INTERSTELLAR 2 2 7 und die SUPERNOVA in Köln

„Eine Supernova (Plural Supernovæ, eingedeutscht Supernovae oder Supernovä) ist das kurzzeitige, helle Aufleuchten eines massereichen Sterns am Ende seiner Lebenszeit durch eine Explosion, bei der der ursprüngliche Stern selbst vernichtet wird. Die Leuchtkraft des Sterns nimmt dabei millionen- bis milliardenfach zu, er wird für kurze Zeit so hell wie eine ganze Galaxie.“

Muss man dann auch nochmal nachlesen im Wiki. Und INTERSTELLAR ist die Sache mit irgendwo zwischen den Sternen. Flieger, grüß mir die Sonne, grüß mir die Sterne und grüß mir den Mond. Nehmen wir die Ingredienzen und packen sie in den Mixer und drücken PUSH. ZACK. Aus der kleinen Schublade unten ziehen wir die Summe unserer Sehnsüchte des Moments.

Können wir Kunst ohne das betrachten, das um uns herum geschieht? NRW-Landtagswahl, old Mc Donald Trump, Syrien. Zwischen den Sternen, im Raum. Leben und Wirken in 3D. Der Himmel über uns, die Sterne so weit. „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Die Träume kehren zurück und landen hart auf dem Boden der Tatsache. Wenn die Zeiten verwaltet werden, wenn die Hoffnung darin liegt, dass es irgendwann einmal wieder andere Schlagzeilen gibt. Leben im Postideologischen. Vakuum im Denken. Fokussierung des Materiellen. Make irgendeinen Scheiß great again.

Theater der Keller in Köln. Es geht einige Stufen hinunter an der Bar vorbei, an der wir die vorbestellten Karten abholen. Wenn ich nach all den Jahren Theater betrete, kehrt dieses alte Raum-Zeit-Gefühl zurück, die tiefer gelegten Erinnerungen. Das Luftflimmern der Premierenabende. Alle sind da. Die Freunde, die Kunstliebenden, die sich auf das Abheben in andere Welten freuen. Den Countdown in sich tragen, die Bereitschaft, die Atmosphäre zu verlassen und gegebenenfalls beim Wiedereintritt zu verglühen.

Die erste Reihe ist bedenklich frei, als ob es um die Platzverteilung am ersten Tag nach den Sommerferien geht. Nun. Weshalb nicht. Direkt rein, mittendrin, eintauchen. Die Lichter gehen aus, es wird dunkel. Die vielverheißenden Bühnenrequisiten verschwinden im Nachthimmel. INTERSTELLAR, oben die langsam aufleuchtenden Sterne des Theaterhimmels. Barbara Schachtner betritt den Raum. Im Sternengewand. Weite weiße Bluse, später eine Videoleinwand, silberne Hose, rote Augenbrauen, ein Notenblatt auf den Rücken geheftet, auf dem die kleinen bekannten runden Kreise fehlen. Irgendwie sind es andere Zeichen. Neue Musik. Wir sind in einem anderen Universum. Dorrit Bauerecker betritt den Raum. Kastagnetten klacken, Absätze. Pfeiftöne, Mundlaute. Minimalismus, jeder Ton zählt.

Die beiden sind das, was man Vollblutmusikerinnen nennen könnte. Dazu sind sie Schauspielerinnen, Freundinnen, Video- und Performancekünstlerinnen, die sich im Raum bewegen, tanzen, und Frauen, die künstlerisch Neuland betreten. Zu den Sternen fliegen. Sich nicht auf das Bestehende verlassen, das Bestehende nutzen, um Gas zu geben.

Und so geschieht an diesem Abend alles auf der Bühne. Die Sinne sämtlich bekommen ihre Goodies und dürfen sich im Raum fallen lassen. In immer neuen Konstellationen und starken Bildern entfaltet sich das Geschehen. Die SUPERNOVA in Bild und Klang. Konzert, Performance, Rauminstallation. Vieles könnte man in Skulpturen einfrieren. Loops sind zu hören, Stimmen. Barbara dreht sich mit Dorrits kleinem Klavier in den Armen und Dorrit spielt darauf. Planeten kreisen umeinander. Ein riesiger Lampenreflektor wird zum grün erleuchteten Singrohr, in dem Barbaras Gesicht und Stimme erscheinen. Die Sonne im Raum, die SUPERNOVA, eine der SUPERNOVAS des Abends. Alles ist sehr dicht, kompakt inszeniert. Zum Klang kommt noch ein Bild, noch ein Licht, noch eine Bewegung, noch ein Miteinander.

Es ist ein tolles Licht, es sind faszinierende Bilder, es sind neue Kompositionen und Lieder. Die Reise durchs All dauert die Minuten über eine Stunde hinaus lang. Dichte Minuten in immer neuen interstellaren Klanginstallationen. Die Melodika wird zum Klavier. Barbara sorgt mit einer großen Luftpumpe für den nötigen Atem, Dorrit spielt. Sie spielen, die beiden. Mit dem Klavier, dem Keyboard, dem Mini-Klavier, mit den Stimmen, mit allem. Mit dem rauschenden Radio auf der Steele. Die Zackbox mit den leuchtenden Lampen. Im Zusammenspiel und Zusammenklang sind es die Kompositionen der Zeit, die Geräusche unseres Lebens, eine Reflexion des Gegebenen.

Zwischendurch sehe ich Dorrit ein Notenblatt zur Seite legen. Ich weiß nicht, wen oder was die beiden spielen. Es ist nicht wichtig, es sind nicht die Namen. Haydn & Co. KG. Es ist der Mut, der Zeit vorauszueilen, das ganz Eigene zu machen. Das nie zuvor Dagewesene. Im interstellaren Raum sind es nicht die Interpretationen, es sind die neuen Begegnungen. Das ist das Inspirierende.

Am Ende das Lied, in dem es darum geht, das zu tun, was man liebt. Ein Universum, in dem mehr Supernovas aufleuchten bis zum Verglühen.

Wir konnten dann noch den Abend gemeinsam verbringen. Die Bühne aufräumen, INTERSTELLAR 2 2 7 für die folgende Tournee in Autos räumen, Premierenfeier im Foyer, weiter in ein Restaurant… Ein beseelter Abend. Ein weiteres Stück Interstellar auch in mir. Das ist gut.

Barbara Schachtner: Stimme, Gesang, Looper, Video
Dorrit Bauerecker: Klavier, Akkordeon, Toypiano, Melodika
Sandra Reitmayer (Regie), Sabine Seume (Coaching in Choreographie), Norbert van Ackeren (Bühnenausstattung)

Kommt es anders als man denkt

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In erster Linie mag ich es, meinen Vater zu zitieren. Rolf Schönlau, leider nicht mehr unter uns. Aber bis heute, und ich hoffe noch lange, ein Quell der Inspiration. Vielleicht, ich denke schon, der Urheber meiner kleinen Sprachobsession. Er hat, unter anderem, mit Sprache gespielt. Irgendwie, ich weiß auch nicht, kann ich mich dem bis heute nicht entziehn. Ein Erbe, eine Richtung, eine Determinante. Mein Papa. Man hat nur einen. Und meiner, Herr Schönlau, nun, er bleibt besonders.

Er sagte: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Nun. Dieses Wochenende habe ich mein neues Wohnprojekt verlassen und bin nach Essen gereist. Raus. Aus Verträgen, Überweisungen, Renovierungen, Plänen, Gestaltungen und dem Allerlei des Wandels.

Es ist eine vertrackte Situation. Alles ist gut, könnte ich sagen, schreiben. Gudrun war da, Gudrun, mit der ich, unter anderem, im Studium die Italienische Reise nachgefahren bin. Ende der Achtziger. Sie war in der Nähe. Sie hat meinen Weg begleitet. Kennt Nosbach, Jim, Zoe. Und sie sagte: Jens, dein neues Haus ist so schön ruhig und warm.

Voila. Merci.

Ein schöner Abend. Die alten Zeiten, sie kennt mich, weiß.

Ab Freitag dann Essen. Viveka. Wir hatten einiges zu tun. Unter anderem Pizza backen. House Party. Vivekas Sohn, Gil. Patchwork bedeutet, flexibel bleiben. Einstellen auf andere Situationen. Vielleicht hält das jung.

Samstagabend Essener Lichter. Illuminationen in der City. Das Riesenrad, das neue Funke-Haus, die Gewässer im neuen Uni-Viertel, das Warenhaus, die Kreuzkirche. In Licht und Musik gehüllt.

Es ist schön, in einem reichen Land zu wohnen, das die Sinne umgarnt. Die Augen, die Ohren. Lichter, Klänge, Inszenierungen mitten in der Stadt. Einfach in die S-Bahn steigen, ein paar Meter gehen und sehen und staunen.

Beeindruckend.

Und was hat mich dann letzen Endes fasziniert? Der Blick in die Tiefgarage. Der Mann, der auf mich zukommt. Irgendwie beginnen mich Menschen zu reizen. Ich lichte sie heimlich ab. Tue so, als würde ich etwas anderes fotografieren und schauen, dass die Gesichter nicht zu erkenn sind. Privatsphäre. Es ist an der Grenze zum Voyeurismus. Aber, Menschen, was soll ich sagen, sie strahlen.

Deshalb: Das Foto oben. Es gäbe so viele andere. Inszenierte Lichter. Aber, ja, die Tiefgarage ist es geworden. Eigentlich hatte ich die Bilder der illuminierten Gebäude zeigen wollen. Aber dann war der Reiz stärker. Es kommt anders. Als man denkt.

Nun sitze ich in meinem Bett. Sichte, schreibe. Ein besonderer Tag. Heute haben Viveka und ich die Texte zusammengestellt. Januar 2017. Eine Lesung. Nimmt Form an. Noch gibt es Terminkollisionen, aber ich hoffe, das haut hin. Dann würde Herr Schönlau zurückkehren auf die Bretter, die die Welt bedeuten. Ich habe große Lust. Und das Gefühl, etwas sagen zu wollen. Immerhin. Wie auch immer, es ist ein aufregendes Gefühl.

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Schachten & Ackern, III. Teil – von der Begegnung

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Von der Begegnung mit der Kunst. Klar, die Kunst. Du nimmst das Wort oder lässt es. Wenn du das Wort jetzt hier liest, was bedeutet sie dir dann? Mal ehrlich. Wie viel Kunst steckt in deinem Herzen, in deiner Seele? Wie viel Kunst brauchst du, um zu leben? Würdest du für eine Verdoppelung deines Gehaltes für immer auf die Begegnung mit der Kunst verzichten? Wie sehr bist du Kunst?

Freitagabend im Jungbusch in Mannheim in der Galerie Strümpfe. Viveka und ich waren der Einladung gefolgt. 300 Kilometer Autobahn. Der Kunst wegen, der Stadt wegen, Barbara und Norbert wegens und weil es die III war, die der II und der I folgte. Im belgischen Haus in Köln, gegenüber vom Lokal Harmonie in Duisburg Ruhrort und nun hier. Mannheim, Jungbusch. Die Einladung:

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Ein Bild, eine Installation Norberts. Später.

Wir waren in Mannheim den Tag über unterwegs. Ich hatte viel fotografiert, hatte mir melancholische Momente und Erinnerungen gegönnt. Wir kamen aus dem Hotel, ich war geduscht, trug frische Klamotten und war für einen langen Abend präpariert. Szene, Galerie, Vernissage, Party. Im Grunde war ich unvorbereitet, ohne Erwartung.

In der Galerie trafen wir auf Judith, Eric und Norbert. Wir unterhielten uns, noch war sonst niemand da, der Abend würde sich langsam entwickeln. An der Wand lief das Video. Barbara, Norbert, rauchend. Gesichter in Schwarz und Rauch gerahmt.

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Im Schaufenster die Grillen. Lebendige Tiere auf Blumenerde. Tsirpend, Möhren und Gurken fressend. Im anderen Schaufenster das erloschene Lammherz. Frisch auf dem rostigen Knäuel, der Heimat vergangener Herzen aus Duisburg und Köln.

In der Mitte des Raumes, der Verschlag. Ein Raum aus Folie. 1 m x 1 m und 2,3 m hoch. Transparente Folie, milchig, durchscheinend. Meine Augen durchsuchten die Galerie. Wurden neugierig. Ich spürte etwas neben mir. Dann sah ich das Bild ganz oben, hier im Blog ganz oben, das Titelbild. Der Folienraum war nicht leer. Am Boden ein Mensch, gekauert, hautfarbend mit leichten roten Partien. Barbara.

Mir fuhr ein Schreck durch die Glieder. Es war wie ein gedrückter Button. Push! Bilder, Gefühle. Irritation. Ein wenig so, als würde man ein leidendes Tier vor seinen Füßen liegen sehen. Einen angefahrenen Hund. Einen Augenblick lang setzte die Ratio aus. Ich konnte nicht verstehen, was ich da sah. Klar, es war Barbara. Und doch eher war sie es nicht. Dort lag Verletzung.

Ich ging um die Folie und schaute. Starrte wahrscheinlich. Und dachte: Das ist Kunst. Wenn du es spürst, wenn es etwas mit dir macht, wenn es dich verwandelt, wenn es dich entreißt. Im besten Falle. Oft glauben wir, also wahrscheinlich glaube ich das, Kunst sei gegenständlich und interpretierbar und einzuordnen in Schemen, Systeme, Zeiten, Orte. Vielleicht sind das Restspuren meiner geisteswissenschaftlichen Ausbildung. Einordnen wollen, die Zusammenhänge herstellen. Kunst sei die Mona Lisa und Joseph Beuys und die Fotografie eines Boris Beckers.

Ich vergesse es immer wieder. Der ordnende Geist schiebt sich vor das Erleben. In der Einladungsmail stand: „Man muß sich beeilen, wenn man etwas sehen will, alles verschwindet…“ , Paul Cézanne (1839 – 1906)

Alles verschwindet. Das Herz auf dem Drahtgeflecht, die Grillen, das von Barbara in diesem Folienraum in mir ausgelöste Gefühl. Ich kann es nicht mehr abrufen, es wäre eine schöne Droge.

Das Wesen im Folienraum war zart und sehr verletzlich. Ein Embryo, ein Geist, ein verwundeter Mensch. Der schrieb Botschaften an die Folie. Es ging um Haut und Schutz. Es war wie Schreien, dieser Stift in den Fingern. Spiegelverkehrtes Schreiben, damit wir draußen es lesen können. Der Text, für mich ohne Bedeutung, der Akt des unbeholfenen Schreibens, ein Zerreißen.

Was war das? Identifizierung? Empathie? Mitfühlen? Angst? Ein Zurückwerfen auf sich selbst. Das war kein Zusehen, das war ein Mitfühlen. Das war keine Interaktion, das war menschliche Verbundenheit. Immer wieder bin ich zurückgekehrt. Zwischendurch habe ich mir Norberts Portraits angesehen (eines hat JayTee gekauft. Yep! Gute Entscheidung.), die Chemikalien-Installation in der Chemikalien-Flasche (die hat Karl gekauft hat. Yep! Gute Entscheidung.), die lebendige Chemikalien-Installation im Rahmen am Boden. Quellendes, sich Verbindendes, Veränderndes.

Prozesse. Man muss sich beeilen. Hinsehen. Und plötzlich ist eine Performance zu Ende und eine Barbara schlüpft aus einer Haut und entsteigt einem Raum und sitzt unter dem Video neben Norbert, der eine grüne Packung Menthol-Zigaretten in der Hand hält, auf einem dunklen Sofa.

Die Kunst ist ein flüchtiger Moment. Wenn man die Mona Lisa sieht und denkt, man habe die Mona Lisa gesehen und sonst ist nichts passiert, dann ist das nicht mehr, als habe man ein Paar Joggingschuge der Marke Nike in einem Schaufenster der Firma Sport Scheck in irgendeiner verfickten Fußgängerzone dieser fußgängerzonengesäumten Welt gesehen. Habe ich hier schon einmal erwähnt, dass mir Fußgängerzonen so gar nicht liegen? Da ziehen sich die Sinne wie die Fühler einer erschreckten Weinbergschnecke zurück.

Mit der Kunst ist es nicht leicht. Mal scheint sie Fatamorgana zu sein, dann ist sie mit Millionen Dollar bezahlte Prostituierte unserer Zeit, dann ist sie langweilig, dann findet sie hinter Vernissagen-Sektgläsern statt oder in Messehallen oder Hipster-Galerien. Ich glaube, manchmal ist sie von ihren Betrachtern ziemlich angekotzt. Oder, sie zieht, wie im Falle der Performance im Hause Strümpfe, ihr Ding durch und schaut nicht und merkt nicht und macht, was sie will. Ist das nicht immer das Beste? Die Kunst ist schlau und gut.

Ich würde für kein Geld der Welt auf Kunst verzichten wollen. Wie würde ich leben ohne solche Momente purer Lebendigkeit? Was würden meine Gedanken machen? Wie würden sie sich beschäftigen?

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Ich lasse euch jetzt und freue mich auf den 10. Juni. Labor Ebertplatz. IV. Es werden sich Kreise schließen, nichts wird zu einem Ende kommen, weil alles Anfang ist. Die Gedanken machen mich glücklich. Jetzt rufe ich noch kurz Viveka an, sage ihr gute Nacht und schlafe dann mit Gregrory Porter auf den Ohren ein. Morgen ist ein neuer Tag. Es gibt viel zu denken, zu schreiben. Alles verändert sich, man muss sich beeilen. Danke! Für alles:)

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Anmut

Rosen

Nun, was sind das für Zeiten.

Ein Leben im emotionalem Schleudergang. Dieses Land, diese Leute. Ein wenig diese Bert Brecht Tonality, Was sind das für Zeiten, in denen…“ So einiges abhanden kommt. Die Liebe, wie ein Stock oder Schirm. Meine Liebe nicht, sie ist das Feuer, das mein Herz warm hält und meine Seele rein. Die Wärme, die in feinen Linien alles durchzieht, gibt dieses schöne Gefühl von Geborgenheit. In Wert, Wichtigkeit, Normalität, Menschlichkeit, Sinn, Ausrichtung, Ziel und letztlich auch Verstand. Den Verstand einschalten, den schönen, wahren, tiefen Menschenverstand. Dieses Gefühl, die Liebste, das Kind, einen Bruder, einen Freund, einen guten Bekannten von Herzen zu umarmen. Und ein wenig die ganze schöne Welt.

Anmut. In diesen Text heute reihe ich einfach wohlige Worte nach Herzenslage. Das ist wie das Aufladen eines Akkus. Hinsetzen und wirken lassen: Die wunderbare Liebe. Die Sonne, die durch die Augenlider scheint. Ein etwas zu lange dauernder Kuss. Der Moment, in dem man etwas weiß. Der erste Tag nach einer Erkältung. Krokusse. Von einem verliebten Blick eingefangen werden. Hungrig den Duft einer Mahlzeit einsaugen. Die Ruhe haben, auf eine Wand zu sehen und gute Bilder der Vergangenheit zu sehen. Einen weinenden Menschen umarmen, der sich trösten lässt. Kind sein, im Telefonat mit Mama.

Kitsch, könnte man sagen. Werbung. Ja. Weil es die Emotionen sind, die berühren, die Menschen Menschen sein lassen. In den Buchten vor Levanto abtauchen. So weit es geht, so weit der Atem trägt. Im warmen Wasser frei bewegen. Sich drehen im Blau, im Grün. Auf Paris bei Nacht herabblicken. Kettenkarussell im Sonnenschein, fliegen, abheben, weg sein. Die Hand neben sich greifen, den Sitz heranziehen, versuchen, einander zu küssen. Ein Moment Unendlichkeit, entflogen, entschwebt, entkommen. Vor Korsika auf dem Surfbrett stehen, im Trapez hängen, schräg die in die Bucht einlaufenden Wellen anfahren, an der Fußschlaufe ziehen, ein Hüpfer ins Wellental, Segel dicht nehmen, Wasserspritzer im Gesicht, Geschwindigkeit, noch ein wenig mehr, Lust, Leben, Grinsen.

Ein Gedicht schreiben. Für was auch immer. Diesem Gefühl des Moments Ausdruck verleihen, in sich spüren, wie Tore aufgehen, wie sich Worte suchen, finden, ordnen. Als wäre alles immer schon da gewesen, als gäbe es einen inneren, unbekannten Plan, als würde eine geheime Hand den Stift und das Leben führen.

Mein Highlight? Top of all? Küssen. In allen Varianten. Die Königin, das Berühren der Lippen. Ganz zart. Wenn alles sich verbindet, wenn die Gefühle zu einem werden, wenn man den Moment für immer halten möchte. Die Augen sind geschlossen, der Verstand steht lächelnd am Rand. Es ist Strom, der fließt. Kontakt, Impuls. Für wie viele Küsse hat ein Leben Platz? Für wie viele von denen, die nicht nur hingehaucht sind, sondern das ganze Programm abspielen?

Draußen regnet es im Februar. Es ist kalt und ich sitze allein in der Küche. Der Kaffee ist kalt geworden, Viveka werde ich erst am Abend sehen. Eben habe ich mit Norbert van Ackeren telefoniert, er hat heute Geburtstag. Nächste Woche treffen wir ihn und Barbara in Duisburg. Ein Kunstprojekt. Anmut. Nie war die schöne Seite des Lebens wichtiger, lange hatte Kunst nicht mehr eine solche Bedeutung. Ich liebe. Ich liebe es. Der einzige Reichtum des Menschen ist die Kunst, lieben zu können und Liebe zu spüren. Alles andere ist Martyrium.

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Im Rausch der Kunst

Fanta

Für Viveka!
(Die meint, ich würde zu wenig bloggen.)

Manchmal finden Dinge zusammen. Kulminieren. Manchmal ist es fast zu viel. Für einen Moment, eine Stunde, einen Tag. In diesem Fall eine Nacht.

Es ist einige Zeit her. Tatsächlich mag ich nicht nachdenken, wann. Vor einer Woche? Vor zwei Wochen? Egal. Köln. Viveka, Zoe und ich waren auf dem Weg zu meinem Bruder und meiner Mutter in die Eifel. Wir waren für samstags verabredet. Freitags waren Viveka und ich in Köln eingeladen. Ich habe Jens gefragt, ob wir seine Wohnung haben können. Bin ich am Wochenende nicht in Nosbach, ist er dort und seine Wohung in Köln ist frei. Praktisch. Und er ist einfach sehr nett und unkompliziert. So konnten wir dort schlafen und Barbaras Einladung zu ihrer Geburtstagsfeier annehmen.

Südstadt. Eine Bar, ein Club, ein Musikkeller. Was auch immer. Barbara Schachtner. Ich erwähne das, weil in diesem Text einige Namen erscheinen werden. In etwa so wie in einem russischen Roman. Ihr könnt schon einmal die Ohren anlegen und mitzählen.

Am gleichen Abend lief eine Vernissage in der wunderbaren Galerie des Sebastian Linnerz. Könnt ihr euch erinnern? Dort war ich auf Graham Foster gestoßen. Zeichnungen, Installationen, Arrangements. Dieses Mal wurden Fotos von Martin Classen ausgestellt. Der Rheinauhafen davor. Als die Kaufpreise für einen Quadratmeter noch nicht 8.000 € betrugen. Als die Podolskis dieser Welt den Menschen noch nicht von ihren Balkonen auf den Kopf spucken konnten. Gut. Das war anders. Lassen wir das mit dem Werten. Es gibt andere Probleme von größerer Bedeutung. Es ist einfach eine Geschmacksfrage.

Die Ausstellung läuft, die Fotografien sind schön, der Besuch lohnt sich. Wegen der Kunst, wegen der Nettigkeit des Gastgebers, wegen des Themas. Infos, Öffnungszeiten: Sebastian Linnerz – plus Raum für Bilder.

Tja, und kaum standen wir dort, trafen wir Helga Mols und David Grasekamp. Am Wochenende zuvor hatten wir einen intensiven Nachmittag in ihrem Atelierhaus. Helga hatte zur Ausstellung „Baumstücke“ geladen. Was dort alles geschehen ist an einem kurzen Nachmittag, was es zu sehen gab, weshalb sie mir eine Zeichnung geschenkt hat, später. In einem anderen Beitrag.

Füße

Helga und Davids Kunstweg begleite ich, mit ein wenig Distanz, nun seit einigen Jahren. Es ist schön, Entwicklungen mitzuerleben. Zu sehen, wie sich die Dinge fügen, wie Themen entstehen, in sich gewinnen, Fahrt aufnehmen, lebendig werden. Dieses Atelierhaus hat nach vielen, vielen Jahren des künstlerischen Schaffens eine Magie. Das rote Holzhaus an der Agger atmet. Farbe. Gesichter, Waffen, Blumen, Zweige, Tupfer, Sprenkel auf Leinwand. Öl.

Ich ging in der Galerie umher. Kam in das Arbeitszimmer von Sebastian, der dort mit einem Mann stand. „Jens, darf ich dir Boris Becker vorstellen.“ Mein Hirn arbeitete. Herrje. Namen. Etwas war da. Boris Becker. JA! Overath. Die Ausstellung im Kulturbahnhof, in der Helga und David ihre gemeinsame Arbeit ausgestellt hatten. Eine Aktion – „wir schenken der Stadt ein Museum“.

Fotografien. Zwei Stück. Exponiert ausgestellt. Inszeniert. Präsentiert. Jim und ich hatten lange davor gestanden. Der Boris Becker. Ich hatte seinerzeit über die beiden Arbeiten bloggen wollen, traute mich aber nicht, meine Fotos der Fotografien zu veröffentlichen. Urheberrecht. Man darf Fotos der Arbeiten nur so lange zeigen, wie die Ausstellung läuft. Ich habe keinen Bock auf diesen Mist und Anwälte und Abmahnungen und weiß der Teufel. Schweren Herzens hatte ich verzichtet, obwohl ich viel schreiben wollte. Die haben mich echt getroffen. Bang! Bautz! Tja. Und dann: Boris Becker himself.

„Fotografierst du?“ „Ja“ „Hast du zwei Arbeiten im Overather Kulturbahnhof ausgestellt?“ „Nein, äh,doch!“ Tja. Der Spiegel schreibt etwas von einem der bedeutendsten Fotokünstler Deutschlands. Einer der Besten, ist da zu lesen. Hat wie Gursky bei den Bechers in Düsseldorf studiert. Und seither Geschichte geschrieben. Verkürzt gesagt. Im nächsten Jahr stellt er im Landesmuseum Bonn aus. Ich bin dabei. Also schaue zu. Hin. Fahre hin, schaue sie mir an, die Bilder, die Ausstellung. Was für ein Gestammel wegen des großen Namens, Schönlau. Lande mal, wie Frau Beckmann sagen würde. Gut, gut.

Seine Arbeiten, über die ich nicht geschrieben habe, stammen aus der Serie Total Desaster. Sehr realistisch. Eine Küche, eine Hausrückwand. Jeweils voller Gegenstände, Details, Geschichten, Vermutungen, Anmutungen. Er hat erzählt, dass die Laboranten bei der Arbeit an „Grünwald, 2012“, an dem Küchenbild, Profiling betrieben haben. „Das muss ein älterer Mann sein, der da wohnt, wegen der Medikamente, und er hat ein Kind und ist Künstler. Und…“ Ja, meinte Becker, stimmt. Geschichten, die das Leben erzählt. Wir unterhielten uns, Helga und David kamen hinzu, Viveka auch. Beim Abschied hat er sich mit Viveka zum Rollmops-Essen verabredet. „Der Mann ist Fotokünstler, nett, charmant, isst Fisch, geht mit Freunden in Brauhäuser. So einer zum Anfassen.“ Geschichten, die das Leben schreibt.

Wir haben uns dann noch mit Martin Classen unterhalten, über Fotoarbeiten von ihm in der Eifel. Ein Zumthor-Projekt, die Bruder-Klaus-Kapelle in Mechernich. Zumthor, Kolumba, Köln. Es ist jetzt kurz nach 21 Uhr an diesem Freitagabend in Köln. Das Kolumba wird später noch Thema sein.

Wir verabschieden uns. Von allen. Helga Mols, David Grasekamp, Sebastian Linnerz, Martin Classen. Boris Becker ist schon weg. Umarmungen. Abschied. Die Nacht ist jung. Vorbei am Ebertplatz, ein Blick ins Labor, in die Tiefen der U-Bahn. Südstadt.

Labor

Ebertplatz

Als wir ankommen, ist niemand da. Niemand, den wir kennen. Wir gehen in den Keller, wo ein österreichischer Sänger mit mazedonischen Wurzeln singt. Von seinem Großvater, der den Nazis nicht verraten hat, wo die Söhne, die Partisanen sind, der am letzten Tag des Krieges von den Hakenkreuzlern ermordet wird. Ein sympathischer junger Mann, eine schöne Stimme. Er singt auf mazedonisch, die Geschichte hatte er zuvor erzählt. Das nimmt den Schrecken. Applaus. Zugabe. Wieder hoch: Barbara und Norbert treffen. Barbara Schachten und Norbert van Ackeren. Ich glaube zwei Wochen zuvor, drei Wochen zuvor hatten wir einen gemeinsamen Abend in Duisburg Ruhrort verbringen wollen. In Norberts Atelier. Norbert war krank geworden und hatte sich auskurieren müssen, um am nächsten Tag nach Paris zu können. (Das schreibe ich jetzt, weil Künstler und Paris schön romantisch klingt und die Stadt das jetzt gebrauchen kann.)

Ein DJ. Musik. Tanz. Ausgelassen. Unterhaltungen. Ich setze mich zu Marc Steinmann. Einer der Kolumba Kuratoren. Weil Barbara dort kürzlich mit ihrem Ensemble unterwegs aufgetreten war, hatten Viveka und ich erstmals den Weg dorthin gefunden. Schande. Mann! Was für ein Museum. Was für Räume! Dieses Land ist so unermesslich reich. Da kann ein ganzes Stadtarchiv unwiederbringlich weg brechen und in der Erde verschwinden, an anderer Stelle wächst etwas anderes aus dem Boden (das jetzt bitte nicht wörtlich nehmen wegen Jahreszahlen und Abfolgen und was, wann war und so… herrje). Oder: Wie vom Himmel gefallen. Trifft bei einem Diözesan-Museum wohl eher den Nagel auf den Kopf.

Wir haben uns über die Ausstellung unterhalten. Über das Konzept. Über die geschulten Sicherheitsleute, die vor Ausstellungseröffnung an die Exponate herangeführt werden. Jedes Detail stimmt. Das ist, was man im Kolumba spürt. Die Liebe zur Kunst. Natürlich habe ich mich noch mit Norbert unterhalten. Über Kunst, wo wir schon beim Thema waren. Mein persönlicher Arte-Themenabend. All diese Menschen, all diese Kunst in einer Nacht.

Am Ende sind wir im Tsunami gelandet. 90er Mucke. Zu The Cure getanzt. 1985. Hatte ich noch in den Füßen. Zeitsprung. Um 6 Uhr waren Viveka und ich im Bett. Die U-Bahnen fuhren wieder und die letzten Meter zur Wohnung musste Viveka barfuß gehen. Die Schuhe, die Nacht, das Tanzen. Ach, die Welt. Überbordend ergreifend. Fast zu viel für einen Landmenschen wie mich. Aber. Erfüllend. Und jetzt bin ich froh, die Nacht aufgeschrieben zu haben. Ehrlich? Ich hatte Respekt vor diesem Text. Wegen der Namen und der Größe. Den Dingen gerecht werden, ihnen Respekt erweisen, sich nicht verraten. Leicht schreiben, aus der Nacht heraus tanzen. Danke, Barbara, danke Sebastian, für die Einladungen. Es war mir, ich denke uns, also Viveka und mir (das schreibe ich jetzt einfach, weil ichs weiß), ein ausgesprochenes Vergnügen:)

Tsunami