Dieses Geräusch im Keller

Du öffnest die alte Holztür. Sie klemmt, verhakt sich am Boden, weil das Linoleum höher ist als der Spalt. Es ist eine Fuckelei jedes Mal. Ich könnte das Linoleum einfach rausschmeißen, aber ich mag es, keine Ahnung. So ist das. Ich mag es, was soll ich tun? Gehörte zum Haus dazu. Meine Glaube ist, meine Wahrnehmung, meine echte Überzeugung, dass Häuser lebendige Wesen sind. Nicht so mit Armen und Beinen und Sprechen und so. Aber fühlbar. Die Alte Schule damals war für mich eine Alte Dame. Ich hatte das Bedürfnis, ihr sehr freundlich zu begegnen in dem Wissen, dass sie noch lange da sein wird, wenn ich längst Geschichte bin. Aus der Perspektive eines Hauses kommen und gehen Menschen, die glauben, ihnen würde das Haus gehören. Die alte Dame hat über solche Dinge geschmunzelt. „Ja, glaub nur, dass du ein Haus besitzen kannst. Dass du Herrscher über Wände und Welten und Zeiten bist. Aber denk dran, wenn ich will, und manchmal will ich, dann lasse ich es dir durchs Dach auf den Kopf regnen.“

Hat sie so gemacht. Immer so kleine Spielchen, wenn es ihr zu dumm wurde. Manchmal ein Geräusch, ein Knarzen, eine undichte Leitung, ein erloschenes Heizungsfeuer. Ups.

Das Licht anmachen, der Schalter rechts, selbst im Dunkeln weiß ich, wo er ist. Licht an und dann das Geraschel, Gewusel da unten. All die Geister der Fantasie, die bluttriefenden Mumien, Zombies, Verwunschenen, Untoten. Uahh.

Es wird nur eine Maus sein. Bitte keine Ratte. Die sind mir zu stark, zu wild, zu schlau, zu kämpferisch, zu alles. Bitte keine Ratte. Obwohl, das ist schon lautes Rascheln, nicht so ein wenig, so unbestimmt, irgendwie als würde etwas leicht über etwas hinweggehen. Das ist klar, deutlich, ein festes Geräusch, definiert. 

Der Unterschied ist der zwischen leichtem Wind in einem Segel und den echten, vollen Geräuschen. Zwischen nuanciert, begleitend, wohltuend und dem Schlagen des Tuchs bei Böen und Sturm. Wenn es laut wird, hart im Ton, gewalttätig. Wenn du die Kraft spürst und weißt, dass es ernst wird. Du wirst dich gegen die Kräfte auflehnen müssen, du wirst nicht passiv bleiben können, du musst die Geräusche wahrnehmen, die Zeichen erkennen und tun, was getan werden muss. Es gibt keine Alternativen, keine Zeit für Diskussion und inneren Dialog. Du packst die Kräfte beim Schopf oder wirst in die Wellen der Zeit gestoßen. Du bist der Kapitän oder du schwimmst.

Da ist ein Wesen, das weiß, dass jemand kommt und es Zeit ist, das Weite zu suchen. Ich hoffe das. Auf keinen Fall möchte ich das austragen wie ein Duell, Auge in Auge. Komm doch. Nein. Ich möchte einfach, dass du kleines Scheißbiest dich verpisst. Für immer und ewig. Such dir einen anderen Keller, lass mich in Ruhe, ich will nicht an dich denken, ich brauch dich nicht in meinem Leben.

Die Vorräte sind angenagt. Alles. Was keine harte Hülle aus Glas oder festem Kunststoff hat, ist angenagt. Arschloch. Mach doch erst einmal eine Tüte leer. Ich entsorge alles, was eine Herausforderung ist. Die Tüten hinten im Regal, der angefressene Reis in der Ecke. Meine Hand will da nicht hin. Es ist schrecklich. Beißt mich das Vieh? Ist es da, sieht es mich, lauert es, will es die entscheidende Schlacht? Keine Ahnung. 

Wie kommt dieser Dämon eigentlich in unseren Keller? 

Tagelang geht es so. Ich sehe kein Tier, höre nur. Entsorge, räume weg, locke mit Lebendfallen. Komme ich die Treppe herunter, husch. Feigling. Aber klug bis intelligent. Obwohl es nichts mehr zu beißen gibt und selbst die angeknabberten Kunststoffstrohhalme aus dem letzten Jahrtausend entsorgt sind, gibt ES nicht auf. Husch.

Kopfkino, Fantasie. Eine ganze Familie, Horde, irgendwo in einem der Kartons zwischen Krempel und Büchern und Erinnerungen. Halt dich da raus! 

Wasser. Jedes Lebewesen muss trinken. Gut, du hast es so gewollt. Ich baue alles zu, da gibt es kein Entkommen. Demarkationslinien aus Spanplatte, fest verzurrt und dicht an die Wand gepresst. Leider bei jedem Gang in den Keller aufwendig zu entfernen, also wirklich keine Lösung auf Dauer.

Fast bin ich so weit und wende mich an einen Profikiller, der sich mit sowas auskennt. Gift würde der legen und Totfallen aufstellen. Ich möchte den Tod nicht streuen auf die Wurzeln dieses Hauses. Kein guter Segen würde auf dem Fundament liegen. Krieg ist doch keine Lösung.

Aber was tun, wenn man nicht sprechen, nicht verhandeln kann?

Ich bereite mich vor, zu tun, was getan werden muss. Ich räume den Keller Karton für Karton aus. Irgendwann werden wir uns dann in die Augen schauen und ich hoffe, dich auf irgendeine Art zu fassen. Um dich hinauszubegleiten, freundlich aber konsequent. Deine Wege sind nicht meine Wege und umgekehrt. Was willst du schon mit meinem Weg?

Lederhandschuhe müssen es sein und festes Schuhwerk und ein inneres Mobilisieren aller Kräfte. Konzentration. Ein Mantra in Richtung, dass ich es schaffe, dass alles möglich ist, dass ich doch vor solch einem Minimonster keine Angst habe.

Die Tiefen des Kellers öffnen sich. Jeder geöffnete Karton der Augenblick der Wahrheit. Nichts. Rien. Kein Tier, keine Spuren. Ich versuche, wie ein Nager zu denken, spiele Profiler. Wenn ich eine Maus oder eine Ratte wäre, wohin würde ich mich zurückziehen? Was wäre der sicherste Ort?

Ich gehe dem Geraschel der letzten Tage nach und in meinem Kopf entsteht eine Soundspur, die mich zum Fenster führt. Davor das Schwerlastregal voll beladen mit dem Gewicht der Vergangenheit. Alte Texte, Tagebuchversuche, der ganze Schwachsinn der versuchten Aufwertung des eigenen Daseins. Will mir dieses Tier etwas sagen? Ist das eine Botschaft aus einer anderen Welt, ein Schicksalswink, eine Fügung. „Räum auf, wirf weg, ordne, nehm dich nicht so wichtig. Was glaubst du denn, was von dir bleiben wird?“

Is mir egal, ich lass mir doch von einem Nager kein Denken aufzwingen. Bin schon ein wenig sauer und werde im Umgang mit den Kartons gröber. Weg mit dir. Geh zur Seite. Ich schiebe und schubse und werfe. Da liegt der Kram, weil die Kartons alt sind und keine Lust mehr haben, irgendwas zu tragen. Verräter, wie viel Dankbarkeit kann man von Kartons schon erwarten.

Werde ich das Tier töten? Jetzt doch? Du oder ich? Der Gedanke kommt mir. Weg mit all dem schöngeistigen Edelmut. Das Tier muss weg. Tier tot, Tier weg. Ist doch ganz einfach. Mein Nachbar hält mich in dem Punkt eh für bekloppt. Wegen des Aufhebens, das ich mache. Nur wegen nem Nager. Gift und Schluss.

Ich kann nicht. Ich will nicht, sollen mich die Sirenen mit ihrem schändlichen Einflüstern doch lassen.

Das Regal ist leer, kein Tier nirgends, nicht eine Spur. Nothing. Raus mit dem Regal, weg von Wand und Fenster. Ich sehe nichts. Oben ist eine dunkle Kante, verdeckt von einem Metallprofil. So eine dunkle Nische, in der auch Spinnen und Schlangen und Geister wohnen könnten. Ich leuchte mit dem Handy rein, filme die Szenerie. Spinnweben, Staub, sonst nichts. 

Allen Mut nehme ich zusammen, gehe mit den Fingern in den dunklen Spalt und fühle. Kommt der Biss? Mit den Handschuhen spüre ich nichts, ich ziehe sie aus. Ein kleiner Luftstrom, nicht der Atem eines Tieres. Da ist ein Loch, eine kleine Öffnung zwischen Fenster und Wand. Nicht zu sehen, verdeckt vom dunklen Spalt.

Hab ich dich. Deshalb das Geraschel. Hast du mich auf der Treppe gehört, bist du einfach abgehauen. Noch einen Mund voll Reis und dann Hasta la vista, baby. 

Nun, das wars. Mörtel, eine Nacht warten und schauen, ob der Schuft sich nicht durch den weichen Mörtel gequetscht hat. Hat er nicht.

Seither ist Ruhe im Keller. Und der Sperrmüll war da. Man muss auch abschließen können. Sich von sich befreien, könnte man sagen. Einfach den alten Scheiß hinter sich lassen, um es poetisch zu formulieren. 

Das Schicksal findet seinen Weg. Und wir sind nur die Kandidaten.  

Es hat mir mal jemand gesagt: Ist der Keller voll, hast du ein Problem mit der Vergangenheit. Hast du den Speicher zugestellt, verbaust du dir die Zukunft. So einfach ist das mit dem Leben. Einfach ein wenig Ordnung halten und auch mal in Löcher fühlen, die dir nicht geheuer sind. Oder so. Oder anders. Was weiß denn ich.

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