Deutschland mitten im Westen. Die Uhr im Auto spricht von etwa 8 Uhr früh am Donnerstagmorgen. Ich fahre einen schweren, aus Erfahrung leidgeprüften Weg. Meine Mission lautet: Ummeldung eines Personenkraftwagens. Das menschliche Speicherbewusstsein in mir ruft Schreckensbilder der Vergangenheit ab. Aachen. Über 20 Jahre zuvor. Beantragung und Abholung eines Anwohner-Parkausweises. „Sie haben alle Unterlagen dabei, das ist richtig.“ Ich schaue in das Gesicht einer Frau, die wahrscheinlich zuvor Dienst an der Zollabfertigung der innerdeutschen Grenze geschoben hat. Mit Sicherheit hat die eine Luger in der Schublade. Ihr Atem strahlt Vernichtung aus, ihre Aura ist aus Beton gegossen.
„ABER. Die Meldebescheinigung ist älter als sechs Monate.“ Freundchen Abmarsch, zack, zack. Moment. Ich bin Bürger eines freiheitlich organisierten mehrheitlich demokratischen Staates, Schätzchen! Nicht mit dem Commander, wie mein Trainer immer sagt. Attacke! „Meine sehr verehrte Amtshelferin, in der weisen Voraussicht eines in diesem Staate gut lebenden Bürgers habe ich ihr Amt vor meinem Besuch telefonisch befragt. Die Antwort des Orakels: Nehme die Meldebescheinigung mit. Keine Sau hat was von sechs Monaten gesagt!!! Also fahren wir jetzt volles Programm: Zum Mitschreiben – 1. Klären Sie mich über meine Rechte auf! 2. Sofortiges Gespräch mit dem Dienststellenleiter oder einem autorisierten Vorgesetzten! 3. Formular zur Einreichung einer Adhoc-Dienstaufsichtbeschwerde. In doppelter Ausführung! Danke, ich warte!“ Da war die sechs Monatsdiskussion vom Tisch und ich durfte mich parkender Anwohner einer westdeutschen Unistadt schimpfen.
Zurück in die Gegenwart. Ich habe Morgendienst und habe also die Fahrt nach Gummersbach zum Straßenverkehrsamt mit dem Wegbringen meiner Kinder zur in der Nähe liegenden Schule verbunden. Alles genau getimt. Uhrenvergleich. Time of Arrive. Time of Departure. Am Vorabend habe ich online (!!!) einen Termin um 8 Uhr 15 MEZ mit dem STrVAmt vereinbart und mir die amtliche Bestätigung ausgedruckt. Darüber hinaus habe ich die Checkliste für meinen individuell anliegenden Verwaltungsakt studiert und die Unterlagen minutiös und haargenau nach DIN zusammengetragen und in eine Spießer-Feinripp-Schutzhülle gepackt. Ordnung. Zudem habe ich mich mental gerüstet und bin den Satz mit den Rechten und der Dienstaufsichtsbeschwerde durchgegangen. Mann weiß ja nie!
Als ich um 8 Uhr 7 eintraf, bat mich eine freundliche Dame lächelnd, doch bitte noch kurz zu warten und dann einfach um 8 Uhr 15 zum Schalter 11 zu gehen. Kurz einen Kaffee gezogen und in der Regenbogenpresse (da liegen aktuelle (!!!) Zeitschriften des Lesezirkels aus!!!) einen Artikel über Willy und Kate gelesen. Der Kuss in Großaufnahme – sieht schon verliebt aus.
8 Uhr 12 zum Schalter 11 (ein wenig gefuscht). Lächelnd sagt die Dame „Nehmen Sie bitte einen kurzen Augenblick dort Platz.“ Mache ich, als mich schon eine Kollegin fragt: „Kann ich Ihnen helfen?“ Sind die auf Droge oder was? Fehlt denen der Grenzdienst? Ich antworte: „Ich habe einen Termin um 8 Uhr 15 am Schalter 11.“ „Wissen Sie was, Sie können schon zu mir kommen.“ Hier werden sie geholfen. Mein Misstrauen beginnt Risse zu bekommen. Ich reiche ihr die komplette Spießer-Feinripp-Dokumenten-Kollektion und warte auf den Knall der Bombe. Sechs-Monats-Diskussion. Ihre Finger fliegen atemberaubend schnell über die Tastatur. Sie druckt einen Zettel aus. Reicht ihn mir. Lächelnd. „Gehen Sie bitte zur Kasse und dann wird Ihr Name an der Ausgabe der Papiere aufgerufen.“ 8 Uhr 17 – Eintreffen an der Kasse. Ich bezahle. 19 Euro 20. Ich hatte mit einer anderen Summe gerechnet. Ummelden ist ein Schnäppchen. Billig, billig drangekommen. Die Dame wünscht mir einen schönen Tag. Lächelnd. Was die wohl so rauchen vor Dienstantritt? Oder ist irgendetwas in dem Desinfektionszeug für Hände in den Sprühern, die da rumhängen? Ich setze mich, widme mich dem restlichen Artikel W + K, als auch schon der Name Richter freundlich in der Luft neben meinen Ohren erscheint. C’est moi. Also nicht ich, ich heiße ja Schönlau, aber ich melde die Karre auf Ela an.
Bitte hier und hier unterschreiben. Einen schönen Tag. Lächelnd. 8 Uhr 22. Peng! Fertig! Unter zehn Minuten. Deutschland im Mai auf einem Straßenverkehrsamt bei der Ummeldung eines Mittelklasse-Personenkraftwagens. Kein Wunder, dass die Kirchen leer sind. Die Leute sind erleuchtet. Die sind schon im nächsten Stadium, einfach eine Runde weiter. Würde da noch Kaffee kostenlos ausgeschenkt, würde ich da mit Freunden meinen nächsten Geburtstag feiern. So sieht’s also aus mit der Servicewüste Deutschland. Es hat geholfen, das Mantra über Jahrzehnte von Millionen Menschen täglich sprechen zu lassen. Dieses Land hat sich verändert. Vielleicht wirkt noch das Sommermärchen 2006 oder wir lächeln tatsächlich einfach mehr. Grund genug haben wir, wenn man/ frau es sich genau überlegt. Ich wünsche meinen Leserinnen und Lesern einen schönen, schönen Tag:) Geht doch.
Hallo Jens,
ja, Behörden können auch anders, nein, ich meine, Behörden können auch einfach so funktionieren, in der Servicehölle Deutschland. Aber meine kürzliche Erfahrung mit dem Jugendamt, mit dem ich bisher immer gut bedient war, zeigt mir, daß es oft nur nach Schema F oder sonstwie geht. Eine zur Zeit ständig im Raum stehende Suspendierung (= Herausschmiss) meines Sohnes kann nicht dazu verwendet werden, nach mögliche Alternativen zu suchen. Das Ergebnis langer Diskussionen: Man muß erst warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann kann man weiterschauen. Und bisher ist es ja noch nicht hineingefallen. Ein weiterer Gesprächstermin wird angesetzt, kann vorgezogen werden, falls das Kind … Es lebt sich wunderbar mit der Vorstellung, daß mein Kind, der Jugendliche, bald ohne Schulabschluß, nach theoretisch 10 Pflichtschuljahren, wieder bei mir Zuhause sitzt. Was soll’s?! Sitzen wir es aus.
Bürokraten dieser Welt, ihr seid nicht meine Helden.
Grummelnde Grüße
Annegret
P.S.: Ist schon toll, wenn auf dem Straßenverkehrsamt alles wie am Schnürchen funktioniert!
Hi Annegret,
wo Licht ist, ist auch Schatten. In deinem Fall kann ich mir vorstellen, dass das nervt. Andererseits denke ich, dass die Versorgung schon recht gut ist. Im Vergleich mit… Oft liegt es an den Menschen, die da arbeiten. Die können sich nicht in alles einfühlen. Ich hoffe, dein Sohn schafft es, die Schule durchzuziehen. Da drücke ich ganz fest die Daumen, damit es danach weitergeht.
Liebe Grüße
Jens
Hallo Jens,
du hast schon ein Glück, dass du im April Geburtstag hast! Bis dahin vergessen ‚wir‘ – deine Freunde – das Date auf dem Straßenverkehrsamt…
Dir auch einen schönen Tag und einen *ggg* aus dem Süden…
Liebe Grüße
filo
Hi filo,
das wäre dann ein Happening – Party am Kaffeeautomaten des Straßenverkehrsamtes. Juchhu! Bis April 2012 ist es dann wirklich noch hin.
Meine Blogfreunde – das hört sich nett an. Danke!
Liebe Grüße
Jens
…aber gerne… =))
Hi Jens,
da hast Du vollkommen recht, das Land hat sich verändert. Auf meinen alljährlichen Deutschland-Besuchen fällt es mir immer mehr auf – es (man/frau) ist freundlicher geworden.
Und das tut sooo gut.
Liebe Grüße
Elisa
Hi Elisa,
schön zu hören. Hier kriegt man das ja meistens selbst nicht so mit. Ist doch schön, dass wir dran arbeiten und die Welt es spürt. Dann sollten wir alle auf dem Weg weitergehen und schauen, was noch möglich ist:)
Liebe Grüße
Jens
Hallo Jens,
ich habe mich sehr amüsiert und deine Geschichte. Deinen Plan-B muss ich mir unbedingt für meinen nächsten Amts-Besuch merken.
Liebe Grüße
Raoul
Hi Raoul,
ich hoffe, der Plan B wird zukünftig nicht mehr nötig sein. Wir wollen ja alle nett zusammenleben. Mittlerweile bin ich auch deutlich freundlicher zu Menschen, die mir am Telefon eine Versicherung, eine Finanzberatung oder einen Brancheneintrag verkaufen wollen. Lächeln:)
Liebe Grüße
Jens
Es ist eine Tatsache: Lächeln, freundlich sein macht das Leben angenehmer. Zu Anfang unserer Zeit in Australien habe ich mich immer gewundert, wie freundlich die Leute sind, dass sie immer alle wissen wollen, wie es mit heute geht („how are you today?“) – nicht, dass sie es wirklich wissen wollten, aber die ganze Vor-Einstellung ist einfach netter, freundlicher, zugewandter. Und ohne ein „have a nice day“ verlasst man auch keine Kasse, Büro, etc. Das erlebt man hier ja auch inzwischen und das ist sehr nett. Oberflächliche Freundlichkeit hin oder her, lieber so als oberflächliche Grummeligkeit oder Unverschämtheit! Have a nice day everybody!
Gruß, Uta
Hi Uta,
mir tut diese Freundlichkeit oder Höflichkeit sehr gut. Dieses Lächeln ist einfach sehr angenehm und auch ansteckend. Das geht rum. Wenn wir uns dann ein Beispiel nehmen, können wir schon viel für den tag tun. Ich versuche auch, zunehmend freundlich zu sein und nicht so oft von vornherein oder aus Prinzip dagegen zu halten. Dann kommt auch mehr zurück. Wird sind ja immer auch ein Spiegel, in den dder mensch gegenüber reinschaut und entsprechend reagiert. Have a nice day!
Liebe Grüße
Jens
Guten Morgen,
das klingt alles so schön, gäbe es im Gegenzug nicht das KVA Berlin. Vernüftige Menschen binden es sich nicht ans Bein sich dorthin zu setzen. Das ist bei den Bürgerämtern leider nicht anders.
Dabei liegt das ganz sicher nicht an den Mitarbeitern. Wenn man diesen freundlich begegnet, so sind diese das auch. Wie es in den Wald schallt… Es liegt einfach daran, dass man ewig lange Wartezeiten zu abzusitzen hat. Inzwischen ist das aber auch hier so, dass man sich einen festen Termin geben lassen kann. Das geht dann alles recht fix und ist für die Mitarbeiter sehr viel stresfreier, weil der Bürger, der da sitzt recht entspannt daher komt.
Freundlichkeit – alles eine frage der Organisation?
Herzlich
Gitta
Hi Gitta,
diese Woche hatte ich zweimal das vergnügen Straßenverkehrsamt. Einmal mit Termin, einmal ohne. Beide Male gut und zügig gelaufen. Hier wohnen einfach nicht so viele Menschen. unsere Gemeinde hat 20.000 Einwohner/innen mit eher sinkender Tendenz. Dabei gehört unsere Gemeinde zu den flächengrößten im Westen Deutschlands. Das ist einfach ein Unterschied. Dafür ist hier dann außer Natur wenig gebacken.
Liebe Grüße
Jens
Ich mus snoch etwas nachtragen: es kann allerdings bis zu drei Wochen dauern bis man einee Termin beim Bürgeramt bekommt.
Drei Wochen??? Puh. Dann lieber ohne Termin.
Da werden alte Erinnerungen bei mir wach: Straßenverkehrsamt Gummersbach, anno 1985, kurz nach meinem Umzug vom Ruhrgebiet nach GM. Eine Katastrophe in Sachen Kundenfreundlichkeit. Eine Mitarbeiterin, die mir grantig und muffelig gegenübersaß. Und – um all das zu toppen – ein Spruch auf ihrer Kaffeetasse, den ich bis heute nicht vergessen habe und immer wieder gern zitiere:
„Der Bürokrat kennt seine Pflicht:
Von 8 bis 11 – mehr tut er nicht!“
Wie schön, dass sich die Zustände geändert haben !!!
Hi Silke,
danke für den Kommentar und den Spruch. Das Beste: das war damals durchaus ernst gemeint – oder authentisch gelebt. Eigentlich hätte man nur mit Anwalt aufs Amt gehen sollen. Aber schön, dass sich die Zeiten ändern und „früher nicht alles besser war“.
Liebe Grüße
Jens