Allein, allein, allein, allein. Fifty-fifty hat Pause. Räumlich. Eine Woche lang. Ela ist mit den Kindern weg und dem Hund. Ferien. Urlaub. Eine Woche Schiermonnigkoog. Eine niederländische Insel ohne Autoverkehr, endlos langem Sandstrand und dem Hotel van de Werff, in dem abends im holzvertäfelten Gastraum der Billiardtisch abgedeckt wird, um die Insel zum Apero zu empfangen. Fotos aus alten Zeiten an den Wänden, die Landung des ersten Wasserflugzeuges im Wattenmeer. Zugerauchte Ölgemälde von Windjammern in rauher See an den Wänden, ein ausgestopftes Krokodil aus Kolonialzeiten im Regal hinter dem Tresen. Wie oft war ich da? Diesmal nicht.
Ich muss arbeiten, will arbeiten. Heute Mittag habe ich einen Kundentermin. Das Jahr ist bislang noch krisenverzerrt, die Umsätze reichen, sind aber mager. Nun sitz ich hier und bin allein, allein. Das Haus ist groß, sehr groß, was die Situation überzeichnet. 240 qm Wohnfläche plus Speicher und Keller in gleicher Größenordnung. Ich brauche mein Büro, die Küche, das Bad, das Ofenzimmer und mein Schlafzimmer. der Rest steht gerade seltsam leer. Allein kann ich das Haus nicht füllen. Deshalb hab ich Türen geschlossen.
Wie ist es als Single auf Zeit? Erst einmal sehr, sehr entspannend. Ich habe Zeit. Weil Ela die Kinder komplett betreut, fallen viele Aufgaben weg. Ich muss nicht kochen, keine Hausaufgaben betreuen, niemanden irgendwo hin fahren. Selbst der Morgenspaziergang mit Cooper fällt als Aufgabe weg. Gestern Nachmittag war ich spazieren und als ich durchs Dorf kam wurd ich dauernd gefragt “Wo ist denn dein Hund?” Das zeigt, in welchen Rollen ich im Alltag funktioniere. Jetzt muss ich nur meinen Job erledigen und kann ansonsten tun und lassen, was ich will. Am Samstag hab ich direkt lange mit Freunden telefoniert – dafür war Zeit da. Dann bin ich in die Stadt zum Shoppen gefahren, habe Elas Geburtstaggeschenke ganz in Ruhe gekauft. Ich konnte hin- und herlaufen. Überlegen, mir Zeit nehmen. Nachfühlen, was ihr gefällt. Ich hatte schon eine Idee, ein Konzept im Kopf. Die Umsetzung, das tatsächliche Finden ist dann ja immer eine ganz andere Sache. Aber mit so viel Zeit und Ruhe war das überhaupt kein Problem. Und danach konnte ich sogar noch ins Museum für Gegenwartskunst. Dort habe ich mich durch eine wunderbare Ausstellung treiben lassen. Zeichnungen. Highlight war ein schwarz gestrichener Raum, der zur riesigen Tafel mutiert ist. Der Künstler hat den Raum komplett mit Kreidezeichnungen versehen. Die Geschichte des Jetzt – was uns umtreibt, bewegt. Spannend, so viele kleine Ideen. Groß und versteckt. Gestern habe ich das Nikolausstück für die Nikolausfeier im Dorf in einem Rutsch geschrieben. Konzentriert, ohne Ablenkung, ohne das gefühl, gleich will jemand was von mir.
Jetzt sitze ich hier und es fühlt sich so an, als sei mein Ruhepuls weit unter normal. Gleich gleite ich in die Arbeit, das Mittagessen habe ich gestern schon gekocht, ich muss Jim nicht vom Gitarrenspielen holen und kann mich den ganzen Tag auf unser Fußballspiel gegen die Nachbarstadt am Abend freuen. Natürlich vermisse ich meine Familie, aber es fühlt sich jetzt gerade einfach auch mal fantastisch an, sich komplett selbst zu gehören. So viel Raum für Gedanken. Vor Ela wollte ich einfach in einem Zimmer mit einem Bett, einem Tisch und einem Schrank leben. Reduziert auf meine Welt innen. Mit Familie hat sich diese Welt innen ganz schön weit zurückgezogen. Sie jetzt ein paar Tage auskosten zu dürfen, ist für mich Luxus. Bei alldem freue ich mich darauf, wenn die Bande wieder hier ist. Auf Dauer hätte ich ohne sie ein Loch im Herzen.
Euch wünsche ich, sofern ihr Lust dazu habt (selbstredend), einen Tag der Selbsterkenntnis mit Augenblicken der ruhigen Innenschau. Sehen, was ist. Fühlen, was richtig ist. Dem eigenen Glück auf der Spur. Viel Spaß dabei. Und wer keine Lust auf Innenschau hat, der kann konsumieren und nett Klamotten shoppen in den Mangooutlets – auch eine schöne Alternative:).
Guten Morgen Jens,
folge der Ruhe,
atme sie,
ohne in Unruhe zu fallen,
öffne Deine Seele
für den lautlosen Frieden,
laß Dich am Horizont treiben
bis die Lieben heimkehren.
Sonnige Grüße
Annegret
Hi Annegret,
das werde ich machen. Gestern habe ich das neue Gedicht, die Gedanken deines Sohnes in Sabines Blog http://www.sabine11.meinblog.at/ gelesen. Da tut sich ja einiges. Plötzlich kein Reim mehr, freie Assoziationen. Bin wirklich beeindruckt.
Dir auch sonnige Grüße
Jens
Hallo Jens,
danke für Deine lieben Worte. Werde sie am Wochenende an meinen Sohn weitergeben.
Annegret
Hi Annegret,
dann drück ich mal die Daumen, dass es jetzt bis zum Wochenende klappt. Ganz fest. Wird schon.
Liebe Grüße
Jens
Was für eine Ruhe :) Das kenne ich auch. Ferien sind klasse…. Vor allem, wenn ich meinen Mann mit Tochter wegschicke und die Ruhe genießen kann. Dieses Mal wechseln wir die Rollen, ich fahre nach Bonn und er bleibt mit unserer Tochter zu Hause… Heimaturlaub.
Die Ruhe ist bei uns jetzt schon fast permanent. Meine beiden Söhne sind aus dem Haus und die Kleine übernimmt ja nur noch ein Drittel von allem. Ein Drittel Wäsche, ein Drittel Dreck, ein Drittel Kochen (das fällt mir sehr schwer, ich koche IMMER noch für 5 Personen, obwohl dieser Zustand jetzt schon ein Jahr andauert) ein Drittel Fahrdienst… und natürlich auch nur noch ein drittel Krach und Chaos…. Auf Dauer sehr ruhig… irgendwie schön, aber auch irgendwie so, als würde die endgültige Ruhe und Ordnung (!) eingeläutet. Bevor dann die Enkel kommen *lol (ach herrje… aber wenn man mit 20 Jahren schon Kinder bekommt, wird man dann wohl eine junge Oma werden können *g)
Hast du schon bemerkt, das die Wohnung immer so bleibt, wie du sie verlassen hast? Ordnung ohne Ende… kein Kinderchaos… herrlich…
genieß die Zeit und mach ganz viel von den Dingen, zu denen du sonst nicht kommst. Ich wünsche dir eine schöne Woche
Morgan Die Fee
Alles liegt genaus so da, wie ich es hingelegt habe. Ganz klare 1 : 1-Situation. Das Bild ändert sich nicht. Nur ich. Manchmal knarzt irgendetwas im Haus und ich denke “Hund schon gefüttert?” oder “Muss ich gleich los…” – nichts. Nur meine Sachen. Für niemand anderen denken oder sorgen. Unbeschreiblich. Hatte ich ewig nicht, dieses Gefühl. Selbst im Urlaub geht es ja immer darum, dass alle satt und zufrieden sind. Ausflüge koordinieren, planen, machen, tun. So ganz ohne die Bande inklusive Hund ist wirklich der Hammer. Hatte ich schon vergessen. Und jetzt: Genieße ich. Und freue mich auf die Rückkehr – aber erst am Freitag. Vorher habe ich noch einen Kinotermin, ein Fußballspiel, einen Treffen mit einem Freund und andere kleine Angenehmlichkeiten. Luxus, ja!
Stille, Ruhe, Geräusche wann ich sie will, Geräusche wahrnemen, die man sonst nicht hört. ALs ich gestern meine Mutter in der Reha besucht habe, da habe ich ihr davon erzählt, dass ich jetzt gerade sehr gerne losfahren würde, runter nach Frankreichdort über Paris, St.Piere in Richtung Normandie, weiter runter in Richtung Spanien immer am Atlantik entlang, weiter über Portugal nach Südspanien, dann an der Straße von Gibraltar vorbei und am Mittelmeer hoch bis nach Frankreich in die Provence, über Nizza nach Italien bis nach Rom, hier die Monumente bestaunt, um dann in der Toscana noch ein wenig zu verweilen. Keine Mutter, keine Schwiegermutter, die bewusst oder unbewusst fordern, niemand, der meine Ruhe stört.
Meine Kinder sind erwachsen, alles was ich an Pflichten freiwillig übernommen habe, empfinde ich im Moment als Bürde, nicht als Freude, auch wenn ich traurig darüber bin, das so zugeben zu müssen.
Ich bin wohl im Begriff die grüne Karte der Auszeit zu ziehen, mal sehen.
Dein Artikel strahlt die Ruha aus, die Mensch immer mal dazwischen braucht, um sich zu sortieren, sich zu finden.
Danke dafür.
Hezrlich
Gitta
Hallo Gitta,
bist du meiner Aufforderung nach Innenschau tatsächlich gefolgt oder war es einfach an der Zeit, auf dich zu schauen? Die Reise klingt groß und beeindruckend. Leider auch ein wenig teuer. Aber letztlich hat es keinen Zweck und es profitiert niemand, wenn du dich mental ruinierst. Es muss einen Ausgleich zwischen Pflichterfüllung und eigenem Bestehen und Leben geben. Es hört sich sehr danach an, dass du tatsächlich mal eine Pause machen solltest. Zeit für dich. Klingt jetzt natürlich einfach und ist in der Praxis wahrscheinlich nicht ganz so einfach. Klar ist Pflege eine Bürde. Du hast deine Kinder groß gezogen und jetzt kümmerst du dich um die Elterngeneration. Wann kümmerst du dich um dich? Du klingst etwas traurig.
Liebe Grüße
Jens
Mag man nicht gewohnt sein von mir, traurig zu klingen. Vielleicht hat man diese Tage, an denen man Bilanz zieht: Hier habe ich Menschen, die meiner Fürsorge bedürfen (wobei ich mir hier eine Deadline selbst gestellt habe über die es nicht hinaus gehen wird), da habe ich das was ich gerne mache: Schreiben, egal ob ich es kann oder nicht, vielleicht bin ich talentfrei, das wäre dann auch o.k., aber ich habe mit meinem letzten Buch ein wirklich bezauberndes Buch geschrieben, das jeder lesen kann auch dann, wenn er selbst in keiner Art und Weise betroffen ist. Du, lieber Jens kennst das, Du rackerst Dich ab, kämpfst um jeden Milimeter und stellst am Ende fest, dass Du wie an einem Gummiband zum Ausgangspunkt zurück gezogen wirst. Dann lese ich in Zeit online oder Welt online ein Interview mit einem Autor, der ganz unschuldig erzählt, dass er mit diesem Erfolg seines Buches gar nicht gerechnet habe. Das kann ich einfach nicht glauben, weil wenn man gezielt bestimmte Passagen auswählt, die dann noch in der Zeitung mit den vier Buchstaben erscheinen. Da muss man kein PR-Berater sein, um das vorauszusehen, oder? Und dann fragst Du Dich: bin ich so schlecht? Bereitet das Thema meines Buches so ein Unbehagen? Und du fragst warum tust du das alles? Und dann seh ich Andreas’ Bild da stehen und Tränen schießen mir in die Augen und ich schäme mich, dass ich gezweifelt habe. Er, mein Sohn, ist über den ich geschrieben habe, und das ist alle Mühe wert, egal wie viele Menschen jemals das Buch lesen werden. Ich weiß, dass es kein trauriges, kein konfliktgeladenes Buch ist, weil er ein fröhlicher Mensch ist.
Na ja und dann besuche ich meine Mutter, die sich, obwohl geistig absolut fit, wie ein postpubertäre Göre verhält und niemand hat eine Ahnung weshalb und ich hetze nach Hause, obwohl Montag “mein Tag” ist, weil aber heute niemand da ist und der Bus mit meiner dementen Schwegermutter gleich kommen muss. Und dann lese ich Deinen Artikel und fühle mein Fernweh, ich hatte seit vier Jahren keinen Urlaub. Mal ein Wochenende oder mit meiner Tochter einen Tag in Hamburg, das war es.
Aber egal, lieber Jens, morgen, da ist ein neuer Tag und der alte gelebt. Der Moment ist das Jetzt und wer weiß vielleicht kann ich eine meiner Ideen morgen zwischen Schwiegermutter und Handwerker zumindest skizzieren. Ich glaube solche Tage müssen sein, damit man in sich geht und am Ende doch wieder zufrieden ist, so wie es ist, denn es gibt so viele Menschen, die noch sehr viel elender dran sind als ich es bin.
Herzlich
Gitta
Hi Gitta,
ja: so Tage gibt es. Und Mutterbesuche am freien Tag sind nicht gerade förderlich, die eigene Stimmung zu heben. generell erleb ich dich ja auch als sehr optimistisch und tatkräftig hier. Das einem die Pflege einer Dementen einiges abverlangt, liegt auf der Hand. Aber 4 Jahre kein Urlaub ist nicht fair. Wo soll denn deine Kraft und Energie herkommen? Solltest du in der Familie mal drüber sprechen, damit sich da eine akzeptable Lösung für dich ergibt. Mindestens mal eine Woche nur für dich. Schreiben in der Toskana, Wandern in Spanien, Abhängen sonstwo… Mein Eindruck ist, das würde allen gut tun.
Liebe Grüße
Jens