Kennt Ihr Frau Berg? Sie ist Kolumnistin beim Spiegel. Zusammen mit Bloggergrößen wie Sascha Lobo und anderen. Sie schreibt Theaterstücke, Romane, die im Hanser-Verlag erscheinen, und eben Kolumnen auf Spiegel Online. Ich bekenne: Ich lese gerne Frau Berg. Zumindest die Kolumnen. Gestern zum Beispiel wieder, als es darum ging, wie das mit dem Verlassen und Verlassenwerden ist.
Der Text lief schön durch, das kann Frau Berg 1A. Sie beschrieb, wie das so ist, mit Beziehungen, die in die Jahre kommen. Vorsicht: Jetzt kommt die Klischeefalle. Das Unterbewusstsein schreitet ein und liefert Blaupausen. Kopien gesagter Worte. In diesem Augenblick, wenn es „um in die Jahre gekommene Beziehungen geht“, schiebt das Hirn gerne den Film Langeweile, Frustration, kein Sex mehr, Schnarchen, Schweißfüße, Cellulite ein.
Unser Filmvorführer da oben im Köpfchen kann manchmal schonungslos gemein sein. Nicht nur jetzt, wo du liebe Leserin, lieber Leser, diese Zeilen hier liest. Nein, auch im wahren Leben draußen vor der Tür des heimeligen fiftyfiftyblogs. Da geschieht es immer wieder, dass der Blick verloren geht. Der zentrale Blick, der freundliche Blick, der optimistische Blick, der erhaltende Blick. Der Blick, der die Information übermittelt: Weißt du eigentlich, wie gut es dir geht? Was du an deinem Partner an deiner Seite hast?
Frau Berg sprach treffend von den schönen Gefühlen, die eine neue Liebe bringt. Schmetterlinge im Bauch. Da taucht ein neuer Mensch auf, der belebt, so spannende, interessante Dinge sagt, der ganz neue Seiten anspricht. Wieder kommt der Filmvorführer ins Spiel, der sich freut, mal was Neues zu präsentieren. Er spielt die Romantikmusik ein und liefert Bilder des Glücks, einer neuen, frischen Zweisamkeit. Alles pulsiert, die Farben sind neu, der Sex so übergigantisch lustvoll. Alles spricht für einen Wechsel, einen Neuanfang, einen Lebensneustart unter neuer Flagge. Volle Fahrt voraus!
In diesem Augenblick sagt Frau Berg: „Was glauben die denn, wie viele Leben sie noch haben?“ Mal eben so das Beste über Bord werfen, was da ist. Mitsamt allem, was schön und gut ist. Mal eben zu neuen Ufern und eine exzellent neue Vertrautheit aufbauen. Und die Erinnerungen? Die Gemeinsamkeiten? All das Erlebte? Zählt nicht mehr?
Selbstverständlich gibt es Situationen, da passt es nicht länger. Da ist wirklich etwas eingeschlafen und die guten alten Erinnerungen zerfließen in den schlechten neuen Erinnerungen, die täglich entstehen. Dann kann es sein, dass ein Punkt erreicht wird, an dem es heißt: Bis hierhin und nicht weiter. Wobei ich glaube, dass eine echte, tiefe Liebe nicht so einfach verloren geht. „Die verliert man nicht wie einen Stock oder Hut.“ Die Liebe, die guten Gefühle brauchen Pflege. Nicht nach dem Motto: Wir müssen mal wieder zusammen etwas machen. Verreisen oder so… Ne, das muss schon kontinuierlicher sein. Täglicher Respekt. Nicht dem Filmvorführer glauben, der schon wieder versucht, dem Partner irgendeine Schuld in die Schuhe zu schieben: „Nie räumt der auf!“, „Nie versteht sie mich!“. Den kleinen Alltags-Gift-Injektionen keinen Glauben schenken! Dahinter blicken und den Kern sehen.
Ob man es schafft, zusammen alt zu werden, die Biographie der gemeinsamen Beziehung zu bewahren, respektvoll in den Händen zu halten, hängt letztlich davon ab, wie viel es einem wert ist, das zu tun. Natürlich muss man/frau auch ein wenig Glück oder zumindest wenig Pech haben. Nur der Glaube, mit einem neuen Partner wird alles viel, viel besser, hat einen Haken: Man nimmt sich in eine neue Beziehung immer selbst mit – mit dem gesamten Film-Repertoire, dass der Filmvorführer auch schon in der Beziehung zuvor präsentiert hat. Es bleibt die tägliche Aufgabe, an sich selbst zu arbeiten. Am eigenen Kopf…
Sibylle Bergs Spiegel online Kolumne „Liebe ist nur ein Viertel des Lebens“? Hier klicken! Sibylle Bergs Internetauftritt? Hier klicken! Fragen zu Beziehungen? Herrn Schönlau im Kommentar ansprechen:)
Hallo Jens,
so einfach, wie der Regisseur im Kopf sich das vorstellt – alte Liebe raus, neue Liebe rein – geht das im Leben nicht. Man kann ja nicht Vergangenheit und Gegenwart abschalten und unbelastet neu anfangen. Dazu gehört schon ein wenig Kopfarbeit. Liebe verbindet, aber man muß auch daran arbeiten. Es gibt sie nicht für lau.
Viele Grüße
Annegret
Hi Annegret,
an ihr arbeiten und sie genießen. Vor allem in den kleinen Momenten. Ein Blick, eine Geste. Sich freuen. Das ist das Schöne, dass man sich an der Liebe Tag für Tag erfreuen kann. Wenn man hinsieht, sie leben lässt, bereit ist, sie zu sehen und zu fühlen… Manchmal taucht sie ab, für eine Zeit, dann muss man die Geduld, auf sie zu warten. Und das Vertrauen. Das kann man sich alles nur selbst geben…
Liebe Grüße
Jens
Hi Jens,
klug wie sie ist die Frau Berg, schreibt sie dass es ja noch andere Bereiche gibt die man im Leben verändern kann ausser Bauchschmetterlingen hinterher zu jagen ;-) um den Elan, das Glücksgefühl der Jugend nicht zu verlieren.
Vielleicht liegt es auch darn, dass die Menschen sich mehrmals im Leben wechseln weil wir alle viel älter werden. Die Optionen somit vielfältiger?
Wenn wir es biologistisch betrachten liegt uns Monogamie nicht in den Genen.
Wenn wir es romantisch sehen ist es eine kleine eigene Welt nur für zwei, irgendwann vorbei?!
Wenn wir es praktisch sehen kann Treue sehr beruhigend sein weil Verlässlichkeit Raum für anderes frei hält z.B. Freundschaft, Beruf(ung) und Entwicklung.
Wir haben ein Leben und so viele Facetten von Lebensweisen; glücklich wer seine Variante findet. Für die Liebe kann das auch gelten. ;-)
Sonnige Grüsse,
Danièle
Hi Danièle,
die Möglichkeiten sind schier unendlich. Lange Beziehungen bedeuten ja nicht Monogamie, was romantisch verklärt gerne so gesehen wird. Nur ob das immer passt? Und Nicht-Monogamie bedeutet ja nicht, keine lange Beziehung. Alles ist möglich. Auch hier kommt es darauf an, was das Kopfkino veranstaltet. Wir haben sehr unschöne Worte für Liebesbeziehungen außerhalb der festen Beziehung: Fremdgehen, betrügen, Seitensprung, Affäre. Alles Begriffe, die, kommen sie ins Spiel, als Rechtfertigung für die Beendigung einer Beziehung ausreichen. Hier bewegen wir uns in der Grauzone gesellschaftlicher Akzeptanz. Es wird moralisch und von Vertrauensverlust und Verletzungen gesprochen. Ein heikles Thema. Man könnte fragen: Was sollen Beziehungen aushalten können, um alt werden zu können? Monogamie ist sicherlich etwas, was sich viele vom Partner wünschen und andererseits von vielen als sehr einengend empfunden wird. Ein wichtiger Punkt auf dem Weg zu guten, langen Beziehung. Ja, glücklich, wer seine Lebensweise findet. Es ist sicherlich nicht einfach, eine Beziehung dauerhaft aufrecht zu erhalten, weil immer auch Dinge quer laufen und sich als Schleier vor das schöne Liebesgefühl legen. Hier kann nur jeder für sich einen Umgang damit finden und jeder für sich muss sich entscheiden, was er möchte und wie er leben möchte…
Liebe Grüße
Jens