Momentan ist es so, dass die Orte wechseln. Wisst ihr, es ist nicht wichtig, dort zu sein. Oder hier. Ja. Es gibt einen Glauben. Daran, dass die Dinge sind, wie sie sind. Einfach. Pragmatisch. Übersichtlich. Greifbar. Fassbar. Leider muss ich euch sagen: Niet. So einfach ist das nicht. Eine Welt voller Träume, Hoffnungen, Sehnsüchte, Sicherheitsfragen. Es gibt keine Versicherung, die vor Unglücklichsein schützt. Komisch, oder? Die müsste doch am meisten gefragt sein. Lieber Herr Kaiser, bitte mach, dass nichts anbrennt, dass das Glück nicht wie Sand durch die Finger rennt. Und wenn doch, dann zahl mir bitte, bitte, bütteeee so viel Geld, dass ich auswandern kann, dorthin, wo Milch und Honig fließen, wo der Stress kein Visum bekommt und das Lachen und Lächeln und die Freundlichkeit zum Frühstück serviert werden neben Papayas, reifen Mangos und dem Blick auf unendliche Schönheit. Dieser Ort, den wir uns vorstellen, zu dem wir fliehen, der unser Plan B ist, ständig. Das Netz, der doppelte Boden, die imaginierte Zuversicht.
Nun. Kommen wir zurück. Leider kann auch ich euch nicht aus dem entlassen, was Wirklichkeit ist. Diese Dinge. Ihr wisst. Was stört. In der leichten Form sagen wir nervt, und wenn es sich aufbauscht, wenn es anfängt, sich wie Hochwasser in die Gedanken zu drängen, dann kommt dieses Wort ins Spiel, das leichtfertig wie die Wahl eines Brötchens beim Bäcker ausgesprochen wird, dann sprechen wir von hassen in einem Nebensatz. Beiläufig, unbewusst. Ein entflohenes Wort, entwichen. Ein Wort mit einer Konnotation, die Gewalt mit Fäusten gleichkommt.
Der Sapziergang. Die Lichter.
Kürzlich war ich in einer großen Stadt mit Fluss. Alle großen Städte liegen an einem Fluss oder einem Meer. Alle, außer Brasila, gaube ich, oder? Liegt Brasilia an einem Fluss? Wissen langweilt. In Zeiten von netverbundenen iPhones eh zweitrangig. Der schnelle Klick zwischendurch. Schmerzhaft für Bibliotheken. Fürwahr (das ist mir jetzt eingefallen. Ein Wort wie ein evolutionäres Rudiment.)
Ich ging durch die Straßen, weil mich das Land plötzlich langweilte. Der ewig gleiche Weg in Dunkelheit. Die immer gleichen Lichter. Ab und an eine Abwechslung, eine Herausforderung, ein mannigfaches Erleben. Hoch X. Multipliziert, potenziert.
Der Fluss spiegelte die Lichter, die Häuser wuchsen in den Himmel. Wunderbare Bilder, Restaurants, Eindrücke. Meine Augen flatterten, zuckten, suchten sich zu orientieren. Einzutauchen in Welt, Lebendigkeit, Stadt. Saugen, aufnehmen, mitnehmen. Viele Fotos. Verschwommen. Ohne Stativ, aus der Hand. Egal.
Nightlights. Türkisches Viertel. Fluss. Ein Feuer auf der Insel, die beiden Männer. Hallo. Das Schwedenfeuer aus dem Baumarkt. 5 Euro. „Wir würden gerne mal ’nen Sägekurs machen.“ Herrje. Ja. Da ist es wieder, das Landleben, schaut um die Ecke, sagt Hallo. Hast du doch alles. Säge, Trecker, Spalter, Zugketten. Die komplette Ausrüstung.
Mich locken die Lichter. Fabrikhallen in Orange. Wasser. Schiffe. Straßenlaternen, 18/1-Plakate. Messages, Zeichen. Dort arbeitet jemand, dort fliegt eine Straßenbahn über die Brücke als Glühwurm mit Besatzung. Es kommt mir so fremd vor. Mittlerweile, als sei mein Besuch eine Expedition. Gibt es wahres Leben auf dem Mars? Fuck. Stunden. Nacht. A little man in New York. Die Feuer brennen, die Bronx lädt ein zum Zoobesuch.
Ich habe euch einige Foto mitgebracht. Weitere Nightlights, die sich mir gerade permanent vor die Linse schieben. Es war eine Zeit, die gut zu mir war. Die mich umhüllt hat. Teils konnte ich fliegen. Ich habe in Bars gesessen, einen fetten Hamburger original verschlungen und konnte mich der Musik hingeben, die in den Städten wohnt und dort die Stämme tanzen lässt. Es war ein wenig ein Kosten. Eine Rückkehr. Die Geräusche im Haus, das Trappeln über mir all night long. Die flüstenden Wände als the Tell Tale Heart.
Nun bin ich heimgekehrt und bin ein wenig verworren. Angenehm inspiriert, überrascht, provoziert, geliebt. Manche Bilder überlagern sich und bilden Interferenzen. Ein Triptychon aus Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Die Engelsflügel des schönen Augenblicks hauchen den Staub aus den Augen. Es ward, als hätt der Himmel, die Erde still geküsst. Nehmen, geben, gehen lassen. Der Taucher, Enzo, am Ende von The Big Blue.
Hallo Jens,
oh, schade, schon wieder vorbei, der Nachtspaziergang mit sehr angenehmer Unterhaltung. Ja, er wirkt aber noch nach. Draußen ist es usselig, naß, windig, grau. Der Kaffee ist heiß und belebt den Geist, der gerade mitspaziert ist. Schöne, flüchtige Eindrücke des Nachtlebens, keiner Großstadt scheinbar. Großstadtnächte sind noch mal anders. Eben mehr Mehr. Gut, wenn man dann irgendwann nach Hause kommen kann, auf seine Insel, in die Ruhe.
Danke, daß Du uns mitgenommen hast. War ein Vergnügen.
LG
Annegret
P.S.: Das mit den störenden Dingen: Davon kann ich gerade ein Lied singen. Mein neues Autochen, ich kriege es noch kaputt. Fünfter Gang, zurückschalten wollen in den vierten und immer wieder: Krrrrrr, Krrrr. Ich kriege die Krise. Ich vermisse meinen Automatik.
Hi Annegret,
das war ein sehr schöner, ausgesprochen langer Nachtspaziergang. Nachts ist die Welt doch besonders. Wenn man so alleine ist.
Autos. Uh. Hatte eben eine Panne auf dem Heimweg. Mitten im Niemandsland. Ich hatte kaum Handyempfang, hab den ADAC gerade so erreicht. Vorher musste ich mit dem Handy meine Position orten, um sagen zu können, wo ich stehe. Bevor ich eine Helferin an der Strippe hatte, musste ich Zahlen drücken. Drücken Sie eins, wenn… Ich dachte schon, der Saft wäre weg, bevor ich sagen konnte, dass ich Hilfe brauche. Hat dann doch geklappt und nach dem Auflegen und der Info „eine Stunde Wartezeit“ lief der Wagen wieder. Zuhause habe ich dann den ADAC zu mir bestellt. Lichtmaschine kaputt. Wahrscheinlich. Bingo. Leider teuer. Schrauber angerufen, Wagen hingebracht mit letztem Saft, mit Cooper zurück durch die Nacht. Warum nicht mal ein wenig Aufregung nach Feierabend?
Ich denke, du wirst dich schnell ans Schalten gewöhnen – muss halt verankert werden.
Liebe Grüße
Jens
Oh, eine Panne im Niemandsland. Welch ein Horror! Gut, da die Nerven zu behalten. Daß die Autos auch immer so empfindlich sein müssen! Könnten ein bißchen mehr Resistenz gebrauchen.
Ich hoffe, daß mein Autochen, nein, unser Autochen durchhält bis meine Tochter ihre Führerscheinprüfung bestanden hat.
Viele Grüße
Annegret
Ich drück dir die Daumen, dass er hält.
Liebe Grüße
Jens
Hallo Jens!
Diese Führung durch einen Raum deines Weges, durch Nachtgedanken und Bilder hat mich sofort berührt!
Es sind spannende Schatten geworden, die Stadtbilder. Viele Menschen, vielleicht, hinter den Balkonen. Küchenzauber- höre die Töpfe und Kellen klingeln, höre wie es zischt und brodelt im Stimmengewirr, rieche das Essen. Und die Nachtluft klar und klirrend kalt, vielleicht- und die Einsamkeit dazwischen. Dann wärmende Haltestellen, aufgeräumt.
Und dazwischen: Poesie des Herzens, Worte, ungenau-genau, verpackt, aber weich.
Das war eine schöne kleine Reise! :)
Hi Sarah,
diese Winterzeit lässt mich irgendwie dauernd durch die Nacht laufen. Das gefällt mir. Dann ist es ruhig und leer. Wenig los.
Für mich war es auch eine Reise. Ein Wochenende in der Stadt. Lichter. Geschichten überall.
Liebe Grüße
Jens