Au Mann, wie fange ich an. Die Stränge in der Hand sind vielfältig. Die Zeiten verschwimmen, die Protagonisten.
Zur Entspannung erst einmal einen Song. Gil Scott Heron – we almost lost detroit
Ich war in Essen, habe mich in die Arme Vivekas gerettet. Sie ist, unglaublich. In der letzten Woche, es war – anstrengend – hat sie mich gelassen. Sie ist zu ihrem Vater gegangen, hat mit ihm gesprochen. Ihn gefragt. Er hat gesagt: Lass ihn. Aus einem Verstehen heraus. Das Schönste auf dieser Welt sind die Menschen.
Viveka hatte gestern den halben Tag Fortbildung. Ich habe mein Fahrrad geschnappt und bin die Ruhr entlang von Essen nach Mülheim gefahren. Sonne. Menschen draußen. Licht. Wasser.
Sie hat mich umarmt. Aufgefangen. Zart geschaut. Mir Kaffee ans Bett gebracht. Ein Brötchen. Wie einen jungen Hund mit der Flasche aufgezogen. Am Nachmittag habe ich gekocht und Viveka hat Gil Scott Heron aufgelegt. In Essen höre ich immer neue Musik. Aus alten Zeiten. Sie hat Gil Scott Heron live gesehen. Sich in der Pause mit ihm unterhalten. In Steves Wohnung haben wir Gil Scott gehört. Eine alte Platte. Plattenspieler. Steve ist der Vater von Vivekas Kindern. Ich mag ihn sehr. Und, zum Glück, womit habe ich das verdient, er mich auch. Liebe. Respekt.
Die zarten, feinen Verbindungen.
Venedig. Am Wochenende haben wir geblödelt. Wir blödeln immer. Ich spiele Sketches, Viveka lacht sich kaputt. In der Wohnung, im Wald, am See. Sie liebt es, wenn ich spiele, ich liebe es, wenn ich darf, kann. Wenn es leicht ist, kein Ernst, kein Anspruch, keine Qualität, kein irgendetwas. Lachen. Verrückt.
Nach Hamburg habe ich uns als so ein Paar gesehen mit Hobby. Städtereisen. Normalerweise am Wochenende als Cowboy und Squaw im Zelt unterwegs, ab und an Städtereisen. So ein Paar, das nach Sinn sucht, das sich beschäftigt. Fotoalben hat, Souvenirs, Videos. Uah. Linearität. Ordnung. Hobbys.
Wir haben die Hamburg-Fotos gesehen. Für den Blog und Facebook habe ich sie ausgewählt und bearbeitet. Es war schön. Wir verstehen uns in Städten, lassen uns gemeinsam treiben, sind die Nacht unterwegs, steigen in U-Bahnen, fahren hier hin, dort hin. Lassen uns überraschen.
Viveka möchte mir eine neue Stadt zum Geburtstag schenken. Aufregende Zeiten irgendwo. Auf der Rückfahrt ist es mir eingefallen. Venedig. Viveka war oft in Venedig. Sie hat am Lido gewohnt in einem Hotel. Als Kind. Mit Freunden ihrer Eltern und deren Tochter. Sie hat jeden Tag Fischsuppe gegessen.
Venedig hat auch in meinem Leben Spuren hinterlassen. Ich war nicht nur dort. Mit meinen Eltern. Mit meiner Klasse. 1982. Ich habe mir Schuhe gekauft. Im Studium. Sechs Wochen Italienische Reise. Goethe. Bis nach Paestum runter. Gunnars 30-igster Geburtstag. In Venedig. Die Läden hatten zu, wir brauchten Wein, ich habe für ihn eine Flasche geklaut. Von einem Tisch in einem Restaurant. Wir sind dann rüber mit dem Vapporeto nach St. Giorgio Maggiore. Andrea di Palladio. Mit Blick auf den Markusplatz. Herzlichen Glückwunsch, Gunnar. Gunnar lebt nicht mehr. Er hat eine dieser Kerben in meinem Herz hinterlassen.
1996. April. Mein letzter Besuch in Venedig.
Seither war ich nicht mehr dort. Ich möchte. Eh schon lange zur Biennale. Aber, egal. Ich möchte mit Viveka Venedig sehen. Zum Lido. Mit ihr Fischsuppe essen. Palladios Kirchen sehen, die Renaissance-Schätze, die ich mit Gunnar gesehen habe. Guido Reni, Caravaggio, Raffael, Tizian. Die Farben, das Licht, das Magische, die Inszenierungen.
Sie hat einen Blick, eine Ader dafür. Vivekas Vater ist Maler. Sie ist mit ihm früher umhergezogen. Sie haben an Haustüren geklingelt, haben die Mappe präsentiert, Linolschnitte verkauft, Zeichnungen. Er ist einer dieser Männer, die sich nicht an die Regeln halten. An die Regeln dieses Landes, eines Kunstbetriebes. Das schätze ich sehr. Ihn schätze ich sehr. Leider sind all seine Bilder unter Verschluss. Nichts bekomme ich zu sehen. Mit Viveka hat er Tiere gemalt. “Schau, das ist eine Elefant.” Und der Stift flog leicht über das Papier.
Ich möchte dringend nach Venedig. Paris hatten wir, Hamburg. Städtereisen. Dresden. Köln sowieso. Duisburg. Ach. Egal. Gut, meine größte Sehnsucht derzeit ist New York. Diese Woche 99 im März. Mein Vater hatte Geburtstag, ich habe ihn aus einer U-Bahn-Station angerufen, Musiker im Hintergrund. “Papa, ich wünschte, du wärest hier. Ich könnte mit dir.” Dieser Wunsch ist geblieben. Papa.
Venedig geht. Irgendein billiges Hotel. Unterwegs sein. Freitagabend auf einem der Plätze Bellini trinken. Die kleinen Restaurants draußen suchen, die Bars im Studentenviertel. Boot fahren. Kaffee trinken. Den Canale Grande bei Nacht rauf und runter und in Romantik vergehen.
Hach. Diese Welt ist so voller Schönheit und Sehnsucht. Die satten Augenblicke warten. First we take Manhattan.
Nun hatte ich schon das Vergnügen. All diese Städte. Aber es macht es nicht besser. Ich möchte zurückkehren. Es wieder sehen. St. Giorgio Maggiore. Auf der Treppe sitzen in der Nacht. Eine Flasche Wein. An Gunnar denken. Es ist alles lebendig.