Karl Henckel, August Schönlau, die Kunst, die Photographie, die verwunschene Vergangenheit

Und alles, was man ist, summiert sich aus den Tagen zuvor.

Geräumt.

Das Haus meiner Eltern, meiner Mutter. Die Vergangenheit gefleddert. Hoffentlich, war sie beschäftigt und hat nicht zugesehen. Der Weg allen Irdischen. Am Ende des Lebens steht der Container. Das wahre Grab. Stahlblech, mit dem Haken vorne zum Aufladen und praktischen Abkippen. Alles gehen lassen, alles auf einen Haufen. Zermalmen, die Geschichte, Vergangenheit in einen Einheitsbrei verwandeln.

Drei Brüder.

Der Jüngste, der Held in der Geschichte.

Gekämpft, geheult, verzweifelt, überlegt, abgesprochen, gehofft, gefahren. Seit Dezember 2018. Diese erste Nacht durchgestanden.

Wir hatten keine Chance, wir konnten nichts tun, mussten dem Abschied, dem allmählichen Sterben zusehen. Es hat uns zusammengeschweißt. Ich weiß jetzt mehr denn je, was ich an ihnen habe. Was wir aneinander haben. Wie stark wir sind. Was wir können. Als Brüder, als Familie.

Das Haus geräumt, der Vergangenheit begegnet, unserem Leben damals in unserem Elternhaus. Wenn man jeden Gegenstand kennt, den man aus dem Fenster in den Container wirft. Wenn man Skrupel hat, wenn es einem weh tut, das zu tun. Wenn man sich fühlt, als würde man Verrat begehen am vergangenen Leben der Eltern.

Nun.

So läuft das, so ist es gut.

Polterabend, Scherben bringen Glück. Die Kaffeekannen der Konfirmationen. Tschüss.

Zu viel. Erinnerung.

Alles was wir wegwerfen, haben alle von uns angefasst. Irgendwann einmal in der Vergangenheit.

Ich bin ein wenig das Geschichtsbuch der Familie. Das ist so, wenn Literaturgeschichte die Herkunft ist. Einordnen. Die Jungs wollten die Bilder, die Vergangenheit nicht. Für mich waren sie die Missing Links in meiner Herkunft, die ich versuche, zusammenzutragen.

August Schönlau, lippischer Hofphotograph. Mein Urgroßvater. Gestorben 1939 in einem Cafe in Bad Salzuflen bevor der Spuk losging. Mein Vater, Rolf Schönlau, war dabei. „Er ging auf die Toilette und kam nicht zurück.Plötzlich rief eine Bedienung.“

Mein Vater, Rolf Schönlau, Augusts Enkel starb 2012 im Flur eines Restaurants. Ich habe gute Chancen, die Welt in einem gastronomischen Betrieb zu verlassen. Wäre O.K.

August Schönlau kannte Karl Henckel. Beide stammen aus dem lippischen Horn. Ich weiß nicht, ob sie Freunde waren. Klaus Henckel hatte in Dresden Kunst studiert und war in seine lippische Heimat zurückgekommen. Er malte Landschaften. Eine hing bei meiner Oma im Esszimmer. Wenn ich mich recht erinnere, war es ein großes Bild mit Wachholdern. Ich mochte es als Kind.

Karl Henckel malte meinen Urgroßvater, den Mann mit dem Hut, der eine Blume im Revers trug. Ein feiner Mann. Meine mich plagende Sensibilität, diese Dünnhäutigkeit der Schwere des Lebens gegenüber glaube ich, bilde ich mir ein, von ihm zu haben. Das Gemälde hat meine Cousine, sie hat mir ein Foto geschickt. Ich möchte keinen anderen Urgroßvater, keine andere Herkunft haben. Es ist eine feine Linie väterlicherseits. Über meinen Großvater schreibe ich wenig, das fällt mir schwer.

Nationalsozialist, Kassierer, Russland, Gefangenschaft, spät zurückgekommen, Entnazifizierung, Bäume fällen für die Engländer, Rückkehr, Darmkrebs. In einem unserer letzten Gespräche erzählte mir mein Vater, wie sein Vater zurückkam. 1949, 1950. Völlig ausgemergelt. Wie er wieder weg musste, wie er wieder zurückkam und der Darmkrebs ihn zerfraß und mein Vater ihn pflegte. Und wie ihn sein Vater, als er noch konnte, aus Hamburg abholte, wohin mein Vater auf der Flucht vor dem Gymnasium hin abgehauen war. Dramatische Zeiten. Im rauen Haus war er. Über das Meer weg wollte er.

Auf dem Bild oben ist mein Großvater. Rechts, der Matrose. Links daneben sein Bruder in Mädchenkleidern. Die Eltern hatten sich eine Tochter gewünscht. Nun. Rudolf und August-Wilhelm.

Und dann war da noch ihr Bruder Hans-Martin, der 1943 gestorben ist bei einem Testflug. Karl Henckels hat ihn gemalt. Ich denke, ein Freundschaftsdienst.

So begegne ich meiner väterlich männlichen Linie. August, August-Wilhelm, Rudolf, Hans-Martin, Rolf Schönlau. Die Bilder stehen nun als Ahnengalerie in meinem Büro. Ich fühle mich den Männern meiner Vergangenheit verbunden. Auch Heinrich, dem Vater meiner Mutter.

Es war gestern ein emotional intensiver Tag.

Ich weiß noch nicht, wie ich mit all dem umgehen werde. Wohin ich all das packe. Es ist sehr aufwühlend und hat mit mir zu tun, mit der eigenen Seele und ihrer Herkunft. Ich habe viel erfahren in den letzten Monaten. Über mich, über das Leben.

Bekommst du Kinder, wirst du Vater, wirst du erwachsen. Sterben deine Eltern, Mutter und Vater, hebst du ab. Fliegst losgelöst. Mal sehen, was jetzt kommt. In mir ist eine unendliche Ruhe und Unaufgeregtheit.

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