgefühl ist nicht die Stärke der christlichen Vorreiter! Wie machen die das immer mit ihrem Gewissen und den sonntäglichen Kirchenbesuchen und den folgenden Reden? Ablassbriefe? Beichten? Schizophrenie?

Nun, Thema dieses Beitrages ist ein ganz anderes. Erinnert ihr euch an Den kommen die Polen holen? Da war unser alter Focus im Oktober den Weg des Gerechten gegangen. Also ab nach Polen in die Heimat Wojtylas. Von dem habe ich den Versuch in Erinnerung, Christen, Juden und Moslems zu versöhnen. Mit krummem Rücken nach Jerusalem. Eine seiner letzten Reisen, oder?

Im Oktober hatte Adrian die Kiste aufgeladen und sie mit nach Osten genommen. Der Wagen war alt, hatte den Erdball mehrfach umrundet und durfte sich nun darauf freuen, eine polnische Wellnessfarm für Westkarren zu besuchen. Nun geht es ihm gut, er läuft weiter rund und ist der Schrottpresse noch einmal vom Haken gesprungen. Ich hatte Ersatz besorgt bei einem wunderbaren türkischen Mitbürger, der eine wahrhaft weise Freundlichkeit besaß und mich in zwei Gesprächen mit wunderbarem Mokka beglückte. Das hatte Stil, die Karre läuft, alles gut.

Tja. Mit jenem Auto. Weil wir aber zwei Kisten brauchen und aufgrund unserer familiären Situation mit Liebesverhältnissen in Essen und Köln ziemlich viel rumkommen, hatte nun auch das zweite Fahrzeug – unser Urlaubs-Kinder-Hunde-Familien-Kombi – den Geist aufgegeben. Zwei Turboladerschäden hintereinander. Die erste Reparatur kostete 1.600,00 €. Es stellte sich raus, dass dieses TDCi-Modell motorenmäßig ziemlich kacke konstruiert ist. Falsche Ölleitungen, Hohlschrauben mit Sieben, die sich notorisch zusetzen und den Fordhändlern ganze Armeen von Geschädigten in die Arme treiben. Und nicht nur den Ford-Händlern – das Motorenkonzept ist auch in Citroens und Peugeots verbaut. Irgendwie reingefuckelt in die Karosserie und Turbolader ade wegen nix Öl. Boah, ey. Hals ohne Ende. Mittlerweile bin ich Turbolader- und Ölzuführungsspezialist für Ford Focus 1.6 Liter TDCi-Motoren. Ford hat das einfach mal so laufen lassen und auch das überarbeitete Modell hinsichtlich der Ölversorgung nicht überarbeitet. Das Turbolader-Ableben geht fröhlich weiter. Ford-Händler bestätigen das und arbeiten mit obskuren Vorfiltersystemen, die die Reparatur noch einmal um rund 300 Euro teurer machen. Kommt gut, wenn man schon bei 150.000 km 1.500 Euro für den obligatorischen Wechsel des Rußpartikelfilters gelatzt hat. Bravo! Gut überlegt. Ich denke mal, dass die eine oder andere Familie in Deutschland aufgrund dieser Konstruktions-Weltmeisterleistung schön Zuhause am Baggersee verbringen konnte, weil die kleinen Konstruktionsprobleme das Urlaubsbudget geschluckt haben. Shareholder-Value – Hauptsache die Gewinne stimmen.

Wir fahren jetzt Renault. Das Web hat bezüglich des Motors und des Turboladers mehr Positives als Negatives ausgespuckt. 1.5 dCI. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Jetzt waren wir ziemlich blank. Diese Karren fressen einem die Haare vom Kopf. Was will man machen? Landleben. Der Natur so nah, von allem anderen so weit weg. Bis Köln mit öffentlichen Verkehrsmitteln ca. 2,5 h. Für 65 Kilometer. Zur Arbeit nach Attendorn – das wären, wenn überhaupt möglich, sicherlich auch mehr als 2 h. Erst einmal eine Stunde lang nach Gummersbach… Wir waren aber nicht nur blank, sondern hatten auch noch eine kaputte, vom Schrauber unseres Vertrauens zerlegte Schrottkiste am Hals. Ich meine, der Wagen war eigentlich echt super. Ghia-Ausführung mit allem. Elektrisches Glasschiebedach, Klimaautomatik, Sitzheizung, Tempomat, Multifunktionslenkrad, CD-Spieler, Alufelgen, 8-fach bereift, Anhängerkupplung und all so’n Schnickschnack. Bequem, komfortabel. Aber kaputt.

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Da stand er nun und lag mir im Magen. Was tun damit? Der Freund eines Freundes wollte ihn kaufen. Für wenig Geld. Nö. Ich meine, wenn es einen so erwischt hat, hat man nix zu verschenken. Mein Gefühl sagte mir, 2.000 bis 2.400 Euro. Die wollte ich haben. Also fotografiert, abends rein in mobile und los gings. 2.000 hatte ich geschrieben. 5 Minuten, 5 Mails (meine Telefonnummer habe ich nicht reingesetzt). Bei dem Erfolg hab ich gleich den Preis erhöht. 2.400. Weitere Mails. Wieder ein Adrian, ein Toni, ein Tony, ein Dragon und ein Fane. Alle mit der Bitte, doch meine Telefonnummer rauszurücken. Sie selbst hatten als Vorwahl 040. Rumänien. Ich habe zurückgemailt, um mal zu schauen, wer wirklich interessiert ist und wie das mit dem Preis so hinhaut. Angebot und Nachfrage. Bald hatte ich den Preis raus: 2.200. Am nächsten Tag musste ich arbeiten, hatte ein langes Telfonbriefing und die Jungs parallel im Mailaccount. Die ersten hatten dann über meinen Namen meine Telefonnummern rausbekommen und riefen an. Mit Dragon, der den Wagen un-, un- unbedingt haben wollte, hatte ich für die nächsten Stunden einen netten Telefonkontakt.

Nun ist in diesem Business eine gewisse Linie gefragt, sonst versinkt man im Chaos und geht unter. Also schrieb ich mir auf die Fahnen: Jungs, sorry, ich weiß, ihr würdet aus Rumänien kommen, aber es ist so – wer zuerst die Kohle auf den Tisch legt, kriegt den kaputten Focus. Fane mailte ins Briefing. In zwei Stunden hol ich ihn ab. Nachdem das Telefonbriefing dann beendet war, läutete Dragon durch. Und? Ich berichtete ihm von Fane, der bereits unterwegs sei. Dann rief Fane an, dann Dragon. Dragon schwor Stein und Bein, dass er ihn Montagfrüh abholen würde. Zwischendurch sagte mir Adrian, er würde Sonntagmorgen kommen. Ein Hin, ein Her. Dragan war mir, das muss ich so zugeben, am sympathischsten. Er hatte auch das überzeugendste Argument: Ich will den Wagen für mich haben! Tja, das hätte ich auch gerne gesagt…

Es war ein irrer Tag. Als hätten sich alle verabredet, mich gänzlich wahnsinnig zu machen. Meine rumänischen Freunde, Jobs, Mails, Anrufe, Kinder. Hammer. Um 14.30 Uhr dann der Anruf. Sind gleich da. Dragon fragte nach, ob der Wagen jetzt wirklich abgeholt sei? Nein, noch nicht! Ich versprach, mich zu melden. Das versprach ich allen, auch Toni, der 1.450 geboten hatte. Die Ersatzteile seien so teuer, mehr könne er nicht geben. Sorry, Toni, weißt du, das hier ist mit Turboladern und diversen Reparaturen auch kein Kinderspiel.

Die Jungs rollten auf den Hof. Mit Anhänger. Fanes Jungs. Er war nicht dabei. Die beiden begutachteten die Kiste, sprachen kein Wort Deutsch oder Englisch und berichteten alles mobil nach Rumänien. Am Ende dann gab mir der Kleinere mit wichtigem Gesichtsausdruck den Handapparat: Chef Fane. Ja, klar, dann ging es los. Preisverhandlungen. Ich meine, vier Leute wollten die Kiste haben. Habe ich Fane auch gesagt. Du musst nicht. Kommt ein anderer. Er redete vom fehlenden Turbolader, dass er den kaufen müsse und vom fehlenden Reserverad (die Kisten haben heute Reparatur-Kits). Handapparat zurück an die Jungs. Ich blieb stur. Palaver. Gucken. Haube auf, Haube zu. Chef Fane. Turbolader, Reserverad. 100 Euro runter. 50. Nein, 100. MANN! O.K. Kohle bar auf die Kralle, kein Vertrag, Papiere übergeben, aufgeladen und Tschüssikowski. Das war eine Sache der Ehre. Fane konnte vor seinen Leuten nicht das Gesicht verlieren. So was nimmt mir die harte Linie. Geschäfte unter Männern. Wissen, was der andere fühlt. Alles komplett irrational.

Das Aufladen war ein Abenteuer für sich. Den Seilzug mit Altöl geschmiert, tropf. Die kaputte Umlenkrolle mit einem Eisenhebel zurechtgerückt (mein Part). Teamwork. Händedrücke, Lächeln, Abfahrt, Hupen, Winken. Ciao, Jungs. Grüßt mir Rumänien. Mir wurde warm ums Herz.

Telefon. Dragon. Sorry, ist weg. Für wie viel? 2.100 Schweigen am anderen Ende. Geistiges verarbeiten. Was? 2.100? Ich hätte dir 2.200 gegeben. Montag. Konnte er nicht verstehen. Heute ist Montag, ich musste arbeiten und Ela auch. Ich glaube auch nicht, dass das ihre Welt gewesen wäre. Telefonate mit Fane und Dragon und Verhandlungen und Aufladen und… Dragon hat sich bedankt, sehr freundlich. Tat mir leid, aber so geht Auto-Business. Mal gewinnst du, mal verlierst du. Kann da gerade mitreden.

So. Story zu Ende. Jetzt könnte ich noch von den ganzen Reifen erzählen, die gerade samt Felgen in unserem Gartenhaus liegen. Zwei Autos vierundzwanzigfach bereift. Wenn die alle passen würden. Aber es gibt Lochkreise, Einpresstiefen, Reifengrößen, Felgen mit vier und fünf Schraubenlöchern – aber das ist eine ganz andere Geschichte und zudem eine Wissenschaft für sich, in die ich mich auch einarbeiten durfte. Aktuell habe ich zwei Semester Automobilwissenschaft studiert.

Jetzt könnt ihr mir zwei Gefallen tun. Erstens: Bitte gut über Rumänen denken und sprechen. Zweitens: Mir die Daumen drücken, dass die Karren jetzt mal halten. Grazie.

Focus schräg

zufrieden.

Windräder

Ist ein kleines Wort. Irgendwie unterbewertet als die kleine Schwester vom großen Glück. Es hat wenig Energie dieses Wort, vermeintlich, versprüht keine Funken, es lodert nicht. Kein Feuerwerk, kein Freudentanz. Am Boden, zurückgenommen, als wäre es das Mindeste. Klingt fast wie unbedeutend, wie eine Hürde, die man mit einem kleinen Schritte nimmt. Och ja, ganz gut, bin zufrieden. Das hat den Esprit von beigefarbenen Badfliesen.

Wie komme ich darauf?

Es war heute Abend Thema in der Yogastunde. Anfangs sitzen wir dort und es ist so eine Art Theorie. Es geht um die Grundfesten des Yogas, die zentrale Ausrichtung, das Wesen, die Dinge im Hintergrund. An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich da meist sehr durchlässig zuhöre. Nennen wir es entspannt unangestrengt, weil ich vom Tag noch so viel im Kopf habe, dass mein Kopf nicht unbedingt nach weiteren Infos giert.

Heute Abend aber war Zufriedenheit das Thema. Im yogaphilosophischen Kontext ist das irgendwie die Nummer 1 unter Punkt 2. Da gibt es dann noch Namen für, die ich mir nicht merken kann. Irgendwas mit S, das indisch klingt. Oder Sanskrit? Herrje. Saskia war es nicht. Egal.

Mir genügte das deutsche Wort. Zufrieden. Da steckt Frieden drin. Wozu das zu, habe ich mich gefragt. Man ist zufrieden, wenn man Frieden mit sich schließt. The opposite (gestern begann der Englischkurs in der Agentur mit simple past) ist unzufrieden. Ein un plus ein zu davor. Unfrieden. Stiften. In sich selbst.

Habe ich euch einmal von meiner These erzählt, dass man sich fast alles Leid selbst zufügt? Die Verletzungen, die man anderen zuschreibt, den Schuldigen des Umfelds, die man sich meist selbst geritzt hat. Weil man Worte wie Messer empfunden hat. Taten interpretiert und auf sich bezogen. Weil es einfacher ist, wenn man es nicht selbst war. Die anderen, das ist immer einfacher. Huch, ein weites Feld. Vom Wege abgekommen, wieder einmal. Nein, Annegret, heute wahre ich Stringenz.

Zufriedenheit sollte durch die Yogastunde führen. Ab und an fiel das Wort zur Erinnerung. Ich brauchte nicht erinnert werden, weil es seit geraumer Zeit Thema ist. Für mich bin ich zu der Erkenntnis gekommen, dass Glück ein Moment ist und oft eine unhaltbare Behauptung. Es ist flüssig. Feiner Sand, der durch die Finger rutscht. Nicht aufzuhalten und schon futsch.

Zufriedenheit dagegen ist ein Stein, der bleibt. Ruhig und rund. Man kann ihn nah bei sich halten, oder vergessen, um sich auf die Suche nach dem Glück zu machen. Die Sache mit der Taube auf dem Dach und dem Spatz in der Hand. Vermeintlich. Die Zufriedenheit verstaubt, gerät in unverdiente Vergessenheit und bald schon ist das Geschrei groß. So unzufrieden mit all dem Unerreichten.

Zufriedenheit ist die Bereitschaft auf das zu schauen, was da ist. Oh Mann, die meisten von uns haben genug. Nicht Geld, das auch, aber all das. Menschen, Freunde, Möglichkeiten. Und einen schönen Geist in sich, der jederzeit bereit ist, Geschenke zu verteilen. In unterschiedlichster Form. Das gute Gefühl, die Stimmigkeit, das Einssein.

Es ist die Messlatte des Lebens, die bestimmt. Wie hoch muss ich springen? Ein gutes Pferd nur so hoch, wie es muss. Wer gibt das vor? Gesellschaft, Nachbarn, Werbung, Umstände, Politik? Nun, nicht wirklich. Der gute Kant. Die Aufklärung. Der Ausgang des Menschen aus seiner. Ach, 1.000x zitiert, als gäbe es sonst nichts zu sagen.

Zufrieden ist ein schönes Wort, das kein sehr braucht, weil es nicht steuerbar ist, es sei denn, man vertraut ihm nicht. Zufrieden ist, wenn die meisten Stahlseile, die das Wesen in Vorstellungen verharren lassen, gekappt sind. Wenn man seine Stahlseile der steifen Wünsche, Vorstellungen und Bedingungen für das Erreichen von Glück gekappt hat. Was dann geschieht? Zufriedenheit wird Glück. Auge in Auge auf einem Level. Ein in sich ruhendes, ein ausgewogenes, ein bleibendes – zumindest für längere Zeit.

Es war eine sehr schöne Yogastunde. Am Ende lag ich im Shavasana, das wir zu Beginn der Stunde detailliert als Übung durchlebt haben (wow, wunderbar). Zufrieden. Es braucht nicht viel. Es geht weniger darum, etwas zu verlieren, als vielmehr, etwas aufzugeben. All das, was wegen Nichterfüllung unzufrieden macht. Ab auf den Sperrmüll damit. Solls der Teufel holen…